Versuchte Gruppenfahnenflucht von zwei Offizieren in Leipzig
17. September 1970
Information Nr. 988/70 über eine versuchte Gruppenfahnenflucht von zwei Offizieren der 5. VP Bereitschaft Leipzig am 16. September 1970
Am 16.9.1970, gegen 4.30 Uhr, versuchten die Offiziere der 5. VP Bereitschaft Leipzig, Unterleutnant [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1943, wohnhaft Leipzig, [Straße, Nr.], ledig, Angehöriger der DVP seit 1.5.1964, Dienststellung: Feldscher,1 Mitglied der SED, FDGB, DSF, Unterleutnant [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1948, wohnhaft Leipzig, [Straße, Nr.], verheiratet, ein Kind, Angehöriger der DVP seit 2.11.1967, Dienststellung: Nachrichtenzugführer, Mitglied der SED, FDJ, DSF, DTSB, FDGB, im Raum Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, die Staatsgrenze nach Westdeutschland zu durchbrechen, um fahnenflüchtig zu werden.
(Dieses Gebiet war [Name 1] durch eine 1968 erfolgte Exkursion mit der Fachschule des MdI, deren Angehöriger er zu diesem Zeitpunkt war, bekannt.)
[Name 1] und [Name 2] begaben sich von Leipzig gegen 18.00 Uhr mit einer Taxe nach Halle/Saale und von dort aus mit einer anderen Taxe nach Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, wo sie gegen 22.00 Uhr eintrafen. Sie hielten sich danach in einer Gaststätte auf, die sie um 23.00 Uhr verließen, um zu Fuß die Staatsgrenze zu erreichen. In einer Seitenstraße von Wernigerode legten [Name 2] und [Name 1] ihre Zivilkleidung ab und [Name 1] zog zur besseren Tarnung im Gelände einen mitgeführten kompletten Kampfanzug an.
Auf dem Weg zur Staatsgrenze orientierten sie sich mit einem mitgeführten Kompass sowie einer zuvor gekauften Wanderkarte des Harzes. Kurz vor dem Erreichen der Staatsgrenze der DDR entschlossen sich [Name 1] und [Name 2], vorerst von ihrem Fluchtvorhaben Abstand zunehmen, da starker Dauerregen eingesetzt hatte, wodurch die Orientierung erschwert wurde. Hinzu kam, dass [Name 2] physisch stark erschöpft war.
Aufgrund dessen wollten sie – wie ursprünglich geplant – die Fahnenflucht erst im Winter 1970/71 durchführen.
Die durch das MfS geführten Untersuchungen ergaben weiter, dass [Name 2] nach seiner Ankunft in Wernigerode, nachdem beide das Fluchtvorhaben aufgegeben hatten, seine Ehefrau in Leipzig anrief mit dem Bemerken, die 5. VP Bereitschaft davon zu verständigen, dass er am 16.9.1970 erst gegen Mittag zum Dienst erscheinen würde, da er zuvor einen Arzt aufsuchen müsse. Damit sollte die beabsichtigte Fahnenflucht vertuscht werden.
[Name 1] hatte sich unter einem Vorwand am 15.9.1970 von seinem Vorgesetzten einen Urlaubsschein für zwei Tage ausstellen lassen, um einen zeitlichen Vorlauf vor einer möglichen Fahndung zu haben.
[Name 1] und [Name 2] kehrten gegen 14.00 Uhr des 16.9.1970 von Wernigerode aus mit der Eisenbahn nach Leipzig zurück, wo aufgrund der eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen die Festnahme erfolgte.
Dabei wurde auch eine Reisetasche des [Name 1] sichergestellt, in der sich u. a. folgende Unterlagen und Dokumente befanden:
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umfangreiche namentliche Aufstellungen von Angehörigen der 5. VP Bereitschaft mit Dienstgrad, Geburtsdatum, Adressen,
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verschiedene Dienstvorschriften, Anweisungen und Befehle des Kommandeurs der 5. VP Bereitschaft, die zum Teil als VVS deklariert waren und
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ein nachweispflichtiges medizinisches Entgiftungspäckchen K 11.
[Name 1] und [Name 2] tragen sich nach eigenen Angaben seit Anfang 1970 mit dem Gedanken, gemeinschaftlich nach Westdeutschland fahnenflüchtig zu werden, da an ihnen häufig Kritik wegen schlechter Ergebnisse in der Erfüllung dienstlicher Aufgaben geübt werden musste. Aufgrund ihrer Unlust zum Dienst in der VP sahen sie in einer Fahnenflucht nach Westdeutschland die einzige Möglichkeit, vor Ablauf der zehnjährigen Verpflichtung auszuscheiden und sich dem weiteren Wehrdienst zu entziehen.
Sie hatten deshalb auch den Entschluss gefasst, die schon genannten Unterlagen und Dokumente gegen hohe Bezahlung an imperialistische Geheimdienste auszuliefern, um auf diese Weise in den Besitz finanzieller Mittel für ein »Anfangskapital« zu kommen.
Ursprünglich bestand der Fluchtplan darin, im Winter 1970/71 im Gebiet Benneckenstein, [Kreis] Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg, mittels Skier über die vermutlichen Minenfelder nach Westdeutschland fahnenflüchtig zu werden.
Aufgrund einer Auseinandersetzung, die der Vorgesetzte des [Name 2] mit ihm wegen schlechter Erfüllung der funktionellen Pflichten als Nachrichtenzugführer führte, fasste er am 15.9.1970 den Entschluss, sofort fahnenflüchtig zu werden. Er teilte dies in der Mittagspause auch dem [Name 1] mit, der sich auf Drängen des [Name 2] entschloss, bereits zum jetzigen Zeitpunkt mit fahnenflüchtig zu werden.
Die Untersuchungen über weitere Motive, Ursachen und begünstigende Bedingungen werden fortgesetzt mit dem Ziel der umfassenden Aufklärung dieses Vorkommnisses und der Beseitigung der erkannten Mängel und Schwächen.