Vorkommnis Grenzkompanie Oerlsdorf des GR Sonneberg
1. Juni 1970
Information Nr. 560/70 über ein Vorkommnis im westlichen Vorfeld der Grenzkompanie Oerlsdorf des GR Sonneberg, 13. Grenzbrigade Rudolstadt, am 30. Mai 1970
Am 30.5.1970, gegen 16.15 Uhr, stellte die 6-Meter-Kontrollstreife der Grenzkompanie Oerlsdorf fest, dass sich im westlichen Vorfeld während der durch einen westdeutschen Landwirt mit Traktor durchgeführten Feldarbeiten (Grasmahd) eine Explosion ereignete.
Der Tatort liegt ca. 250 m von der Staatsgrenze der DDR und 300 m nordwestlich der westdeutschen Ortschaft Fürth am Berg entfernt.
Im Verlauf der Beobachtungshandlungen der Posten der NVA-Grenztruppen wurden folgende Wahrnehmungen getroffen:
Gegen 16.25 [Uhr] erschienen am Tatort zwei Sankra1 mit Notsignal und in der weiteren Folge ca. 20 Zivilpersonen. Eine Aufnahme von Verletzten konnte aufgrund ungünstiger Geländebedingungen nicht beobachtet werden.
Um 16.30 Uhr fuhren beide Sankra mit Notsignal in Richtung Fürth am Berg zurück. Zur gleichen Zeit wurde der Traktor mit eigener Kraft in Richtung Fürth am Berg zurückgefahren, sodass eine Motorexplosion des Traktors ausgeschlossen werden muss.
Gegen 16.50 Uhr trafen mit einem Kübelwagen je zwei Angehörige des Zollgrenzdienstes und der Bayrischen Grenzpolizei an der Straße Fürth-Mupperg ein und versuchten durch Handzeichengebung mit den eingesetzten Grenzposten Kontakt aufzunehmen.
Da auf diese Versuche nicht reagiert wurde, schossen die ZGD-Angehörigen zweimal mit der Leuchtpistole das Signal ein Stern rot.
Gegen 18.00 Uhr fuhren mit zwei Kübel und vier MTW insgesamt zwölf BGS-Angehörige vor, die auf der Höhe des Tatortes Stellung bezogen.
In der Zeit von 18.30 bis 19.30 Uhr wurden von zwei Angehörigen der Bayrischen Grenzpolizei Blitzlichtfotoaufnahmen vom Tatort und in Richtung der Staatsgrenze getätigt.
Die rege gegnerische Tätigkeit am und in unmittelbarer Nähe des Tatorts setzte sich auch am 31.5.1970 fort. Gegen 7.00 Uhr erschienen vier ZGD-Angehörige und gegen 8.00 Uhr mit einem Jeep vier BGS-Angehörige und eine Zivilperson.
Um 11.40 Uhr fuhr ein mit ca. 40 Personen besetzter Reisebus vor. Die Insassen wurden, Beobachtungen der Grenzposten zufolge, durch zwei in diesem Reisebus mit erschienenen BGS-Angehörige in die Situation an der Staatsgrenze zur DDR eingewiesen. Gegen 13.30 Uhr landeten aus Richtung Coburg kommend am Tatort zwei Hubschrauber des BGS mit sechs BGS-Angehörigen und drei Zivilpersonen. Unter ihnen befand sich der Kommandeur des BGS-Kommandos-Süd, München, Brigadegeneral Grüner.2
Nach durchgeführten Beobachtungshandlungen erfolgte der Rückflug in Richtung Coburg um 13.50 Uhr.
Am 31.5.1970, 12.30 Uhr, lief beim Rat des Kreises Rudolstadt, Bezirk Gera, ein Fernschreiben aus Westdeutschland mit folgendem Text auf:
»An den | Kommandeur der 13. Grenzbrigade | Herrn Oberst Leonhardt3 | Rudolstadt
In den Nachmittagsstunden des 30.5.1970 wurde nord-westlich von Fürth, Kreis Coburg, durch eine vom Gebiet der DDR angeschwemmte Mine ein 37-jähriger Landwirt lebensgefährlich verletzt. Da die Gefahr weiterer Personen- und Sachschäden durch aus Ihrem Abschnitt geschwemmte Minen nicht auszuschließen ist, habe ich durch eigene Grenzsicherungskräfte den Bereich vorläufig sperren lassen. Wegen dieses Vorkommnisses und der fahrlässigen Verlegung von Minen im unmittelbaren Grenzbereich der DDR lege ich weiteren nachdrücklichen Protest ein.
gez. Rudloff4 | Oberst im BGS | BGS-Kommando-Süd | München«
Im Ergebnis der durch die zuständigen Organe des MfS und der NVA-Grenztruppen geführten Überprüfungen wird eingeschätzt, dass es sich bei der erfolgten Explosion mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Detonation einer Mine handelte, die aus den Grenzsicherungsanlagen der DDR herausgespült und auf westdeutsches Territorium geschwemmt wurde.
Die seitens der NVA-Grenztruppen mittels Teleobjektiv getätigten Fotoaufnahmen vom Tatort führten gleichfalls zu dieser Einschätzung.
Zur Situation in diesem Grenzabschnitt ist zu bemerken, dass der Fluss Steinach in der Zeit vom 10. bis 15.4.1970 Hochwasser führte, in dessen Folge es im Abschnitt der Ortschaft Heubisch und Mupperg, Kreis Sonneberg, zu Überschwemmungen kam, durch die das Herausspülen von Minen erfolgt sein kann.
Bereits 1968 und 1969 kam es im gleichen Abschnitt zu Überschwemmungen durch die Hochwasser führende Steinach, wobei mehrere Minen aus den Grenzsicherungsanlagen herausgespült und auf DDR- wie auch auf westdeutschem Territorium angeschwemmt wurden.
Ende 1969 wurden die auf dem Territorium der DDR erfolgten Flussbettregulierungsarbeiten der Steinach bis zum Grenzverlauf abgeschlossen.
Diese zur Beseitigung der Überschwemmungsgefahr notwendigen Maßnahmen wurden von westdeutscher Seite im Abschnitt Fürth, wo die Steinach auf westdeutsches Territorium übertritt, nicht fortgeführt. Dadurch ist eine Verengung des Flussbettes der Steinach ab Grenzlinie vorhanden, durch welche Überschwemmungen begünstigt werden.
Seitens der zuständigen Organe des MfS und der NVA-Grenztruppen werden die erforderlichen Maßnahmen zur verstärkten Absicherung des gefährdeten Grenzabschnittes getroffen.