Spekulationen mit Schrottexporten im VEB Rohrkombinat Riesa
29. Juli 1970
Information Nr. 770/70 über vermutliche Spekulationen mit Schrottexporten im VEB Rohrkombinat Riesa, [Bezirk] Dresden
Im Zusammenhang mit dem Export von II-A-Materialien (Blockstahl, Rohre) und Schrott (Rohrenden, Kugellagerrohre, Nickelschrott) durch den VEB Rohrkombinat Riesa, [Bezirk] Dresden, an die Firmen Rhein-Donau-Stahl Handelsgesellschaft München und Transimex Rotterdam wurden dem MfS Hinweise bekannt, nach denen bei der Abwicklung der Exportgeschäfte durch den Direktor des Kombinates für Bilanzierung, Beschaffung und Absatz, Brandt,1 und den Leiter der Abteilung Absatz, Kolbe,2 Manipulationen zum wirtschaftlichen Nachteil der DDR zu vermuten sind.
Unter anderem wurde bekannt:
Im Jahre 1969 lieferte der VEB Rohrkombinat Riesa (RKR) an die Firma Rhein-Donau-Stahl München (RDS) 5 000 t II-A-Blockstahl. Nach den vorliegenden Vertragsunterlagen sollte es »Blockstahl in verschiedenen Formaten und Qualitäten mit maximalem Blockgewicht von 4 200 kg und einer Festigung von maximal 85 kp/mm² sowie einer minimalen Länge von 700 mm« sein. Es war ein Preis von 48,75 Dollar/t vereinbart worden.
Aus den vorhandenen Unterlagen ist zu ersehen, dass an die Firma RDS höherwertiges Material ausgeliefert wurde und die Abteilung Absatz des RKR wies auch an, die Blöcke mit dem Qualitäts-Farbkennzeichen und den Stahlmarken entsprechend den Vorschriften der Güteklasse I zu kennzeichnen. Außerdem wurde das Stahlwerk durch die Abt. Absatz angewiesen, die Kennzeichen des Herstellerwerkes zu entfernen.
In den Frachtbriefen wurde diese Lieferung jedoch als »Stahlschrott« deklariert.
Durch derartige Manipulationen ist dem Importeur die Möglichkeit gegeben, aus diesem Material z. B. Flachstahl, Betonstahl oder Formstahl in handelsüblicher Qualität auszuwalzen und somit wesentlich höhere Preise zu erzielen, als er sie für die importierten Materialien bezahlen müsste.
Außerdem war vertraglich festgelegt worden, »kurze« Blöcke bzw. Blockenden ab 700 mm Länge zu liefern.
Aus den Versandunterlagen ist erkennbar, dass jedoch vorwiegend lange Blöcke nach Westdeutschland geliefert wurden, wie nachstehender Vergleich ausweist:
Das Währungsfaktura vom 28.11.1969 weist eine Lieferung von 354 150 kg aus. Es wurden Waggons mit einem Ladegewicht von jeweils ca. 24 840 kg mit sechs Blöcken beladen. Das ergibt ein Blockeinzelgewicht von durchschnittlich 4 140 kg.
Derartige Gewichte weisen nur die über 700 mm langen, im RKR gegossenen Blöcke (N 420 und H 420) auf.
Andere Verträge mit der RDS München bezogen sich 1969 auf die Lieferung von 2 000 t Rohrenden.
In den Frachtpapieren wurden »Rohre aller Art« ausgewiesen, d. h. Rohre mit einer Länge bis zu 12 m. In einem Währungsfaktura (vom 1.2.1969) ist die Lieferung von 40 900 kg »Rohre aller Art bis 12 m lang, lose« für einen Preis von 29 Dollar/t ausgewiesen. Dieser Preis ist nach Meinung von Experten zu niedrig, da bereits für II-A-Material 4 875 Dollar/t bezahlt werden. Rohre dagegen gehören als Materialien der zweiten Verarbeitungsstufe zu einer höheren Preisklasse.
Für das Jahr 1970 wurde laut Vertrag vom 7.3.1970 die Lieferung von 1 500 t »deklassierte Rohre, Sorte B 25« zum Preis von 45 Dollar/t an die Fa. RDS vereinbart.
Es handelt sich bei dieser Sorte um Kugellager-Schrottrohre des RKR.
Vorliegende Informationen besagen, dass die Fa. RDS diese vom RKR gelieferten Materialien als vollwertige Kugellagerrohre verkauft habe.
Bedeutungsvoll in diesem Zusammenhang ist auch, dass bei Untersuchungen zwecks Überprüfung der Funktionstüchtigkeit von Prüfgeräten und der Arbeitsweise der TKO im Rohrwerk III des RKR (Juni 1970) Versuche mit dem im RKR als Kugellagerschrott deklarierten Rohre im VEB Wälzlager Fraureuth unternommen wurde.
Dabei wurden aus einer Tonne »Kugellagerschrott« 4 617 Qualitätsringe hergestellt und nur 15 Ringe bildeten Ausschuss.
Aus diesen angeführten Beispielen, so weisen einschlägig informierte Fachleute hin, lassen sich Rückschlüsse auf spekulative Manipulation in den Geschäftsbeziehungen zur Fa. Rhein-Donau-Stahl München ziehen, die zum eindeutigen ökonomischen Nachteil der DDR geführt haben.
Insbesondere wird auf den Verlust bei der Erwirtschaftung von Freien Devisen hingewiesen.
Außerordentlich schwerwiegend und volkswirtschaftlich völlig unverständlich erscheinen Exportlieferungen von Schrottmaterialien mit Defizitärstoffen, wie z. B. Nickel, Chrom u. a. Legierungselementen, an die Fa. Transimex Rotterdam.
Bedingt durch den akuten Mangel an derartigen Legierungselementen wurde der Export solcher Materialien untersagt.
Trotz Kenntnis dieser Situation veranlasste die Abt. Absatz 1969 den Export von 200 t nickelhaltigem Schrott an die o. g. Firma.
Obwohl mit dem Nickelbergarbeiterstreik in Kanada3 die Situation für den Bezug von Nickelerzen auf dem Weltmarkt sich verschärft hat, wurde auch für 1970 wiederum ein Vertrag zur Lieferung von hochlegiertem Schrott (11 – 14 % Nickel, 17 – 18,2 % Chrom) abgeschlossen.
Die Lieferung von 25,2 t (11.6.1970) wurde im Frachtbrief als »Eisenschrott« ausgezeichnet. Dieser Export wurde zu einem Preis von 1 850 VM/t realisiert (die DDR muss 50 – 70 TVM/t bezahlen).
Für die vorgesehene Lieferung von insgesamt 100 t Nickelschrott haben Experten einen möglichen Verlust von 235 TVM errechnet (Grundlage bilden 25 TVM/t Nickel).
Die Folgeschäden sind dabei nicht berücksichtigt, so z. B. die Auswirkungen auf die Planerfüllung wegen fehlenden Vormaterials im Rohrwerk III des RKR.
In Anbetracht dieser Situation im Direktionsbereich Bilanzierung, Beschaffung und Absatz und in der Abt. Absatz halten wir es für erforderlich, dass die zuständigen Staats- und wirtschaftsleitenden Organe Maßnahmen zur Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung bei der Gestaltung der Außenwirtschaftsbeziehungen im Rohrkombinat Riesa einleiten und die verantwortlichen Funktionäre zur Rechenschaft ziehen.
Das MfS setzt seine Untersuchungen zum Nachweis einer strafrechtlichen Relevanz fort.