Ursachen einer Explosion in der Brikettfabrik Regis
13. August 1970
Information Nr. 816/70 über die Ursachen einer Explosion mit Brandfolge in der Brikettfabrik Regis, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, am 16. Juni 1970
Am 16.6.1970, gegen 19.40 Uhr, wurden die Pressenhäuser 1 und 2 des VEB Braunkohlenkombinates Regis, Betriebsteil Brikettfabrik Regis, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, durch Blitzschlag und nachfolgender Kohlenstaubexplosion mit Brandfolge teilweise erheblich bzw. vollkommen zerstört.
Durch den Schadensfall wurden zwei Pressenfahrer tödlich verletzt und zwei weitere Betriebsangehörige verletzt.
Der Sachschaden beträgt ca. drei Mio. Mark, während der Produktionsausfall mit 2,6 Mio. Mark angegeben wird.
Die 18 in den Pressenhäusern 1 und 2 vorhandenen Brikettpressen nahmen in der Zwischenzeit die Produktion wieder auf.
Die Untersuchungen der Experten ergaben eindeutig, dass ein Blitzschlag die Kohlenstaubexplosion auslöste. Im Gutachten der Technischen Überwachung heißt es dazu:
»… Der während des Gewitters erfolgte Blitzschlag konnte infolge unterbrochener Ableitung der Blitzschutzanlagen an der Ostseite des Mittelbaues nicht ordnungsgemäß zur Erde abgeführt werden. Die dabei durch Blitzteilströme herbeigeführten Überschläge bzw. Sprüherscheinungen leiteten anschließend die Kohlenstaubexplosion ein.«
Bei den Untersuchungen des MfS wurde u. a. festgestellt:
Die Blitzschutzanlage war neben anderen Ableitungen auch über die Ableitungen 15 und 16 geerdet. Diese Erdung wurde nach dem Schadensfall als nicht ordnungsgemäß erkannt.
Sie bestand lediglich in einer Verbindung mittels Originalklemme an der Stahlkonstruktion der Belüftungsschächte. Derartige Ausführungen stellten auch nach Meinung der Experten eine Unterbrechung der Ableitung dar.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist jedoch nicht mehr festzustellen, wann und durch wen die Ableitungen 15 und 16 der Blitzschutzanlage unterbrochen und an die Lüfterschächte angeschlossen wurden, da in der Vergangenheit eine Vielzahl von Maßnahmen zur Reparatur, Überprüfung und andere Umbauten an den Blitzschutzableitungen 15 und 16 eingeleitet und von verschiedenen Firmen realisiert worden waren.
Zu diesen Maßnahmen zählen:
- –
Einbau von Belüfterschächten am Mittelbau zwischen den Pressehäusern 1 und 2 an den Stellen, an denen sich ursprünglich die Ableitungen 15 und 16 befanden, im Jahre 1959 (Fa. Patschke/Regis).
- –
Revision der Blitzschutzanlagen 1959 durch VEM Halle, bei der aus unbekannten Gründen die Ableitungen der Blitzschutzanlage des Mittelbaus nicht mit einbezogen waren.
- –
Überprüfung der Erdungswiderstände durch den Ingenieur für Blitzschutzanlagen [Name 1]/Leipzig 1960.
- –
Revision der Blitzschutzanlage 1963 durch VEM Halle.
- –
Durchführung von Reparaturarbeiten 1968/69 ohne Vorliegen eines Revisionsberichtes aller Blitzschutzanlagen des BKK Regis ohne nachfolgende Revision.
Die an der Untersuchung des Schadensfalles beteiligten Experten schätzen u. a. ein, dass mit einer Revision im Jahr und ihrer ordnungsgemäßen Durchführung, z. B. durch eine Überkopfprüfung, eventuell vorhandene Unterbrechungen der Abteilungen hätten festgestellt werden müssen.
Begünstigend für das Auslösen des Schadensfalles wirkten sich auch der außerordentlich hohe Verschmutzungsgrad in den Luftkanälen, in den Widerstandkästen und in den Motoren durch Kohlenstaub aus.
Die Experten machten u. a. darauf aufmerksam, dass Tonnen von Kohlenstaub sich zum Zeitpunkt des Schadensfalls angesammelt hatten.
Auch die Steckfilter in der Belüftung (Kapazität eines Lüfters beträgt 50 m³/sec.) wurden seit 1960 unvorschriftsmäßig trocken gefahren, d. h. sie hätten ständig mit Öl getränkt werden müssen.
Nach Auffassung der Expertenkommission sei auch der Einbau der Belüfterschächte ungünstig vorgenommen worden. An dieser Stelle trete eine ständig hohe Verunreinigung der Luft durch die Kohlenverladung ein.
In den Betriebsvorschriften, so wurde festgestellt, gibt es einen Plan zur Reinigung von Trägern, Kabelstraßen u. Ä. Nicht enthalten in diesen Betriebsvorschriften ist die Planung und Verantwortlichkeit für die Reinigung der Lüfter, Motoren, Kanäle und Widerstandschränke, die dem Ermessen der Beschäftigten überlassen wurden.
Nach den bisherigen Untersuchungen haben den Schadensfall folgende leitende Betriebsangehörige zu verantworten:
- –
Der Betriebsleiter der Brikettfabrik Meinhardt,1 der Festlegungen der Arbeitsschutzverordnung (vom 22.9.1962) über regelmäßig durchzuführende Überprüfungen und Mängelbeseitigung von Gefahrenquellen nicht beachtet (§ 8/2 und § 18).2
- –
Außerdem hat er auch gegen die ABAO 125/1 – Kohlenstaub und koksstaubgefährdete Betriebsstätten3 – (§ 42/1 und 2) ABAO 955/1 – Blitzschutzanlage – (§ 7/1 und 9/c)4 verstoßen.
- –
Der Betriebsingenieur und stellv. Leiter der Brikettfabrik Weidner,5 der als zeitweilig amtierender Betriebsleiter für die Einhaltung der Bestimmungen der ABAO 125/1, § 42/1 und 2 – Freihaltung der Betriebsteile von Kohlenstaub – ebenfalls mit zuständig war.
- –
Der Ingenieur für Organisation und Produktion [Name 2], der ebenfalls wegen Nichteinhaltung und Durchsetzung der Reinigungsarbeiten mit verantwortlich war (ABAO 185/1, § 42/1).
Durch die VP wurde ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt gemäß § 1856 und 188 StGB7 eingeleitet.
Der zuständige Staatsanwalt leitet die weiteren Untersuchungen und entscheidet gegenwärtig über die Weiterführung des EV.