Arbeitskreis russisch-evangelische Kirchen im Gustav-Adolf-Werk
5. März 1971
Information Nr. 164/71 über die Bildung eines »Arbeitskreises für russische evangelische Kirchen« durch Vertreter des »Gustav-Adolf-Werkes« und der »Evangelischen Kirche der Union« in der DDR
Dem MfS wurde intern bekannt, dass am 26. und 27. Januar 1971 in Berlin-Friedrichshain, Georgenkirchstraße (Gemeindehaus der Bartholomäus-Gemeinde), eine Zusammenkunft von Vertretern des »Gustav-Adolf-Werkes«1 (GAW) und der »Evangelischen Kirche der Union« (EKU)2 stattfand.
Die ca. 20 Teilnehmer dieser Zusammenkunft waren ausschließlich solche Personen, die nach Meinung der Organisatoren über spezielle Kenntnisse über die inneren Verhältnisse in der Sowjetunion verfügen.
Die Vorbereitung und Durchführung dieser Tagung erfolgte unter strengster Geheimhaltung. Alle Teilnehmer wurden zu größtem Stillschweigen verpflichtet.
Die Finanzierung der Zusammenkunft erfolgte durch die Kirchenkanzlei der »EKU«.
Organisatoren der Zusammenkunft waren:
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Oberkonsistorialrat Meckel,3 Berlin, Kirchenkanzlei der »EKU«
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Propst Schröder,4 Leipzig, Generalsekretär des »GAW«
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Pfarrer [Name 1], Berlin-Blankenfelde
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Pfarrer Diedrich,5 Groß-Glienicke.
Den Teilnehmern wurde folgende Tagesordnung bekannt gegeben:
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Vorstellung der Teilnehmer
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Vortrag zum Thema: »Reformation und Baltikum«
Referent: Dr. Rogge,6 Berlin
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Reiseberichte
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Lichtbildervorträge
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Probleme der weiteren »Organisierung der Arbeit nach der Sowjetunion«
Dem MfS wurde eine Reihe interessanter Einzelheiten über den Inhalt der Tagung bekannt, die im Folgenden wiedergegeben werden:
Die Tagungsteilnehmer beschäftigten sich in der Hauptsache mit der Schaffung und Aufrechterhaltung von Kontakten zu in der Sowjetunion lebenden deutschen Christen und mit der gegenseitigen Informierung über die »inneren Verhältnisse« in der Sowjetunion, insbesondere bezogen auf das Verhältnis Staat – Kirche in diesen Territorien.
Die Zusammenkunft wurde mit einer Andacht eröffnet: In der Fürbitte hieß es u. a.:
»Wir danken Dir für die Gemeinden in der Sowjetunion, wir danken Dir für jeden einzelnen Christen dort, stärke sie alle Tage, gib ihnen die Freiheit der Kinder Gottes, gib uns Rat, wie wir ihnen helfen können.«
Im Anschluss an die Andacht stellte sich jeder Teilnehmer persönlich vor und gab dabei an, wie er zu den deutschen Christen in der Sowjetunion gestoßen sei und welche Verbindungen er zurzeit dorthin unterhält.
Die Ausführungen der Teilnehmer ließen erkennen, dass sie überwiegend seit Jahren zum Teil umfangreiche Kontakte in die verschiedensten Gebiete der Sowjetunion unterhalten und einen aktiven Briefwechsel mit dort lebenden deutschen Christen führen, der weit über das Maß eines persönlichen Briefverkehrs mit Bekannten hinausgeht und offensichtlich organisierten Charakter trägt.
So ging z. B. aus einigen Ausführungen hervor, dass etliche Personen, beispielsweise die Teilnehmer der internen Tagung Frau von Holst7/Berlin, Propst Schröder/Leipzig und Pfarrer Rogler8/Kottengrün, jeweils zu über 100 Personen in der Sowjetunion postalische Verbindung unterhalten und zum Teil über die schon bestehenden Verbindungen systematisch bereits mehrere Hundert Adressen von Sowjetbürgern deutscher Nationalität sammelten.
Während der Tagung konnte weiter festgestellt werden, dass Ziel und Inhalt der Kontakttätigkeit u. a. darin bestehen, möglichst detaillierte Informationen über Wohnorte sowjetischer Bürger deutscher Nationalität, Anzahl und Standorte von religiösen Gemeinden, gesellschaftliche und soziale Lage dieser Bürger sowie zur innenpolitischen Lage – besonders zum Verhältnis Staat – Kirche – zu erhalten.
Zu Beginn der Tagung legte Pfarrer [Name 1]/Berlin-Blankenfelde eine Reihe von Schwerpunkten dar, die seiner Meinung nach von den Tagungsteilnehmern bzw. von dem zu gründenden speziellen Arbeitskreis – der im späteren Verlauf der Tagung als »Arbeitskreis für russische evangelische Kirchen« bezeichnet wurde – gelöst werden sollen. Dabei führte er u. a. Folgendes aus:
Zurzeit sei die Aufrechterhaltung der Kontakte nach der Sowjetunion sehr schwierig. Viele Kontakte seien unterbrochen. Insbesondere seien die verschiedensten Paket- und Päckchensendungen nicht bei den Empfängern angekommen. Man dürfe jedoch unter keinen Umständen eine Isolierung der Deutschen in der Sowjetunion eintreten lassen.
Es sei unbedingt eine Kontinuität der Verbindungen durch Ausnutzung aller Möglichkeiten zu gewährleisten.
In diesem Zusammenhang wies er auf die neuen Bedingungen im Rahmen der Reisetätigkeit hin, die durch neue Verordnungen der Sowjetregierung entstanden seien. Mit diesen neuen Anordnungen wolle der Sowjetstaat eine finanzielle Barriere gegen Privatreisen von Sowjetbürgern nach dem Ausland errichten.9
Bei der »Arbeit nach der Sowjetunion« und bei der Analyse der inneren Verhältnisse dort dürfe man nicht unsere Maßstäbe anlegen. Die inneren Verhältnisse seien in Russland und später in der Sowjetunion von jeher durch Sektierertum gekennzeichnet.
So hätten viele heutige Praktiken der staatlichen und gesellschaftlichen Organe die Gesetze von 1875 gegen die Sektierer (Nichtzugehörige zur Russisch-orthodoxen Kirche) zur Grundlage.10 Dies habe die unterschiedlichsten Auswirkungen. Unter anderem habe ein Teil der Baptisten ein positives Verhältnis zum Staat gefunden, weil sie offiziell zugelassen wurden, während sie in der Zarenzeit unterdrückt wurden.
Zur Gestaltung und Zielrichtung der analytischen Tätigkeit nannte Oberkonsistorialrat Meckel folgende Schwerpunkte:
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Analysierung der Rolle der osteuropäischen Kirchen innerhalb der Organisation »Konferenz Europäischer Kirchen« (KEK);11
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Untersuchung des Einflusses der Dänischen Telegrafengesellschaft12 auf die evangelischen Christen in Russland. Bis 1926 seien alle Stationen der transsibirischen Telegrafenlinie von Dänemark ermittelt und betreut worden. Dabei sei gleichzeitig Missionierung in der Umgebung der Stationen betrieben worden, so z. B. in Irkutsk, Nowosibirsk usw. Der Kern vieler sibirischer Ortsgemeinden habe sich um die Stationen kristallisiert. Es sei anzunehmen, dass die alten Verbindungen noch bestehen. Deshalb müssten die Verbindungen von Dänemark nach Sibirien ermittelt werden. Dazu seien alle Kontakte von DDR-Christen nach Dänemark auszunutzen, insbesondere die Möglichkeiten, die sich im Rahmen des Nordisch-deutschen Kirchenkonvents13 ergeben. Es sei auch zu überlegen, inwieweit das »Gustav-Adolf-Werk« mehr in den Nordisch-deutschen Konvent integriert werden könne.
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Analyse der Gemeindebildung in Sibirien vor 1914.14 Es soll untersucht werden, ob aus diesen Entwicklungsprozessen kontinuierliche Verbindungen entstanden, die eventuell noch brauchbar sind.
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Untersuchung des historischen Ursprungs der zurzeit noch existierenden ethnischen Gruppen der Deutschen und anderer evangelischer Gruppen. (Pfarrer [Name 1] verwies in diesem Zusammenhang auf die Siedlungspolitik15 Peter I.16 und auf dessen Krieg mit Schweden.17 So seien schwedische Kriegsgefangene die ersten fremden Siedler in Russland gewesen. Dadurch sei der schwedische Pietismus als erste Wurzel des evangelischen Glaubens in Russland anzusehen18).
Meckel wies weiter auf die Notwendigkeit der Herstellung von Kontakten zu den evangelischen Armeniern und auf die Durchdenkung organisatorischer Fragen, wie Anlegen einer Kartei, Benachrichtigungssystem usw., hin.
Als erster Referent sprach Dr. Rogge, Berlin, zum Thema: »Zwischen Wittenberg und Livland (Baltikum)«.
Er befasste sich mit den Anfängen der Reformation in den baltischen Ländern und bezeichnete sie als eine deutsche Angelegenheit. Die ersten Missionare seien deutsche Reformatoren gewesen. Die einheimischen Reformatoren bezeichnete er als »zwielichtige Gestalten«. Luthers Einfluss sei im Baltikum groß gewesen und alle führenden baltischen Theologen hätten die Wittenberger Universität bzw. später die Universitäten von Rostock und Königsberg besucht. Insgesamt habe das Deutschtum einen großen Einfluss auf die baltische Kultur gehabt.
Der anschließende erste Reisebericht wurde von Pfarrer Diedrich, Groß-Glienicke, gegeben. Diedrich hatte im Herbst 1970 eine Privatreise nach Frunse,19 Alma-Ata,20 Karaganda21 und anderen Orten unternommen.
Nach einigen Bemerkungen zum Nationalitätenproblem in der Sowjetunion ging Diedrich auf die deutschen evangelischen Gemeinden im Süden der Sowjetunion (Kasachstan, Kirgisien) ein. Die überwiegende Mehrheit der deutschen evangelischen Gemeinden sei nicht registriert. Die Treffen bzw. Gottesdienste würden unter bewusstem Ausschluss der Öffentlichkeit in Privatwohnungen stattfinden. Benutzt würden alte Gesangsbücher und Bibeln (von vor 1924). Die meisten Liedertexte würden handschriftlich verbreitet werden. Gemeindeleiter sei der fähigste Laie in der Bibelauslegung. Gottesdienste fänden viermal wöchentlich statt, mittwochs, sonnabends und zweimal sonntags. Die Gottesdienste seien immer mit Versammlungen verbunden. Viele kämen überhaupt nur der Versammlung wegen. Alle Zusammenkünfte seien vom Streben nach Zusammengehörigkeit und zum Teil nach der alten Heimat an der Wolga gekennzeichnet. Die jüngere Generation sei aus Angst wegen der Illegalität, aber auch wegen Sprachschwierigkeiten, nicht so stark vertreten. Deutsche Schulen gäbe es nur wenige, in den Großstädten seien überhaupt keine vorhanden.
Bei den Baptisten seien die Jugendlichen aktiver. Sie würden vor allem aus mennonitischen Elternhäusern stammen.
50 % der Baptisten in den aufgesuchten Städten seien Deutsche. Diese kämen zweimal wöchentlich in deutschsprachigen Versammlungen oder bei Taufen zusammen. Die Listen der Bewerber um die Taufe müssten bei den staatlichen Organen eingereicht werden. Aufgrund dieser Listen gäbe es dann Auseinandersetzungen, Belehrungen und Kritiken in den Betrieben.
In Kirgisien würden 59 neue evangelische Gemeinden bestehen, davon seien nur zwei offiziell registriert. Tauf- und Trauscheine würden aus Angst vor Repressalien nicht ausgestellt werden.
Die Gemeinden in Kirgisien seien insgesamt 15 000 Personen stark. Die Angst vor institutionellen und organisatorischen Dingen sei sehr groß.
Als Initiatoren für eine weitere Aktivierung der kirchlichen Tätigkeit müssten die baltischen evangelischen Kirchen in Erscheinung treten. Besonders aktiv sei der deutsche Gemeindepfarrer in Riga. Dieser habe Verbindungen bis nach Karaganda. Seine Tätigkeit würde jedoch durch eine übersteigerte Bürokratie behindert werden. Zur Durchführung einer Amtshandlung im Süden der Sowjetunion benötige er die Genehmigung der lettischen und der Zentralregierung. Die Maschinerie der Gesetzlichkeit werde allgemein gefürchtet.
Diedrich führte in diesem Zusammenhang weiter aus, viele der gesammelten Informationen seien von Robert Stupperich22/Münster in seinem Buch über die »Kirche im Osten«23 zusammengefasst worden. (St. war bis 1945 Mitarbeiter des OKW und des Ministeriums Rosenberg für die besetzten Gebiete.24 Heute ist er Mitarbeiter des Ostkircheninstituts der »Evangelischen Kirche in Deutschland« und Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Münster). Diedrich sprach in diesem Zusammenhang von einer »Untergrundliteratur« in der Sowjetunion mit beachtlichen eigenständigen Leistungen. Diese Entwicklung sei im Anwachsen.
Illegale Aktivitäten gäbe es auch in Leningrad.25 Hier treffe sich eine kleine evangelische Gemeinde in der Privatwohnung eines orthodoxen Bischofs. Dieser Bischof sei einmal das »Protektionskind« von Metropolit Nikodim26 gewesen.
Im Anschluss an diesen Reisebericht wurde über folgende durchzuführende Maßnahmen und Initiativen diskutiert:
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Aktivierung der Ostverbindungen, der Reisen und des Materialversandes;
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stärkere Nutzung der ökumenischen Kontakte;
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Auftragserteilung an Theologen, die ins Ausland fahren;
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Ausbildung von einigen ausgesuchten jungen Theologen;
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Festlegung strategischer Schwerpunkte (Reiseziele) für die Reisetätigkeit;
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Forcierung von Privatreisen nach der Sowjetunion und Beratung der Reisekader durch den zu gründenden Arbeitskreis;
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Einrichtung einer zentralen Stelle zur Koordinierung der Arbeit nach der Sowjetunion;
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Ausnutzung der angeblich bestehenden Verbindungen von Prof. Elliger27 und Pfarrer Zwecker28 aus Westdeutschland nach der Sowjetunion. (Über die Form der Ausnutzung wurden keine Ausführungen gemacht.);
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Ausarbeitung eines Vorschlages zur Verbesserung der Arbeit von Pfarrer Bachmann29 in Zelinograd30 und Arthur Pfeiffer31 in Moskau;
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Einsatz von schwäbisch sprechenden Personen aus Württemberg/Westdeutschland, um durch den Dialekt noch größeren Einfluss zu bekommen;32
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zur Erreichung der »Fernziele« müssten alle Möglichkeiten im zugänglichen Raum systematisch genutzt werden;
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für den Literatur-Versand müssten die Möglichkeiten der Berliner Theologischen Fakultät erkundet werden;
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Verbreitung der Basis zur Finanzierung von Reisen in die Sowjetunion (»GAW«, Ökumene, Kommissionen der »EKU«); Es wurde hervorgehoben, dass Generalsuperintendent Schmitt33 Berlin, größte Bereitschaft zur Unterstützung zeigt;
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über ökumenische Gremien wie »Konferenz Europäischer Kirchen« und über Kirchen des kapitalistischen Auslandes sollen die Probleme der deutschen Gemeinden in der Sowjetunion »in die Welt getragen werden« bzw. soll von diesen Gremien Einflussnahme erfolgen.
Pfarrer [Name 1] fasste nach dem ersten Beratungstag die Diskussion zusammen und unterbreitete den Tagungsteilnehmern folgende Vorschläge:
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Es soll überlegt werden, welche Gremien und Personen in die Problematik der Tagung einbezogen werden können. (Propst Schröder und Oberkonsistorialrat Meckel wurden genannt.);
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Zielstellung und Lösungswege sind konkret zu umreißen;
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der Ökumenische Rat der Kirchen (Sekretär für Europa) ist für die Problematik und Tätigkeit zu interessieren;
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durch den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR34 soll in Fühlungnahme mit dem »GAW« ein Pfarrer für Minderheitskirchen in Ost-Europa eingesetzt werden. Dieser Pfarrer soll keine repräsentative Person sein, sondern soll mit Rollkragenpullover im Jeep durch Busch, Steppe und Berge fahren und illegal Material transportieren können.35
Des Weiteren müssen in dieser Funktion solche Sprachen wie Russisch, Rumänisch und Ungarisch beherrscht werden. Wenn eine solche Person zurzeit nicht zu finden ist, dann müsse schnellstens die Ausbildung eines entsprechenden Kandidaten erfolgen. Propst Schröder soll mit dem Bund und der »EKU« diesbezüglich Fühlung aufnehmen. Wenn die Stellenpläne beim Bund und bei der »EKU« Schwierigkeiten bereiten sollten, dann sollen Mittel des »GAW« verwendet werden.
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Der versammelte Personenkreis, der als »geheimer Kreis« bezeichnet wurde, soll sich zu einem Arbeitskreis konstituieren und sich einen Namen geben. Zweckmäßig sei ein relativ harmloser Name, der niemanden exponiere.
Zu diesem Zweck wurden solche Bezeichnungen vorgeschlagen wie
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»Evangelischer Arbeitskreis für russische evangelische Kirchen«;
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»Kirchengeschichtlicher Arbeitskreis für osteuropäische Kirchenkunde«
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»Evangelischer Arbeitskreis für russische Kirchengeschichte«
(Im weiteren Verlauf der Tagung wurde dann mit der Bezeichnung »Evangelischer Arbeitskreis für russische evangelische Kirchen« operiert.)
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Die Gründung des Arbeitskreises solle der »EKU«, dem »GAW«, der Ökumene-Kommission des Bundes und Bischof Noth,36 Dresden, mitgeteilt werden.
Am 27.1.1971 (2. Beratungstag) wurde die Tagung mit dem Verlesen einer Art Grundsatzerklärung fortgesetzt (Initiativ-Antrag). Der Entwurf dieser Erklärung, verlesen von Pfarrer Nierth,37 Schraplau, hat folgenden Wortlaut:
1. Der Arbeitskreis hält es für unumgänglich, dass in die ökumenischen Kontakte nach der Sowjetunion Fachleute der evangelischen Werke einbezogen werden, damit bei den verschiedenen Verbindungsmöglichkeiten nicht mehr an spezifischen Nöten dieser relativ isolierten Gemeinden durch Unkenntnis vorbeigegangen wird.
2. Gedacht ist an den Nordisch-deutschen Konvent, an die Konferenz Europäischer Kirchen und an Organe des Ökumenischen Rates der Kirchen. Sodann gehört dazu das Bemühen, von relativ geschlossenen Kirchen des Baltikums aus, die Sammlung der evangelischen Gemeinden, ihre Fortbildung und Ausbildung der Mitarbeiter durch direkten oder Fernunterricht voranzutreiben, um einen Ausgleich für die desertierenden Kräfte herbeizuführen. Es wäre dies ein gegebener Ausgangspunkt, weil andere Kristallisationspunkte für den südlichen Zerstreuungsraum der Evangelischen völlig fehlen.
3. Ferner gehören zu den weiteren Schwerpunkten direkte theologische Beratungs- und Steuerungsdienste von hier aus durch gründliche und mit den dortigen Problemen vertraute Kräfte. Zu solchen Schwerpunkten gehören neben der Koordinierung mit den baltischen Kirchen Frunse, Duschanbe,38 Nowosibirsk und andere noch zu benennende Orte.
4. Die Informationssammlung, ihre Umsetzung in praktische Aktionen zugunsten der zerstreuten Gemeinden, ist zu forcieren. Die Vermittlung der verschiedenen ökumenischen Hilfsbemühungen mit den mannigfaltigen internationalen Instanzen bedarf eines besonderen osteuropäischen Pfarrers, in dessen Händen die vielerlei Fäden zusammenlaufen und neu geknüpft werden müssen.
4a. Als Alternativvorschlag kann auch an einen Lenkungsausschuss des Arbeitskreises gedacht werden, der diese entscheidenden Funktionen für die Kontakte auszuüben hätte.
In der Diskussion zu diesem Entwurf wurde die Notwendigkeit der Schaffung eines Teams hervorgehoben, da ein einzelner – es wurde auf Pfarrer Gennrich39 verwiesen – »behindert« werden könne. Kritisiert wurden jedoch die offenen Formulierungen. Ein Teilnehmer verwies darauf, dass die Tätigkeit des Arbeitskreises von der Sicht des Rechts in der Sowjetunion eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion ist. Wenn dies nach außen dringen würde, wären die Sache und der Kreis erledigt und abgeschossen. Die richtigen und zu unterstützenden Intentionen des Entwurfs müssten in »harmlosere Worte gekleidet« werden. Für die Funktion eines Koordinators müsse ein rüstiger pensionierter Pfarrer oder eine Person, die nur im Nebenamt Pfarrer ist, vorgeschlagen werden. (Der Unauffälligkeit halber). Weiterhin wurde vorgeschlagen, in die Tätigkeit des Arbeitskreises die Erfahrungen und Möglichkeiten der Baptisten mit einzubauen.
Die Fertigstellung und Endfassung des Entwurfs solle zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.
Nach dieser Diskussion wurden weitere Reiseberichte gegeben. Es sprachen der Generalsekretär des Bundes freikirchlicher evangelischer Gemeinden in der DDR (Baptisten) Dammann,40 Frau [Name 2, Vorname], ehemalige Lehrerin aus Ludwigsfelde und Pfarrer Gernot Friedrich41 aus Jena.
Dammann hatte auf seiner Fahrt zum Weltkongress der Baptisten in Japan im Juni 1970 die Reise in Moskau, Chabarowsk und Nachodka42 unterbrochen und dort Baptisten-Gemeinden aufgesucht.
Er verfügt sowohl über gute Verbindungen zu den leitenden Personen der offiziellen Baptisten-Gemeinden als auch zu den illegalen Baptisten, den sogenannten Initiativ-Baptisten. Sein Plan besteht u. a. darin, mittels »Privatreisen in den sibirischen, südlichen und ukrainischen Raum vorzustoßen«. Er wolle in diesem Zusammenhang im Sommer 1971 nach Nowosibirsk fahren.
Die [Name 2] berichtete über ihre Kontaktpersonen in Moskau, Gorki,43 Alma-Ata und Karaganda. Ihre Kontakte kamen während von ihr durchgeführten Touristenreisen und durch Vermittlung des »GAW« zustande. Sie verfügt über detaillierte Informationen vom gesellschaftlichen und sozialen Milieu sowjetischer Bürger deutscher Nationalität.
Pfarrer Friedrich verletzte im Zusammenhang mit einer Einzelreise nach der Mongolischen Volksrepublik die Transitbestimmungen der Sowjetunion und reiste wochenlang illegal durch die Sowjetunion. Dabei suchte er Bürger deutscher Nationalität, evangelische Gemeinden und Pfarrer auf. Unter anderem weilte er auch illegal in Zelinograd bei Pfarrer Bachmann.
Von der Miliz sei er zweimal aufgegriffen worden, konnte jedoch durch »geschickte Täuschungsmanöver« – wie er ausführte – jedes Mal »entkommen«.
Auf seiner Reise verteilte er im großen Umfang Material religiösen Inhalts.
Nach den Reiseberichten wurden umfangreiche Lichtbildervorträge gehalten. Dabei erging sich besonders Pfarrer Friedrich in Ausfällen gegen die Sowjetunion und die Mongolische Volksrepublik.
Zum Abschluss der Tagung wurde darauf verwiesen, dass weitere Reiseberichte über Propst Schröder dem »GAW« zugeleitet werden können.
Während der Veranstaltung war festzustellen, dass sich die Initiatoren und Hauptorganisatoren der Tagung Schröder, Meckel, [Name 1] und Diedrich sehr geschickt im Hintergrund hielten.
In internen Gesprächen kamen diese vier Personen überein, den aktiven Teilnehmerkreis weiterer Zusammenkünfte zunächst bis auf fünf Personen zu verringern.
Es sei vorgesehen, eine Zusammenkunft im größeren Rahmen ähnlich wie bei der Tagung am 26. und 27. Januar 1971 – erst wieder im Januar 1972 zu organisieren.
Vom MfS wurden Maßnahmen zur weiteren Aufklärung der beteiligten Personen, des von ihnen gebildeten Arbeitskreises und der bestehenden Kontakte eingeleitet.
Diese Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt und darf wegen Gefährdung der Quellen unter keinen Umständen ausgewertet werden.