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Probleme der Versorgung der Bevölkerung

4. Dezember 1970
Information Nr. 1279/70 über einige Probleme der Versorgung der Bevölkerung (Stand 1. Dezember 1970)

[Faksimile von Blatt 1]

Aus den Bezirken der DDR wird übereinstimmend berichtet, dass Probleme der Versorgung der Bevölkerung gegenwärtig in der Reaktion der Bevölkerung im Vordergrund stehen, wobei allgemein noch eine ansteigende Tendenz zu erkennen ist. Im Mittelpunkt dieser Diskussionen stehen die in den verschiedensten Versorgungsbereichen auftretenden Mängel in der Bereitstellung einer Reihe Artikel des täglichen Bedarfs.

Häufig wird von der Bevölkerung diskutiert, dass die Versorgungslage in den letzten Jahren noch nie so schlecht gewesen sei wie in diesem Jahr und zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Verschiedene Produkte, die vor Jahren genügend im Angebot gewesen wären, seien zur Zeit nur noch vereinzelt oder »bei guten Beziehungen« zu erhalten.

Verschiedene Waren des täglichen Bedarfs seien über längere Zeit überhaupt nicht im Angebot bzw. es werde keine kontinuierliche Versorgung gesichert, sodass die Kunden gezwungen seien, von Geschäft zu Geschäft zu laufen und viel Zeit aufzuwenden.

Die Palette dieser Mangelartikel verändere sich häufig und auf einigen Gebieten vergrößere sie sich sogar. Im Bereich der täglichen Bedarfsartikel betrifft das zur Zeit Zahnbürsten, Batterien, Briefumschläge, Haushaltsporzellan, Zündkerzen, Waschmittel u. a.

Mängel in der Versorgung werden – so wird in Handelsbetrieben und von Handelsfunktionären argumentiert – zum Teil erst dann bekannt, wenn sie aufgetreten sind. Ihre Beseitigung erfordere dann fast immer einen höheren Kosten- und Zeitaufwand.

Typisch für die Argumentation der Bevölkerung zur Versorgungslage ist gegenwärtig, dass sie sich nicht nur auf das Aufzählen der Mangelartikel und eine allgemeine Kritik an dieser Situation beschränkt, sondern im breiten Maße auf »mangelhafte Erscheinungen« in der ökonomischen Entwicklung der DDR allgemein ausgedehnt wird.

Es treten häufig Zweifel an der Richtigkeit der Wirtschaftspolitik von Partei und Regierung auf.

Im Vordergrund der »Argumentationen« stehen Überlegungen in der Richtung, dass der jetzige »Zustand« mit unserer erreichten Entwicklung nicht vereinbar sei und Versorgungslücken bei Waren des täglichen Bedarfs kein Verständnis entgegengebracht werden könnte.

Mehrfach wird geäußert, zwischen den Darlegungen in den Publikationsmitteln der DDR über die ökonomische Entwicklung der DDR und der tatsächlichen Praxis bestünde ein großer Widerspruch.

Sehr verbreitet ist in allen Bezirken und in allen Bevölkerungsschichten eine solche Tendenz festzustellen, dass der Stand der ökonomischen Entwicklung der DDR lediglich an der Skala der in den Geschäften angebotenen Waren bemessen wird.

Viele unzufriedene und negative Reaktionen lassen sich auf folgende aussagen reduzieren:

  • Zweifel an der ökonomischen Entwicklung in der DDR (»einerseits Produktionserfolge – andererseits ein mangelhaftes Warenangebot«)

  • Vergleiche mit der Entwicklung in der BRD zugunsten der ökonomischen »Erfolge« Westdeutschlands (»trotz Kapitalisten eine kontinuierliche, qualitätsmäßige Versorgung«)

  • Verärgerung darüber, weil zu viele hochwertige Waren exportiert würden und der Bevölkerung der DDR dadurch verloren gingen (»für die DDR-Bevölkerung verbliebe nur die qualitätsgeminderte Ware«)

  • Kritik am Ansteigen der »Unter-dem-Ladentisch-Verkäufe« (»in der DDR bekomme man gute Ware nur durch entsprechende Beziehungen«)

Außerdem treten insbesondere von Beschäftigten im Handel, aber auch zum Teil von Funktionären unterer und mittlerer Ebene sowie von Mitgliedern der SED Äußerungen in Erscheinung, wonach leitende Funktionäre z. B. während der letzten Plenartagungen nicht umhin konnten, bestehende Mängel und Schwierigkeiten in der wirtschaftlichen Lage der DDR »als Entschuldigungsgrund für die gegenwärtig mangelhafte Versorgungslage« offen darzulegen;1 es habe sich aber trotzdem bisher nichts geändert, sondern die Lage »spitze sich immer weiter zu«.

Vermutlich seien die »Schwierigkeiten« sogar noch erheblicher als »offen zugegeben« würde.

Die »Schwächen in der Wirtschaftspolitik der DDR« würden durch das mangelhafte Versorgungsangebot offenbar. Das »neue ökonomische System«2 sei in der DDR bisher ohne wesentliches Ergebnis geblieben, vieles hätte sich im Gegenteil danach noch verschlechtert. In der DDR würden die gleichen Fehler in der Planung und Leitung die Volkswirtschaft der DDR behindern wie vor Beginn der »Wirtschaftsreform« Anfang 1960.

In diesem Zusammenhang wird häufig leitenden Wirtschaftsfunktionären der DDR »Unfähigkeit und Schlendrian« vorgeworfen.

Weiter wird geäußert, die Planforderungen an Industrie und Landwirtschaft seien zu hoch. Die Pläne würden in Permanenz untererfüllt. Es habe den Anschein, dass der Volkswirtschaftsplan der DDR »unwissenschaftlich« aufgebaut sei.

Das System der zentral gelenkten Planwirtschaft der DDR sei anzufechten.

Mehrfach wird in diesem Zusammenhang betont, für den Verbraucher sei nach wie vor das »System der freien Konkurrenz«, der Entwicklung der »betrieblichen Eigeninitiative« und des »Abbaues der zentralistischen Wirtschaftsbürokratie« von Vorteil.

In verstärktem Maße wird in den letzten Wochen ferner in der Richtung argumentiert, die von der DDR betriebene Anerkennungspolitik sei zu teuer und zahle sich trotzdem nur durch sehr geringe Erfolge aus. Die »großangelegten Wirtschaftshilfen der DDR für die jungen Nationalstaaten«3 verstärke die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der DDR.

Die Bezirke berichten mehrfach darüber, dass sich die Stimmung der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Versorgungslage so zugespitzt hat, dass teilweise in Geschäften und in Unterhaltungen offen und z. T. aggressiv über die bestehenden Mängel in der Bereitstellung von Waren diskutiert wird.

Dabei sind auch solche Äußerungen bekannt geworden, wie

  • Die Situation nähere sich der von 19534 (Bezirk Erfurt, Gera)

  • Es müsse wohl erst wieder zu einem 17. Juni5 kommen (Bezirk Erfurt)

  • Unter diesen Bedingungen könne in der DDR eine solche Lage entstehen wie in der ČSSR6 (Bezirk Potsdam)

In einigen Fällen wird darüber berichtet, dass von Teilen der Bevölkerung darauf hingewiesen und z. T. praktiziert wird, sich verstärkt mit haltbaren Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs zu bevorraten, um auf eventuell noch größere Versorgungsschwierigkeiten vorbereitet zu sein.

Aus allen Bezirken wird berichtet, dass gegenwärtig die Gerüchteverbreitung im Zusammenhang mit der Versorgung der Bevölkerung stärkere Ausmaße annimmt. Die am weitesten verbreiteten Gerüchte sind:

  • Ab 1.1.1971 wird eine Rationierung bei Grundnahrungsmitteln – verwiesen wird auf Molkerei- und Fleischwarenprodukte – erfolgen. Es würden wieder Lebensmittelkarten bzw. Strichlisten in den Geschäften eingeführt.

  • Der Verkauf von Bohnenkaffee und Kaffeesahne werde völlig eingestellt.

  • Es würden ab 1.1.1971 neue Preisregelungen in Kraft treten.

  • Das beträfe insbesondere Elektroenergie für Haushalte, verschiedene Lebensmittel und Qualitätserzeugnisse bei Textilien.

  • Es stünde eine Geldabwertung bevor, da die Spareinlagen sehr hoch seien, das Warenangebot jedoch ständig zurückgehe (geringer Umfang).

Die Versorgungssituation stellt sich nach der Berichterstattung der Bezirke sowie zentraler Institutionen wie folgt dar:

Bei Lebensmitteln bestehende Mängel bei

  • Fleisch und Fleischwaren, besonders am Wochenanfang,

  • zum Teil Butter (es werden Beispiele aus kleineren Orten angeführt, in denen entweder tagelang keine Butter im Angebot ist bzw. von den Verkaufsstellen dazu übergegangen wurde, bestimmte Verbrauchsnormen für die Familien festzulegen und einzuhalten),

  • Fetten (Margarine, Öl),

  • Bohnenkaffee (es wird lediglich das »Instant-Pulver« angeboten, das jedoch wegen mangelhafter Geschmacksrichtung von der Bevölkerung überwiegend abgelehnt wird),

  • Schokoladenerzeugnissen (Pralinen, Hohlkörpern),

  • Dauergebäckerzeugnissen,

  • Fischprodukten.

Während in den Bezirksstädten und in Schwerpunktgebieten der Arbeiterversorgung meist ein noch ausreichendes Angebot an diesen Produkten gewährleistet wird, stoßen Versorgungslücken in den übrigen Gebieten auf Unverständnis und Missfallen. In allen Bevölkerungsschichten wird das Fehlen besonders folgender Artikel des täglichen Bedarfes bemängelt:

  • Kinderbekleidung (besonders Anoraks und Baumwollbekleidung),

  • Schuhe und Stiefel (besonders für Kinder und Damen),

  • Untertrikotagen,

  • warme Berufsbekleidung,

  • warme Strümpfe.

Außerdem

  • Zahnbürsten,

  • Waschmittel (nicht nur Spee, sondern auch sonst ausreichend im Angebot vorhanden gewesene Waschmittel wie Wok, Reuwa und Milwok),

  • Kohle-Raumheizer,

  • Monozellen,7

  • Haushaltsporzellan,

  • Wassereimer, Kochtöpfe (besonders in Landgemeinden).

Inoffiziell liegen aus zentralen Handelseinrichtungen u. a. folgende Angaben vor:

Ab 18.8.1970 arbeitet beim Ministerium für Handel und Versorgung ein »Operativstab Nahrungs- und Genussmittel«, der die Aufgabe hat, die Versorgung straff zu organisieren. Bei versorgungspolitisch wichtigen Erzeugnissen ergeben sich eine Reihe von Problemen.

Für das Jahr 1970 standen planmäßig 235 kt Butter zur Verfügung (Zuwachs zu 1969 = 1,9 kt). Durch den relativ hohen Verbrauchsanstieg mussten bereits in den ersten drei Quartalen 1970 außerplanmäßige Mengen im Vorgriff auf das IV. Quartal 1970 eingesetzt werden. Im IV. Quartal 1970 wurden zwei kt Butter im Vorgriff auf den Plan 1971 freigegeben. Damit kann der Bedarf aber nicht voll gedeckt werden.

Es sind Maßnahmen eingeleitet zur Reduzierung der Warenbereitstellung Trinkvollmilch, Reduzierung bzw. Einstellung des Schlagsahneverkaufs, Kürzungen der Warenbereitstellung Butter für Koch- und Ersatzzwecke in Gaststätten und bei Großverbrauchern.

Die Lage in allen Bezirken bei der Versorgung mit Fleisch, Fleisch- und Wurstwaren ist angespannt. Trotz Erfüllung der Pläne kann nicht voll versorgt werden. Bei Schlachtviehaufkommen/Schwein ist ein Rückstand von ca. 4,5 kt vorhanden.

Das Zeitsoll bei Frischfleisch und Fischwaren wurde nur zu 83,4 % erfüllt.

Bei Geflügel (besonders Gänsen) bestehen Probleme in der Importrealisierung. Zusagen der VR Polen und VR Ungarn wurden in den letzten Monaten nicht eingehalten.

Zur Weihnachtsversorgung werden weniger Bananen als im Vorjahr zur Verfügung stehen. Die Planmenge bei Äpfeln wird aufgrund der geringen Ernte nur zu 50 % realisiert.

Durch fehlende Rohstoffe stehen auch weniger Kakaoerzeugnisse zur Verfügung als im Vorjahre. Bei Mohn wird trotz Steigerung des Angebots keine volle Bedarfsabdeckung erreicht. Mandeln und Sultaninen reichen nicht aus, da durch hohe Steigerungen der Weltmarktpreise keine zusätzlichen Abschlüsse vorgenommen werden konnten.

Auf einen erhöhten Bedarf und auf Produktionsausfälle in der verarbeitenden Industrie werden die in den letzten Wochen aufgetretenen Mängel in der Versorgung mit Margarine und Öl zurückgeführt. Die Produktion erfolgt gegenwärtig wieder kontinuierlich, jedoch ist das Verpackungsmaterial nicht gesichert, sodass der Bedarf insgesamt nicht gedeckt werden kann.

Das Versorgungsniveau von 1969 wird bei Spirituosen, Wein und Sekt durch Ausfälle von Importen nicht erreicht.

Zur Versorgung der Bevölkerung mit Industriewaren und Konsumgütern wird mehrfach von Handelsfunktionären eingeschätzt, dass die Erfüllung und Übererfüllung der Pläne der Leichtindustrie und des Umsatzplanes der Handelsbetriebe kein reales Bild über das erreichte Versorgungsniveau gewährleistet.

Auf die Umsatzerfüllung nahm in hohem Maße die Preisentwicklung Einfluss.

Folgende Probleme in den versorgungspolitischen wichtigsten Positionen treten auf:

In der Versorgung mit Winterschuhwerk ist die Sortimentsstruktur nicht bedarfsgerecht. Durch die vorrangige Sicherung der Kinderversorgung wird bei Damen- und Herrenstiefeln nicht die notwendige Entwicklung im Vergleich zum Bedarf erreicht.

Bei Hausschuhen vergrößern sich vorhandene Sortimentslücken noch. Es bestehen Lieferrückstände von 60 TP für Erwachsene und 80 TP für Kinder.

Große Lücken sind im Sortiment Wellingtonstiefel für Damen durch fehlende Produktionskapazitäten und Rohstoffe vorhanden (Bereitstellung 1969 = 465 TP/1970 = 113 TP).

Die festgelegte Struktur des Sortiments Untertrikotagen wurde von der Produktion nicht eingehalten. Dadurch ergeben sich erhebliche und spürbare Abweichungen. Durch den noch vorhandenen unkontrollierten Direktbezug (insbesondere bei Untertrikotagen für Kinder) erfolgt die Warenbereitstellung in den Bezirken unkontinuierlich und unterschiedlich. Es fehlen Unterhemden und Unterhosen für Kinder und Herren für den Winter, während Kurzwäsche ausreichend vorhanden ist.

Durch Zusatzimporte soll bis Weihnachten noch warme Unterwäsche für Kinder angeboten werden.

Außerdem wurde zur Sicherung der Festtagsversorgung festgelegt, dass durch Lenkungsmaßnahmen zusätzlich importierte Artikel konzentriert im November/Dezember in Angebot gebracht werden (besonders Cord- und Cottinohosen8 für Kinder, Unter- und Obertrikotagen, Anoraks für Kinder und Erwachsene).

Bei Obertrikotagen werden Lenkungsmaßnahmen (gezielter Verkauf vor dem Fest, Beachtung der Arbeiterzentren u. a.) eingeleitet, um dem gewachsenen Bedarf (besonders nach qualitätsmäßig hochwertigen Erzeugnissen) Rechnung zu tragen.

Bei Wirk- und Strickhandschuhen wird der Bedarf nicht voll befriedigt. Bei strengen Witterungsbedingungen müssen operative Lenkungsmaßnahmen eingeleitet werden.

Bei Lederhandschuhen wird durch gestiegene Preise für Kleintierfelle bei gleichbleibendem Valuta-Fonds für Importe das Versorgungsniveau von 1969 nicht erreicht.

Durch hohe Lieferrückstände des VEB Porzellankombinat Colditz ist die Bereitstellung von Haushaltsporzellan nicht gesichert. Importe aus Westdeutschland konnten nicht gesichert werden.

Bei Kinderwagen ergeben sich hohe Lieferrückstände durch Materialschwierigkeiten. Der Rückstand wird per 31.12.1970 ca. 34 000 Stück betragen (das ist etwa ein Drittel der Jahresmenge).

Durch ungenügende Zulieferungen aus Bereichen außerhalb der VVB Automobilbau ist die Versorgung der wichtigsten Kfz-Ersatz- und Zubehörteile weiterhin nicht gesichert (z. B. Kanister, Warndreiecke, Kennzeichentafeln, Außenspiegel, Zündkerzen für Trabant und Wartburg, Kolben).

Auch für 1971 gibt es zurzeit keine Garantie für entscheidende Verbesserungen.

Durch Lieferrückstände und fehlende Produktionskapazitäten sind keine Verbesserungen in der angespannten Versorgung mit Flachbatterien und Gnomzellen zu erwarten. Teilweise sind nur bei Erstausstattungen die Lieferungen mit Monozellen garantiert.

Teilweise sind ernste Schwierigkeiten bei Arbeits- und Berufskleidung vorhanden.

Zum Jahresende werden folgende Lieferrückstände bestehen:

Arbeitsanzüge 195 T Stück (dazu gehören Maureranzüge, Arbeitsjacken und Arbeitshosen), Arbeitsschutzanzüge 85 T Stück, Arbeitsschutzmäntel 36 T Stück. Als Ursachen werden genannt: Produktionsausfall durch den Einsatz schwer zu verarbeitenden Indien-Körpers,9 Ausfall von Lohnverarbeitung im sozialistischen Ausland, nicht termingerechtes Anlaufen der neuen Technik, Arbeitskräftesituation.

Allein im Bezirk Potsdam z. B. fehlen zzt. 10 000 Stück Schutzhelme, 20 000 Stück Wattejacken, 10 000 Paar Filzstiefel, 30 % fehlender Bedarf an Arbeitsanzügen, 100 % fehlender Bedarf an Schweißeranzügen. Außerdem fehlen Arbeitsjacken, Arbeitshemden und -kittel. Dadurch wird die Winterfestmachung in den Betrieben behindert.

Die Leitung des MHV setzt gegenwärtig Arbeitsgruppen in den Bezirken zur operativen Lenkung ein. Die Versorgungsleitung Nahrungs- und Genussmittel sowie Industriewaren soll durch Umverteilung personell verstärkt werden. Der Informationsfluss zum MHV soll verstärkt werden, um auf dieser Grundlage erforderliche Entscheidungen treffen zu können.

Nach Erkenntnissen leitender Wirtschaftsfunktionäre sind die Ursachen für derartige Störungen in der Versorgung sehr vielschichtig und konzentrieren sich im Wesentlichen auf folgende Probleme:

  • Teilfragen der gegenwärtigen Systemregelungen bzw. gesetzlichen Bestimmungen sind ungelöst. Die zentrale staatliche Planung umfasst ca. 70 % des gesamten Warenfonds für die Bevölkerung wertmäßig, dabei werden ganze Sortimente und der größte Teil versorgungswichtiger Einzelpositionen nicht erfasst. In den darüber hinausgehenden Abstimmungen der Lieferpläne zwischen Industrie und Handel auf der Ebene der Fachministerien, der zuständigen Großhandelsorgane usw. wird in vielen Fällen keine Übereinstimmung erzielt.

  • Circa 50 % der Konsumgüter werden in Betrieben der örtlich geleiteten Industrie produziert. Die Bilanzierung für den gesamten Warenfonds erfolgt zwischen den VVB und zuständigen zentralen Warenkontoren.

  • Die VVB haben zzt. keine Möglichkeit, die ihnen von ihren Ministerien übergebenen Plangrößen »Warenbereitstellung Bevölkerung« gegenüber den örtlich geleiteten Betrieben durchzusetzen. Verbindliche Planauflagen erhalten diese Betriebe über die Bezirkswirtschaftsräte bzw. Räte der Kreise. Diese treffen wiederum ihre Entscheidung unter Berücksichtigung ihrer strukturbestimmenden und Exportaufgaben.

  • Der Planungs-, Bilanzierungs- und Einkaufsprozess erfolgt zeitlich nebeneinander. Die Handels- und Produktionsbetriebe treten zu einem Zeitpunkt in verbindliche Vertragsbeziehungen, zu dem noch keine bestätigten Bilanzen und Planauflagen vorliegen. Dadurch ergeben sich eine Reihe Korrekturen bzw. Unsicherheiten, die sich vorrangig im Prozess der Plandurchführung auswirken.

  • Die ökonomischen Hebel wie persönliche materielle Interessiertheit, Normative der wirtschaftlichen Rechnungsführung usw. orientieren im Handel und in der Industrie besonders auf die wertmäßige Planerfüllung. Die Gewährleistung der bedarfsgerechten Versorgung hat einen untergeordneten Einfluss auf die Planerfüllung.

  • Zeigt sich im Planablauf, dass der Bedarf falsch eingeschätzt wurde, so sind Veränderungen kaum möglich, da keine Reserven vorhanden sind.

  • Während des Planjahres erfolgen zusätzliche Eingriffe in den Produktionsablauf zur Sicherung der Zahlungsbilanz bzw. Importe fallen aus, oder Produktion wird im Zuge der Konzentration und Spezialisierung verlagert und die geplante Leistung wird nicht gebracht, sodass Versorgungslücken auftreten.

  • Der begründete Bedarf bei Waren des täglichen Bedarfs wird teilweise nicht voll in die Bilanz aufgenommen, da die Produktionskapazitäten und Rohstoffe nicht ausreichen.

  • Durch unzureichende Zusammenarbeit besonders zwischen Großhandel und Produktion werden die vorhandenen Kapazitäten und Rohstoffe nicht immer am effektivsten und versorgungswirksamsten eingesetzt. Dadurch steigen trotz Sortimentslücken teilweise bei Artikeln aus dem gleichen Rohstoff die Überplanbestände.

Im Entwurf zum Volkswirtschaftsplan 1971 wird vom Ministerium für Handel und Versorgung eingeschätzt, dass bei einer Reihe von Artikeln des Grundbedarfs keine Bedarfsdeckung erreicht wird.

Das trifft für Butter, Wirk- und Strickhandschuhe, Herrenanoraks, Obertrikotagen, Dekostoffe, Tülle und Gardinen, Schuhwerk (Leder und SML), Austauschschuhe, Hausschuhwerk, Wellingtonstiefel, Untertrikotagen, Strumpfwaren, Haushaltswäsche, Arbeits- und Berufsbekleidung, Haushalt-Konservengläser, Emaille- und Alugeschirr, Flachbatterien, Stabelemente, Tapeten, Toilettenpapier, Möbel- und Polsterwaren, Herde für feste Brennstoffe.

Obwohl auch im IV. Quartal 1970 keine volle Bedarfsdeckung bei festen Brennstoffen erreicht wurde, bestehen gegenwärtig keine Vorstellungen, wie die Situation gefestigt werden soll. Die für 1971 vorgesehene gleiche Warenbereitstellung wie 1970 wird noch unterschritten bei Braunkohlenbriketts. Die Aufrechterhaltung des 1970 erreichten Versorgungsniveaus ist nicht gewährleistet. Bei Braunkohlenbriketts für den Bevölkerungsbedarf geht die Warenbereitstellung 1971 auf 90 % gegenüber 1970 zurück.

Per 17.11.1970 waren – soweit im Handel bekannt – noch 254 000 Haushalte mit Erstlieferungen fester Brennstoffe zu versorgen.

Vom Handel wird auf die Tendenz hingewiesen, dass von den Haushalten sehr hohe Bestellungen für Braunkohlenbriketts aufgegeben werden, die in keinem Verhältnis zu dem zur Verfügung stehenden Kontingent stehen.

Für die Versorgung der Bevölkerung mit Braunkohlenbriketts für 1971 ist eine bilanzierte Menge von 13 000 kt verbindlich. Die begründete Forderung des MHV beträgt 13 600 kt. In dieser Bilanz sind die von der Bevölkerung geltend gemachten höheren Anforderungen nicht mit enthalten.

Anlage zur Information Nr. 1279/70

Versorgung der Bevölkerung mit festen Brennstoffen (Stand 3. Dezember 1970)

Für das Jahr 1970 wurden für die Versorgung der Bevölkerung 13 328 kt (effektiver Verkaufsfonds) Braunkohlenbriketts bereitgestellt.

Per 20.11.1970 waren davon 12 252,2 kt (= 91,9 %) an die Bevölkerung ausgeliefert.

Die noch bis Jahresende zur Verfügung stehende Menge von rund 1 076 [kt] wird zielgerichtet für die Belieferung der Haushalte bei dringendem Sofortbedarf (drei Tage Vorrat und weniger) und für vorrangige Belieferung von Gutscheinansprüchen, Rentneransprüchen sowie die Gewährleistung von Anschlusslieferungen verwendet.

Per 17.11.1970 waren entsprechend dieser Situation – sowie im Handel bekannt – noch 254 000 Haushalte mit Erstlieferungen fester Brennstoffe zu versorgen. Es handelt sich dabei um Haushalte, die aufgrund noch vorhandener geringerer Brennstoffvorräte eine Lieferung in den folgenden Wochen wünschen. Die Lieferungen werden nach Vereinbarungen mit den Bürgern zum Teil erst im I. Quartal 1971 erfolgen.

Nach inoffiziellen Schätzungen des MHV stieg die Bestellhöhe je Haushalt 1970 durchschnittlich um ca. 4 bis 5 Zentner. Aus den Mengen der 1970 nicht mehr belieferten Haushalte und der erhöhten Bestellungen ergibt sich ein Überhang in das I. Quartal 1971 von 1 800 bis 2 000 kt Briketts (Fonds 1970 = 13 328 kt im Verhältnis zum Bestellvolumen 1970 = ca. 15 300 kt Briketts).

Im Gegensatz zu dem für 1970 geltenden Fonds von 13 328 kt Braunkohlenbriketts für die Versorgung der Bevölkerung ist für 1971 eine bilanzierte Menge von 13 000 kt verbindlich.

Der Volkswirtschaftsplan 1971 (Begründung der Hauptaufgaben) – Mappe 3 – enthält dazu auf Seite 47 folgende Festlegungen:

»Für die Brennstoffversorgung der Bevölkerung werden 1971 13 Mio. t Braunkohlenbriketts zur Verfügung gestellt. Unter Berücksichtigung der hohen Auslieferung im Jahre 1970 wird mit einer um ca. 20 % höheren Versorgung gegenüber normalen Heizperioden eine Versorgungslage erreicht, die bei straffer Durchführung der Beschlüsse der Regierungskommission Energiewirtschaft, der vollen Nutzung der Initiative der örtlichen Volksvertretungen in der Auslieferung von festen Brennstoffen allen Haushalten auch bei ungünstiger Witterung eine ausreichende Beheizung der Wohnungen sichert.«10

Inoffiziell wurde bekannt, dass der Minister für Materialwirtschaft, Dr. Haase, mit Schreiben vom 13.11.1970 Einspruch gegen den festgelegten Fonds Braunkohlenbriketts für den Bevölkerungsbedarf beim Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates und Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Schürer, erhoben hat. (Ursprünglich waren für den Bevölkerungsbedarf zunächst per 9.10.1970 13 500 kt vorgesehen, die später auf 12,3 Mio. t für 1971 gekürzt wurden).

In diesem Schreiben heißt es u. a.:

»Mit der Reduzierung des Fondsanteils von bisher vorgesehenen und in Übereinstimmung mit den Ministerien für Grundstoffindustrie sowie Handel und Versorgung in der Bilanz enthaltenen 13,5 Mio. t auf 12,3 Mio. t im Jahre 1971 wird die absolute Höhe des Fonds 1970 um 1,3 Mio. t unterschritten.«

Weiter wird als Entscheidungsvariante vorgeschlagen, den Fonds für die Bevölkerung entsprechend dem Bedarf 1971 auf 13,5 Mio. t festzulegen.

Eine vom MHV begründete Forderung für die Warenbereitstellung 1971/Bevölkerungsbedarf gliedert sich wie folgt auf:

  • Belieferung von Bestellmengen aus Überhängen 2 200 kt

  • Gutscheinansprüche, einschließlich Rentnerzusatzanspruch 6 600 kt

  • Freiverkauf 6 500 kt

  • Insgesamt 15 300 kt

  • ./. vertretbare Überhänge nach 1972 2 000 kt, 13 000 kt

  • Zusätzlich Schwund 266 kt, 13 566 kt

Somit ergibt sich eine Abweichung des verbindlichen Fonds zum Bedarf der Bevölkerung von 566 kt.

  1. Zum nächsten Dokument Fund von 20 Handgranaten in Nauen

    9. Dezember 1970
    Information Nr. 1301/70 über den Fund von 20 Handgranaten am 8. Dezember 1970 in Nauen, Bezirk Potsdam

  2. Zum vorherigen Dokument Eingeschleuste Hetzschriften (III)

    2. Dezember 1970
    Information Nr. 1278/70 über eingeschleuste Hetzschriften