Überfall auf den stellv. OB von Schwedt
6. September 1970
Information Nr. 1062/70 über Gewalttätigkeiten gegen den Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Stadt Schwedt und einen Angehörigen der Deutschen Volkspolizei, SV Kommando Schwedt, am 25. September 1970 durch jugendliche Täter
Dem MfS wurde bekannt, dass am Abend des 25.9.1970 gegen den Angehörigen der Deutschen Volkspolizei, SV Kommando Schwedt, Hauptwachtmeister Wendt, Willi,1 und den Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Stadt Schwedt, Redenz, Günter,2 Gewalttätigkeiten verübt wurden, wodurch beide Verletzungen mittleren Grades erlitten.
Hauptwachtmeister Wendt wurde dabei mit Fußtritten attackiert und mit Handkantenschlägen bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit geschlagen.
Der Stellvertreter des Oberbürgermeisters Redenz wurde mit Füßen gestoßen und mit Fäusten geschlagen, sodass er ebenfalls das Bewusstsein verlor, starke Prellungen am Kopf erlitt und die achte linke Rippe gebrochen wurde.
Die sofort durchgeführten Untersuchungen zum Sachverhalt durch das MfS und das zuständige VPKA führten zur Ermittlung und Festnahme der Täter und ergaben Folgendes:
Die Gewalttätigkeiten gegen beide Personen wurden in unterschiedlichen Straßen des Stadtgebietes von Schwedt unabhängig voneinander durchgeführt.
Für beide Handlungen werden jeweils drei Täter verantwortlich gemacht.
Bei den sechs Tätern handelt es sich ausnahmslos um angetrunkene Jugendliche. Alle Beschuldigten besitzen ein niedriges Bildungsniveau und sind z. T. aus der 5. bis 7. Klasse der Grundschule entlassen. Ihre Freizeit verbrachten sie im Allgemeinen nicht sinnvoll, sondern hielten sich viel auf den Straßen und in Gaststätten auf. Sie traten dabei wiederholt rowdyhaft in Erscheinung und wurden z. T. bereits wegen ruhestörenden Lärms durch die Deutsche Volkspolizei belehrt.
Gesellschaftlich betätigen sie sich aufgrund ihres Desinteresses an der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR nicht. Ihr besonderes Interesse galt Musik- und sogenannten Unterhaltungssendungen westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen. Diese Sendungen empfingen sie meist allein in ihren Wohnungen.
Die Beschuldigten kennen sich z. T. aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit und teils durch zufällige Zusammentreffen in Gaststätten in Schwedt (O.). Zwischen ihnen bestanden keine festen Verbindungen.
Die Einzelheiten im Zusammenhang mit den Gewalttätigkeiten gegen den Hauptwachtmeister Wendt stellen sich folgendermaßen dar:
Die Beschuldigten [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1952 in Tantow, Teilberuf Betonfacharbeiter, zuletzt tätig als Betonfacharbeiter im Betonwerk Schwedt (O) des WBK Frankfurt (O), wohnhaft Schwedt (O), [Anschrift], parteilos, Mitglied des FDGB und der FDJ, ohne Vorstrafen, [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1953 in Petershagen, Teilberuf Betonfacharbeiter, tätig als Betonfacharbeiter im Betonwerk Schwedt (O) des WBK Frankfurt (O), wohnhaft Schwedt (O), [Straße, Nr.], parteilos, Mitglied des FDGB, ohne Vorstrafen, [Name 3, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1952 in Blumberg, Teilberuf Betonfacharbeiter, zuletzt tätig als Betonfacharbeiter im Betonwerk Schwedt (O) des WBK Frankfurt (O), wohnhaft Schwedt (O), [Straße, Nr.], parteilos, Mitglied des FDGB, der FDJ und des DTSB, ohne Vorstrafen, hielten sich am 25.9.1970 nach Schichtschluss in der Zeit von 22.00 Uhr bis gegen 24.00 Uhr in der HO-Gaststätte »Neue Zeit« in Schwedt auf. Nach dem Genuss von Alkohol verließen sie im angetrunkenen Zustand die Gaststätte, wobei der Beschuldigte [Name 1] einen Streit mit einem Straßenpassanten provozierte, in dessen Folge dieser grundlos von den drei Beschuldigten zusammengeschlagen wurde.
Trotz sofort eingeleiteter Ermittlungen konnte diese Person bisher nicht festgestellt werden.
Nach diesem Vorfall äußerte der Beschuldigte [Name 1] gegenüber den Mitbeschuldigten, dass er weiter Lust zum Schlagen habe. Er schlug vor, auf dem Heimweg von der Gaststätte in die Unterkunft mit ihnen begegnenden Personen Schlägereien zu provozieren. Während des Nachhauseweges sahen die Beschuldigten in der Ernst-Thälmann-Straße3 auf der ihnen gegenüberliegenden Straßenseite eine männliche Person. Der Beschuldigte [Name 1] lief dieser Person nach und pöbelte dieselbe zur Verwirklichung seiner Zielstellung an. Dabei erkannte er in der Person den ihm bekannten VP-Angehörigen Wendt. [Name 1] riet daraufhin von der Durchführung des Vorhabens ab, da er die sofortige Aufklärung der geplanten Straftat befürchtete. Diese Äußerung des Beschuldigten [Name 1] negierend, näherten sich die Mitbeschuldigten [Name 2] und [Name 3] dem VP-Angehörigen und provozierten ihn, worauf dieser sie zur Ordnung rief und sich mit seinem Dienstbuch als Angehöriger der Deutschen Volkspolizei auswies. Da die zuletzt genannten Beschuldigten kurzzeitig vom Geschädigten abließen, entfernte sich dieser in eine Seitenstraße, um sich weiteren Provokationen und einer Schlägerei zu entziehen.
[Name 2] und [Name 3] verfolgten ihn jedoch und schlugen, nachdem sie ihn erreicht hatten, auf ihn ein. Als der Geschädigte am Erdboden lag und sich wieder erheben wollte, wurde er erneut mit Fußtritten und Handkantenschlägen bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit von [Name 2] und [Name 3] geschlagen, während der Mitbeschuldigte [Name 1] unbeteiligt zusah, ohne gegen die Misshandlungen einzuschreiten.
Hauptwachtmeister Wendt erlitt Prellungen an der Stirn und unterhalb des linken Auges sowie Platzwunden an der Ober- und Unterlippe.
Die Ermittlungen zu den Gewalttätigkeiten gegen den Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Stadt Schwedt, Redenz, ergaben folgenden Sachverhalt:
Die Beschuldigten [Name 4, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1947 in Schwedt (O), Beruf: Schlosser, zuletzt tätig als Brunnenbauer in der Schönwetter KG Schwedt (O), wohnhaft Schwedt (O), [Straße, Nr.], parteilos, Mitglied des FDGB, ohne Vorstrafen, [Name 5, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1950 in Schwedt (O), ohne Beruf, zuletzt tätig als Kranführer im VEB Bandstahlkombinat Eisenhüttenstadt, wohnhaft Schwedt (O), [Straße, Nr.], parteilos, Mitglied des FDGB und der FDJ, Vorstrafen: Oktober 1969 KG Eisenhüttenstadt wegen Einbruchsdiebstahl zu einem Jahr sechs Monaten, Freiheitsentzug mit drei Jahren Bewährung verurteilt, [Name 6, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1946 in Anielin4/VR Polen, Beruf: Maschinentischler, zuletzt tätig als Gleisbauarbeiter im VEB Industriebahnbau Magdeburg, wohnhaft Schwedt (O), [Straße, Nr.], parteilos, Mitglied des FDGB und des DTSB, Vorstrafen: 1961 KG Prenzlau wegen fortgesetztem Diebstahl und unbefugter Benutzung von Kfz, Heimerziehung, 1961 KG Prenzlau wegen Urkundenfälschung und Fahren ohne Fahrerlaubnis, neun Monate Gefängnis, sechs Wochen Haft, 1966 KG Prenzlau wegen Diebstahl und Fahren ohne Fahrerlaubnis, drei Jahre Gefängnis, sechs Wochen Haft trafen sich unverabredet in den Abendstunden des 25.9.1970 in der HO-Gaststätte »Quelle« in Schwedt (O). Im angetrunkenen Zustand verließen sie gemeinsam die Gaststätte gegen 22.30 Uhr in der Absicht, nach Hause zu gehen. Als sie sich in der Nähe der HO-Gaststätte »Jägerklause« befanden, stieß der Beschuldigte [Name 5] aus Missachtung der öffentlichen Ordnung zwei dort stehende Wassertonnen um und pöbelte den dort entlangkommenden, ihnen namentlich und persönlich unbekannten Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Stadt Schwedt (O) Redenz, Günter, der sich von einem Ausflug kommend, angetrunken auf dem Weg nach Hause befand, an, er solle nicht so schwanken, sondern gerade laufen. Redenz folgte den sich weiterbegebenden drei Beschuldigten und verlangte mehrfach deren Personalausweise. Die Beschuldigten verweigerten ihm diese mit dem Bemerken, dass er seinen Ausweis zeigen solle. Redenz erklärte daraufhin, dass er Stellvertreter des Oberbürgermeisters sei und seinen Dienstausweis nicht bei sich führe. Die Beschuldigten zweifelten diese Angaben an. Sie erklärten, sich nur im Dienstzimmer des ABV ausweisen zu wollen und setzten ihren Weg durch mehrere unbelebte Straßen fort. Redenz ging mit und unterwegs erklärte er den Beschuldigten, nachdem diese ihn unter Androhung von Gewalt zum Zurückbleiben aufgefordert hatten, dass er Judo beherrsche, was von den Beschuldigten nicht geglaubt wurde. Mit Einverständnis des Redenz führte der Beschuldigte [Name 5], der über geringe Judokenntnisse verfügt, mit Redenz einige Judogriffe durch, wobei dieser zu Fall kam. Danach schlugen die drei Beschuldigten grundlos mit Fäusten auf Redenz eine und stießen ihn mit Füßen.
Aufgrund dieser Misshandlung verlor Redenz das Bewusstsein, erlitt starke Prellungen am Kopf und einen Rippenbruch. Um eine sofortige Entdeckung ihrer Tat zu verhindern, zerrten die Beschuldigten Redenz in ein Gebüsch, ließen ihn dort liegen und begaben sich in ihre Wohnungen. Gegen 2.00 Uhr erlangte Redenz das Bewusstsein wieder und begab sich zur Volkspolizei, wo er Anzeige erstattete.
Der Geschädigte Redenz befand sich bis zum 2.10.1970 in stationärer Behandlung im Gesundheitszentrum in Schwedt (O).
Die drei Beschuldigten [Name 4], [Name 5] und [Name 6] motivierten ihre Verhaltensweise damit, sie seien verärgert gewesen, da ihnen Redenz entgegen ihren Willen gefolgt sei.
Die feindliche Zielstellung im Zusammenhang mit den Gewalttätigkeiten gegen den Stellvertreter des Oberbürgermeisters ergibt sich jedoch aus der Äußerung des [Name 5] unmittelbar vor dem Tatgeschehen: »Wir haben einen von der Partei bei uns, der kommt heute noch dran.«
Nach den bisherigen Untersuchungen handelten beide Gruppen Beschuldigter unabhängig voneinander.
Objektiv trägt die Handlungsweise der Beschuldigten staatsfeindlichen Charakter.
Gegen alle Beschuldigten wurde durch die Abt. K des VPKA Schwedt (O) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl erlassen. Die Bearbeitung der Verfahren erfolgt durch das MfS. Die weiter eingeleiteten Ermittlungen beziehen sich u. a. besonders auf die exakte Klärung des konkreten Tatbestandes und der von den Tätern verfolgten Zielstellungen, auf die umfassende Aufklärung der Persönlichkeit der Täter und auf die Untersuchung hinsichtlich einer möglichen Existenz weiterer negativer Gruppierungen von Jugendlichen im Stadtgebiet von Schwedt (O).