Probleme der Entwicklung und des Einsatzes von Prozessrechnern
6. Juli 1970
Information Nr. 642/70 über aktuelle Probleme der Entwicklung und des Einsatzes von Prozessrechnern in der DDR
Auf der Grundlage interner und offizieller Informationen und unter Berücksichtigung des DDR-Entwicklungsstandes wurde von einer Expertengruppe eine Einschätzung aktueller Probleme der Entwicklung und des Einsatzes von Prozessrechnern in der DDR erarbeitet. Diese Expertengruppe ist an der Erarbeitung der Konzeption für den Einsatz von Prozessrechnern in der DDR direkt beteiligt, hat aber keine Kompetenz für unmittelbare Entscheidungen.
In der Einschätzung wird darauf hingewiesen, dass bei der Realisierung der Prozessautomatisierung in der DDR wesentliche Mängel bestehen, deren Beseitigung im Interesse der weiteren Entwicklung der Industrie unumgänglich ist.
Die Prozessautomatisierung erfordert die Beherrschung der Übergangsstellen zwischen der bisherigen konventionellen Regelungs- und Steuerungstechnik und dem Prozessrechner. Wichtige zu lösende Probleme bei der Entwicklung des Prozessrechners PR 40001 in der DDR konzentrieren sich daher auf die Beherrschung der Anpassung an den jeweiligen Prozess, da es für die unterschiedlichen Prozesse in der Industrie keine einheitlichen Lösungen gibt.
Nach Einschätzung der Expertengruppe müsse beim Import von Prozess-know-How der entscheidende Wert auf die Dokumentation des Prozesses und nicht auf den Prozessrechner gelegt werden. Die Expertengruppe sieht im Fehlen einer verbindlichen Regelung im DDR-Maßstab zur Lösung der in der Einschätzung aufgeworfenen Probleme den entscheidenden Mangel und unterbreitet Vorschläge und Kriterien für eine mögliche Regelung.
Der Inhalt der als Anlage beigefügten Einschätzung der Entwicklung und des Einsatzes von Prozessrechnern in der DDR wurde Genossen Kleiber2 zugänglich gemacht.
Diese Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht publizistisch ausgewertet werden.
Anlage zur Information Nr. 642/70
Einschätzung aktueller Probleme der Entwicklung und des Einsatzes von Prozessrechnern in der DDR
1. Zusammenfassung des Standes
Die Orientierung der Prozessrechnerentwicklung in der DDR wird bezüglich der Verträglichkeitsprobleme durch folgende Fakten gekennzeichnet:
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Es wird standardmäßig Basic Fortran IV verwendet. Diese Sprache ist allgemeiner Standard und bei fast allen Prozessrechnerherstellern verfügbar.
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Der Assembler ist weitestgehend der Assembler-Sprache der DDP 516 von Honeywell3 ähnlich. Ein Transkribierungsprogramm (für Verarbeitungsprogramme) existiert.
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Ein entscheidender Unterschied besteht in der Prozessprogrammierung, da in der gesamten Übergangsstelle zum Prozess bzw. zur Prozessrechnerperipherie grundsätzlich ein eigenes Konzept verwendet wurde. Die Teile, die die Prozessprogrammierung betreffen, sind also bei Übergängen auf Importrechner aus dem kapitalistischen Ausland in jedem Falle neu zu schreiben.
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Durch Übergang des Problems Prozessrechnerperipherie, d. h. Steuergeräte, Wandler, Abfrageeinrichtungen usw., in die Verantwortung der VVB Automatisierungsgeräte ist ein Teil des Verträglichkeitsproblems dorthin verlagert worden. Für einen Export einer DDR-Lösung unter Verwendung eines Prozessrechners aus dem kapitalistischen Ausland oder die Reproduktion einer mit einem importierten Prozessrechner versehenen Prozesses tritt also selbst im günstigsten Fall der Verwendung der DDP 516 von Honeywell das Problem zweier Sätze Prozessrechnerperipherie, die an unsere Prozessperipherie (Stellglieder, Messfühler usw.) angepasst sind, auf.
Die Entwicklungssituation ist so, dass korrigierende Eingriffe in Richtung besserer Verträglichkeit nicht zu verantworten sind. Daraus ergibt sich die Folgerung, dass für die Ordnung des gesamten Zusammenhangs zwischen Importproblemen, Exportproblemen und Eigenproduktion von Prozessrechnern die jetzige Version als gegeben hingenommen werden muss. Das führt dazu, dass die Hauptmaßnahmen sich auf die Herstellung von Verträglichkeitshilfen und die Lösung des Anschlussgeräteproblems konzentrieren.
Eine besonders gefährliche Tendenz, die unbedingt unterbunden werden muss, hat sich aus einem falsch verstandenen Systemgedanken bei der Prozessrechnerverwendung entwickelt. Insbesondere in den Chemiebereichen entstand die Illusion, mehrere Prozessrechner durch einen Leitrechner als System so zu führen, dass bei Ausfall des Prozessrechners die Funktionen vom Leitrechner übernommen werden. Das ist logisch nicht möglich, da dann der Leitrechner zusätzlich über alle Informationskanäle des Prozessrechners verfügen müsste. Selbst bei einer Reduktion auf wesentliche Funktionen, z. B. Havarieverhinderungen, ist dieses Konzept falsch. Die Havariesicherung muss entsprechend den internationalen Erfahrungen durch prozessrechner-unabhängige Einrichtungen im konkreten Prozess gewährleistet werden. Die Havariesicherung muss in jedem Falle unabhängig auch von Teilzweigen des Prozessrechners und seiner Peripherie selbst gesichert sein.
Kritisch ist in der derzeitigen Situation, dass beim Anlagenimport mit Know-how die Illusion besteht, die Festlegungen über Software einer späteren Spezifikation zu überlassen. Da die Prozesssoftware die konkreteste Beschreibung der Prozessalgorythmen ist, ist die Sicherung der Software unbedingt Vertragsgegenstand.
Die nachfolgend vorgeschlagenen Maßnahmen gehen davon aus, dass im Zusammenhang mit Prozessrechnerimporten zwei Probleme existieren:
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Reproduktion solcher Prozesse, für die auch Know-how gekauft wurde, in mehreren Fällen mit eigenen Prozessrechnern,
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Möglichkeit des Exports von in der DDR entwickeltem Know-how.
Grundsätzlich ist zum Aufwand der Übertragung von Prozessrechnerprogrammierung einzuschätzen, dass bei Existenz von Basic Fortran IV die Verarbeitungsprogramme mit etwa 10 % des Aufwandes umgesetzt werden können. Bei den Prozessprogrammen (die dem Verkehr zwischen dem Prozess und dem Rechner dienen) handelt es sich praktisch um eine Neuschreibung auf der Basis des Programmablaufplanes, wobei der Programmablaufplan wahrscheinlich noch modifiziert werden muss.
2. Erforderliche Maßnahmen
2.1. Maßnahmen bei Robotron4
Infolge der verspäteten Bereitstellung von Prozessrechnern aus der eigenen Produktion erhöht sich die Menge der Importe für volkswirtschaftliche Schwerpunktvorhaben. Daraus resultiert, dass über das bisher vorgesehene Maß hinaus Verträglichkeitsmaßnahmen getroffen werden müssen.
Von Robotron ist ein Befehlslistenvergleich zwischen PR 4 000 und DDP 516 durchzuführen bzw. zu dokumentieren. Aus diesem Befehlslistenvergleich muss erkennbar sein, über welche Möglichkeiten die Maschinen wechselseitig nicht verfügen bzw. welche Operationen der einen Maschine durch Befehlskombinationen der anderen zu ersetzen sind.
Für die Importverhandlungen sind kurzfristig Spezifikationen der Sprache Basic Fortran IV in der beim PR 4 000 gebrauchten Form bereitzustellen. Nur für die Importeure bzw. Anwender ist die Spezifikation der Assembler-Sprache ebenfalls bereitzustellen. Von Robotron sind Maßnahmen zu treffen, um für die Hauptimporte (Erfassung bei den Importeuren) Definitionen gemeinsamer Untermengen bzw. Definitionen von Untermengen und Übertragungsregeln für nicht gemeinsame Teile zu schaffen. Zweckmäßiger weise sollte man dazu, da es sich um eine Arbeit mit gemeinsamem Nutzen handelt, die Anwender in einer Benutzergemeinschaft so rechtzeitig zusammenfassen, dass durch Arbeitsteilung eine erträgliche Belastung für Robotron entsteht und diese Informationen für die Weiterentwicklung der Verfahren rechtzeitig zur Verfügung stehen.
Die Transkribierung von Programmen des DDP 516 zu PR 4 000 und umgekehrt muss mindest für die Verarbeitungsprogramme gelöst werden (Assemblerniveau). Für die übrigen Maschinen ist im oben angeführten Sinne eine ähnliche Lösung der Verträglichkeitshilfen zu schaffen.
Entscheidend für die Geschwindigkeit der Übernahme von importiertem Know-how auf eigene Lösungen ist die Hilfe für die Neuschreibung der Prozessprogramme nach den Programmablaufplänen.
Von Robotron sind Nebenbedingungen für die Neuschreibung von Programmen bei Importrechnern so bekannt zu geben, dass schwerwiegende Widersprüche bei der Übernahme dieser Programme auf den PR 4 000 vermieden werden (Ausschaltung von Besonderheiten bei Programmen für Importprozessrechner und Ähnliches).
2.2. Auflagen beim Import von Prozessrechnern
Zunächst ist zu definieren, dass bei möglicher Auswahl die Priorität für den Prozessrechner Honeywell DDP 516 zu beachten ist. Das bedeutet nicht, dass man erprobtes Know-how dadurch einem Risiko unterwirft, dass dieses Know-how ungeprüft auf DDP 516 umzusetzen ist. Wertmäßig hat in jedem Falle das Prozess-know-How den Vorrang vor der Wahl des Prozessrechners.
Bei Prozessrechnerimporten ist die Verfügbarkeit von Basic Fortran IV als Bedingung zu setzen.
Entscheidender Wert beim Kauf von Systemen mit Prozessrechnern und Know-how ist eine korrekte Programmdokumentation. Auf jeden Fall müssen Programmbeschreibungen, Programmablaufpläne und Quellprogramme bereitgestellt werden. In die Lieferung einzubeziehen bzw. durch Sonderabsprachen mit dem Prozessrechnerhersteller zu sichern ist ein Vergleich der von PR 4 000 kommenden Spezifikation von Basic Fortran IV mit der des Prozessrechnerherstellers.
Zwischen dem Käufer eines Import-Prozessrechners und Robotron sind bezüglich der Assembler-Vergleiche geeignete Vereinbarungen abzuschließen. Das gilt insbesondere für die Fälle, wo ein anderer Prozessrechner als DDP 516 gewählt wird und Reproduktion des Prozesses, eigene Weiterentwicklung auf der Basis PR 4 000 oder Export des Weiterentwickelten Verfahrens vorgesehen sind.
Von den Anwendern importierter Prozessrechner ist eine Konzeption vorzulegen, wie der Anschluss zum PR 4 000-Programm software-seitig hergestellt wird. Die Vorlage dieses Dokuments es ist insofern von entscheidender Bedeutung, als mit allen Mitteln verhindert werden muss, dass durch einen Import-Prozessrechner die Linienführung der verfahrensentwickelnden Stelle auch nach Bereitstellung des PR 4 000 weiterhin zum Import zwingt! Die Vorlage dieses Dokumentes soll weiterhin erzwingen, dass der Anwender des Prozessrechners konkrete Vereinbarungen mit Robotron über die Lösung des Übergangsproblems trifft und sich rechtzeitig mit PR 4 000 befasst.
Beim Import eines Prozessrechners muss vom Anwender erklärt werden, ob einer der Übertragbarkeitsfälle auftritt, welcher Umfang zu erwarten ist und welche Weiterentwicklungsprobleme entstehen.
2.3. Abstimmung aller Importeure/Exporteure für das kapitalistische Ausland
Insbesondere bei den Gebieten Wissenschaftlicher Gerätebau, Werkzeugmaschinenbau und Chemieanlagenbau ist es notwendig, ein abgestimmtes Vorgehen zu erreichen. Diese Abstimmung muss Festlegungen über die Sprachverwendung bei der Weiterentwicklung, zumindestens nach Gebieten, enthalten. Weiterhin muss für diese Fälle klargestellt werden, wer in den einzelnen Situationen die Prozessrechnerperipherie liefern soll. (Siehe Einschätzung des Standes, Verlagerung des Anpassungsproblems.)
Ein weiterer Punkt der Abstimmung zwischen den Importeuren/Exporteuren ist die Klärung der Testung von Prozess-know-How mit einem fremden Prozessrechner. Diese Testung muss selbstverständlich die Anpassung an die vorgesehene Prozess-Peripherie einbeziehen.
In Abstimmung ist zu klären, welche Rahmenvereinbarung mit Honeywell notwendig ist, um bei vorgesehenen Exporten von Anlagen Mithilfe einer Zulieferung von Honeywell eine möglichst wenig Umstellung des Prozess-know-How erfordernde Lösung zu erreichen ist.
Weiterhin ist eine kurzfristige Vereinbarung über die Normen für die gesamte Prozess-Software auf zwei Niveaus zu treffen. Das erste Niveau bezieht sich nur für in der DDR anzuwendende bzw. in die sozialistischen Staaten mit eigenen Prozessrechnern zu exportierende Systeme, um Verträglichkeit und Zusammenarbeit zwischen den entwickelnden Einrichtungen zu sichern. Das zweite, für Exporte in kapitalistische Länder notwendige Niveau muss so weit eingeengt sein, dass eine Übertragung auf einen im kapitalistischen Ausland verfügbaren Rechner wie den DDP 516 ohne Schwierigkeiten möglich ist.