Direkt zum Seiteninhalt springen

Symposium der Berliner Konferenz katholischer Christen

11. Juni 1970
Information Nr. 587/70 über das Symposium der Berliner Konferenz katholischer Christen aus europäischen Staaten am 29. Mai bis 1. Juni 1970 in Berlin

Auf Einladung des Internationalen Fortsetzungsausschusses (IFA) der Berliner Konferenz (BK) katholischer Christen aus europäischen Staaten1 fand vom 29.5. bis 1.6.1970 in der Hauptstadt der DDR Berlin ein Internationales Symposium statt.

Tagungsort war das Zentralhaus der DSF Unter den Linden. (Die Berliner Konferenz katholischer Christen, gegründet von Hartmut Fuchs,2 hat sich mit ihrer Gründung das Ziel gesetzt, auf der Basis der Anerkennung des politischen Status quo dem Friedens- und Koexistensgedanken in spezifisch katholischer Akzentuierung stärkere Beachtung in Ost und West zu verschaffen.)

Anlass dieser Veranstaltung war der 25. Jahrestag der Befreiung Europas vom Hitlerfaschismus.

Das Symposium stand unter dem Thema »1945 bis 1970 | Lehren und Konsequenzen | Für ein System der kollektiven Sicherheit in Europa«

An dem dreitägigen Symposium nahmen 109 katholische Wissenschaftler, Parlamentarier, Publizisten und geistliche Würdenträger aus 19 europäischen Staaten teil:

  • 31 Teilnehmer aus fünf sozialistischen Staaten

  • 43 Teilnehmer aus elf westeuropäischen Staaten

  • 20 Teilnehmer aus der DDR

  • elf Teilnehmer aus Westdeutschland

  • vier Teilnehmer aus Westberlin

Das Symposium wurde durch eine Plenarversammlung eröffnet, in vier Arbeitskommissionen fortgesetzt und mit einer weiteren Plenarversammlung abgeschlossen.

Die Beteiligung an den vier Arbeitskommissionen war fakultativ. Die jeweiligen Kommissionen tagten unter einer vom Veranstalter eingesetzten internationalen Leitung.

Die Ergebnisse der Tätigkeit der Kommission wurden durch Abstimmung in Arbeitsdokumenten fixiert und beschlossen und in einer Deklaration zusammengefasst, welche für die kommende Tätigkeit der BK bis zur 4. Konferenz 19723 verbindlich ist.

  • Kommission I: »Europäische Sicherheit/DDR – BRD«

  • Kommission II: »Revanchismus, Faschismus, Neonazismus«

  • Kommission III: »Abrüstung – friedliche Koexistenz«

  • Kommission IV: »Zusammenarbeit aller Friedenskräfte«

Zur Vorbereitung des Symposiums tagte am 28.5.1970 der Internationale Fortsetzungsausschuss, der sich mit ideologischen und organisatorisch-technischen Problemen für den Ablauf des Symposiums beschäftigte.

Das Hauptreferat auf dem Symposium hielt der geschäftsführende Vorsitzende der VVN in Westdeutschland, Dr. Joseph Rossaint.4

Das Ziel des Symposiums wurde im Wesentlichen erreicht. In der Deklaration wird zum Ausdruck gebracht, dass die europäische Sicherheit das Hauptanliegen aller friedliebenden Kräfte ist und dass ein Eintreten für die Anerkennung des territorialen und politischen Status quo in Europa Grundvoraussetzung für ein System der kollektiven Sicherheit darstellt.

Darüber hinaus wird auf die Möglichkeit der Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte und das Engagement der katholischen Christen im Interesse der Erhaltung des Friedens orientiert.

Die Beratungen in den einzelnen Kommissionen verliefen sehr diskussionsreich und waren gekennzeichnet von den weltanschaulichen Standpunkten der Konferenzteilnehmer, von ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedensten innerkirchlichen Strömungen sowie ihren Kontakten und Verbindungen zu den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kräften in ihren Heimatländern.

Den Veranstaltern ist es jedoch nicht in allen Fällen gelungen, in den Kommissionen und in der Deklaration die vorgegebene Zielstellung im vollen Umfang durchzusetzen.

So enthält die Deklaration5 in einigen Formulierungen Konzessionen, mit denen gesichert wurde, dass die wesentlichsten Punkte dieser Ausarbeitung den politischen Standpunkt der DDR ohne Einschränkung widerspiegeln.

So musste im Punkt I. 1.2. zugelassen werden, dass die Politik der Regierung Brandt/Scheel6 nicht konsequent dargestellt wurde.

Außerdem beinhaltet die Deklaration im Punkt II. 2.3. zweideutige Formulierungen im Zusammenhang mit der Erwähnung des Neofaschismus. Es heißt dort:

»… Der autoritätsfixierte Mensch wird in Krisenzeiten leicht das Opfer ›starker Männer‹ und faschistischer Manipulationen. Wer Menschen in Unmündigkeit hält, ist ein Freund des Faschismus …«7

In den einzelnen Kommissionen gab es eine Reihe von politischen Differenzen und Auseinandersetzungen, die nicht in allen Fällen endgültig ausdiskutiert wurden und deshalb in den bereits genannten und anderen Kompromissen ihren Niederschlag gefunden haben.

Eine Rolle bei diesen Auseinandersetzungen spielte zum Beispiel der von den westdeutschen Teilnehmern vertretene Standpunkt, dass die DDR gegenüber der Bundesrepublik zu einseitig auftrete und die Regierung Brandt nicht so einschätze, wie sie von der westdeutschen Bevölkerung gesehen werde. Von diesen Teilnehmern wurden Forderungen erhoben nach »schrittweiser Lockerung der politischen Haltung der DDR«; dadurch wäre das entsprechende Entgegenkommen durch die westdeutsche Bundesregierung gesichert.

Hauptvertreter dieser Meinung waren Prof. Faßbinder8 und das Mitglied der Katholischen Studentengemeinde aus Frankfurt/M., Kreppel.9

Der Student der Westberliner Universität Krämer10 vertrat den Standpunkt, es genüge nicht allein, den Faschismus zu verurteilen, sondern man solle das Wesen und die Ursachen des Faschismus mehr analysieren und publizieren.

Nach seiner Theorie liegen die Ursachen des Faschismus im Autoritätsdenken, welches in bestimmten Erscheinungsformen auch in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern vorhanden sei.

Krämer hatte für die Durchsetzung seiner Theorie einen Text vorbereitet, den er mit in das Arbeitsdokument einarbeiten lassen wollte.

Er wurde jedoch durch das bewusste Auftreten einiger DDR-Teilnehmer davon abgehalten.

Krämer begründete in einem vertraulichen Gespräch seine aggressive Haltung mit der Bemerkung, dass er versuchen müsse, gewagte Formulierungen durchzubringen, um nicht bei seinen Westberliner und westdeutschen Freunden den Eindruck entstehen zu lassen, er habe sich überfahren lassen.

Ein weiteres Problem war die Frage des angeblich vorhandenen Antisemitismus in der VR Polen.11

Mit diesem Problem sollten offensichtlich Versuche unternommen werden, vom eigentlichen Anliegen der Konferenz abzulenken.

Durch das entschlossene Auftreten vorwiegend von DDR-Bürgern scheiterten diese Versuche. Allerdings wurden die DDR-Bürger in keinem Falle durch polnische Vertreter in dieser Diskussion unterstützt.

Der Österreicher Dr. Daim, Wilfried,12 Dozent [und] Psychotherapeut am Institut der »Ford Foundation« Wien,13 freischaffender Schriftsteller, versuchte die Tendenz hineinzutragen, Abrüstung solle vorrangig durch Abbau der bewaffneten Armeen angestrebt werden.

In dem Bestreben, die sozialistischen Länder für seine Theorie zu gewinnen, plädierte [er] für den Abschluss eines »Abkommens für unbewaffnete Länder«, wobei nach seiner Darstellung das neutrale Österreich den Anfang machen sollte und sich die sozialistischen Länder anschließen könnten.

Dr. Daim wurde dabei besonders durch Vertreter aus Holland und Belgien unterstützt, die in diesem Zusammenhang außerdem die Forderung nach Schaffung einer »Weltorganisation der Kriegsdienstverweigerer« in den Mittelpunkt ihrer Meinung stellten.

Während der belgische Studentenpfarrer Bostoen14 progressiv diese Diskussion beeinflusste, spielte z. B. der ungarische Vertreter Dr. Szántay15 eine ziemlich zweideutige Rolle, indem er einen weltweiten Boykott gegen Kriegsfilme forderte.

Der spanische Dominikaner Meca-Zuazu16 versuchte wiederholt, durch linksradikales und revisionistisches Auftreten den Kampf des spanischen Klerus gegen die Franco-Diktatur in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen. Er verlangte unter anderem, dass sich die BK mit dem spanischen Klerus solidarisieren müsste und forderte anstelle von demokratischen Massenaktionen im Friedenskampf die bewaffnete Auseinandersetzung für den Frieden.

In einer Kommissionssitzung wurden zwischen den westdeutschen Vertretern Dr. Senzig17 sowie Dr. Missalla,18 Kupp19 und Kleinert20 Diskrepanzen ausgetragen, die offensichtlich subjektive Ursachen haben.

Dadurch wurde der ordentliche Ablauf der Kommissionsarbeit hemmend beeinflusst. In diesem Zusammenhang wurden einige interne Meinungen bekannt, in denen das Verhalten dieser Teilnehmer als »abgekartetes« Spiel bezeichnet wurde.

Bemerkenswert erscheint, dass sich eine Reihe Vertreter aus sozialistischen Ländern nicht an der Diskussion beteiligten oder mit unkonkreten Beispielen auftraten, die für den Verlauf des Symposiums nicht von Bedeutung waren. Besonders einige polnische und ungarische Vertreter nutzten ihre Anwesenheit in Berlin vordergründig für private Zwecke und blieben den Veranstaltungen fern bzw. besuchten sie lediglich nach eigenem Gutdünken.

Für den politischen Erfolg des Symposiums sowie für eine ideologische Beeinflussung besonders der Teilnehmer aus westeuropäischen Ländern wirkten sich einige Veranstaltungen günstig aus, die neben der eigentlichen Tagung organisiert waren.

So wurde zum Beispiel im Namen der BK dem sowjetischen Botschafter in der DDR, Genossen Abrassimow,21 ein Gruß- und Dankschreiben zu Ehren des Sieges der Sowjetarmee über den Faschismus überreicht. Aus internen Äußerungen einiger westeuropäischer Konferenzteilnehmer ging hervor, dass das Auftreten des Genossen Abrassimow, insbesondere seine Erklärung, mit dieser Begegnung habe erstmalig ein sowjetischer Diplomat offiziell eine Delegation katholischer Christen empfangen, bei ihnen eine Korrektur ihrer Haltung zur Sowjetunion bewirkte.

Die Teilnehmer des Symposiums nahmen außerdem geschlossen an einer feierlichen Kranzniederlegung am Ehrenmal in Treptow teil. Hierbei zerfetzte der Spanier Meca-Zuazu unter Protest die Schleife des ihm übergebenen Blumengebindes und äußerte entrüstet, dass er als Gegner des spanischen Regimes22 nicht die faschistischen spanischen Staatszeichen für einen derartigen Anlass verwendet.

Des Weiteren besuchten die Teilnehmer des Symposiums die Nationale Mahn- und Gedenkstätte in Sachsenhausen.

Unter dem Eindruck der dort gekennzeichneten Dokumentationen über die Grausamkeiten des Faschismus äußerten sich besonders eine Reihe von Delegierten aus den westeuropäischen Ländern dahingehend, dass diese offene Entlarvung des Faschismus in ihren Ländern aufgrund der bestehenden politischen Verhältnisse nicht möglich sei.

Von katholischen Teilnehmern der DDR wurde im Anschluss an die Tagung in individuellen Gesprächen noch eingeschätzt, dass das Symposium mit seinen Veranstaltungen und Ergebnissen in der Presse der DDR starke Beachtung gefunden hat und als Beitrag der katholischen Christen im Kampf um den Frieden aller demokratischen Kräfte in Europa gewürdigt wurde.

Intern wurde dem MfS bekannt, dass der beim Symposium akkreditierte Vertreter der Nachrichtenagentur KNA23 Dr. Jauch24 besonders die Diskussionen der Kommission I und II in den Mittelpunkt seines Interesses stellte und von Westberlin aus einen Bericht unter dem Titel »Leidenschaftliches Bekenntnis zu Willy Brandt25 in Ostberlin«26 nach Westdeutschland sandte, in dem speziell die Meinungen westdeutscher Symposiumsteilnehmer zur Frage des Verhältnisses der DDR zur Bundesrepublik im politisch negativen Sinn herausgestellt wurden.

  1. Zum nächsten Dokument Schäden bei Truppenbewegungen der Sowjetarmee

    11. Juni 1970
    Information Nr. 597/70 über aufgetretene Schäden bei Truppenbewegungen der Sowjetarmee in den Kreisen Forst, Spremberg, Hoyerswerda, Guben und Cottbus am 9./10. Juni 1970

  2. Zum vorherigen Dokument Probleme im Zusammenhang mit dem Investvorhaben Polyurethan

    3. Juni 1970
    Information Nr. 568/70 über einige Probleme im Zusammenhang mit dem Investitionsvorhaben Polyurethan im Synthesewerk Schwarzheide, [Bezirk] Cottbus (SWS)