Bahnbetriebsunfall mit Beteiligung sowjetischer Soldaten
2. Juli 1971
Information Nr. 621/71 über einen schweren Bahnbetriebsunfall mit Beteiligung von Angehörigen der Sowjetarmee
Am 29.6.1971, um 19.13 Uhr, ereignete sich am Schrankenposten 26 zwischen den Bahnhöfen Belleben und Könnern (Strecke Aschersleben – Halle/Reichsbahndirektion Magdeburg) ein schwerer Bahnbetriebs- und Verkehrsunfall durch den Zusammenprall zwischen einem Personenzug der Deutschen Reichsbahn mit einem Lkw der Sowjetarmee.
Die bisherigen Untersuchungen durch die zuständigen Organe des MfS im Zusammenwirken mit dem Transportpolizeiamt1 Halle ergaben folgenden Sachverhalt:
Am 29.6.1971, um 19.13 Uhr, passierte der auf der Fernverkehrsstraße 71 von Könnern nach Bernburg fahrende Lkw der Sowjetarmee, polizeiliches Kennzeichen [Kennzeichen] (kyrillische Buchstaben), den angeführten Bahnübergang.
Der Übergang der F 71 über diesen Streckenabschnitt der Deutschen Reichsbahn ist beschrankt. Die Schranken waren bei Annäherung und Passieren des Übergangs durch das sowjetische Armeefahrzeug nicht geschlossen.
Zum gleichen Zeitpunkt befuhr der Personenzug 539 (Hallenstadt2 – Halle) planmäßig diesen Streckenabschnitt.
Der Lokführer des Personenzuges, der bei Annäherung an den Bahnübergang am Schrankenposten 26 die geöffneten Schranken bemerkte, leitete sofort die Schnellbremsung ein, konnte den Zug jedoch erst ca. 15 m hinter dem Bahnübergang zum Halten bringen.
Beim Passieren des Schrankpostens 26 erfasste die Diesellok des Personenzuges den Lkw der sowjetischen Streitkräfte, schleifte diesen ca. 15 m mit, wobei er umstürzte und sofort in Brand geriet.
Bei dem Unfall wurden der Lkw-Fahrer (Soldat der Sowjetarmee) sowie die im Lkw mitfahrenden sowjetischen Staatsbürger, ein Leutnant der Sowjetarmee und dessen 10-jähriger Sohn, schwer verletzt. Der Lkw-Fahrer erlitt Brandverletzungen II. und III. Grades, die anderen zwei Insassen des Lkw Brandverletzungen I. und II. Grades.
Die Verletzten wurden unverzüglich in das Kreiskrankenhaus Bernburg eingeliefert. Bei dem Lkw-Fahrer und dem 10-jährigen Sohn des mitfahrenden Offiziers der Sowjetarmee besteht Lebensgefahr.
An dem sowjetischen Lkw und dessen Ladung (14 Kfz-Motoren) entstand Totalschaden.
An den Untersuchungen am Unfallort nahmen Vertreter der sowjetischen Kommandantur Bernburg teil.
Die bisherigen Untersuchungen zu den Ursachen und den Umständen des schweren Verkehrsunfalles haben ergeben, dass der Schrankenwärter, [Name, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1925, wohnhaft Könnern, Kreis Bernburg, [Straße, Nr.], zum Zeitpunkt des Unfalles unter erheblichem Alkoholeinfluss stand und die Schranken nicht geschlossen hatte.
In Rekonstruktion des Unfalles konnte festgestellt werden, dass der Fahrdienstleiter des Bahnhofes Belleben vorschriftsmäßig allen an der Strecke bis zum nächsten Bahnhof (Könnern) gelegenen Schrankenposten den Personenzug vorausgemeldet und auch vom Schrankenposten 26 die Rückmeldung erhalten und im Fahrtenbuch dokumentiert hatte.
Diese Rückmeldung wird laut Vorschrift der Deutschen Reichsbahn erstattet, wenn der Empfänger die Vorausmeldung eines Zuges erhalten und verstanden hat.
Im Nachweisbuch des Schrankenwärters [Name] ist der Erhalt der Vorausmeldung gleichfalls eingetragen.
Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass [Name] aufgrund der Alkoholwirkung das Schließen der Schranke unterlassen hatte. Die Blutalkoholbestimmung ergab einen Blutalkoholgehalt von 3,1 °/00.
[Name] ist seit 1962 als Schrankenwärter der Deutschen Reichsbahn tätig und seit dieser Zeit am Schrankenposten 26 eingesetzt. Er ist schwerbeschädigt (beinamputiert). 1968 erhielt er wegen Gefährdung der Sicherheit einen Verweis und wurde als Schrankenwärter abgelöst.
1969 erfolgte abermals sein Einsatz als Schrankenwärter am Schrankenposten 26. Im gleichen Jahr musste er erneut wegen Gefährdung der Sicherheit mit einem Verweis bestraft und wieder abgelöst werden.
1970 wurde er erneut als Schrankenwärter eingesetzt. Anfang 1971 wurde [Name] während des Dienstes als Schrankenwärter unter Alkoholeinfluss stehend angetroffen und abermals mit einem Verweis sowie Streichung einer Geldprämie bestraft.
Der Wiedereinsatz des [Name] als Schrankenwärter erfolgte, nachdem er in mehreren durch den Dienstvorsteher des Bahnhofes Könnern sowie das Kollektiv mit ihm geführten Aussprachen ständig versichert hatte, seinen Dienst in Zukunft gewissenhaft zu versehen und die Lehren aus den Verfehlungen zu ziehen.
[Name] stand unter verstärkter Kontrolle seitens des Dienstvorstehers des Bahnhofes Könnern.
Gegen [Name] wurde ein Ermittlungsverfahren gemäß §§ 1963 und 2004 des StGB eingeleitet und Haftbefehl erlassen. Die Untersuchungen der zuständigen Organe des MfS und des Transportpolizeiamtes Halle zur umfassenden Aufklärung der Ursachen, Umstände und begünstigenden Bedingungen des schweren Bahnbetriebs- und Verkehrsunfalles werden fortgeführt.
Eine Spezialkommission der in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte führt gleichfalls weitere Untersuchungen.