Chemiefasersymposium in Dresden 1970
26. Januar 1971
Information Nr. 73/71 über das 3. Internationale Chemiefasersymposium der Chemischen Gesellschaft der DDR vom 1. Dezember bis 4. Dezember 1970 in Dresden
In der Zeit vom 1.12. bis 4.12.1970 fand in Dresden das von der Chemischen Gesellschaft der DDR1 organisierte 3. Internationale Chemiefasersymposium statt.
Auf dem Fachgebiet der Chemiefasern gibt es bisher nur zwei wesentliche internationale Veranstaltungen,
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das Internationale Chemiefasersymposium in der DDR und
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eine Chemiefasertagung in Dornbirn/Österreich.2
Entsprechend dieser Situation und der Thematik des Symposiums einschließlich einer Podiumsdiskussion zum Thema »Chemiefaserstoffe im Jahr 2000« erklärt sich das unmittelbare Interesse vieler namhafter internationaler Fachexperten auf dem Chemiefasersektor, besonders aber der Fachleute aus den sozialistischen Ländern – insbesondre der UdSSR –, an dieser von der Chemischen Gesellschaft der DDR ausgerichteten Veranstaltung.
Beispielsweise weilten allein aus der UdSSR 34 Teilnehmer in Dresden, u. a. so profilierte und international anerkannte Wissenschaftler wie Prof. Pakschwer3 (Kalinin),4 Prof. Rogowin5 (Moskau), Prof. Michajlow6 (Moskau) und Prof. Perepelkin7 (Leningrad)8.
In ihrem Auftreten, dem Niveau ihrer wissenschaftlichen Beiträge und in der allgemeinen Fragestellung bzw. Diskussion wurde dieses spezielle Interesse der sowjetischen Teilnehmer an der wissenschaftlichen Tagung in der DDR außerordentlich deutlich sichtbar.
Aufgrund der Tatsache, dass neben der Chemischen Gesellschaft der DDR auch die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, die Technische Universität Dresden und das Chemiefaser-Kombinat Schwarza als Mitveranstalter fungierten und demzufolge selbstständig z. B. den ihn interessierenden Kreis international anerkannter Fachexperten auf dem Gebiet der Chemiefasern einluden, ergab sich eine eingeladene Teilnehmerzahl von zunächst 100 aus dem sozialistischen Ausland und 45 aus dem kapitalistischen Ausland bzw. Westdeutschland.
Bis zum 18.11.1970 hatten sich dann insgesamt 21 Teilnehmer aus dem gesamten westlichen Ausland angemeldet. Danach erließ der Präsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Prof. Dr. Klare,9 einen Einreisestopp für weitere Teilnehmer aus dem kapitalistischen Ausland.
Bis zum Einreisestopp war zwei westdeutschen Wissenschaftlern die Einreise zugesagt worden, während danach für einen weiteren interessierten Kreis von Wissenschaftlern, darunter auch eine größere Anzahl von Fachexperten aus Westdeutschland, keine Möglichkeiten der Teilnahme mehr bestanden.
Daraufhin erfolgte offensichtlich zwischen den westdeutschen Konzernen und den von ihnen finanzierten Einrichtungen eine einheitliche Abstimmung, da kein Vertreter westdeutscher Chemiker nach Dresden einreiste.
Obwohl nach allgemeiner Einschätzung durch die Absage und das Nichterscheinen der Teilnehmer aus Westdeutschland keine Abwertung des wissenschaftlichen Niveaus des 3. Chemiefasersymposiums erfolgt sei, wurde das Fehlen der westdeutschen Experten von einer Reihe namhafter internationaler Fachexperten mit etwas Verwunderung registriert.
Bei den westdeutschen Fachexperten auf dem Sektor der Chemiefasern handelt es sich u. a. um Dr. Wandel,10 Dr. Meskat,11 Bayer AG, Dr. Berg,12 Dr. Sattler,13 Farbwerke Hoechst AG, Dr. Pohlmann,14 BASF, Dr. Kratzsch,15 Enka Glanzstoff AG, Dr. Albrecht,16 Glanzstoff AG und Präsident der westdeutschen Chemischen Gesellschaft.17
(Der Letztgenannte richtete Briefe an den Präsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Prof. Dr. Klare, und über das Tagungsbüro des Chemiefasersymposiums an Prof. Dr. Rogowin, SU, in denen er sich gegen die »Diskriminierung« und »politische Aspekte der getroffenen Maßnahmen« ausspricht.)
Aus Kreisen bedeutender Wissenschaftler der DDR werden nun im Ergebnis des 3. Internationalen Chemiefasersymposiums in Dresden Befürchtungen ausgesprochen, dass
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negative Reaktionen für die Einladung zum 1. Welt-Faserkongress,18 der Mitte 1971 in München stattfinden soll und an dem man auf nur ausdrückliche persönliche Einladung teilnehmen kann, eintreten könnten;
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die Teilnahme der DDR-Wissenschaftler an anderen internationalen Symposien in Frankreich bzw. Österreich im 2. Halbjahr 1971 unter ähnlichen Bedingungen, sogar diskriminierenden Bedingungen, aufgrund westdeutscher Einflussnahme erfolgen könnte.
Außerdem wird auf die Möglichkeit einer negativen Reaktion und Auswirkung für die Importpolitik der DDR bei Chemieanlagen für die Chemiefaserproduktion hingewiesen. Die DDR bezieht gegenwärtig Anlagen und Ausrüstungen von solchen Firmen wie BASF, Bayer Leverkusen AG, Farbwerke Hoechst AG/Uhde, Enka Glanzstoff AG, Elastomer AG (Tochterunternehmen der BASF) für die Erweiterung der Chemiefasergrundstoffe in Guben,19 Schwarzheide20 und Piesteritz.21
Nach Auffassung führender Experten wäre es erforderlich, bei zukünftigen Veranstaltungen dieser Art mit bedeutendem internationalen Charakter eine einheitliche Konzeption durch die beteiligten Ministerien zu erarbeiten, um eventuelle nachteilige Folgen für die DDR und ihre führenden wissenschaftlichen Experten zu vermeiden.