Verhinderung eines Grenzdruchbruches von Westberlin (Gerald Thiem)
8. August 1970
Information Nr. 801/70 über die Verhinderung eines gewaltsamen Grenzdurchbruches von Westberlin aus in die Hauptstadt der DDR mit tödlichem Ausgang
Am 7.8.1970, gegen 23.15 Uhr, drang von Westberliner Gebiet aus der in Westberlin lebende staatenlose Bürger Thiem, Gerald, Siegmund, Julius,1 geboren am 6.9.1928 in Berlin, Beruf: Elektriker, zuletzt tätig bei der Bauunternehmung Gottlieb Tesch GmbH in Westberlin, wohnhaft Berlin 47 (Britz), [Straße, Nr.], in Berlin-Treptow, Treptower Straße, in das Staatsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik ein.2
Der Grenzverletzer überkletterte zunächst die alte Grenzsperrmauer und anschließend die neue Sperrmauer und versuchte, sich auf dem Staatsgebiet der DDR entlang der Staatsgrenze Kiefholzstraße durch die dortige Eisenbahnbrücke zu entfernen.
Da der Grenzverletzer auf Anruf und Abgabe von Warnschüssen der NVA-Grenzsicherungskräfte nicht reagierte und sich zu diesem Zeitpunkt bereits ca. 100 m innerhalb unseres Staatsgebietes bewegte, wurde vom Grenzposten TWG I (Gefreiter [Name 1], Soldat [Name 2]) und anschließend auch vom Grenzposten TWG II (Gefreiter [Name 3], Soldat [Name 4]) sowie vom Nachbarposten (Soldaten [Name 5] und [Name 6]) gezieltes Feuer mit insgesamt 180 Schuss abgegeben. Dabei wurde der Grenzverletzer durch Kopfschüsse tödlich verletzt.
Es erfolgte die sofortige Bergung des Grenzverletzers ins eigene Hinterland. Gegen 0.45 Uhr wurde er mit einem Sankra der NVA/Grenze zunächst zum Krankenhaus der Deutschen Volkspolizei und gegen 1.30 Uhr in das Gerichtsmedizinische Institut der Humboldt-Universität überführt. Die Sektion der Leiche wurde veranlasst.
Circa drei bis vier Minuten nach Abgabe der ersten Schüsse wurden eine männliche und eine weibliche Zivilperson sowie zwei Uniformierte auf dem Podest in Westberlin-Treptower Straße, festgestellt, die unser Gebiet beobachteten.
Unmittelbar danach hielten sich in der Treptower Straße in Westberlin zwei Funkstreifenwagen der Westberliner Polizei und ein Fahrzeug vom Typ »Volkswagen« des Westberliner Zolls auf, die ohne besondere Handlungen nach ca. zwei bis drei Minuten Aufenthalt ins Hinterland zurückfuhren.
Von 0.50 Uhr bis 1.00 Uhr hielten sich sechs Funkstreifenwagen der Westberliner Polizei auf dem Bahngelände in Westberlin ohne Durchführung besonderer Handlungen auf.
Bis gegen 1.45 [Uhr] erschienen im laufenden Wechsel ca. 20 Zivilisten auf dem Podest auf Westberliner Gebiet. Dabei wurden gegen 0.45 Uhr an der Puderstraße durch eine Zivilperson sowie einen Uniformierten Mithilfe von Blitzlicht von Westberliner Gebiet aus Fotoaufnahmen gefertigt. Vermutlich wurde eine Grenzstreife fotografiert.
Inwieweit die Westberliner Kräfte den konkreten Sachverhalt verfolgen konnten, kann nicht eingeschätzt werden.
Nach Angaben des Kommandeurs der Grenzsicherung bestand die Möglichkeit, dass bei der Feuerführung einzelne Schüsse auf Westberliner Gebiet einschlugen. Gegenüber dem Tatort befinden sich auf Westberliner Gebiet keine Wohnhäuser.
Circa eine Stunde vor der Grenzprovokation wurden die eingesetzten Grenzposten von Westberliner Gebiet aus – Treptower Straße/Ecke Kiefholzstraße – durch eine ca. 45 bis 55 Jahre alte männliche Person als »Sauhunde« und »Banditen« beschimpft. Inwieweit dieser Täter mit dem Grenzverletzter Thiem identisch ist, ist noch nicht bekannt.