Schwerer Bahnbetriebsunfall am 5.10.1970 auf dem Bahnhof Elsterwerda
12. Oktober 1970
Information Nr. 1076/ 70 über einen schweren Bahnbetriebsunfall am 5. Oktober 1970 auf dem Bahnhof Elsterwerda, [Bezirk] Cottbus
Am 5.10.1970, 17.03 Uhr, ereignete sich auf dem Bahnhof Elsterwerda (Strecke Berlin – Dresden) ein schwerer Unfall im Bahnverkehr.
Der Reisezug D 156 von Berlin-Ostbahnhof nach Dresden fuhr infolge falscher Fahrstraßenfestlegung mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h in ein Stumpfgleis (Baugleis), wodurch die Dampflok 01–2226 entgleiste und mit fünf Achsen in eine Baugrube geriet.
Aufgrund der eingeleiteten Schnellbremsung durch den Lokführer, der eine falsche Weichenstellung erkannte, und des Auffahranpralls, wurden 24 Reisende leicht verletzt (Blutergüsse, Hautabschürfungen und Prellungen). Bei zwei Reisenden besteht der Verdacht unkomplizierter Frakturen, eine ältere Reisende erlitt eine Gehirnerschütterung. Außerdem meldeten sich 28 Reisende bei den am Unfallort eingesetzten Ärzten mit äußerlich nicht erkennbaren Prellungen.
An der Lok entstand ein Sachschaden von ca. 5 000 Mark. Die Strecke wurde bis 19.20 Uhr gesperrt.
Die sofortigen Untersuchungen über die Ursache des Unfalls ergaben falsche Weichenstellung, für die die Stellwerksmeisterin [Name, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1951, wohnhaft in Saathein,1 [Straße, Nr.], Beruf: Betriebs- und Verkehrsfacharbeiter, organisiert FDGB, DSF, FDJ, DRK, DFD, DTSB, verantwortlich ist.
Die [Name] bediente bei der Fahrstraßenfestlegung des D 156 durch den Bahnhof Elsterwerda von ihrem Blockstellwerk aus eine falsche Weiche. Diese falsche Stellung der Weiche hatte zur Folge, dass sich der Fahrstraßenhebel nicht in Endstellung bringen ließ, d. h., dass die Fahrstraße nicht gesichert werden konnte.
Sie verständigte daraufhin den etwa 850 m von Stellwerk der [Name] entfernt befindlichen Fahrdienstleiter fernmündlich von dieser Tatsache, ohne bemerkt zu haben, dass sie eine Weiche falsch gestellt hatte. Der Fahrdienstleiter beauftragte die [Name] ordnungsgemäß zur nochmaligen Überprüfung der Fahrstraße. Diese Prüfung hat sie ihren Angaben zufolge auch nochmals durchgeführt, aber ebenfalls wieder keine falsche Weichenstellung bemerkt. Sie trug das Ergebnis in das Fahrstraßensicherungsbuch ein und meldete es dem Fahrdienstleiter, der sich von ihr die Zusicherung geben ließ, dass die Fahrstraße ordnungsgemäß festgelegt sei.
Daraufhin gab er den Auftrag an die [Name], die Durchfahrt des D 156 mit Ersatzsignal (Lichtgebung am Hauptsignal bei dessen Ausfall) anzuweisen. (Das Ausfahrtsignal kann erst dann auf »Fahrt frei« gezogen werden, wenn sich der Fahrstraßenhebel in Endstellung befindet.)
Die [Name] bemerkte die falsche Weichenstellung erst, als der D 156 bereits im Stumpfgleis stand.
Die [Name] hat ihre zweijährige Lehrzeit im Juni 1970 mit der Prüfung als Betriebs- und Verkehrsfacharbeiter der Deutschen Reichsbahn mit der Note »gut« abgeschlossen und ist nach vorheriger Einarbeitungszeit sowie Ablegung einer Prüfung seit dem 15.7.1970 in dem Stellwerk tätig.
Am 24.9.1970 hatte die Beschuldigte bereits einen leichten Unfall im Bahnverkehr verursacht, indem sie unter einem ausfahrenden Güterzug eine Weiche stellte. Dadurch kam es zu einer Entgleisung eines Drehgestells vom letzten Wagen. Da die [Name] bis zu diesem Zeitpunkt eine ordentliche Arbeit geleistet hatte, wurde damals von einer disziplinarischen Bestrafung abgesehen. Es erfolgte eine Auswertung des Vorkommnisses und Belehrung durch den Dienstvorsteher. In ihrer Dienststelle und im Wohngebiet wird sie als ordentliche, gesellschaftlich interessierte Person eingeschätzt.
Gegen die [Name] wurde ein Ermittlungsverfahren ohne Haft eingeleitet.