Widerrechtliche Amtshandlungen der Westberliner Polizei
4. August 1970
Information Nr. 784/70 über widerrechtliche Amtshandlungen der Westberliner Polizei auf dem Territorium der Deutschen Reichsbahn in Westberlin
Seit Mitte Juli 1970 haben Westberliner Polizeikräfte im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen gegen das organisierte Verbrechertum in Westberlin in bisher zwei schwerwiegenden Fällen (16.7. und 30.7.[1970]) widerrechtliche Amtshandlungen auf dem Territorium der Deutschen Reichsbahn in Westberlin/Bahnhof Zoologischer Garten unternommen.1
Sie besetzten mit umfangreichen Polizeikräften – bis zu 350 Angehörige der Westberliner Bereitschaftspolizei, der Schutzpolizei, der Kriminalpolizei und Angestellten der Ausländerbehörde in Westberlin – sämtliche Ausgänge des Bahnhofs Zoologischer Garten und kontrollierten alle innerhalb der Bahnhofshallen sich aufhaltenden Personen.
Obwohl bei diesen Aktionen die Bahnsteige und anderes Betriebsgelände nicht mit besetzt wurde, trat eine wesentliche Beeinträchtigung und Störung des Betriebsablaufes und im Personenverkehr des Bahnhofes Zoo ein.
Die Führungskräfte der Westberliner Polizei waren in diesem Zusammenhang bestrebt, die für das Gelände der DDR in Westberlin zuständigen staatlichen Organe der DDR, vor allem das Ministerium für Verkehrswesen der DDR, nicht zu informieren bzw. zu umgehen.
Sie haben damit erneut einen Anlass geschaffen und ausgenutzt, eine »Zuständigkeit der Westberliner Polizei« für die Sicherung auch das Reichsbahngeländes, das zum Hoheitsgebiet der DDR gehört, vor der gesamten Öffentlichkeitsarbeit zu demonstrieren.
Am 14.7.1970 erschien z. B. der Reviervorsteher vom Polizeirevier 131, Sähn,2 im Bahnhofsbüro des Bahnhofes Zoo und beabsichtigte mit dem Dienstvorsteher Einzelheiten der bevorstehenden Razzien abzusprechen. Hinweise der Mitarbeiter der Bahnpolizei, der Innensenator von Westberlin solle sich in dieser Angelegenheit an das zuständige Ministerium für Verkehrswesen wenden, wurden vom Reviervorsteher Sähn abgelehnt. Er begründete diese Ablehnung damit, dass diese Razzien ohne Wissen des Innensenators durchgeführt werden und derartige Razzien in eigener Zuständigkeit der betreffenden Polizeiinspektionen durchgeführt werden.
Für die ordnungsgemäße Durchführung der Razzien in den Hallen des Bahnhofes Zoo wäre er selbst verantwortlich.
Das Verhalten des Reviervorstehers des Polizeireviers 131 Berlin-Charlottenburg macht deutlich, dass durch das Vorschieben der Verantwortlichkeit auf die unterste Ebene der Versuch unternommen wird, jede Kontaktaufnahme zwischen den zuständigen staatlichen Organen in Westberlin und der DDR zu umgehen und damit die Nichtanerkennungstheorie ein weiteres Mal vor der Öffentlichkeit zu dokumentieren.
Während der Razzien kam es im Einzelnen zu folgenden widerrechtlichen Amtshandlungen:
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Der Bahnhof Zoo wurde umstellt, sämtliche Zugänge zum Bahnhof wurden besetzt.
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In den Bahnhofshallen wurden mittels Sperrketten einzelne Abschnitte gebildet.
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Kontrollgruppen, bestehend aus Kriminalpolizisten, Schutzpolizisten und Dolmetschern, kontrollierten die im jeweiligen Abschnitt befindlichen Personen.
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Die Kriminalisten arbeiteten mit Fahndungsbüchern, Fahndungsblättern und Hausverbotslisten.
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Einzelne Bereitschaftspolizisten arbeiteten mit Funkgeräten.
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Mit einem Polizei-Autobus wurden Reporter und Fotografen angefahren. Einer Aufnahmegruppe des SFB wurde die Möglichkeit gegeben, Reportagen und Aufnahmen zu machen.
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Personen in der Post, den Kaffeestuben und der Imbisshalle sowie Personen in Toiletten wurden sehr ausführlich überprüft.
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Eine Vielzahl der überprüften Personen wurde zeitweilig festgenommen und zum Präsidium der Westberliner Polizei Friesenstraßeabtransportiert.
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Während der Razzien war es Reisenden zeitweilig nicht möglich, Fahrscheine zu kaufen bzw. Handgepäck aufzugeben.
Die Bahnpolizei der DDR beteiligte sich nicht an den Aktionen, sondern führte nur eine beobachtende Tätigkeit durch.
Der Dienstvorsteher bzw. die Schichtleiter des Bahnhofes Zoo protestierten sofort gegen den widerrechtlichen Einsatz und forderten, den Reiseverkehr nicht zu behindern.
Es muss angenommen werden – solche Hinweise sind auch Westberliner Zeitungen zu entnehmen3 – dass in nächster Zeit weitere derartige widerrechtliche Razzien erfolgen und damit die Missachtung der Hoheitsrechte der DDR zur ständigen Praxis würde.
In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass am 1.8.1970 ein Rundfunkreporter des SFB versuchte, ohne Genehmigung der zuständigen staatlichen Organe der DDR und ohne sich auszuweisen, in der Fernhalle des Bahnhofes Zoo eine Reportage zu sprechen.
Zu diesem Zweck sprach er eine Streife der Bahnpolizei an und wollte zunächst Auskünfte über »Absprachen zwischen der Bahnpolizei und Westberliner Polizeidienststellen« erhalten.
Dem Reporter, der nach eigenen Angaben bereits bei der Großrazzia am 16.7.1970 im Bahnhof Zoo anwesend war, wurde eine derartige Tätigkeit untersagt, worauf er das Bahnhofsgebiet verließ.