Verhinderter ungesetzlichen Grenzübertritt (Christian Friese)
[ohne Datum]
Information Nr. 1375/70 über einen verhinderten ungesetzlichen Grenzübertritt DDR – Westberlin mit Anwendung der Schusswaffe am 25. Dezember 1970
Am 25.12.1970, um 0.03 Uhr, wurde im Grenzabschnitt Berlin-Johannisthal, ca. 200 m rechts des Bahndammes Köllnische Heide, der versuchte ungesetzliche Grenzübertritt des Friese, Christian-Peter,1 geboren am 5.1.1948 in München, wohnhaft gewesen Naumburg/Saale, [Straße, Nr.], zuletzt tätig als Schlosser im Gleisbaubetrieb der Deutschen Reichsbahn in Naumburg, Familienstand: ledig, unter Anwendung der Schusswaffe durch die eingesetzten Grenzsicherungskräfte verhindert.
Zum Sachstand:
Am 25.12.1970, um 0.03 Uhr, bemerkten die im Grenzabschnitt Köllnische Heide eingesetzten Grenztruppen der 3. Grenzkompanie des Grenzregimentes 37, Berlin-Johannisthal, nach Auslösung des Signalzaunes ca. 200 m rechts des Postenturmes, wie sich eine männliche Person mit schnellen Schritten der Staatsgrenze DDR – Westberlin näherte. Durch die Grenzposten wurde behelfsmäßig die Schusswaffe zur Anwendung gebracht. Die Feuerführung wurde von einem zweiten Postenpaar sowie einer aus vier NVA-Angehörigen bestehenden Alarmgruppe, die zu diesem Zeitpunkt im angeführten Grenzabschnitt patrouillierte, unterstützt.
Der Grenzverletzer brach zwischen dem Kfz-Sperrgraben und der Sperrmauer, ca. 20 m von der Staatsgrenze entfernt, zusammen. Insgesamt wurden von den Grenzsicherungskräften 102 Schuss auf den Grenzverletzer abgegeben.
Nach sofortiger erster Hilfeleistung und Bergung des Grenzverletzers durch die Grenzsicherungskräfte erfolgte um 0.23 Uhr mittels Sankra der Abtransport in das VP-Krankenhaus, wo durch den diensthabenden Arzt der infolge der schweren Schussverletzungen eingetretene Tod festgestellt wurde.
Zum Zeitpunkt der Bergung des Grenzverletzers erschienen auf einem auf Westberliner Gebiet (Heidekampgraben) befindlichen Podest zwei Angehörige der Westberliner Polizei, wovon einer die Grenzsicherungskräfte der NVA mit den Worten, »ihr Schweine, ihr habt geschossen«, beschimpfte. In der Folgezeit wurden auf Westberliner Seite mehrere Zivilpersonen erkannt, die von den Angehörigen der Westberliner Polizei vermutlich zum Vorkommnis befragt wurden.
Weitere Reaktionen auf Westberliner Seite konnten nicht festgestellt werden.
Durch die Feuerführung wurden die Bewohner des angrenzenden Häuserblocks Hänselstraße 141–151 auf die Handlungen der Grenzsicherungskräfte aufmerksam und beobachteten vereinzelt die Bergung und den Abtransport des Grenzverletzers.
Weitere Reaktionen durch Bürger der Hauptstadt der DDR im Zusammenhang mit diesem Vorkommnis wurden nicht bekannt.
Nach Einschätzung der NVA-Grenztruppen ist nicht auszuschließen, dass während der annähernd parallel zur Staatsgrenze erfolgten Feuerführung mehrere Projektile auf Westberliner Seite einschlugen. Das Westberliner Grenzvorfeld besteht in diesem Abschnitt überwiegend aus unbewohntem Laubengelände und unbebautem Gelände.
Die Rekonstruktion des versuchten ungesetzlichen Grenzübertrittes hat ergeben, dass die Annäherung des Grenzverletzers aus Richtung Kiefholzstraße durch die Kleingartenanlagen »Vogelsang I und II« bis zur Parzelle 75 erfolgte. Unter Ausnutzung natürlicher Deckungsmöglichkeiten durch Baumbestand der Kleingartenanlage überwand der Grenzverletzer den Hinterlandsicherungszaun und bewegte sich in Richtung des Kfz-Sperrgrabens, wo er – wie bereits angeführt – von den Grenzsicherungskräften nach Auslösung des Signalzaunes erkannt wurde.
Zur Person:
Der Grenzverletzer Friese führte beim versuchten ungesetzlichen Grenzübertritt folgende Dokumente und Unterlagen bei sich:
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Personalausweis,
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SVK-Ausweis,
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Stadtplan von Berlin,
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eine Fahrkarte Naumburg – Berlin vom 24.12.1970,
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pornographische Bilder,
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Passbilder und Fotografien verschiedener Personen,
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persönliche Briefe.
Aus den mitgeführten Unterlagen war ersichtlich, dass F. im Zeitraum eines Jahres insgesamt fünfmal die Arbeitsstelle gewechselt hatte und in der Siedlung Naumburg ehrenamtlich als Klubleiter tätig war.
Bisherigen Untersuchungen der zuständigen Organe des MfS zufolge gehörte F. im Jahre 1969 zu einer negativen Gruppierung von vier bis fünf Jugendlichen (Rowdytum, Beatanhänger) an. Diese Gruppierung wurde im Ergebnis der Bearbeitung der Abteilung K der BDVP Halle im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen aufgelöst.
Die Untersuchungen der zuständigen Organe des MfS zur Aufklärung der Ursachen und Motive des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts werden fortgesetzt.
Durch die NVA-Grenztruppen wurde eine verstärkte Beobachtung des Westberliner Vorfeldes im betreffenden Grenzabschnitt sichergestellt.