Verletzung des Luftraumes der DDR durch Hubert Strauchmann
9. Juli 1970
Information Nr. 699/70 über die Verletzung des Luftraumes der DDR durch ein westdeutsches Sportflugzeug am 8. Juli 1970
Am 8.7.1970, gegen 16.30 Uhr, drang der in Westdeutschland lebende DDR-Bürger Dr. Strauchmann, Hubert,1 geboren am [Tag, Monat] 1917 in Magdeburg, wohnhaft Braunschweig, [Straße, Nr.], Beruf: Obermedizinalrat, letzte Tätigkeit: Ärztlicher Direktor und Chef der Chirurgischen Klinik des Städtischen Krankenhauses Braunschweig, Familienstand: verheiratet, 1 Kind, Vorstrafen: keine, mit seinem einmotorigen Sportflugzeug vom Typ »Jodel« D 150, Kennzeichen D-ELBB, aus der Richtung Lübecker Bucht kommend, nördlich von Dassow in den Luftraum der DDR ein. Gegen 17.05 Uhr wurde er bei Goldbeck, Kreis Grevesmühlen, [Bezirk] Rostock, von einem sowjetischen Hubschrauber zur Landung gezwungen.2
Die bisherigen Untersuchungen zur Luftraumverletzung durch die zuständigen Organe des MfS haben ergeben:
Zur Person:
Strauchmann entstammt einer Beamtenfamilie.
Strauchmann absolvierte bis 1937 das Gymnasium in Halberstadt und wurde anschließend zum damaligen RAD einberufen. Ende 1937 begann er in Tübingen ein Medizinstudium, das er im April 1940 aufgrund der Einberufung zur faschistischen Wehrmacht unterbrach. Nach kurzem Einsatz in Frankreich wurde er im Januar 1941 zur Fortsetzung seines Studiums aus der Wehrmacht entlassen. 1942 legte Strauchmann das Staatsexamen ab und promovierte noch im gleichen Jahr.
In der Folgezeit kam er im sogenannten Afrikakorps im Dienstgrad eines Oberfähnrichs zum Einsatz und geriet 1943 in französischer Gefangenschaft, aus welcher er 1947 entlassen wurde.
Anschließend war Strauchmann in verschiedenen Krankenhäusern der damaligen westlichen Besatzungszonen tätig.
Im Jahre 1948 kam er in Folge Erkrankung seiner Eltern besuchsweise in das heutige Gebiet der DDR, wo er auf Wunsch seiner Eltern verblieb.
Seine Eltern sind inzwischen verstorben.
Strauchmann war in der Folgezeit in mehreren Krankenhäusern in leitenden Stellungen tätig, zuletzt von 1962 bis 1960 als Chef des Krankenhauses Bad Frankenhausen, Kreis Artern.
Aus angeblicher Verärgerung über mangelnde Unterstützung durch den Rat des Kreises Artern bei der Vervollkommnung des Krankenhauses sowie aufgrund eines Angebotes seines ehemaligen Chefs, Prof. Harms3 aus Braunschweig, nach dessen Pensionierung als ärztlicher Direktor und Chef der Chirurgischen Klinik des Städtischen Krankenhauses Braunschweig tätig zu werden, verließ Strauchmann im Herbst 1960 mit seiner Familie illegal die DDR.
Strauchmann ist seit 1960 Mitglied der SPD sowie des DGB, bekleidet jedoch keine Funktion.
Zum Sachverhalt:
Aus Interesse am Flugsport erwarb Strauchmann 1964 den Luftfahrerschein für Privatflugzeugführer, 1967 das Sprechzeugnis 1 und legte 1969 die Kunstflugprüfung ab. Er gehörte seit 1964 dem Luftsportverein »Braunschweiger Krähen« an und kann ca. 600 Flugstunden nachweisen.
Am 8.7.1970 fasste St. den Entschluss, seine 11-jährige Tochter, die sich gegenwärtig im Ferienlager Lensterstrand in der Lübecker Bucht befindet und auf Kartengrüßen Heimweh äußerte, zu besuchen und für diese Reise sein Sportflugzeug zu benutzen.
Über die Flugleitung des Flugplatzes Braunschweig erbat sich St. beim Flugsicherungsdienst Hannover die Flugberechtigung für den Kurs Braunschweig – Hartenholm – Gube (Lübecker Bucht). Diesen Flugplatz wählte St., weil er sich ca. 4 km vom Ferienlager entfernt befindet. Vom Flugplatz Gube holte er sich telefonisch die Landeerlaubnis ein.
Der beantragte Flug wurde vom Flugsicherungsdienst Hannover genehmigt und als Startzeit 14.30 Uhr vorgeschrieben.
Nach navigatorischer Vorbereitung startete St. um 14.59 Uhr. Zur Starverzögerung führte er Zeitmangel an.
Strauchmann war das Gelände im Raum des Flugplatzes Gube nicht bekannt. Er führte in der Vergangenheit noch keinen Flug in diesem Abschnitt durch.
Aus bisher noch ungeklärten Gründen kam St. auf der Strecke Hartenholm – Gube vom Kurs ab, überflog ein Gewässer, das er für den östlich Neumünster gelegenen Plöner See hielt und behielt den eingeschlagenen Ostkurs ein. Nach Erreichen der Küste will er festgestellt haben, dass der vorgefundene Abschnitt nicht mit den Eintragungen in seiner Flugkarte übereinstimmte.
In der Absicht, einen Orientierungspunkt zu finden, habe er danach mehrmalig Kursänderungen vorgenommen und flog in der Folgezeit entlang der Küste. Dabei achtete er – seinen bisherigen Angaben zufolge – weder auf den auf der Kompassanzeige anliegenden Kurs, noch orientierte er sich zeitlich, sodass er über die folgende Flugroute angeblich keine konkreten Angaben machen kann.
Da Strauchmann wusste, dass er nach Passieren des Flugplatzes Hartenholm in die westlich entlang der Staatsgrenze der DDR verlaufende Flugsicherungszone ADIZ4 eingeflogen war, musste er bei Fortsetzung des Fluges ohne Kompasskontrolle mit einer Verletzung des Luftraumes der DDR rechnen.
Außerdem hätte er infolge des eingetretenen Orientierungsverlustes entsprechend den vom westdeutschen Flugsicherungsdienst ergangenen Bestimmungen Westkurs fliegen müssen. Diese Grundsätze hat er nicht beachtet.
Während des Entlangfliegens an der Küste drang St. mit seinem Sportflugzeug über die Lübecker Bucht um 16.35 Uhr bei Barendorf, nördlich Dassow, in den Luftraum der DDR ein. Die Luftraumverletzung wurde visuell von Grenzsicherungskräften der NVA festgestellt.
Nach mehrmaligem Kurswechsel (Richtung Nord, Ost, Nord-West, Süd-Ost) überflog er – wie durch Zeugen bestätigt wurde – von Barendorf kommend um 16.59 Uhr die Ortschaft Wischendorf, Kreis Grevesmühlen.
Um 17.05. Uhr wurde Strauchmann von einem sowjetischen Hubschrauber bei Goldbeck, Kreis Grevesmühlen, abgefangen und durch Handzeichen der Besatzung zur Landung aufgefordert.
St. gab durch entsprechende Gesten seine Bereitschaft zur Landung zu verstehen, verzögerte diese jedoch, da er seinen Angaben zufolge einen geeigneten Landeplatz suchen sollte.
Nachdem durch die Hubschrauberbesatzung durch Schießen einer roten Leuchtrakete das international übliche Kommando zur sofortigen Landung erteilt worden war, führte er diese aus. Str. behauptet jedoch, dieses Signal nicht gesehen, sondern seine Aufmerksamkeit auf den Landevorgang gerichtet zu haben.
Dem bisherigen Stand der Untersuchungen zufolge konnten Strauchmann keine vorsätzlich begangenen Straftaten nachgewiesen oder Anhaltspunkte dafür erarbeitet werden, dass es sich bei seinem Eindringen in den Luftraum der DDR um eine von westdeutschen Dienststellen organisierte Provokation handelt.
Die Untersuchungen des MfS zur umfassenden Aufklärung aller Ursachen und Umstände der Luftraumverletzung werden fortgeführt.
Durch das MfS wurde eine Pressenotiz über die Luftraumverletzung erarbeitet und dem Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR übergeben.5
Es wird vorgeschlagen, über die weitere Verfahrensweise gegen Strauchmann nach Abschluss der Untersuchungen zu entscheiden.