Brand im Stahl- und Walzwerk Brandenburg
14. Oktober 1971
Information Nr. 980/71 über die Untersuchung des Brandes im VEB Qualitäts- und Edelstahlkombinat, Stahl- und Walzwerk Brandenburg am 14. September 1971
Am 14.9.1971 kam es gegen 10.20 Uhr im Kabelkanal der 1120er Walzenstraße des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg zu einem Brand. Durch diesen Brand wurden ca. 120 Kabel – Steuer- und Leistungskabel für die Aggregate der 1120er Walzenstraße, Zuleitungskabel für den Rechenautomaten der Walzenstraße, einige Versorgungskabel für die 850er Walzenstraße und Telefonleitungen – zerstört.
Die 1120er Walzenstraße fiel vollkommen aus, während die 850er Walzenstraße provisorisch weitergefahren werden konnte.
Es trat ein vorläufig berechneter Sachschaden von etwa 30 000 Mark ein.
Auf der 1120er Walzenstraße des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg werden Stahlblöcke (Brammen) zur Weiterverarbeitung, insbesondere für die Walzwerke Hettstedt, Kirchmöser und Ilsenburg, hergestellt. Die Versorgung der Kooperationspartner mit Brammen war durch den Einsatz vorhandener Reserven gesichert.
Am 18.9.1971 wurde die 1120er Walzenstraße wieder in Betrieb genommen.
Die Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen durch das MfS und die Deutsche Volkspolizei im Zusammenwirken mit Sachverständigen der Technischen Überwachung ergaben folgenden Sachverhalt:
Bei dem Brandobjekt handelt es sich um einen Abschnitt der Kabelkanalanlage, die sich unter dem Gebäude der 1120er Walzenstraße befindet.
Die Kabelkanalanlage besteht aus mehreren, untereinander verbundenen 2 m hohen und 2 m breiten begehbaren Kanälen. Sie besitzt vier Eingänge, die mit Türen versehen sind. Eine der Türen war nicht verschließbar, da der Türrahmen verbogen ist. Auch die anderen Türen können von einer größeren Anzahl von Betriebsangehörigen ständig unkontrolliert begangen werden.
Die Kabelkanäle sind mit brennbaren Materialien verunreinigt. So sind neben Putzlappen, Papier- und Holzabfällen die Kanäle und die Kabelstränge selbst durch Schmieröl, welches von den Aggregaten der Walzenstraße über zahlreiche Öffnungen in der Kanaldecke eindringen kann, teilweise erheblich verschmutzt. Auch unmittelbar über der Brandausbruchsstelle befindet sich am Rande einer durch die Decke des Kabelkanals geführten Rohrleitung eine ca. 5 × 5 cm große Öffnung. Diese Öffnung entstand infolge mangelhafter Abdichtung nach einer Rohrmontage. Durch diese Öffnung drang Schmieröl von der darüber liegenden Brammenwalze in den Kabelkanal ein.
Die im Brandbereich auf elf Traversen übereinander verlegten Kabel wurden durch den Brand auf einer Länge von ca. 30 m zerstört. Bei den Kabeln handelt es sich um Kupfer- und Aluminiumleiter, die mit Gummi, Kunststoff bzw. Bitumen-Stahlmantel-Isolierung versehen waren und entsprechend ihrem Verwendungszweck mit Wechsel- oder Gleichstrom gespeist wurden.
Anhand typischer Abbrennungserscheinungen konnte eindeutig festgestellt werden, dass sich in dem mit Bitumen-Stahlmantel isolierten Gleichstromleistungskabel (440 V) ein Lichtbogen gebildet hatte, der sich entsprechend der Eigenart von Gleichstromlichtbogen zwischen den einzelnen Phasen des Kabels zur Richtung der Energieeinspeisung fortgebrannt hatte.
Dadurch entzündete sich das Isolationsmaterial der anderen Kabel und es kam zur Ausbreitung des Brandes.
Aufgrund des hohen Zerstörungsgrades des Aluminiumleiters und der Isolierung des Gleichstromkabels im Brandausbruchsbereich lässt sich die Ursache zur Auslösung des Gleichstromlichtbogens nicht mehr objektiv nachweisen.
Hinweise auf eine vorsätzliche Verursachung des Lichtbogens gibt es nicht. Eine unmittelbare mechanische Zerstörung des Gleichstromleistungskabels wird unter Beachtung der anliegenden Spannung (Lebensgefahr), der Reihenfolge der Kurzschlüsse in den einzelnen Kabeln und der Stahlummantelung von den Fachexperten ausgeschlossen.
Beim Walzprozess werden ständig größere Mengen von glühendem Zunder abgesprengt. Der herabfallende glühende Zunder bietet objektiv die Möglichkeit, dass durch die bereits erwähnte Öffnung dieser auf die Kabelstränge in den Kabelkanal fallen konnte.
Durch glühende Zunderteile können somit auch vorhandene Ölreste im Kabelkanal entzündet worden sein. Der Ölbrand kann dann die Isolation der Kabel beschädigt haben und in dessen Folge dann die Lichtbogenbildung mit Brandausdehnung verursacht haben.
Bereits am 22.7.1971 gab es an einer anderen Stelle des Kabelkanals ein ähnliches Vorkommnis, indem sich vorhandene Schmierölreste innerhalb der Walzenstraße durch glühenden Zunder entzündeten und das brennende Öl durch Einfließen in den Kabelkanal Steuer- und Leistungskabel beschädigte.
Erdschlüsse, Spannungsverluste bzw. andere Vorkommnisse, die Hinweise auf Materialfehler im Gleichstromleistungskabel geben würden, gab es in der zurückliegenden Zeit nicht.
Neben den bereits genannten begünstigenden Bedingungen bzw. Mängeln in der Durchsetzung der Ordnung und Sicherheit, wie
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fehlende bzw. unzureichende Absicherung der Elektroenergieanlagen und Kabelkanäle gegen unbefugtes und unkontrolliertes Betreten;
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starke Verschmutzung der Kabelkanäle mit brennbaren Materialien;
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Möglichkeit des Eindringens von Schmieröl und Fremdkörpern in den Kabelkanal durch vorhandene Öffnungen zu den Produktionsräumen;
wurde im Zusammenhang mit der Untersuchung des Vorkommnisses weiterhin bekannt:
Über die im Werk installierten elektrischen Leitungen gibt es teilweise keine bzw. ungenaue Verlegungspläne.
Dadurch wurde die Bekämpfung des Kabelbrandes am 14.9.1971 wegen Unklarheiten bei den verantwortlichen Betriebsfunktionären über die Spannungsfreischaltung der im Kanal verlegten Leitungen über eine Stunde verzögert.
Die Feuerwehr des Betriebes ist kräfte- und ausbildungsmäßig nicht den gestellten Anforderungen des operativen Brandschutzes und der Brandbekämpfung gewachsen. So konnte z. B. bei dem Brand im Kabelkanal nicht wie vorgeschrieben eine Löschgruppe in der Stärke 1: 8, sondern nur in der Stärke 1: 4 eingesetzt werden. Durch fehlendes operativ-taktisches Studium hatten die Angehörigen der Betriebsfeuerwehr keine genauen Ortskenntnisse über die Kabelkanalanlage.
Auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungen wurden einige Maßnahmen zur Lösung vorgenannter Probleme eingeleitet, so u. a.
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Analyse aller bekannt gewordenen Vorkommnisse und Störungen im Bereich der 1120er Walzenstraße sowie der vorhandenen Mängel und begünstigenden Bedingungen zur Feststellung der Verantwortlichkeit bzw. der Einleitung entsprechender Maßnahmen zur Auswertung und Beseitigung.
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Durch die Abteilung Feuerwehr des VPKA Brandenburg und den Hauptbrandschutzverantwortlichen des Kombinates werden Einschätzungen zum Stand der Durchsetzung der Arbeits- und Brandschutzbestimmungen sowie des operativen Brandschutzes und der Brandbekämpfung erarbeitet und erforderliche Auflagen an die Werkleitung erteilt.
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Unverzüglicher Aufbau einer Havariekartei im Stahl- und Walzwerk Brandenburg zur Erfassung aller Störungen und Vorkommnisse, deren Ursachen und eingeleitete Maßnahmen.