Probleme in der Deutschen Akademie der Wissenschaften
9. März 1970
Information Nr. 267/70 über einige Probleme in der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Akademiereform
Nach vorliegenden Informationen bemüht sich die Leitung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW), den Anforderungen, die den Beschlüssen des Ministerrates der DDR vom 3.7.19681 über die Akademiereform2 zugrunde liegen, gerecht zu werden. Das trifft auch auf die Durchsetzung des Beschlusses des Politbüros des ZK der SED vom 16.10.1969 über die Wissenschaftsorganisation in der chemischen Industrie zu.3
In dieser Periode hat sich die Zusammenarbeit zwischen der staatlichen Leitung der DAW und der 1969 gebildeten Kreisleitung der SED in der DAW, besonders zur Weiterführung der Akademiereform, konkreter und vertrauensvoller gestaltet.
Durch die Bildung der Kreisleitung wurde eine größere Aktivität und Wirksamkeit der Parteiorganisation der SED in der DAW eingeleitet. Es gibt qualitative Fortschritte besonders durch die Klärung der mit der Akademiereform im Zusammenhang stehenden politisch-ideologischen Fragen.
Nach Auffassung von profilierten Wissenschaftlern der DAW wird jedoch die Leitung der DAW, repräsentiert durch
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den Präsidenten Prof. Klare,4
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den Generalsekretär Gen. Prof. Lauter,5
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den Vizepräsidenten Gen. Prof. Hartke6 und
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den Direktor für Ökonomie und Planung Gen. Dr. Cermak,7
insgesamt den an sie gestellten Anforderungen noch nicht gerecht. Das zeigt sich u. a. in Folgendem:
Die Leitung der DAW versteht es trotz entsprechender Bemühungen noch nicht in genügendem Maße, aus grundlegenden Beschlüssen von Partei und Regierung die Aufgaben und Schlussfolgerungen der DAW mit der notwendigen Konkretheit abzuleiten.
(In diesem Zusammenhang wurde deshalb durch den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Gen. Dr. Weiz,8 auf die Qualität des Inhalts und der Aussage solcher grundsätzlichen Dokumente maßgeblicher Einfluss genommen und wesentliche Hilfe geleistet.)
Der Leitung der DAW gelingt es noch nicht ausreichend, auf der Ebene der Forschungsbereiche und Zentralinstitute, außer den Leitern auch die Mitarbeiter in die Lösung der Aufgaben mit einzubeziehen.
Es gab deshalb in verschiedenen Kollektiven Missstimmungen und Auffassungen, dass die Akademiereform über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg durchgeführt werde.
(Äußerungen von Prof. Klare zeigen, er war nicht darauf vorbereitet, dass die Durchsetzung der Akademiereform ein derart umfassender und komplizierter Prozess ist. Seine ungenügenden Leitungserfahrungen veranlassten ihn zu einem Zeitpunkt, an dem sich Probleme häuften, zu der resignierenden Aussage, dass er das Ende seiner Präsidentschaft herbeisehnt.)
Der Leitung der DAW ist es noch nicht gelungen, Klarheit über die Gestaltung der Wissenschaftsorganisation in den Forschungsbereichen Chemie, Kernwissenschaften, Biologie und Medizin zu schaffen und entsprechende Bedingungen für eine hocheffektive Organisation der Arbeit in diesen Bereichen zu sichern.
Die Leitungstätigkeit wird weiter dadurch erschwert, dass vom Präsidenten die in den Grundsatzdokumenten über die Akademiereform geforderte Hauptamtlichkeit des Generalsekretärs und eines Teils der Forschungsbereichsleiter nicht voll verwirklicht ist.
Dazu folgende Beispiele:
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Der Generalsekretär der DAW, Genosse Prof. Lauter, hat sich erst jetzt entschlossen, die bisher von ihm gleichzeitig wahrgenommene Leitung des Heinrich-Hertz-Instituts für solarterrestrische Physik einem anderen Wissenschaftler zu übertragen. Sein Zögern ist, wie er selbst äußerte, darauf zurückzuführen, dass er sich »die Tür zur Rückkehr in die wissenschaftliche Arbeit aufhalten« möchte.
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Genosse Prof. Lanius9 besteht darauf, neben der Leitung des Forschungsbereiches Mathematik und Physik der DAW die Leitung des Instituts für Hochenergiephysik beizubehalten.
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Genosse Prof. Treder10 ist gleichzeitig Leiter des Forschungsbereiches Kosmische Physik, Direktor des Zentralinstituts für Astrophysik, Leiter der zu diesem Zentralinstitut gehörenden Sternwarte Babelsberg und damit auf verschiedenen Ebenen sein eigener Vorgesetzter.
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Genosse Prof. Böhme11 ist Leiter des Forschungsbereiches Biologie und Medizin und gleichzeitig Direktor des Instituts für Kulturpflanzenforschung Gatersleben.
Die hauptamtlich tätigen Leiter des Forschungsbereiches Chemie, Genosse Prof. Leibnitz,12 und des Forschungsbereiches Kernwissenschaften, Prof. Mühlenpfordt,13 sind aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht in der Lage, auf die Gestaltung der Wissenschaftsorganisation in diesen Forschungsbereichen den notwendigen Einfluss zu nehmen.
Die Richtigkeit des Prinzips der Hauptamtlichkeit wird andererseits durch die positiven Ergebnisse bei der Gestaltung der Forschungsbereiche Werkstoffwissenschaft und Gesellschaftswissenschaften bestätigt, deren Leitung mit dem Genossen Prof. Hofmann14 und dem Genossen Prof. Eichhorn15 von jungen und befähigten Wissenschaftlern ausgeübt wird.
Die Besetzung leitender Funktionen in verschiedenen Zentralinstituten durch solche jüngeren Wissenschaftler wie
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Gen. Prof. Völz,16 Zentralinstitut für Kybernetik,
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Gen. Prof. Henkel,17 Zentralinstitut für Festkörperphysik und Werkstoff-Forschung,
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Gen. Dr. Junge,18 Zentralinstitut für Optik und Spektroskopie,
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Gen. Prof. Stiller,19 Zentralinstitut für Physik der Erde,
hat sich – wie die erzielten hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen zeigen – bewährt.
Andere durch wissenschaftliche Ergebnisse und organisatorische Fähigkeiten ausgewiesene Wissenschaftler, wie
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Gen. Dr. Ringpfeil,20 Institut für Technische Chemie,
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Gen. Prof. Münze,21 Zentralinstitut für Kernforschung/Radiochemie,
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Gen. Prof. Balarin,22 Institut für Metallphysik und Reinstmetalle,
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Prof. Vormum,23 Institut für Angewandte Isotopenforschung,
bestätigen, dass im Bereich der DAW geeignete Kräfte vorhanden sind, die den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden.
Trotz dieser positiven Beispiele zeigt sich insgesamt, dass der Erziehung, Förderung und Vorbereitung von jungen fähigen Wissenschaftlern für Leitungsfunktionen in der Vergangenheit nicht die genügende Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde.
Im Zuge der Akademiereform wurde eine positive Veränderung eingeleitet, was sich auch bei der Zuwahl neuer Akademiemitglieder ausdrückt.
Aus der Sicht der DAW stellen sich die Einflüsse und Anforderungen der übergeordneten staatlichen Leitungsebenen und der staats- und wirtschaftsleitenden Organe, wie z. B. der Ministerien für Wissenschaft und Technik, chemische Industrie, Elektrotechnik/Elektronik, Gesundheitswesen, unterschiedlich und nicht abgestimmt dar.
Die DAW ist ihrem Statut entsprechend dem Ministerpräsidenten der DDR zugeordnet. Die Wahrnehmung der sich daraus ableitenden Aufgaben erfolgt durch den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates Genossen Dr. Weiz.
Die Stellung der DAW zum Ministerium für Wissenschaft und Technik (MWT) ist bisher nicht geregelt. Das MWT ist aber über die Vergabe und Bestätigung von wissenschaftlichen Konzeptionen (WK) und wissenschaftlich-technischen Konzeptionen (WTK) der größte gesellschaftliche Auftraggeber für die naturwissenschaftlichen Bereiche der DAW.
Die inhaltliche Gestaltung der Aufgaben und Entwicklungsrichtungen für den gesellschaftswissenschaftlichen Bereich wird von der Leitung der DAW – ausgehend von bestehenden Regelungen – nur formell wahrgenommen.
Über die Gesamtsituation wird in der Leitung der DAW in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend und nur in Einzelgesprächen Stellung genommen und die Frage nach möglichen Lösungen für eine einheitliche Leitung gestellt.
Zu den Ursachen noch vorhandener Mängel und Schwächen in der Leitungstätigkeit der DAW wird darauf hingewiesen, dass die bei den leitenden Funktionären vorliegenden Erfahrungen für die staatliche und politische Leitung zur Durchsetzung der kontinuierlichen Wissenschaftspolitik von Partei und Regierung und ihrer schnellen und effektiven Gestaltung noch nicht ausreichen.
Aus weiteren Informationen ist ersichtlich, dass vom Generalsekretär, Genossen Prof. Lauter, Schwächen in der Leitungstätigkeit des Präsidenten zur Stärkung der eigenen Position genutzt werden. Der Vizepräsident der DAW, Genosse Prof. Hartke, bemüht sich zur Lösung der Aufgaben in der Leitung der DAW beizutragen, wird jedoch durch die Naturwissenschaftler teilweise isoliert.
Genosse Dr. Cermak zeigt als Direktor für Ökonomie und Planung wenig Initiative bei Entscheidungsvorbereitungen in Wahrnehmung seiner persönlichen Verantwortlichkeit, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Durchführung gegebener Weisungen.
Die im Zusammenhang mit den bestehenden Mängeln in der Leitungstätigkeit der DAW durch Prof. Thiessen24 und Prof. Steenbeck25 gemachten kritischen Bemerkungen über Prof. Klare haben seine zeitweilige Unsicherheit als staatlicher Leiter noch verstärkt.
Weitere vorliegende Informationen besagen, dass einige namhafte Mitglieder der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Auffassungen vertreten, die sich gegen die Grundgedanken der Akademiereform wenden.
So popularisierte Prof. Mothes26 (emeritiert), Präsident der Akademie der Naturforscher Leopoldina, die Beibehaltung kleinerer Forschungseinheiten mit der Tendenz, dass auch diese – bei Gewährleistung eines weltoffenen Informationsflusses – für hervorragende Leistungen geeignet seien.
Prof. Thilo27 und Prof. Rieche28 (beide emeritiert) treten für die Grundlagenforschung in eigener Verantwortung der Institutsdirektoren ein, die – verbunden mit engen Westkontakten als Voraussetzung – zu eigenen Spitzenleistungen führen würde.
Prof. Görlich,29 Direktor für Wissenschaft und Technik, im VE Kombinat Carl Zeiss Jena, Mitglied des Vorstandes des Forschungsrates, Mitglied der DAW, der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Naturforscher Leopoldina, wendet sich gegen die interdisziplinäre Zusammenarbeit der neuen problemorientierten Klassen der DAW. Gleichzeitig wendet er sich gegen notwendige ideologische Auseinandersetzungen bei der Durchsetzung der Akademiereform. Von ihm wird die Sächsische Akademie der Wissenschaften als ein Gremium idealisiert, das noch rein wissenschaftliche Gespräche gestattet.
Prof. Matthies,30 Institut für vergleichende Pathologie Berlin, wandte sich an namhafte westdeutsche Wissenschaftler, um Mithilfe von ihm veranlasster und dort gefertigter Gutachten die Beibehaltung seiner bisherigen Forschungsrichtung zu erzwingen. Bei seinen Bestrebungen wurde er von Prof. Goerttler,31 Mitglied der DAW und der Akademie der Naturforscher Leopoldina, unterstützt.
(Die Kapazität dieses Instituts ist für Struktur bestimmende Forschungen (mikrobielles Eiweiß/Thema 03) vorgesehen.)
Nach vorliegenden Informationen wurden im Verlauf der Akademiereform Anstrengungen unternommen, im Bereich der DAW Pionier- und Spitzenleistungen zu erzielen. Die in der Berichterstattung an Partei und Regierung durch die DAW ausgewiesenen Spitzenleistungen der naturwissenschaftlich-technischen, medizinischen und gesellschaftswissenschaftlichen Forschungen sind Ausdruck des erreichten Standes auf verschiedenen Forschungsgebieten. Die erzielten Ergebnisse sind jedoch noch nicht immer das Resultat einer inhaltlichen Konzentration der Forschungskapazitäten im Zuge der Akademiereform.
Seitens der Industrieministerien und Kombinate besteht z. T. noch ein Mangel an Bereitschaft für die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der DAW zur Lösung konkreter Forschungsaufgaben.
Führende Wissenschaftler der DAW sind über die ungenügende Kenntnis des Weltstandes bei verantwortlichen Mitarbeitern der Industrieministerien und Kombinate ungehalten. Von den Wissenschaftlern wird das als eine Ursache eingeschätzt, warum von der Industrie vielfach Tagesaufgaben an Stelle perspektivischer Aufgaben an die Institute des DAW herangetragen werden. Diese Bestrebungen der Industrie werden von einem Teil der Wissenschaftler als Versuch gewertet, die DAW zu einem »Dienstleistungsbetrieb« für die Industrie zu degradieren.
Die gegenwärtige Vertragsbindung der DAW-Institute an gesellschaftliche Auftraggeber ist sehr vielschichtig und umfasst gegenwärtig bereits ca. 340 verschiedene Forschungsaufträge. Durch diese große Anzahl von Aufträgen wird der Konzentrationsprozess der Forschungskapazitäten beeinträchtigt und das Tempo zur Erreichung von Pionier- und Spitzenleistungen verlangsamt.
Andererseits zeigen Industrieministerien und Kombinate z. T. ungenügende Bereitschaft, in den Instituten der DAW erarbeiteten wissenschaftlichen Vorlauf zu nutzen.
So wurden z. B. im Rahmen der Interkosmos-Zusammenarbeit in der DAW elektronische Bauelemente und Geräte entwickelt, die sich unter kosmischen Bedingungen bewährt haben.32 Zu der von der DAW und dem MWT angeregten industriellen Nutzung dieser Entwicklungsergebnisse wurde von der Leitung des Ministeriums für Elektrotechnik und Elektronik nach anfänglicher Zusage erklärt, dass dafür keine Produktionskapazität vorhanden sei.
Vom Zentralinstitut für Kybernetik der DAW wurde ein moderner Datenträger (Y-Band) entwickelt, dessen produktive Nutzung durch das Kombinat Carl Zeiss Jena abgelehnt wurde, da eine gegenwärtig bestehende Produktion mit noch gesichertem Absatz umgestellt werden müsste.
Erst durch das Eingreifen des Mitglieds des Politbüros, Genossen Dr. Mittag,33 und des stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates, Genossen Dr. Weiz, wurden Maßnahmen zur Vorbereitung der Überführung in die Produktion eingeleitet.
Aus dem Bereich Gesundheitswesen wird auf die Gestaltung des Forschungsbereiches Biologie und Medizin der DAW derart Einfluss genommen, dass bei führenden Wissenschaftlern der DAW (Genosse Prof. Gummel,34 Genosse Prof. Baumann,35 Prof. Graffi36) Befürchtungen auftreten, die medizinischen Institute der DAW sollen Bestandteil einer medizinischen Akademie im Raum Berlin werden. Vorbehalte gibt es bei diesen Wissenschaftlern insbesondere gegen die Einflüsse des Genossen Prof. Rapoport37 als Vorsitzender des Rates für Planung und Koordinierung der medizinischen Forschung beim Ministerium für Gesundheitswesen. Die Orientierung des Genossen Prof. Rapoport könnte nach ihrer Meinung dazu führen, dass wichtige Arbeiten auf den Gebieten Krebsforschung, Kreislaufforschung, Regulationsforschung, in die bereits wesentliche Kapazitäten investiert wurden, nicht weitergeführt werden.
Die unterschiedlichen Einflussnahmen auf die Konzipierung der Aufgaben des Forschungsbereiches Biologie und Medizin haben dazu geführt, dass leitende Wissenschaftler über die langwierigen Diskussionen und die fehlenden klaren Perspektiven ihr Missfallen äußern und resignieren.
Die Zusammenarbeit der DAW mit sowjetischen Forschungseinrichtungen hat sich positiv entwickelt. Beispiele dafür sind die Interkosmos-Zusammenarbeit, die Zusammenarbeit bei der Kernforschung und auf dem Gebiet des mikrobiellen Eiweißes. Bei der Zusammenarbeit treten z. T. noch Mängel auf, die sich z. B. bei der Eiweißforschung in der nicht termin- und qualitätsgerechten Erreichung vereinbarter Etappen durch die DAW zeigten. Eine der Ursachen dafür ist, dass bei einigen Wissenschaftlern die Bedeutung der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit der SU noch nicht völlig klar ist.
Zu Bestrebungen westdeutscher Institutionen und Wissenschaftler, auf der Basis der »Zusammenarbeit mit der DAW« Einfluss auf die DAW und ihre Wissenschaftler zu gewinnen
Von westdeutschen wissenschaftlichen Gesellschaften gibt es zahlreiche Angebote zur Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Gesellschaften in der DDR, die der DAW zugeordnet sind, auf dem Gebiet der Chemie, der Mathematik und der Biologie. Zum Teil wird dabei unter Hervorhebung einer europäischen Zusammenarbeit bzw. einer Zusammenarbeit der Wissenschaftler des »deutschsprachigen Raumes« vorgegangen.
Der Vorsitzende des Verbandes westdeutscher Biologen, Prof. Haupt,38 richtete im November 1969 an den Präsidenten der Biologischen Gesellschaft der DDR, Prof. Sterba,39 einen Brief. Haupt teilt mit, dass er es sich zur Aufgabe gemacht habe, mit verwandten Gesellschaften in den Nachbarländern, insbesondere in den deutschsprachigen, Kontakte aufzunehmen. Er schlug folgende Form der Zusammenarbeit vor:
- 1.
einfacher Austausch von Informationen;
- 2.
Entsendung von Delegationen zu Tagungen der Gesellschaft des jeweils anderen Staates;
- 3.
Nominierung eines Vorstandsmitgliedes für den erweiterten Vorstand der anderen Gesellschaft.
Kontakte zwischen den Gesellschaften bezeichnete Haupt in seinem Schreiben als lebensnotwendig.
Der Vorsitzende der westdeutschen Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM),40 Prof. Wieghardt,41 richtete im September 1969 an den Vorsitzenden der Mathematischen Gesellschaft der DDR, Prof. Schröder,42 ein Schreiben, in dem es heißt:
»Die GAMM erhebt keinen Anspruch darauf, GAMM-Mitglieder, die DDR-Bürger sind, in internationalen Gremien zu vertreten. Die GAMM erklärt dies in der Wertung, dass in Zukunft die Kollegen in der DDR genauso wie GAMM-Mitglieder in Österreich, in Polen usw. wieder an GAMM-Tagungen teilnehmen werden und dass insbesondere DDR-Mitglieder auch wieder einmal eine GAMM-Tagung in der DDR veranstalten.«
Prof. Wieghardt erklärte in dem Schreiben sein Interesse an Gesprächen mit Prof. Schröder.
Gegenwärtig bestehen bei der DAW noch ca. zehn »gesamtdeutsche Unternehmungen«. Der Klärungsprozess ist noch nicht abgeschlossen.
Noch aufrecht erhaltene Einzelmitgliedschaften in westdeutschen wissenschaftlichen Gesellschaften müssen besonders durch politisch-ideologische Schritte bis zu Einzelgesprächen geklärt werden.
Der Präsident der DAW erhielt im November 1969 eine briefliche Einladung des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, in der er zum Festakt am 4. Mai 1970 anlässlich der Gründung der westfälischen Akademie der Wissenschaften eingeladen wird.
Im April 1968 trat Prof. Manleitner,43 TH Karlsruhe, telefonisch mit den Vorsitzenden des Forschungsrates der DDR, Prof. Steenbeck, Mitglied der DAW, in Verbindung und unterbreitete den Vorschlag, einen von CERN44/Schweiz geplanten 300 GeV-Beschleuniger,45 als dessen Standort Westdeutschland vorgesehen ist, als gemeinsames Projekt in Ostberlin und der DDR zu errichten. Manleitner gab an, über entsprechende Kontakte zu einflussreichen Kreisen zu verfügen, die es sich zur Aufgabe gemacht hätten, politische Probleme auf wissenschaftlicher Ebene zu lösen. Obwohl Prof. Steenbeck auf diesen Vorschlag nicht reagierte, trat Manleitner im Dezember 1969 erneut mit ihm in Verbindung. Manleitner bezeichnete die gegenwärtige Regierungssituation46 in Westdeutschland als positiv für die Realisierung des von ihm 1968 unterbreiteten Projekts. Es solle so angelegt werden, dass durch Errichtung an der Staatsgrenze zwischen der DDR und Westberlin auch äußerlich die Gemeinschaftsarbeit zum Ausdruck komme. Manleitner bot an, ein Gespräch zwischen Prof. Steenbeck und dem westdeutschen Wissenschaftsminister Leussink47 zu vermitteln.
Ein westdeutscher Wissenschaftler, der bis vor kurzem führend in der Forschung der Thyssen AG tätig war, unterbreitete einem Wissenschaftler der DAW das Angebot, gemeinsam eine internationale Tagung in Westdeutschland auf dem Gebiet der Spektroskopie 1970 vorzubereiten. Er garantierte den DDR-Vertretern völlige Gleichberechtigung und halte es für einen großen Fehler, wenn die DAW diese Gelegenheit nicht nutze, um ihre wissenschaftliche Potenz auf internationaler Ebene unter Beweis zu stellen.
Diese Westdeutschen Bestrebungen finden bei einzelnen, noch Einfluss besitzenden Mitgliedern der DAW Unterstützung.
Ein bezeichnendes Beispiel stellt ein Schreiben von Prof. Rieche an den Präsidenten der DAW im Februar 1970 dar, welches auszugsweise wiedergegeben wird: »Die Heidelberger Akademie, deren Mitglied ich bin, und zu der, wie ich annehme, unsere Akademie im freundschaftlichen Verhältnis steht, hat ihren Jahrestag am 2.5.1970. Früher war es üblich, dass der Präsident der DAW an dieser Jahrestagung teilnahm. Ich weiß nicht, wie Sie zur Zeit diese Dinge zu handhaben gedenken; aber ich persönlich habe den Wunsch, an dieser Jahrestagung teilzunehmen und zwar erstmalig, da für mich bisher wegen eines solchen Anlasses keine Reisemöglichkeit bestand und weil auch der Zeitpunkt des Jahrestages immer viel zu spät bekannt gegeben wurde. Ich möchte für eine solche halbdienstliche Reise meine sogenannte Rentnerreise48 nicht opfern …«
Prof. Mothes beschwerte sich im Februar bei der Leitung der DAW, dass er eine von ihm geplante USA-Reise durch Verschulden der DAW nicht antreten könne. Prof. Mothes formulierte dabei, er sei nach wie vor der Meinung, dass die Einschränkung der Reisen in die Länder, die im Augenblick den Fortschritt in der Biologie darstellen, das völlige Gegenteil einer Förderung der Wissenschaft darstellt.
Ausdruck der Kontaktpolitik bis in die Ebene der Forschungseinrichtungen ist, dass westdeutsche Wissenschaftler in zunehmendem Maße zu wissenschaftlichen Veranstaltungen bis zu Institutscolloquien in die DDR einreisen und bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten alte und neue Verbindungen knüpfen bzw. wieder aufzunehmen.
Der von Prof. Kriegsmann49 geleitete Bereich physikalische Methoden der analytischen Chemie im Zentralinstitut für Physikalische Chemie der DAW wurde im Oktober 1969 durch Prof. Kienitz,50 Badische Anilin- und Sodafabriken,51 und im November 1969 durch Prof. Hummel,52 Universität Köln, aufgesucht. Als Zweck der Besuche war angegeben, von Erfahrungen der westdeutschen Wissenschaftler zu profitieren. Inoffizielle Informationen zeigen, dass Prof. Kriegsmann die Wissenschaftler seines Bereiches veranlasste, den Westdeutschen die bisherigen Ergebnisse, die gegenwärtig durchgeführten und die geplanten Arbeiten sowie die angewandten wissenschaftlichen Methoden umfassend darzulegen.
Prof. Kriegsmann führt im Auftrage des VE Kombinats Carl Zeiss Jena Arbeiten durch, deren Kenntnis Schlussfolgerungen auf die weitere Entwicklungsrichtung des wissenschaftlichen Gerätebaues in der DDR zulässt.
Die vorliegende Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme und Auswertung bestimmt.