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Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1970 (2. Bericht)

[ohne Datum]
Information Nr. 242/70 über den Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1970 (2. Bericht)

1. Zur Beteiligung an der Leipziger Frühjahrsmesse 19701 und zur Qualität der in Leipzig anwesenden Aussteller und Besucher

Bis zum 3.3.1970 wurde folgende Besucherzahl registriert:

Staaten

Gesamt

Vergleich 1969

sozialistische Staaten

14 012

13 691

kapitalistische Staaten

5 791

6 010

Westberlin

1 532

1 736

Westdeutschland

15 167

13 254

Arbeiterkonferenz

780

1 020

Gesamt

37 282

35 711

Von westdeutscher Seite sind zahlreiche prominente Persönlichkeiten in Leipzig eingereist.

Der Leiter der Treuhandstelle für den »Interzonenhandel«,2 Kleindienst,3 ist am 28.2.1970 in Leipzig eingetroffen und hat am ersten Messetag seine Tätigkeit aufgenommen.

Kleindienst unterhält im Franz-Mehring-Haus4 ein Informationsbüro.

Bereits vor Beginn der Leipziger Frühjahrsmesse 1970 hatte Kleindienst zum Ausdruck gebracht, dass er im Auftrage von Staatssekretär Arndt5 die Messe und die Anwesenheit vieler westdeutscher Geschäftspartner dazu benutzen will, um sich einen Überblick über die Liefermöglichkeiten der DDR zu verschaffen und die Kaufbereitschaft der westdeutschen Geschäftspartner für die Erzeugnisse aus der DDR zu erhöhen. Zu diesem Zweck hat Kleindienst einige Fachreferenten aus dem Bundesministerium für Wirtschaft zum Besuch der Messe angekündigt. Gemeinsam mit diesen Fachreferenten beabsichtigt er, Gespräche mit einigen Außenhandelsunternehmen der DDR zu führen. Vom Bereich Außenwirtschaftsbeziehungen mit Westdeutschland und Westberlin des MAW werden diese Gespräche vorbereitet und es ist gesichert, dass in jedem Fall ein Mitarbeiter des MAW an diesen Gesprächen teilnimmt.

Der ehemalige Leiter der Treuhandstelle für den »Interzonenhandel«, Dr. Leopold,6 hat Leipzig am 2.3.1970 verärgert verlassen und ist nach Westberlin zurückgefahren. Anlass für diese unerwartete Abreise war die Zuweisung eines Doppelzimmers im Interhotel »Deutschland«7 gemeinsam mit seinem Geschäftspartner [Name].

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) beteiligt sich mit einem Informationsbüro an der Leipziger Frühjahrsmesse. In Vorbereitung der Leipziger Messe entwickelte der DIHT Initiativen, die u. a. vorsahen, einen größeren Empfang in Leipzig durchzuführen. Dieses Vorhaben wurde durch Einflussnahme des Bereiches Außenwirtschaftsbeziehungen mit Westdeutschland und Westberlin verhindert. An Stelle dieses Vorhabens wurde unter Regie der DDR am 2.3.1970 ein Essen des Generaldirektors des Leipziger Messeamtes, Genossen Schmeißer,8 im kleinen Kreis durchgeführt.

Während Genosse Schmeißer die anwesenden westdeutschen Konzernvertreter u. a. aufforderte, noch stärker als bisher ihre Einkaufsinteressen in der DDR wahrzunehmen, unterstrich Wolff von Amerongen9 insbesondere die Nützlichkeit der Zusammenkunft zwischen Wirtschaftlern aus der DDR und der BRD.

In seiner Funktion als Präsident des DIHT würde er besonderen Wert darauf legen, dass sich diese Institution mehr als bisher auch um die Entwicklung des Handels in der DDR bemühen wolle. Die von ihm in Leipzig geführten Gespräche bezeichnete er als konstruktiv.

Am 3.3.1970 ist der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wienand,10 in Leipzig eingetroffen.

(Über die mit ihm geführten Gespräche wird gesondert berichtet.)

Gegenüber der Leipziger Frühjahrsmesse 1969 hat die Zahl der Besucher aus westdeutschen Industriekonzernen zugenommen. So erhöhte sich zum Beispiel der Besuch von Vorstandsmitgliedern aus diesen Industriekonzernen und Großunternehmen von 18 auf über 30. Hervorzuheben ist, dass sich die Anzahl leitender Direktoren von den Einkaufs- und Investabteilungen erhöht hat. Bereits in den ersten Messetagen sind eine Reihe namhafter Einkaufsdirektoren mit ihren Einkaufsdelegationen in Leipzig eingetroffen und haben ihre Verhandlungen mit den Außenhandelsbetrieben und Industriebetrieben der DDR aufgenommen. Im Mittelpunkt der Verhandlungen steht der Schwermaschinen- und Anlagenbau, der Verarbeitungsmaschinen­ und Fahrzeugbau sowie die chemische Industrie der DDR.

Von den westdeutschen Waren-, Kauf- und Versandhäusern sind im Vergleich zur Leipziger Frühjahrsmesse 1969 mehr Inhaber und Vorstandsmitglieder in Leipzig anwesend. Die Qualität dieser Besucher konnte erhöht werden. (Siehe Informationsbericht Nr. 1)11

Die Anzahl der anwesenden Einkäufer hat sich von 87 zur LFM 1969 auf 103 zur LFM 1970 gesteigert. Im Allgemeinen ist festzustellen, dass sich die Zahl der am Handel interessierten Besucher erhöht hat.

Auch aus den kapitalistischen Industrieländern sind zahlreiche (teilweise inoffiziell) prominente Persönlichkeiten in Leipzig eingereist.

Am 2.3.1970 führte der Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Genosse Ulbricht,12 mit dem in Leipzig weilenden Ehrenpräsidenten des französischen Industriellenverbandes,13 Georges Villiers,14 ein Gespräch. (Die Gesprächsnotiz liegt dem Genossen Minister vor.) Am 1.3.1970 hatte Villiers mit Staatssekretär Dr. Beil15 und anderen leitenden Mitarbeitern des MAW verhandelt. Dabei berichtete Villiers, dass er mit der französischen Regierung und mit der Credit Lyonnais über die langfristigen Kreditforderungen der DDR gesprochen und prinzipielle Übereinstimmung erzielt habe, dass Kredite über fünf Jahre als Käuferkredite bei DDR-Importen gewährt werden können. Er schlug vor, dass diese Kreditgewährung zuerst an einem Einzelobjekt, das in absehbarer Zeit vertraglich abgeschlossen wird, praktiziert werden soll. Aufgrund dieses Falles werden die weiteren Fälle global lösbar sein. Er wird sich dafür verwenden, die erste Kreditgewährung zu sichern.

Villiers erklärte weiterhin, dass er sich intensiv mit der Frage der Aufenthaltsgewährung und der Beseitigung der diskriminierenden Bestimmungen des Travel Board16 für die Mitarbeiter der Handelsvertretung der DDR, vor allem für Handelsrat Schramm,17 beschäftige.

Er glaubt, dass im Zusammenhang mit der Einrichtung des Wirtschaftsbüros der französischen Industrie in Berlin in Zukunft Regelungen durch ihn durchgesetzt werden können.

Seit dem 28.2.1970 weilen inoffiziell

  • Mr. MacTavish:18 Abteilungsleiter im Board of Trade, London (Britisches Handelsministerium),

  • Mr. Edmonson:19 Mitarbeiter der Abt. Messen und Ausstellungen im Board of Trade,

  • Mr. Hartland-Swann:20 leitender Mitarbeiter der britischen Militärmission in Westberlin,

  • Mr. Mitchell:21 Konsul beim britischen Konsulat in Westberlin (Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung)

Während eines Gespräches mit dem Messestableiter des MAW, Bereich kapitalistische Industrieländer, Genossen Schönherr,22 informierten sich Mr. MacTavish und Mr. Hartland-Swann ausführlich über die Aufgaben und die Rolle des Amtes für Außenwirtschaft der DDR sowie über Möglichkeiten der Eröffnung einer Vertretung des britischen Abkommenspartners (CBI)23 in der Hauptstadt der DDR.

Mr. Hartland-Swann erklärte, dass er von der Leipziger Messe einen sehr guten Eindruck bekommen habe und hoffe, auch im nächsten Jahr in Leipzig weilen zu können.

2. Zur Einschätzung der Geschäftstätigkeit

Nach bisher vorliegenden ersten Einschätzungen ist das Messegeschäft trotz der ungünstigen Witterungsverhältnisse normal angelaufen. An allen Abschnitten der Außenwirtschaft ist eine rege Geschäftstätigkeit zu verzeichnen.

Die Informationen aus den Außenhandelsbetrieben lassen den Schluss zu, dass die Messezielstellung – in der mvI24 85 % des Planes 1970 und in der Leichtindustrie 70 % des Planes 1970 binden zu wollen – gelöst wird. Hohe Aktivitäten in Richtung der Erfüllung der Messezielstellung zeichnet sich besonders in den Außenhandelsbetrieben WMW-Export, Transportmaschinen, Maschinen-Export, Invest­Export,25 Unitechna26 (bezogen auf Nahrungs- und Genussmittelmaschinen), Elektrotechnik und in der Leichtindustrie, vor allem bei Glas-Keramik und Textilcommerz,27 ab. Schwierigkeiten gibt es in den Außenhandelsbetrieben Chemie, Kamera­Orwo,28 Intermed29 und auf dem Gebiet der Textilmaschinen im Außenhandelsbetrieb Unitechna.

Am 2.3.1970 fand die erste Verhandlung zwischen dem MAW und der Treuhandstelle für den »Interzonenhandel« statt. Im Mittelpunkt dieser Verhandlung standen Fragen über den Export und Import wichtiger Erzeugnisse. Nach ernsten Verhandlungen des MAW erklärte sich Kleindienst bereit, Einzelanträge für den Import von NE-Metallen aus Westdeutschland über die bisher abgeschlossene Wertsumme hinaus zu genehmigen. Hierdurch konnte gesichert werden, dass die im Plan vorgesehenen Importe an Edelmetallen terminlich und im vollen Umfang bereitgestellt werden können.

Eine Reihe von Einzelproblemen im Handel mit der Sowjetunion spielen eine Rolle. Unter Hinweis auf die gegenwärtig noch nicht existenten Abkommen für 1971 und Folgejahre beziehungsweise wegen fehlender Freigaben zum Abschluss von Importverträgen durch GOS-Plan sind verschiedene sowjetische Außenhandelsunternehmen gegenwärtig nicht bereit, Verträge abzuschließen. Davon sind insbesondere VEB Polygraph Leipzig/Polygraph-Export, VEB Kombinat Luft- und Kältetechnik, Kombinat VEB LEW »Hans Beimler«, Außenhandelsbetrieb Maschinen-Export und Außenhandelsbetrieb Transportmaschinen betroffen.

3. Zur weiteren Reaktion auf den Besuch des Genossen Walter Ulbricht am Stand der Otto-Wolff-AG und zur Reaktion auf die Initiativen der DDR zur Aufnahme gleichberechtigter Beziehungen zwischen der DDR und der BRD

Das Vorstandsmitglied der Otto-Wolff-Chemieanlagenbau GmbH, Dr. Wrede,30 berichtete am 3.3.1970, dass von Amerongen noch am späten Abend des 2.3.1970 im Bundeskanzleramt über seine Aussprache mit Genossen Ulbricht berichtete.

Am 2.3. und 3.3.1970 fanden sich am Messestand des Otto-Wolff-Konzerns eine Reihe westdeutscher Journalisten (»Die Welt«, »Spiegel« und DPA) ein, um Einzelheiten über die Zusammenkunft von Amerongens mit den Repräsentanten der DDR zu erfahren.

Die Initiative der DDR und insbesondere die bevorstehenden Verhandlungen31 zwischen dem Genossen Stoph32 und Brandt33 zur Herstellung normaler gleichberechtigter Beziehungen zwischen der DDR und der BRD stellt das beherrschende politische Gesprächsthema auf der Leipziger Messe dar. Dabei überwiegen die positiven Äußerungen, die den Verhandlungsvorschlag der DDR begrüßen und günstige Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Handelsbeziehungen erwarten. Über die Erfolgschancen der bevorstehenden Verhandlungen – die Mehrzahl der vorliegenden Stimmen geht davon aus, dass solche Verhandlungen Zustandekommen – gibt es geteilte Meinungen. Dabei gibt es viele pessimistische Äußerungen, die aus verschiedenen Gründen keine Ergebnisse erwarten. Insbesondere betrifft dies die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch Bonn. Es gibt auch Meinungen, dass eine völkerrechtliche Anerkennung ökonomischen Schaden, insbesondere für die DDR (Wegfall der Zollfreiheit34), bringen würde.

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