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Vorkommnis in der 4. Kompanie des Grenzausbildungs-Regiment Glöwen

11. November 1970
Information Nr. 1172/70 über ein Vorkommnis in der 4. Kompanie des GAR-5 (Grenz-Ausbildungsregiment) Glöwen der 5. Grenzbrigade Kalbe (Milde), [Bezirk] Magdeburg, am 23. Oktober 1970

Am 23.10.1970, in der Zeit von 18.00 bis gegen 20.30 Uhr, wurde der Soldat [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1951, wohnhaft Schenkendorf, [Kreis] Königs Wusterhausen, [Straße, Nr.], NVA seit 3.5.1970, Mitglied der FDJ, durch die NVA Angehörigen der gleichen Einheit, Soldat [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1951, wohnhaft Zeuthen, [Straße, Nr.], NVA seit 2.5.1970, Mitglied der FDJ, Soldat [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1951, wohnhaft Staffelde, [Straße, Nr.], NVA seit 3.5.1970, Mitglied der FDJ, Soldat [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1951, wohnhaft Wildau, [Straße, Nr.], NVA seit 3.5.1970, Mitglied der FDJ, Soldat [Name 5, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1951, wohnhaft Merz, Kreis Beeskow, NVA seit 3.5.1970, Mitglied der FDJ, Soldat [Name 6, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1951, wohnhaft 102 Berlin, [Straße, Nr.], NVA seit 4.5.1970, Mitglied der FDJ, in der Unterkunft mehrfach körperlich schwer misshandelt. Das Vorgehen der genannten NVA-Angehörigen gegen den Soldaten [Name 1, Vorname] war dabei derart brutal und gesellschaftsgefährlich, sodass gegen sie ein Ermittlungsverfahren mit Haft wegen Verbrechen nach § 102 Absatz 1 StGB – Terror –1 eingeleitet wurde.

Die durch das MfS bisher durchgeführten Untersuchungen ergaben:

Die sich in Haft befindlichen NVA-Angehörigen wurden mit dem Soldaten [Name 1, Vorname] bei der Einberufung zur Ableistung des Grundwehrdienstes und des zu diesem Zweck gemeinsamen Einsatzes in der 4. Kompanie des GAR-5 bekannt.

[Name 1, Vorname] war vor Aufnahme des Grundwehrdienstes freiwilliger Helfer der Deutschen Volkspolizei. Sein Vater ist Offizier der DVP. Dieser Fakt war den inhaftierten NVA-Angehörigen bekannt.

Bei einer Aussprache seitens des Kompaniechefs der 4. Kompanie mit dem Soldaten [Name 7] am 22.10.1970 (gehört nicht zur Gruppe der Inhaftierten), wurde diesem erklärt, dass er wegen laufender Verstöße gegen die Disziplin und Ordnung nach beendeter Ausbildung nicht in eine Linieneinheit an der Staatsgrenze West, sondern in eine andere Diensteinheit versetzt wird.

Darüber informierte der [Name 7] anschließend in der Unterkunft den [Name 6], [Name 2], [Name 3], [Name 4] und [Name 5] mit dem Bemerken, dass sein disziplinwidriges Verhalten dem Kompaniechef nur durch eine entsprechende Meldung seitens eines Soldaten bekannt geworden sein könne.

Ohne dafür eine stichhaltige Begründung zu haben, sprach der inhaftierte [Name 6] den Verdacht aus, dass nur der Soldat [Name 1, Vorname] aufgrund der Stellung seines Vaters und seiner eigenen früheren Tätigkeit als VP-Helfer mit dem MfS zusammenarbeiten und der Informant an die Vorgesetzten sein könne. Die anderen Inhaftierten, wie [Name 2], [Name 3], [Name 4] und [Name 5] seien danach ebenfalls übereinstimmend zu der Auffassung gelangt, dass der Soldat [Name 1, Vorname] über Disziplinarvergehen des [Name 7] an die Vorgesetzten Meldung erstattet habe.

Um [Name 1, Vorname] wegen eines solchen angenommenen Verhaltens – [Name 1] hat weder über Vorkommnisse an Vorgesetzte berichtet noch hat er Kontakt zum MfS – »einen Denkzettel zu verpassen«, beschlossen sie in einer am Nachmittag des 23.10.1970 stattgefundenen Zusammenkunft, gegen [Name 1, Vorname] gewalttätig vorzugehen.

Danach sollte [Name 1] mit brennenden Zigaretten, glühenden Kohlen oder Eisenstangen bzw. durch Heraushängen aus dem Fenster mit dem Kopf nach unten, unter Verwendung eines Tragegestells vom Sturmgepäck, misshandelt werden. Die Inhaftierten nahmen für ihre Verdächtigungen des [Name 1] und für die geplanten Misshandlungen zusätzlich noch folgenden Fakt zum Anlass:

[Name 1, Vorname] erhielt am 22.10.1970 durch den inhaftierten [Name 5] davon Kenntnis, dass er am 24.10.1970 nach Beendigung der Ausbildung in eine Linieneinheit an der Staatsgrenze West versetzt werden soll. Um sich Gewissheit darüber zu verschaffen, – [Name 1] lag zu diesem Zeitpunkt im medizinischen Punkt des GAR-5 – suchte er am 23.10.1970, gegen 18.00 Uhr, den Hauptfeldwebel der 4. Kompanie auf, um darüber eine authentische Auskunft zu erhalten. Dieser bestätigte auch die von [Name 5] an den Soldaten [Name 1, Vorname] gegebene Information.

Der Hauptfeldwebel nahm diesen Fakt anschließend zum Anlass einer Auseinandersetzung mit dem inhaftierten [Name 5]. [Name 5] und die anderen inhaftierten NVA-Angehörigen fühlten sich dadurch in ihrer Auffassung gegenüber dem Soldaten [Name 1, Vorname] bestärkt, dass dieser Vorgesetzten Meldungen erstatten würde.

[Name 5] stellte unmittelbar nach dieser Auseinandersetzung beim Hauptfeldwebel der 4. Kompanie den [Name 1, Vorname] zur Rede, wobei er ihn an der Uniform erfasste und Gründe über angebliche Meldung bei den Vorgesetzten wissen wollte.

Der dazu hinzukommende inhaftierte [Name 4] forderte den [Name 5] zu Gewalttätigkeiten gegenüber dem [Name 1] mit dem Bemerken »das Schwein zusammenzuschlagen« auf.

[Name 1, Vorname] riss sich los und begab sich zu seinem auf dem Flur der Unterkunft stehenden Spind, um in Vorbereitung der Versetzung seine Sachen zu packen.

Gegen 18.30 Uhr betrat [Name 1, Vorname] die Unterkunft, um dem inhaftierten [Name 2] auf dessen Bitte hin eine Schnur zur Verschnürung eines Paketes zu übergeben. Dabei wurde er durch die bereits rechts bzw. links an der Tür stehenden inhaftierten [Name 3] und [Name 5] an den Armen ergriffen, in die Mitte der Unterkunft gezerrt und dort unter Mitwirken der inhaftierten [Name 4] und [Name 2] rücklings zu Boden geworfen.

Indes [Name 2] und [Name 3] die Füße, [Name 5] und [Name 4] die Arme des am Boden liegenden [Name 1, Vorname] festhielten, war diesem jede Möglichkeit der Gegenwehr genommen. In Ausnutzung dieser Lage verlangten die Genannten von [Name 1, Vorname] Angaben über an Vorgesetzte gemachte Meldungen. Obwohl [Name 1, Vorname] wiederholt das ungerechtfertigte Ansinnen der inhaftierten NVA-Angehörigen zurückwies, wurde er von [Name 4] mehrere Male mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. (Zur Erhöhung der Schlagwirkung hatte sich dieser vorher Lederhandschuhe angelegt.)

Anschließend stellte der [Name 5] über den wehrlosen [Name 1, Vorname] einen Hocker, während [Name 3] und [Name 2] zur Erzielung einer »entsprechenden Aussagebereitschaft« derart seine Beine verdrehten, dass dieser vor Schmerzen aufschrie.

Nachdem die inhaftierten NVA-Angehörigen gegen 19.00 Uhr zunächst von weiteren Misshandlungen des [Name 1, Vorname] abließen – die Kompanie wurde zu einer Ausbildungsmaßnahme befohlen, die bis gegen 20.00 Uhr andauerte – erkundigte der sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Erscheinung getretene [Name 6] bei den inhaftierten NVA-Angehörigen, ob sie sich den [Name 1] bereits »vorgenommen« hätten. Die Betreffenden verneinten das.

Kurze Zeit danach wurde der [Name 1, Vorname], der sich auf dem Flur zur Unterkunft befand, von den inhaftierten [Name 2] und [Name 3] erneut angepackt, in die Unterkunft geschleift, vor sein Bett gestellt und durch den [Name 6] über Gründe der angeblichen Meldungen an Vorgesetzte befragt. Dabei warf der inhaftierte [Name 2] dem [Name 1, Vorname] eine aus derber Schnur gefertigte Schlinge um den Hals, zog diese leicht zu und band sie an der oberen Schlafgelegenheit eines Doppelstockbettes fest.

Da [Name 1, Vorname] auch in dieser Situation keine den inhaftierten NVA-Angehörigen genehme Antwort gab, löste [Name 2] die am oberen Bett befestigte Schnur und zog diese fester zu, welches zu Atembeschwerden, zur Bewusstlosigkeit und zum Zusammenbrechen des Name 1, Vorname] führte.

[Name 2] öffnete daraufhin die Schlinge und beschmierte das Gesicht des [Name 1, Vorname], nachdem dieser zu Bewusstsein gekommen war, mit schwarzer Schuhcreme.

Die bisherigen Untersuchungen zur Motivationsproblemen ergaben, dass die inhaftierten NVA-Angehörigen dem Soldaten [Name 1, Vorname] wegen seiner früheren Tätigkeit als VP-Helfer und der daraus geschlussfolgerten Zusammenarbeit mit dem MfS einen »Denkzettel verpassen« wollten, da sie der Auffassung waren, dass er ständig die Vorgesetzten über bestimmte Disziplinlosigkeiten u. a. Vorkommnisse informiert.

Die Untersuchungen werden fortgesetzt mit dem Ziel, alle objektiven und subjektiven Momente dieser verbrecherischen Handlungsweisen aufzuklären, für die Tat begünstigende Bedingungen zu erkennen und Maßnahmen zu ihrer Beseitigung und damit zur politischen und militärischen Festigung der Kollektive des GAR-5 einzuleiten.

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    16. November 1970
    Information Nr. 1183/70 über einen Verkehrsunfall am 7. November 1970 auf der Autobahn Berlin – Dresden, bei dem der stellvertretende Justizminister der SFRJ verletzt wurde

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    5. November 1970
    Information Nr. 1164/70 über einen vom Fahrer eines Pkw der Botschaft der VR China in der DDR am 2. November 1970 schuldhaft verursachten Verkehrsunfall