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Zusammenkunft ehemaliger Bausoldaten in Berlin

10. Dezember 1970
Information Nr. 1311/70 über eine Zusammenkunft von ehemaligen Bausoldaten am 7. und 8. November 1970 in der Hauptstadt der DDR

Dem MfS wurde bekannt, dass am 7. und 8.11.1970 in der Hauptstadt der DDR im Gemeindesaal der Bartholomäusgemeinde (Baracke neben dem Haus der »Berliner Mission« in der Georgenkirchstraße 70) eine Zusammenkunft ehemaliger Bausoldaten1 stattfand.

Initiator dieser Zusammenkunft war der ehemalige Bausoldat Knieß, Werner,2 geboren [Tag, Monat] 1943 in Wursow, wohnhaft 117 Berlin, [Straße, Nr.], der dabei von Vikar Berger3 unterstützt wurde.

Knieß ist seit längerer Zeit mit Vikar Christfried Berger, Kreis Oranienburg, bekannt. Berger, der früher selbst Bausoldat war, wird intern in Kirchenkreisen als Beauftragter für die kirchliche Tätigkeit unter Bausoldaten für das Kirchengebiet Oberspree der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg bezeichnet.

Mit Unterstützung von Berger fertigte Knieß in Bergers Wohnung ca. 100 Einladungen an ehemalige und noch im Dienst befindliche Bausoldaten für die Zusammenkunft am 7./8.11.1970. Zehn dieser Einladungen verschickte Pfarrer Berger an ihm bekannte ehemalige Bausoldaten, und ca. 90 Einladungen ließ Knieß über die evangelischen Pfarrämter in den Orten, in denen Bausoldaten stationiert sind, an Bausoldaten weiterleiten.

Im Zusammenhang mit der Arbeit der evangelischen Kirche in der DDR unter Bausoldaten wird auf folgende Entwicklung hingewiesen:

Am 4.2.1964 konstituierte sich während einer streng vertraulichen Sitzung leitender kirchlicher Personen ein sogenannter Arbeitskreis für Militärseelsorge für das Gebiet der DDR. Hauptinitiatoren waren

  • Oberkirchenrat Ringhandt,4 Berlin,

  • Vikar Christfried Berger, Kreis Oranienburg,

  • Propst Fleischhack,5 Magdeburg,

  • Pfarrer Schicketanz,6 Magdeburg,

  • Konsistorialrat Preisler,7 Magdeburg,

  • Prof. Dr. theol. Reinhold Pietz,8 Berlin,

  • Konsistorialrat Stolpe,9 Berlin.

Unter Leitung von Bischof Krummacher,10 Greifswald, wurde von

  • Oberkirchenrat Ringhandt,

  • Oberkirchenrat Stolpe,

  • Propst Fleischhack,

  • Vikar Berger, Oranienburg

eine Handreichung für Seelsorge an Wehrpflichtigen »Zum Friedensdienst der Kirche«11 ausgearbeitet, die im November 1965 in allen evangelischen Landeskirchen im Gebiet der DDR verbreitet wurde.

In den folgenden Jahren traten außerdem als aktive Verfechter der Wehrdienstverweigerung im Rahmen leitender Gremien der evangelischen Kirche in Erscheinung:

  • Oberkirchenrat Behm,12 Landeskirche Berlin-Brandenburg,

  • Oberkonsistorialrat13 Dr. Weber,14 Greifswald,

  • Pfarrer Günther Hein,15 Berlin/Leiter des Jungmännerwerkes.

Aus den dem MfS vorliegenden internen Materialien geht hervor, dass sich die Tätigkeit dieser Personen und anderer leitender Kirchenvertreter darauf richtet, an den Stationierungsorten von NVA-Einheiten verantwortliche Mitarbeiter der kirchlichen Jugendeinrichtungen für die »Betreuung« der Armeeangehörigen einzusetzen. In den vergangenen Jahren wurden auch eine Reihe von Pfarrern und Jugendpfarrern gewonnen, die diese Arbeit leisten. Sie nehmen die »Betreuung« besonders wahr durch

  • Organisierung von Zusammenkünften mit NVA-Angehörigen und Bausoldaten (Gottesdienste, Rüstzeiten, Wochenendseminare, Jugendstunden),

  • Propagierung der Gottesdienste,

  • Verbreitung der von der evangelischen Kirche 1965 veröffentlichten »Handreichung für Seelsorge an Wehrpflichtigen«.

Bei ihrer Tätigkeit stützen sich die Pfarrer und Jungpfarrer auf besonders stark kirchlich gebundene Bausoldaten, die als aktive Verfechter des Wehrersatzdienstes bzw. der Wehrdienstverweigerung bekannt sind.

Die Zusammenkunft von Bausoldaten am 7./8.11.1970 fand unter der Bezeichnung »Arbeitskreis für Friedensarbeit in der DDR« statt und behandelte die Probleme

  • Persönliches Engagement,

  • Soziales Engagement,

  • Ökumenisches Engagement.

Von den ca. 100 eingeladenen Personen waren ca. 40 Teilnehmer erschienen.

Vom Initiator Knieß waren außerdem eingeladen:

  • ein Vertreter des ZK der SED,

  • ein Vertreter der CDU,

  • ein Vertreter der Christlichen Friedenskonferenz,16

  • ein Vertreter des Instituts für Internationale Beziehungen,

  • der Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Oberkonsistorialrat Stolpe,

  • Pastorin Grengel,17 Leiterin des Referates Friedensforschung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und Mitglied der Jugendkommission der Christlichen Friedenskonferenz.

Von diesen eingeladenen Personen war lediglich die Pastorin Grengel erschienen. Oberkonsistorialrat Stolpe entschuldigte sich mit der Begründung, dass es ausreiche, wenn ein Vertreter des Bundes anwesend sei. Ein Sekretär von Gerald Götting18 habe das Nichterscheinen eines Vertreters der CDU mit den Worten begründet, jede Tätigkeit in der DDR sei Friedensdienst, egal was.

(Soweit dem MfS intern bekannt wurde, soll bereits im September 1970 durch Bausoldaten Verbindung zum Sekretär des Friedensrates der DDR, Walter Bredendieck,19 und zum Mitglied des Hauptvorstandes der CDU, Carl Ordnung,20 hergestellt worden sein. Besonders Pfarrer Heiko Lietz,21 Güstrow, Mitglied der Jugendkommission der christlichen Friedenskonferenz, habe sich dafür eingesetzt, Carl Ordnung als Referenten für die Zusammenkunft der Bausoldaten zu gewinnen. Ordnung habe jedoch trotz anfänglicher Zustimmung abgesagt.)

Als Grund für die Durchführung eines Treffens der Bausoldaten wurde von verschiedenen Teilnehmern in individuellen Gesprächen angegeben, es sollte Klarheit darüber geschaffen werden, wie sich die Bausoldaten nach 18monatiger Dienstzeit nach der Entlassung gesellschaftlich engagieren können, da sie während ihrer Dienstzeit auf diese Frage keine Antwort bekommen hätten.

Knieß vertrat anderen Personen gegenüber die Meinung, die Zusammenkunft müsse durchgeführt werden, um sogenannte christliche Motive für eine geplante Friedenstätigkeit zu besitzen.

Im Zusammenhang mit den Motiven für die Durchführung der Zusammenkunft führte Knieß weiterhin aus:

  • In der NVA und in den Bau-Bataillonen in der DDR müsste eine Militärseelsorge ähnlich der in Westdeutschland durchgeführt werden. Das Nichterlauben von Militärseelsorge in der DDR sei »inhuman«.

  • Aktive Friedensarbeit sei in den in der DDR vorhandenen Friedensorganisationen – wie Friedensrat, Nationale Front22 – nicht möglich, da es sich dort um »tote Organisationen« handele.

  • Mit Offizieren der NVA und der Bau-Bataillone könne man über Friedensanliegen nicht diskutieren.

Während der Zusammenkunft traten als Wortführer besonders auf:

  • Werner Knieß, ehemaliger Bausoldat aus Sassnitz,

  • Norbert Jung,23 ehemaliger Bausoldat aus Sassnitz,

  • Ludwig Hoffmann,24 ehemaliger Bausoldat aus Torgelow,

  • [Vorname Name 1], ehemaliger Bausoldat aus Torgelow.

Knieß erklärte zu Beginn der Tagung einleitend u. a.:

Da sich unter den Bausoldaten ausschließlich christliche Bürger der DDR befanden, müsse innerhalb der Kirche eine »ideologische Aktionseinheit« gebildet werden.

In Bezug auf den zu leistenden Friedensdienst bestünden zwei Grundsätze:

  • 1.

    Mit einem zivilen Ersatzdienst, wie dies in Westdeutschland erfolge, sei noch kein Friedensdienst getan.

  • 2.

    Ein bewusster Bausoldat könne unmittelbaren Friedensdienst leisten durch sein offenes Auftreten als Christ.

Im zwischenmenschlichen Bereich müsse Frieden geschaffen werden. Obwohl die Bibel sich dagegen wende, sei der Aggressionstrieb eine natürliche Veranlagung des Menschen. Die Verhaltensforscher würden aufzeigen, wie der Mensch den Aggressionstrieb abbauen könne. Jeder Mensch müsse sich stets die Frage stellen, ob er zu dem anderen Vertrauen habe und in jedem Fall die Wahrheit sagen könne.

Um Frieden im Staat zu haben, müsse eine »soziale Harmonie« vorhanden sein. Jeder sollte den Mut haben, zu gesellschaftlichen Problemen Stellung zu nehmen, auch zur Politik der DDR. In der Endkonsequenz müsse der Hass abgebaut werden.

Man müsse weiter Mut zur Kritik an der Regierung der DDR haben, da häufig die »Volksmeinung« keine Beachtung fände, insbesondere zu Problemen des Friedens zwischen beiden deutschen Staaten.

Im Dienst des Friedens könne man weder gerechte noch ungerechte Kriege befürworten, da die moderne Waffentechnik jedes Land in die Lage versetze, eine Aggression heraufzubeschwören.

Konflikte dürfen nicht mit Waffengewalt gelöst werden, sondern nur durch Verhandlungen. Allerdings gäbe es auch Konflikte, die nicht durch Verhandlungen gelöst werden können, wie Vietnam.

Knieß gab bekannt, dass er von Vertretern staatlicher Organe aufgesucht worden sei, wobei Bedenken gegen die Durchführung dieser Tagung geäußert wurden. Es sei von staatlicher Stelle beanstandet worden, dass die Tagung nicht angemeldet wurde.

Die Pastorin Grengel setzte sich mit dem Begriff Friedensforschung auseinander und erklärte, dass man die westlichen Interpretationen dieses Begriffes sehr kritisch aufnehmen müsste. Nach ihrer Meinung ginge es bei diesem Problem überhaupt nicht um Forschung, sondern um praktische Friedensarbeit. Dabei sei die Zusammenarbeit zwischen Christen und Marxisten unerlässlich.

Der Frieden sein unmittelbarer Bestandteil des Marxismus. Ausdruck der Friedensinitiative sei die Christliche Friedenskonferenz, in der sie sich fest engagiert habe.

Über die Aufgaben des Referates Friedensforschung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR machte die Pastorin Grengel folgende Ausführungen:

  • Die Grundlage für dieses Referat sei von Bischof Jänicke,25 Magdeburg, gelegt worden, indem er Gespräche mit den ersten Bausoldaten organisierte. Diese kirchliche »Friedensforschung« sei vom Bund übernommen worden. Zurzeit gäbe es in diesem Referat 1½ hauptamtliche Mitarbeiter.

  • (Von Teilnehmern wurde die Meinung vertreten, dass die Planstelle der Pastorin Grengel besser von einem ehemaligen Bausoldaten besetzt werden sollte, da dieser über größere Fachkenntnisse verfüge).

  • Das Referat Friedensforschung befinde sich noch im Aufbau. Hauptaufgabe sei jetzt, eine umfassende Dokumentation aufzubauen in Form von Sichtlochkarten, auf denen alle Bausoldaten namentlich erfasst werden.

  • Um diese Dokumentation so umfassend wie nur möglich zu gestalten, würden in der Hauptsache folgende Zeitungen durchgearbeitet werden:

    • »Militärtechnik«,

    • »Strategie«,

    • »Militärwesen und Technik«.

  • Das Referat Friedensforschung beim Bund müsse diese Dokumentation aufbauen, da eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Gesellschaftswissenschaften und mit dem Institut für internationale Beziehungen nicht möglich sei.

  • Bei jeder Landeskirche solle ein entsprechender Arbeitskreis gebildet werden, in dem die Bausoldaten mitarbeiten können. Dazu wurde ein Konto eingerichtet, auf das auch Einzahlungen von Sympathisierenden, die noch zu gewinnen wären, erfolgen. Man sei allerding noch nicht im Klaren darüber, ob das Konto für das Referat Friedensforschung eingerichtet wird oder unter einer privaten Anschrift.

  • Die genannte Dokumentation solle später publiziert werden durch Referate auf Tagungen und Pfarrkonventen, durch direkte Arbeit mit den Gemeindegruppen, in kirchlichen Hochschulen und Seminaren und solle fester Bestandteil der Pfarrerweiterbildung werden.

Im weiteren Verlauf der Zusammenkunft wurde über die Zweckmäßigkeit der Schaffung einer eigenen Organisation für Bausoldaten diskutiert.

In der Diskussion dazu kam es zu folgenden Vorschlägen:

  • 1.

    Man solle sich »privat« in anderen Organisationen als Gruppe treffen und brieflich in Kontakt bleiben. (Der Vorschlag wurde abgelehnt.)

  • 2.

    Es solle eine eigene Bausoldatenorganisation in der DDR aufgebaut werden.

    (Erläutert wurde, in welchen Territorien der DDR bereits Bausoldaten organisatorisch zusammengefasst werden, und zwar

    • im Bezirk Dresden unter Leitung von Rudolf Albrecht,26 Ziegenhain 2/Pfarrhaus. Diese Bausoldatengruppe existiert als Arbeitskreis »Erziehung zum Frieden«

    • im Bezirk Halle unter Leitung von Hartmut Flach,27 Eisdorf b. Halle/Pfarrhaus;

    • im Bezirk Leipzig unter Leitung von Kurt Kobe,28 Leipzig, [Straße, Nr.].)

    Der Vorschlag zur Schaffung einer eigenen Bausoldatenorganisation in der DDR wurde abgelehnt, da man sonst »im eigenen Saft schmoren« würde.

  • 3.

    Es solle in einer bereits bestehenden Organisation in der DDR mitgearbeitet werden, um offiziell als Bausoldat wirken zu können. Dies solle kein »Traditionsverband« werden; sie wollen für den Frieden arbeiten, weil sie sich als Bausoldaten bereits für den Frieden entschieden hätten.

Knieß unterbreitete den Vorschlag, sich in der Jugendkommission der Christlichen Friedenskonferenz zu organisieren. Dieser Vorschlag wurde angenommen.

Das Mitglied der Jugendkommission der Christlichen Friedenskonferenz, Wolf Dietrich Gutsch29/Berlin, der telefonisch zur Tagung gebeten wurde und während eine Konferenzpause auch erschien, erklärte in einer persönlichen Absprache mit Knieß und Jung, die Jugendkommission der Christlichen Friedenskonferenz werde für die Bausoldaten offen gehalten. Da die Gesamtzahl jedoch sehr hoch sei, sollten sich die Bausoldaten in Regionalkreise zusammenschließen, und Vertreter der Regionalkreise sollen in der Jugendkommission der Christlichen Friedenskonferenz mitarbeiten. Zur nächsten Zusammenkunft der Jugendkommission der Christlichen Friedenskonferenz hat Gutsch drei Bausoldaten eingeladen. Bisher wurden Knieß und Jung benannt.

Von den zur Tagung anwesenden Bausoldaten aus Berlin wurde ein Regionalkreis gebildet, der zunächst acht Personen umfasst.

Pfarrer Hein berichtete in der Diskussion ausführlich vom »Beispiel« des Bausoldaten [Name 2], der wegen Wehrdienstverweigerung in der DDR inhaftiert und auf Wunsch vom damaligen Landessuperintendenten Mitzenheim30 vorzeitig aus der Haft entlassen worden sei. [Name 2] sei jedoch nach Westdeutschland geschickt worden, und man ließe ihn nicht zurück in die DDR zurückkehren. Die Ehefrau des [Name 2] erhalte nicht die Genehmigung zur Ausreise in die Bundesrepublik.

Nach Abschluss der Diskussion wurde von den Teilnehmern der Zusammenkunft ein »Bericht über das Arbeitstreffen zur Förderung von Möglichkeiten für den Friedensdienst in der DDR« erarbeitet. Da keine Einigung über die endgültige Abfassung erzielt werden konnte, wurde vereinbart, den Bericht nach Abschluss der Tagung auszuformulieren.

Der Berichtsentwurf beinhaltet folgende Fragen:

  • 1.

    Warum wurde die Tagung durchgeführt?

    Die Bausoldaten wollen nach ihrer abgeleisteten Soldatenzeit ihren bisher gegangenen Weg überprüfen.

  • 2.

    Zeit und Ort der Tagung

  • 3.

    Wer war eingeladen, wer war gekommen?

    Es wurde die Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass von den eingeladenen Personen nur die Pastorin Grengel vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR erschienen war.

  • 4.

    Womit hat man sich beschäftigt?

    Es wurde diskutiert über die Möglichkeiten des Friedensdienstes in der DDR.

  • 5.

    Zielstellung:

    Es soll eine effektive Zusammenarbeit zwischen den Bausoldaten erforscht werden. Dabei spielen folgende Probleme eine Rolle:

    • zwischenmenschlicher Friede,

    • sozialer Friede,

    • internationaler Friede.

    Jeder einzelne habe die Möglichkeit, seine Kinder zum Frieden zu erziehen, im Gegensatz zum Staat, der »militaristisch« erziehe.

    Sie seien nicht Anhänger des Pazifismus. Ein Christ könne durchaus zur Waffe greifen, wenn er gegen Unrecht auftreten müsse.

    Es gelte, den Hass unter den Menschen abzubauen. Dazu gäbe es Beispiele wie

    • polnische »Gastarbeiter« in den Grenzgebieten an der Oder würden von der DDR-Bevölkerung schlecht behandelt werden;

    • ein Bademeister in der Berliner Friedrichstraße habe zwei Negern den Eintritt in das Bad verwehrt mit der Begründung, dass sie das Bad beschmutzen würden.

  • 6.

    Gedanken zu tagespolitischen Fragen:

    Der Vertrag zwischen Westdeutschland und der Sowjetunion31 sei optimistisch zu beurteilen. Der Vertrag sei Beweis dafür, dass man mit Verhandlungen weiterkommen könne.

    Mit der Haltung der israelischen Regierung zum UNO-Beschluss32 seien die Bausoldaten nicht einverstanden, weil Israel keine Einigung zustandekommen lasse.

    Sie wenden sich weiter gegen den Anschlag auf das sowjetische Ehrenmahl in Westberlin.33

Es wurde keine Einigung darüber erreicht, wer diesen Bericht unterschreibt. Der Vorschlag von Pfarrer Lietz, mit »Anhänger der Jugendarbeit in der Christlichen Friedenskonferenz« zu unterzeichnen, wurde abgelehnt mit der Begründung, dass in diesem Gremium nur zwei bis drei Personen als junge Christen mitarbeiten können.

Ein weiterer Vorschlag zur Unterzeichnung als »Glieder des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR« wurde von der Pastorin Grengel abgelehnt. Sie erklärte, dass sie persönlich Wert darauf lege, nicht namentlich genannt zu werden.

Knieß erklärte sich daraufhin bereit, bei Versand des Berichtes an die Teilnehmer des Treffens bzw. an »interessierte Personen« die Briefumschläge mit seinem Absender zu versehen, wobei er äußerte, ihm wäre bewusst, dass er damit ein Risiko eingehe.

Zum Abschluss der Zusammenkunft wurde erklärt, ein weiteres Treffen der Bausoldaten finde statt, sobald sich Carl Ordnung bereitfände, einen Vortrag über christlichen Friedensdienst in der DDR zu halten.

Dem MfS wurde intern bekannt, dass Werner Knieß unter seinem Absender einige Tage nach der Zusammenkunft an verschiedene Personen einen »Bericht« über die »Arbeitstagung« der Bausoldaten durch die Post verschickte (besonders an Persönlichkeiten, die einer Einladung zur Teilnahme am Treffen nicht Folge leisteten, an Kirchenpersönlichkeiten und Teilnehmer des Treffens). Dieser Bericht – dabei handelt es sich um den überarbeiteten Entwurf des Berichtes der Arbeitstagung – wird als Anlage beigefügt.

Das Bestreben ehemaliger Bausoldaten, sich nach ihrer Entlassung möglichst frei zu organisieren und untereinander in Verbindung zu bleiben, zeigte sich in jüngster Vergangenheit auch an folgenden Erscheinungen:

Aus dem Bau-Pionier-Bataillon 7 Stralsund wurde am 31.3.1970 ein Gesuch um Wehrdienstverlängerung an den Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Hoffmann,34 gerichtet mit der Begründung, »ihr zukünftiges gesellschaftliches Engagement« sei bei ihnen noch nicht gereift. Nachdem sie die Antwort erhielten, dass es lediglich die Möglichkeit gibt, als Berufssoldat oder als Soldat auf Zeit zu dienen, richteten sie erneut ein Gesuch an Minister Hoffmann. Es wurde dargelegt, dass »eine Reihe« Bausoldaten beabsichtigen, ab 1.10.1970 (vier Wochen vor Beendigung des Dienstes in der NVA) bis 15.11.1970 in einer Zuckerfabrik »geschlossen« Arbeit aufzunehmen. Die Zusage aus der Zuckerfabrik läge bereits vor. Die Arbeit in der Zuckerfabrik wollten sie als Wehrdienst gewertet wissen. Dieses Gesuch wurde abgelehnt mit dem Hinweis, dass ein vorzeitiges Beenden der Dienstzeit nicht möglich ist.

In der Folgezeit wurden in verschiedenen Einheiten von Bausoldaten Diskussionen in der Richtung geführt, sie müssten selbst »nach Wegen suchen, um Friedensdienst zu leisten und ein gesellschaftliches Engagement zu erreichen«.

Nach ihrer Entlassung aus Baueinheiten verschiedener Standorte am 28.10.1970 fanden sich 13 Bausoldaten zusammen mit dem Ziel, mindestens einen Monat lang eine gemeinsame Arbeit aufzunehmen. Sie arbeiteten daraufhin beim Bau der Autobahn in Schönerlinde bei Berlin und wohnten im Autobahn-Wohnlager Wandlitz. Von ihrem vollen Lohn wollten sie 40,00 Mark behalten und den Rest »für eine Sache« spenden. Mit den dort beschäftigten Arbeitern führten sie ständig Diskussionen im Sinne von Wehrdienstverweigerern, hätten jedoch nach eigenen Angaben bei den dort Beschäftigten wenig Gehör gefunden.

(Teilnehmer dieses »Einsatzes« waren u. a.: Knieß/Berlin, Jung/Neustrelitz, [Name 3]/Penkun,35 [Name 4]/Müncheberg, [Name 5]/Boizenburg, [Name 6]/Plau am See, [Name 7]/Sonneberg.)

Im Hinblick auf die in der Information geschilderten Initiativen ehemaliger Bausoldaten wären unseres Erachtens folgende Maßnahmen zur Einschränkung des Weiteren Vorgehens dieses Personenkreises angebracht:

  • Es wäre zweckmäßig, wenn der Staatssekretär für Kirchenfragen mit dem Vorsitzenden des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Bischof Schönherr,36 und mit dem Präses der Synode des Bundes, Bischof Braecklein,37 ein Gespräch führt, in dem

    • geklärt wird, dass jegliche Einmischungsversuche seitens der evangelischen Kirche in die Belange der NVA unzulässig sind und zu unterbleiben haben,

    • die Initiatoren der Arbeit unter den Bausoldaten benannt werden mit dem Hinweis, deren Tätigkeit kirchlicherseits zu untersagen.

    • Es sollte veranlasst werden, dass die evangelischen Kirchenleitungen aller Landeskirchen in der DDR von diesem Gespräch Kenntnis erhalten mit dem Hinweis, dass die Bildung der geplanten Kommission für Wehrdienstfragen zu unterbleiben habe.

    • Um Spekulationen von Bausoldaten auf eine »legale Arbeit« und um Bestrebungen entgegenzuwirken, Sammelpunkte von Bausoldaten zu schaffen, sollten die entsprechenden gesellschaftlichen Organisationen bzw. Parteien (Friedensrat, Nationale Front,38 CDU u. a.) von diesen Absichten informiert werden.

    • Mit dem Superintendenten Brix39 sollte seitens des Magistrates von Groß-Berlin ein Gespräch geführt werden, in dem Brix auf die Verletzung der Meldepflicht der Veranstaltung der ehemaligen Bausoldaten am 7./8.11.1970 hingewiesen wird. (Brix ist für den Versammlungsraum, der von den ehemaligen Bausoldaten genutzt wurde, verantwortlich.) Brix müsste erklärt werden, dass für derartige außerkirchliche Veranstaltungen in Zukunft kein kirchlicher Raum mehr zur Verfügung gestellt werden darf.

    • Es wäre eventuell die Möglichkeit zu prüfen, inwieweit die entlassenen Bausoldaten fest in die Tätigkeit der Reservistenkollektive einbezogen werden können.

    • Unseres Erachtens wäre es auch zweckmäßig, wenn die Betriebe, in denen ehemalige Bausoldaten eine berufliche Tätigkeit aufnehmen, von den Wehrbezirkskommandos über die ehemalige Zugehörigkeit der betreffenden Personen zum Bau-Bataillon informiert werden, um eine positive gesellschaftliche Beeinflussung sicherstellen zu können.

Anlage zur Information Nr. 1311/70

Bericht zum Arbeitstreffen »Möglichkeiten des Friedensdienstes in der DDR«

Vom 7. bis 8. November 1970 fand in der evangelischen Bartholomäusgemeinde – GeorgenkirchstraßeBerlin – ein Arbeitstreffen unter dem Thema »Möglichkeiten des Friedensdienstes in der DDR« statt.

Eingeladen waren vorwiegend ehemalige Bausoldaten, Interessierte Christen und Referenten. Der Einladung folgten ca. 40 Gäste. Von den eingeladenen Referenten (Sekretariat des ZK der SED, Institut für internationales Recht, Christliche Friedenskonferenz – gleichzeitig CDU-, Vertreter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR) erschienen nur die Referentin des Bundes der Evangelischen Kirchen, der Vertreter der CFK ließ sich kurzfristig entschuldigen. Mit Befremden und Unverständnis nahmen wir auf, dass die eingeladenen Referenten des Sekretariates des ZK der SED und des Institutes für Internationales Recht unsere Bemühungen offenbar nicht ernst nehmen und unsere Einladung unbeantwortet ließen. Hauptfragen des Arbeitstreffens waren erstens Möglichkeiten des Friedensdienstes in der DDR unter Berücksichtigung der Vielschichtigkeit des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR und zweitens die Stellung des Wehrersatzdienstes als Bausoldat in diesem Rahmen. Von diesen Fragen herleitend wollten wir unseren Standpunkt zu Fragen des Friedens klären und konkreter formulieren. Es sollten Informationen zwischen uns und den Referenten von staatlicher und kirchlicher Seite ausgetauscht werden, um das gegenseitige Verständnis zu fördern und Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu erforschen. Grundlage zu diesem Thema war eine Diskussion über Probleme der Gestaltung eines umfassenden Friedens, der in drei voneinander abhängigen Ebenen behandelt wurde:

  • 1.

    Frieden auf zwischenmenschlicher Ebene (Verhältnis zwischen Psychologisch-sachlichen Erkenntnissen und ethisch-moralischen Grundlagen)

  • 2.

    Frieden auf innerstaatlich-gesellschaftlicher Ebene (sozialistische Gesellschaftsordnung als entwicklungsfähigste Gesellschaftsordnung aufgezeigt, daraus folgt verantwortungsvolles Engagement der Christen im gesellschaftlich-politischen Sektor).

  • 3.

    Frieden auf internationaler Ebene (Befürwortung einer Ächtung von Androhung und Anwendung militärischer Gewalt zur Lösung von Konflikten; Bekenntnis zur Friedlichen Pro- und Koexistenz; Solidarisierung mit Abrüstungs- und Entspannungsaktivitäten; konsequente Unterstützung und Achtung der UNO und ihrer Beschlüsse, Durchsetzung des Universalitätsprinzips der UNO; Forderung nach mehr Verantwortlichkeit für die Entwicklungsländer; wir fühlen uns missverstanden, wenn wir als prinzipielle Anhänger des Pazifismus und der Konvergenztheorie beurteilt werden!)

Anschließend erhielten wir Informationen zu Fragen der theoretischen Friedensarbeit des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR. Als Mangel wurde empfunden, dass die mit diesem Themenkreis beschäftigten staatlichen und kirchlichen Institutionen bisher noch nicht zu einem ergänzenden Miteinander gefunden haben. Die Teilnehmer waren der Ansicht, dass umfassende Friedensarbeit unter Berücksichtigung aller Probleme nur dann lösbar ist, wenn alle hieran ernsthaft interessierten Kräfte ergänzend zusammenarbeiten. Das würde auch dem dringend notwendigen Abbau von Misstrauen dienen.

Bei der Ausforschung von Möglichkeiten für ein zukünftiges Friedensengagement der Versammelten machte sich das Fehlen der eingeladenen Referenten besonders bemerkbar. Aus diesem Grunde kamen in der Diskussion nur die schon vorhandenen christlichen Friedensbemühungen – Bericht eines Vertreters des Jugendausschusses der CFK – als Angebot zur Mitarbeit zur Sprache. Die Mehrzahl der Anwesenden entschied sich für dieses Angebot, wenngleich der Rahmen des CFK für eine echte umfassende Friedensarbeit für nicht ausreichend empfunden wurde. Vielmehr besteht das Bedürfnis nach Zusammenarbeit auch mit den entsprechenden staatlichen Institutionen. Wirksame Friedensarbeit kann nicht nur Aufgabe der einen oder anderen gesellschaftlichen Kraft sein, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit. Nicht ausreichende Möglichkeiten der Mitarbeit führen zu unproduktiven Diskussionskreisen. Uns geht es aber um konstruktive Mitarbeit! In diesem Sinne bitten wir besonders die staatlichen Stellen, uns Möglichkeiten der Mitarbeit aufzuzeigen. Unsere Einladung haben wir als eine solche Bitte verstanden.

In den Diskussionen kamen auch aktuelle politische Ereignisse zur Sprache. Der Vertrag zwischen der UdSSR und der BRD bestärkt unseren Optimismus, dass sich auf Verhandlungsbasis Schritte der Annährung finden lassen. Andererseits sehen wir in Missachtung der UNO-Beschlüsse zur Regelung der Nahostkonflikte durch Israel eine Provokation gegen friedliche Konfliktlösungen. In diesem Sinne wird auch der Anschlag am sowjetischen Ehrenmal in Westberlin verurteilt. Er zeigt deutlich, dass rechtsradikale Kräfte nicht vor gefährlichen Aktionen gegen die Entspannungspolitik zurückschrecken. Die Bundesregierung muss endlich Schritte unternehmen, um ähnliche Ausschreitungen in der Zukunft unmöglich zu machen.

Dieser Bericht wurde von der Versammlung gebilligt.

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    15. Dezember 1970
    Information Nr. 1324/70 über Filmaufnahmen in der Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten in Westberlin

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    9. Dezember 1970
    Information Nr. 1301/70 über den Fund von 20 Handgranaten am 8. Dezember 1970 in Nauen, Bezirk Potsdam