Provokationen im Zusammenhang mit Treffen in Kassel am 21.5.1970
20. Mai 1970
Information Nr. 525/70 über Morddrohungen und andere gegen Genossen Stoph persönlich gerichtete Provokationen im Zusammenhang mit dem Treffen in Kassel am 21. Mai 1970
Rechtsextremistische, neofaschistische Kreise Westdeutschlands haben unter Führung der NPD im Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf das Kasseler Treffen am 21.5.19701 eine gegen Gen. Stoph2 persönlich gerichtete Hetzkampagne organisiert. In Auswirkung der von diesen Kräften und besonders von der »National-Zeitung«3 entfachten Atmosphäre haben
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NPD-Mitglieder Morddrohungen ausgesprochen,
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Personen aus Westdeutschland Drohbriefe an Institutionen der DDR gerichtet,
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NPD-Mitglieder und andere westdeutsche Personen bei westdeutschen Gerichten Strafanträge gegen Gen. Stoph gestellt und andere Provokationen angedroht.
Dem MfS wurden dazu intern bzw. offiziell folgende Einzelheiten bekannt:
Die »National-Zeitung« brachte in den letzten Ausgaben eine »Dokumentation« über die angeblichen Straftaten des Gen. Stoph.4 Auf der ersten Seite der Nr. 19 vom 8. Mai 1970 wird in Schlagzeilen die Verhaftung des Gen. Stoph gefordert.5 Der Herausgeber der »National-Zeitung«, Frey,6 hat nach offiziellen Hinweisen am 19. Mai [1970] 51 Amtsrichter in vier westdeutschen Bundesländern und Westberlin aufgefordert, »als Notstandsanwälte die Verhaftung Stophs unmittelbar nach Überschreiten der Zonengrenze übermorgen früh vorzunehmen«.7
In Nr. 20 vom 15. Mai 1970 lauten die »Schlagzeilen«: »Mörder Stoph fürchtet Verhaftung. Wird die Justiz ihre Pflicht tun?«8 In einem redaktionellen Artikel der gleichen Ausgabe wird das »Untätig bleiben« der westdeutschen Justiz angegriffen und »die volle Ausschöpfung aller rechtsstaatlichen Möglichkeiten« angekündigt.9
»Strafantrag«10 gegen Gen. Stoph haben nach vorliegenden Angaben gestellt:
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Frey, München, Herausgeber der »National-Zeitung«;
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Pöhlmann, Siegfried,11 Stellv. NPD-Bundesvorsitzender und NPD-Fraktionsvorsitzender im Bayrischen Landtag, Pöhlmann war Leutnant bei der faschistischen Wehrmacht und Mitglied der NSDAP ab 1931;
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Kuhnt, Werner,12 NPD-Fraktionsvorsitzender vom Landtag Baden-Württemberg;
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Stöckicht, Peter,13 Rechtsanwalt, stellv. NPD- Fraktionsvorsitzender vom Landtag Baden-Württemberg;
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[Name 1, Vorname], Starnberg/Oberbayern.
Die von Rechtsextremisten in der »National-Zeitung« entfachte Hetze setzt sich u. a. in Hetzflugblättern fort, die in Westdeutschland verteilt werden. Eine »Aktion Kassel 70«, die von der NPD nahestehenden Kreisen organisiert wurde, hat ein Flugblatt verbreitet, das die Überschrift trägt: »Auf nach Kassel! Schlagt Ulbricht14 am 21. Mai!« In dem Hetzflugblatt wird die Frage gestellt, ob in Kassel »die Schau stattfinden darf, dass Stoph von Tausenden begrüßt wird«.
Wie eine vertrauenswürdige Quelle berichtete, haben auf dem Landesparteitag der NPD von Nordrhein-Westfalen am 25./26.4.1970 einzelne Delegierte Drohungen gegen Gen. Stoph geäußert. So sagte das 1968 im Zusammenhang mit einem bewaffneten Überfall auf das DKP-Büro in Bonn15 bekannt gewordene NPD-Mitglied Hengst, Bernd,16 es sei für ihn Ehrensache, nach Kassel zu reisen, denn er wolle Stoph »persönlich ohrfeigen«.
Nach Darstellung von Genossen der DP sollen in NPD-Kreisen u. a. Losungen mit folgendem Inhalt kursieren: »Schießt auf den Verräter Brandt17 und auf den Mörder Stoph!«
Das Mitglied der Gewerkschaftsorganisation »Christlicher Metallarbeiterverband«18 im Volkswagenwerk Baunatal bei Kassel, [Name 2] äußerte: »Wenn es schon keine Handhabe gibt, den Stoph zu verhaften, so wird sich sicher ein deutscher Mann finden, der hinter dem Zielfernrohr den Finger krumm macht.«
Ein [Vorname Name 3] aus Mannheim hat Gen. Stoph angedroht, er werde »auf dem Boden von Kassel von Scharfschützen abgeschossen«.
Anonyme Hetzbriefe aus Westdeutschland mit Morddrohungen bzw. Androhung feindlicher Aktionen in Kassel gingen beim Deutschlandsender, Radio DDR und bei der Berliner Zeitung ein.
Diese Hetzbriefe enthalten u. a. solche Formulierungen wie
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»Gibt es dort (gemeint ist die DDR) keinen Stauffenberg19 – hängt sie alle auf.«
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»Seid bereit gegen Stoph!«
Ein Hetzbrief enthält eine anonyme Anzeige, die an die Staatsanwaltschaft in Kassel gerichtet ist. In dem Hetzbrief heißt es: »Sollten Sie keine Anzeige erheben, so werden wir das tun, was die Verbrecher an der Mauer bisher getan haben.«
Dem MfS liegen auch Informationen darüber vor, dass neben den rechtsextremistischen und revanchistischen Kräften auch linksradikale, anarchistische Kreise in Kassel in Erscheinung treten wollen.
Nach einer internen, noch nicht bestätigten Information sollen die Kubaner Jorge Fraga20 und Alfredo Guevara21 anlässlich der Dokumentar- und Kurzfilmwoche in Oberhausen (11.–18.4.1970) zum Ausdruck gebracht haben, dass sie es begrüßen würden, wenn auf Stoph geschossen würde. Die Kubaner hätten erklärt, die »Linken« wären klug, wenn sie einen solchen Anschlag inszenierten, da dann die wirklichen Zustände in der Bundesrepublik an die Oberfläche kämen.