Arbeitsbericht der BEK und Stellungnahme des Pfarrers Hamel
8. April 1971
Information Nr. 296/71 über den Arbeitsbericht des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR für das Jahr 1970 und eine persönliche Stellungnahme des reaktionären Pfarrers Hamel, Naumburg
Dem MfS wurde bekannt, dass in Vorbereitung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR,1 die vom 2. bis 7.7.1971 auf dem Hainstein in Eisenach stattfindet, vom Sekretariat des Bundes der Arbeitsbericht für das Jahr 1970 erarbeitet wurde. Dieser Bericht, der vertraulichen Charakter hat, wurde noch nicht durch die Konferenz der Kirchenleitungen bestätigt, er soll nach Bestätigung durch die Bischöfe der DDR von Bischof Schönherr2/Berlin während der Synode in Eisenach vorgetragen werden.
Der Arbeitsbericht ist eine Kurzdarstellung der durchführenden und beratenden Tätigkeit des Sekretariats sowie der Kommissionen und Ausschüsse.
Er ist nach der vorläufigen Arbeitsgliederung des Bundes aufgebaut und behandelt Aufgaben und Tätigkeit der einzelnen Arbeitsbereiche.
Eingangs wird festgestellt, dass im Laufe das Jahres 1970 eine geordnete arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen der »Evangelischen Kirche der Union«3, der »Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche«4 und dem Bund begonnen hat. Im Zuge dieser Zusammenarbeit wurden Verabredungen über die Bildung gemeinsamer Ausschüsse bzw. über die Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben durch einen der gesamtkirchlichen Zusammenschlüsse getroffen.
Bei der Umreißung der Aufgaben und der bisherigen Tätigkeit der einzelnen Ausschüsse und Kommissionen wird u a. Folgendes festgestellt:
Der Ausschuss »Kirche und Gesellschaft« hat die Aufgabe, »die Konkretisierung des christlichen Zeugnisses heute im Wandel von Welt und Gesellschaft zu untersuchen. Darüber hinaus soll der Ausschuss die Konferenz in aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragen beraten. Für seine erste Arbeitsphase hat er als Grundsatzaufgabe die Gewinnung einer Konzeption vom Auftrag der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft in der DDR herausgestellt. Dieses Ziel soll durch die Aufarbeitung bisheriger kirchlicher Orientierungsversuche sowie durch die Analyse der gesellschaftlichen Situation erreicht werden.
Der Ausschuss will zunächst eine gemeinsame Konzeption erarbeiten, von der aus zu konkreten Fragen Stellung zu nehmen sein wird. Deshalb informiert sich der Ausschuss zzt. über das Bild der Gesellschaft in der Sicht des Marxismus-Leninismus und in der Sicht der Kirche. Aus einer Klausurtagung sollen aus diesen Informationen Konsequenzen für eine eigene Konzeption gezogen werden …«
Die Ökumenische Kommission »soll die Konferenz in ökumenischen Fragen beraten. Deshalb hält sie Kontakt mit ökumenischen Gremien in der DDR und im Ausland, koordiniert die Vor- und Nacharbeit ökumenischer Konferenzen und bemüht sich um eine Koordinierung und Integrierung der missionarischen Arbeit in der DDR …
Die Durchführung der ökumenischen Beziehungen wurde durch Beschluss der Konferenz dem Sekretariat übertragen. Die Mitgliedschaft der Gliedkirchen des Bundes im Ökumenischen Rat der Kirchen und in der Konferenz Europäischer Kirchen5 wurde geordnet. Außerdem sind vier Gliedkirchen des Bundes Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes.6 Die Beziehungen zum Reformierten Weltbund7 bedürfen noch der strukturellen Klärung.
Vom 1.11.1969 bis zum 1.12.1970 wurden mehrere Hundert Aus- und Einreiseanträge für ökumenische Dienstreisen bearbeitet. Für eine Anzahl von ökumenischen Zeitschriften erteilte das Ministerium für Kultur die Einfuhrgenehmigung …«
»Durch Beschluss der Konferenz vom 14.3.1970 wurden im Bereich des Ausschusses Kirchliche Jugendarbeit vorläufig vier Facharbeitskreise bestätigt: Landjugendarbeit, Schülerarbeit, Ökumenischer Jugenddienst und die Konferenz der Landesjugendpfarrer. Der Ausschuss hat Arbeitsgruppen eingesetzt, die die Überprüfung der Notwendigkeit, Zuordnung und Konzeption dieser Facharbeiterkreise vorbereiten.
Zur Arbeit an der Grundkonzeption kirchlicher Jugendarbeit in der DDR ist ab 1.1.1971 ein Studienreferat vorgesehen, das vom Referenten des Ausschusses wahrgenommen wird. Zu seiner Unterstützung wird ein Studienkreis gebildet …«
Zur Beratung in Fragen der staatlichen Rechtsordnung wird in dem Arbeitsbericht festgehalten: »Das Sekretariat vermittelt den regelmäßigen Gedankenaustausch der Gliedkirchen in Fragen der staatlichen Rechtsordnung. In den einzelnen Rechtsgebieten wird eine kontinuierliche Dokumentation vom Sekretariat herausgegeben.
In aktuellen Fragen wie z. B. der Einführung der Betriebsnummern, der Einführung der EDV bei den Banken und der Maßnahmen gemäß Ministerratsbeschluss vom 15.12.19708 wurden Informationen, Erfahrungsaustausch und Zusammenarbeit vom Sekretariat vermittelt …«
Außer dem im Wesentlichen sachlich gehaltenen Arbeitsbericht des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR liegt dem MfS eine persönliche Stellungnahme des als reaktionär bekannten Pfarrers Hamel,9 Dozent am Katechetischen Oberseminar Naumburg, vor. Hamel legte dem Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR diese von ihm verfasste Stellungnahme mit der Überschrift: »Erwägungen zum ›Bericht der Konferenz der Evangelischen Kirchenleingen vor der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR – 2. Tagung vom 26. bis 30.6.1970‹« vor.
Er versucht mit seiner Ausarbeitung die Bestrebungen des Bundes, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu verbessern, zu torpedieren und die bevorstehende Synode des Bundes im Juli 1971 negativ zu beeinflussen.
Dem MfS wurde dazu bekannt, dass der Vorsitzende des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Bischof Schönherr/Berlin, intern im Mitarbeiterstab des Sekretariats diese Ausarbeitung Hamels als eine Herausforderung dem Staat gegenüber einschätzte. Schönherr erklärte, Hamel gehöre zu den Kräften in der evangelischen Kirche, die leider immer wieder versuchten, den Bund in Widersprüche zum Staat zu bringen.
Aufgrund des Einspruches von Bischof Schönherr wurde diese Ausarbeitung nicht, wie von Hamel gefordert in breiteren kirchlichen Kreisen der DDR verbreitet, sondern nur zur Kenntnisnahme den Mitgliedern der Konferenz der Kirchenleitungen übergeben.
In seiner Stellungnahme behauptet Hamel u. a.:
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Der Bericht der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen enthalte eine nüchterne, »untertreibende« Darstellung der Tätigkeit der Bundesorgane.
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Gegenüber der Rest-EKD sei eine kühle, distanzierte Sprache angewandt worden, während gegenüber der russisch-orthodoxen Kirche eine herzliche Betonung der freundschaftlichen Verbundenheit erfolgt sei.
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Im Bericht würde man vergeblich nach Namen aus den Kirchen in der BRD und Westberlin suchen.
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Eine kritische Analyse müsse berücksichtigen, dass dieser Bericht eine so verhaltene Sprache spreche, um das Verhältnis des jungen Bundes und seiner acht Gliedkirchen zum Staat nicht zu stören oder zu belasten, sondern vielmehr dieses zzt. noch unabgeklärte Verhältnis in eine offizielle Anerkennung des Bundes durch den Staat zu überführen.
Trotzdem sei auffallend: An keiner Stelle sei der Bericht kritisch im Sinne der proklamierten Ziele »Friede und Gerechtigkeit … gegenüber den gesellschaftlichen Ordnungen der DDR und Maßnahmen des Staates und der SED«.
Dagegen trage der Bericht an einer Reihe von Stellen direkt oder indirekt Bitten oder Beschwerden vor, so z. B.
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»… Der Vorstand der Konferenz hatte bisher noch keine Gelegenheit zu einem offiziellen Besuch …«
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»Der Bund habe noch kein Amtsblatt herausgeben können …«
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Der Vorsitzende des Bundes sei nicht nach Stuttgart (EKD-Synode)10 gefahren, da eine Möglichkeit, der Einladung zu folgen, nicht bestand …
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»Wir wären dankbar, wenn sich … für die Einfuhr ökumenischer Literatur eine angemessene Regel erzielen ließe …«
An allen Punkten bittet und kritisiert die Kirche in eigener Sache: Dieser Stilwandel habe sein Vorbild in den Kirchen der Volksdemokratien. Diese würden aus leicht einzusehenden Gründen darauf verzichten, kritische Anfragen auszusprechen.
Bemerkenswert sei die »Schizophrenie« der Berichtssprache. Stets werde von der Vergangenheit und ihrer Schuld gesprochen. Wo sich dagegen der Blick auf die Gegenwart und die Zukunft richtet, bleibe es bei unscharfen Allgemeinheiten, vergangene politisch-gesellschaftliche Ordnungen und frühere Versagen der Christenheit werden konkretisiert und unter Gottes Gebot und Gericht gestellt, die heutige gesellschaftliche Ordnung und etwaiges heutiges Verschulden der bestehenden Christenheit, also unsere Schuld, werden stillschweigend übergangen. »Friede« sei eine Allerweltvokabel geworden, die auch den »Kampf für den Frieden gegen den Imperialismus« einschließe. Mit »sozialer Gerechtigkeit« könne Verschiedenes gemeint sein, z. B. der revolutionäre Umsturz in Lateinamerika mit dem Ziel kommunistischer Regimes.11 Nirgends würden die Aufgaben konkretisiert werden, die mit dem Stichwort »Friede« und »soziale Gerechtigkeit« avisiert sind.
Festzustellen sei, dass die Kirchen in der DDR keine Vorrechte und Privilegien genießen. Denn seit Inkrafttreten der Verfassung von 1968 hätten sie keinerlei Rechtsboden zugesichert erhalten, ihre Tätigkeit werde lediglich geduldet. Seit der neuen Verfassung12 würde eine verschärfte Überwachung der kirchlichen Verlautbarungen erfolgen, seien Mitteilungen an verschiedene Konsistorien ergangen, dass Abzugsapparate13 der Beschlagnahme anheimfielen, wenn hetzerische oder verleumderische Verlautbarungen vervielfältigt werden. Der Staatsapparat habe Mitteilungen über unerwünschte Verhandlungsvorlagen, z. B. noch während der Synodaltagungen von Berlin-Brandenburg (März 1970)14 und der EKU (Mai 1970 in Magdeburg)15 erhalten. Des Weiteren habe es Versuche gegeben, unerwünschte leitende kirchliche Amtsträger durch Kirchenleitungen abberufen zu lassen.
Viele junge Christen müssten ihres Glaubens wegen Nachteile der verschiedensten Art hinnehmen. Berufsstätige Christen müssten Zurücksetzungen erdulden, wenn sie versuchen, ihr Christentum zu praktizieren.
Hamel kommt zu den Schlussfolgerungen, dass die Problematik für die Christenheit eine ganz andere sei, als im Bericht angesprochen. Es ginge nicht um einen Verzicht auf Privilegien des Glaubens wegen, auch nicht um Hinnahme von Verlusten von Privilegien, sondern um die Frage, wie die Christenheit als organisierte Kirche und als einzelne Christen sich in einem Zustand verhalten soll, der durch die Rechtlosigkeit bzw. Duldung gekennzeichnet sei. Im Bericht sei zuerst der gar nicht mehr existente »Popanz von kirchlichen Privilegien« aufgebaut worden, um dann den Verzicht auf ihre Inanspruchnahme von sich aus aus Glaubensgehorsam zu proklamieren. Wenn die Frage des Rechtsbodens im Bericht schon angeschnitten worden sei, dann hätte es »einer Kirche für die anderen« wohl angestanden zu verlangen, die von der UNO proklamierten Menschenrechte an Gesetzgebung und Verwaltung in ganz anderem Maße als bisher anzuwenden und zu verwirklichen
Dann brauchte die Kirche nicht um Einfuhr ökumenischen Schrifttums für kirchliche Amtsträger bitten, sondern um vermehrte Einfuhr wertvollen Schrifttums für alle Bürger, dann wäre keine Bitte notwendig um Gewährung von Ausreisen kirchlicher Amtsträger zu ökumenischen Tagungen, sondern es ginge um vermehrte Ausreisemöglichkeiten für alle Bürger, um Familienzusammenführungen am Ort der Wahl der betroffenen Bürger, um vermehrte Besuchsmöglichkeiten für Verwandte und Freunde usw.
Solches Bitten entspräche allein den Proklamationen des Berichtes in seiner theologischen Grundlegung, Kirche für die anderen zu sein.
Zu der These: Zwei deutsche Staaten in zwei verschiedenen Gesellschaftssystemen erfordern organisatorische Unabhängigkeit der Kirchen nicht nur aus Gründen der Staatsräson, sondern vor allem wegen des Dienstes, der sich auf beiden Seiten verschieden gestalten muss, bringt Hamel zum Ausdruck:
Die evangelischen Kirchen in der BRD und in der DDR seien tatsächlich voneinander abhängig. Besonders aber seien die Kirchen in der DDR auf vielfältige Weise materiell von den Kirchen in der BRD abhängig. Unverständlich sei, dass die Konferenz in ihrem Bericht kein Dankeswort für die Brüder in den Kirchen der BRD gefunden habe.
Hamel wies noch darauf hin, dass Bischof Scharf,16 Westberlin, am 28.6.1970, während die Bund-Synode tagte,17 im Westberliner Rundfunk gepredigt und unter Hinweis auf die Synode in Potsdam darum gebeten habe, dass »uns Christen in Deutschland der Mut gegeben werde, sich zur Gemeinschaft gegenseitig zu tragen …«
Hamel erklärt weiter, der Bericht vermeide, gegenwärtige Probleme aus dem politisch-gesellschaftlichen Bereich in der DDR auch nur anzudeuten.
Ebenso wenig könne eine spätere Generation dem Bericht entnehmen, dass sich im Berichtszeitraum einige Dinge ereignet hätten wie Erfurt, Kassel,18 Verhandlungen in Moskau, Warschau19 usw., die die Verantwortung, die Aufgaben und die Leiden der Menschen in ganz Deutschland angehen und sie herausfordern. Es sei im Bericht mit Liebe des Heimgangs des Patriarchen Alexius,20 Moskau, den wohl nur einige wenige Christen in der DDR kannten, gedacht worden, mit keinem Wort sei jedoch der im Dezember 1969 in Prag verstorbene Prof. Hromadka21 erwähnt worden. Hromadka jedoch habe, wie kaum ein anderer, darum gerungen, dass Christen mit Marxisten sich in einem echten Dialog finden. Er habe sich dabei nicht gescheut, kritisiert, verspottet, bekämpft und gemieden zu werden – von beiden Seiten her.
Zum Schluss bringt Hamel zum Ausdruck, dass der Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen vor der Synode in Potsdam druckreif sei – er könnte von jeder Zeitung in der DDR gebracht werden.
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