Auseinandersetzungen zwischen polnischen und DDR-Bürgern
22. Januar 1971
Information Nr. 69/71 über tätliche Auseinandersetzungen zwischen Bürgern der VR Polen und jugendlichen Bürgern der DDR am 15. Januar 1971 in Zielitz, [Kreis] Wolmirstedt, [Bezirk] Magdeburg
Am 15.1.1971, gegen 23.15 Uhr, kam es in der Nähe des Bahnhofgebäudes Zielitz zwischen acht jugendlichen DDR-Bürgern und sieben zzt. im Auftrag der polnischen Baufirma KOPEK Katowice auf der Baustelle »Völkerfreundschaft« des Kaliwerkes Zielitz tätigen Bürgern der VR Polen zu Gewalttätigkeiten. Im Rahmen dieser Gewalttätigkeiten verletzte der DDR-Bürger [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1952 in Rogätz, Maschinenbauer, zuletzt tätig als Maschinenformer im VEB Eisenwerk »1. Mai« Tangerhütte, wohnhaft Rogätz, [Straße, Nr.], Mitglied der FDJ, DSF, FDGB, DTSB und ADMV, bisher nicht vorbestraft, unter Verwendung eines in seinem Besitz befindlichen Taschenmessers, eines sogenannten Springnickers, die polnischen Bürger [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1944, wohnhaft Zielitz, Wohnheim Block 7, Wohnung 29, und [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1946, wohnhaft Zielitz, Wohnheim [Wohnung], mit mehreren Stichwunden.
Der polnische Bürger [Name 2] wurde lebensgefährlich verletzt durch einen Stich in die linke Seite des Unterleibes, wodurch die Hauptschlagader getroffen wurde und Blut in die Bauchhöhle eindrang. [Name 3] Czerwiensski erlitt durch zwei Stichwunden am linken Rippenansatz schwere Verletzungen.
Die verletzten polnischen Bürger wurden daraufhin sofort in das Kreiskrankenhaus Wolmirstedt eingeliefert. Sie erhielten alle erforderliche ärztliche Hilfe, u. a. auch durch das Hinzuziehen von Spezialisten der Medizinischen Akademie Magdeburg. Beide polnischen Bürger wurden inzwischen zur Medizinischen Akademie Magdeburg übergeführt und befinden sich außer Lebensgefahr.
Am 16.1.1971 wurde durch einen Offizier des VPKA Wolmirstedt der verantwortliche Mitarbeiter der Baufirma KOPEK über das Vorkommnis informiert, der seinerseits die Botschaft der VR Polen in der DDR unterrichtete. Die eingeleiteten Untersuchungen der VP des MfS ergaben zum Sachverhalt und den Ursachen dieses Vorkommnisses:
[Name 1] und andere Jugendliche begaben sich mit mehreren anderen, namentlich bekannten Jugendlichen aus der DDR zur im gleichen Ort gelegenen Gaststätte »Bergmannsklause«, die sich in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes Zielitz befindet.
Sie kannten sich bereits durch den gemeinsamen Schulbesuch bzw. durch die gemeinsame berufliche Tätigkeit. In diesem Kreis von Jugendlichen gibt es keine Anzeichen für Gruppierungen in krimineller oder anderer Hinsicht.
In der genannten Gaststätte befanden sich neben weiteren DDR-Bürgern auch die auf der Baustelle »Völkerfreundschaft« des Kaliwerkes Zielitz tätigen polnischen Staatsbürger:
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[Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1946;
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[Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1944;
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[Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1944;
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[Name 5, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1946;
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[Name 6, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1944;
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[Name 7, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1947;
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[Name 8, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1949,
alle wohnhaft in Zielitz/Wohnheim.
Während des Aufenthaltes in der Gaststätte kam es zwischen den anwesenden DDR-Bürgern und denen der VR Polen zu keinen Auseinandersetzungen.
Gegen 23.00 Uhr verließen die polnischen Bürger [Name 7],[Name 8] und [Name 6] die Gaststätte und hielten sich vor dem Eingang auf, wo sie kurze Zeit später mit dem aus der Gaststätte kommenden DDR-Bürger [Name 9] zusammentrafen. [Name 9] wurde dabei von [Name 6] mit der Hand gestoßen und bekam von [Name 7] ein Bein gestellt, sodass er zu Fall kam. In dieser Situation wurde er von [Name 7], ohne dafür einen Anlass gegeben zu haben, mit der Faust in das Gesicht geschlagen. Nach Aussagen der polnischen Bürger [Name 7] und [Name 6] begingen sie diese Handlungsweise bedingt durch den Einfluss von Alkohol. Von dem Vorkommnis zwischen [Name 9] und den beiden polnischen Bürgern erhielt der sich zur gleichen Zeit vor der Gaststätte aufhaltende DDR-Bürger [Name 10] Kenntnis, der unmittelbar darauf in die Gaststätte zurückging und den dort anwesenden [Name 1] sowie die DDR-Bürger [Name 12], [Name 13], [Name 14] und [Name 15] informierte. Daraufhin verließen diese Personen, die zuvor noch mehrere Flaschen Bier für ihre Heimfahrt mit dem Zug gekauft hatten, die Gaststätte. Vor dem Eingang sahen sie die polnischen Bürger [Name 6] und [Name 7].
Nach anfänglichen geringfügigen Rempeleien zwischen den beiden polnischen Bürgern und den genannten fünf DDR-Bürgern, die sich nur nach den Ursachen des Zwischenfalls mit dem DDR-Bürger [Name 9] erkundigen wollten, gingen beide Gruppen ohne weitere Tätlichkeiten bzw. Missverständnisse auseinander. Einem der beiden polnischen Bürger wurde von den DDR-Bürgern eine Flasche Bier übergeben. Danach begaben sich die genannten DDR-Bürger zum Bahnhof, um in ihre Heimatorte zurückzufahren. Nachdem sie dort von [Name 9] nochmals bestätigt bekamen, dass er von polnischen Bürgern ohne jeglichen Grund geschlagen worden sei, entschlossen sich [Name 1] sowie die DDR-Bürger [Name 13], [Name 12], [Name 10] und [Name 15] zur Gaststätte »Bergmannsklause« zurückzukehren und die polnischen Bürger nochmals zur Rede zu stellen.
Bei ihrer dortigen Ankunft trafen sie mit den bereits erwähnten polnischen Bürgern nochmals zusammen. Sie liefen jedoch, ohne ihre Absicht zu verwirklichen, zum Bahnhof zurück, wobei ihnen die sieben polnischen Bürger, darunter auch [Name 2] und [Name 3], folgten. Auf dem Weg zum Bahnhof wurden die DDR-Bürger von den ihnen folgenden polnischen Bürgern in der Nähe der Bahnschranke eingeholt, wobei nach belanglosen Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen der polnische Bürger [Name 3] dem DDR-Bürger [Name 15] grundlos einen Faustschlag auf den Hinterkopf versetzte (was durch Aussagen der als Zeugin vernommenen Schrankenwärterin bestätigt wurde.) Aus Verärgerung über den ihm zugefügten Schlag warf daraufhin der DDR-Bürger [Name 15] eine in seinem Besitz befindliche Bierflasche vor die Gruppe der polnischen Bürger, wobei die Flasche zersplitterte, ohne jedoch eine dieser Personen zu verletzen. Unmittelbar danach entfernten sich die DDR-Bürger, weiterhin gefolgt von allen polnischen Bürgern, in Richtung Bahnhofsgelände. Dabei erhielt der DDR-Bürger [Name 10] von einem polnischen Bürger einige Faustschläge ins Gesicht, die ein Hämatom unterhalb des linken Auges hervorriefen.
Zum gleichen Zeitpunkt wurde auch [Name 1] von mehreren polnischen Bürgern gestellt und festgehalten, wobei es zu einer Schlägerei zwischen den polnischen Bürgern und ihm kam. In dieser Situation zog [Name 1] ein in der Tasche seiner Kleidung mitgeführtes Messer, den sogenannten Springnicker, und brachte dieses durch Knopfdruck in Stellung. Er beabsichtigte damit die ihn umringenden und auf ihn einschlagenden polnischen Bürger zunächst von weiteren Angriffen gegen ihn fernzuhalten. Da es in der Folgezeit zu weiteren Gewalttätigkeiten seitens der polnischen Bürger kam, stieß [Name 1] mit dem Messer wahllos um sich und verletzte dabei die polnischen Bürger [Name 2] und [Name 3]. Während der durch Stiche in den Bauch lebensgefährlich verletzte [Name 2] auf Veranlassung des Bahnhofvorstehers des Bahnhofes Zielitz (der durch den an diesem Vorkommnis beteiligten [Name 13] informiert worden war) sofort in das Kreiskrankenhaus Wolmirstedt eingeliefert wurde, schleppte sich [Name 3], durch Stiche unterhalb des Brustkorbes schwerverletzt, bis zu seiner Unterkunft, von wo er ebenfalls unverzüglich in das Krankenhaus gebracht wurde.
Nach der Tatausführung begab sich [Name 1] gemeinsam mit den anderen am Vorkommnis mit den polnischen Bürgern beteiligten DDR-Bürgern nach Hause. Das von [Name 1] zur Tatausführung benutzte und bei seiner später erfolgten Festnahme sichergestellte Messer will er sich vor wenigen Tagen für 25,00 Mark von einem ihm angeblich unbekannten Ausländer in Tangerhütte gekauft haben, um es beim Angeln zu verwenden. Seinen Aussagen zufolge führte er das Messer am Tage der Tatausführung nur mit sich, um es seinen Bekannten zu zeigen. Er habe nicht das Ziel verfolgt, es bei eventuellen Auseinandersetzungen mit Bürgern der DDR oder den in der Deutschen Demokratischen Republik beruflich tätigen polnischen Bürgern anzuwenden.
Wie im Ergebnis der bisher geführten Untersuchungen festgestellt wurde, lagen dem Vorkommnis zwischen der genannten Gruppe von DDR-Bürgern und den polnischen Staatsbürgern sowie der von [Name 1] an [Name 2] und [Name 3] begangenen schweren Körperverletzung keine politischen Motive zugrunde.
Die Auseinandersetzungen und anschließenden Gewalttätigkeiten zwischen beiden Personengruppen entstanden spontan und wurden nach übereinstimmenden Aussagen der am Vorkommnis beteiligten Personen durch die zuerst von den polnischen Bürgern unter Einfluss von Alkohol begangenen Gewalttätigkeiten gegenüber den ebenfalls unter Alkoholeinfluss stehenden DDR-Bürgern provoziert.
[Name 1] motiviert in den bisherigen Aussagen die von ihm an den beiden polnischen Bürgern unter Anwendung eines Messers begangene schwere Körperverletzung damit, dass er damit weitere von den Geschädigten gegen ihn gerichtete tätliche Angriffe verhindern wollte.
Gegen [Name 1] wurde durch die VP ein Ermittlungsverfahren mit Haft entsprechend § 116 StGB1 eingeleitet. Die Untersuchungen werden fortgesetzt.