Einleitung 1971
Einleitung 1971
Ronny Heidenreich
1. Das Jahr 1971: Ein historischer Überblick
In der Geschichte der DDR war 1971 eine Zäsur. Nach monatelangem Tauziehen erfolgte mit dem Rücktritt Walter Ulbrichts am 3. Mai 1971 der einzige Machtwechsel an der Spitze der SED vor der Friedlichen Revolution im Herbst 1989.1 Der neue Parteichef Erich Honecker sollte die DDR in ihren Untergang führen. Doch 1971 war für viele der Wechsel an der Spitze mit Hoffnungen verbunden. Der jüngere und scheinbar pragmatische Honecker legte einen völlig anderen Politikstil an den Tag als sein Vorgänger. Die DDR schien zehn Jahre nach dem Mauerbau im Inneren konsolidiert, wenngleich die wirtschaftspolitischen Reformprojekte Ulbrichts zu spürbaren Verwerfungen gerade bei der Konsumgüterproduktion geführt hatten. Die unter Honecker auf dem VIII. Parteitag im Juni 1971 offiziell proklamierte und entgegen langfristigem ökonomischem Sachverstand durchgesetzte und später so bezeichnete Einheit von »Wirtschafts- und Sozialpolitik« bildete fortan die Leitplanke der SED-Politik. Die DDR schloss sich damit einer allgemeinen Entwicklung des sozialistischen Lagers an, den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben.2 Diese Entscheidung hatte aber auch ganz pragmatische machtpolitische Gründe. Nachdem Teile der polnischen KP-Führung unter dem Eindruck von Massenprotesten wegen Versorgungsschwierigkeiten im Dezember 1970 zurücktreten mussten, galt es 1971 ähnliche Entwicklungen in der DDR zu verhindern. Mittelfristig sollte sich die Hoffnung, dass mit sozialpolitischen Maßnahmen die Loyalität der Bevölkerung zu erkaufen sei, jedoch als Trugschluss erweisen.
Der Machtwechsel vollzog sich in einer deutschland- und außenpolitisch bewegten Zeit. Nach den ersten deutsch-deutschen Begegnungen in Erfurt und Kassel 1970 mehrten sich für viele in der DDR aber auch im westlichen Ausland die Hoffnungen, dass die Aussöhnungs- und Verständigungspolitik der sozialliberalen Koalition unter dem auch in der DDR überaus populären Bundeskanzler Willy Brandt Erleichterungen mit sich bringen würde. Auch wenn die Gespräche nicht zuletzt auf sowjetischen Druck hin von der SED abgebrochen werden mussten, liefen parallel die Verhandlungen zu einem Vier-Mächte-Abkommen über Berlin. Honecker erwies sich dabei als treuer Erfüllungsgehilfe der sowjetischen Deutschlandpolitik, ohne Eigenmächtigkeiten wie Ulbricht durchzusetzen. Er beteuerte unmittelbar nach seinem Machtantritt das feste Bündnis mit der Sowjetunion und erhob die ideologische Abgrenzung zum Westen stärker als sein Vorgänger zur Staatsräson. Zugleich ließ sich die aufziehende neue Phase in den deutsch-deutschen Beziehungen nicht mehr aufhalten. Eine Verständigung der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges über die Berlin-Frage war Voraussetzung für weitere konkrete Annäherungen zwischen beiden deutschen Staaten. Am 3. September 1971 brachte der Abschluss des Vier-Mächte-Abkommens den erwarteten Durchbruch. Kleinere Schritte wie die Wiederaufnahme des Telefonverkehrs zwischen Ost- und Westberlin und die Umsetzung des bereits Ende 1970 abgeschlossenen Postvertrages deuteten erste konkrete Erleichterungen an. Das Transitabkommen, das am 17. Dezember 1971 unterzeichnet werden konnte, war das erste Folgeabkommen, das die Beziehungen der beiden Staaten auf eine neue Stufe hob, auch wenn die Liberalisierung des Grenzregimes in allererster Linie Bundesbürgern und Westberlinern zugutekam. Für die SED, die hartnäckig um internationale Anerkennung bemüht war, bedeuteten diese Schritte zwar einen Reputationsgewinn. Zugleich sah die neue SED-Führung genau wie das MfS die Kontakterleichterungen aber mit Sorgen, da von ihnen eine neue und nur schwer abzuschätzende Gefahr für ihre Herrschaft im Inneren auszugehen schien. Insofern sah sich auch die Staatssicherheit 1971 vor mannigfache Herausforderungen gestellt.
2. Das MfS im Machtwechsel
Die Rolle der Staatssicherheit als eines der wichtigsten Machtinstrumente des SED-Staates und ihres Ministers Erich Mielke während des Machtwechsels sind erstaunlicherweise in der Forschung nur am Rande behandelt worden. Das später symbiotische Verhältnis zwischen Mielke und dem neuen Parteichef Erich Honecker lässt die Vermutung zu, dass diese Verbindung bereits 1971 gefestigt war und damit auch in den kritischen Monaten des Machtwechsels eine gewisse Rolle gespielt haben dürfte.3 Dies umso mehr, als das Verhältnis von Walter Ulbricht zu Mielke deutlich weniger vertrauensvoll war. Ulbricht schätzte zumindest in der Spätzeit seiner Herrschaft weder die Berichte des Parteiapparates noch des MfS, sondern verließ sich auf seine eigenen Beratergremien, namentlich den von ihm geschaffenen Staatsrat.4 Es war schließlich auch Ulbricht, der die Staatssicherheit 1957 wegen ihrer aus seiner Sicht zu kritischen Berichterstattung maßregelte.5 Die Entfremdung zwischen dem Parteichef und dem Staatssicherheitsminister war Ende der 1960er-Jahre auch auf anderen Feldern zu spüren. Mielke verbanden in zentralen Fragen eher mit Honecker denn mit Ulbricht ähnliche Weltsichten: Beide standen sowohl der von Ulbricht eingeschlagenen und zunehmend emanzipativen Deutschlandpolitik skeptisch gegenüber, wie sie auch die Wirtschaftsliberalisierung mit all ihren zutage tretenden Schwierigkeiten ablehnten.6
Die ZAIG-Berichte sollten der obersten Parteiführung über beide Problemkreise Informationen an die Hand geben. Insofern ist es höchst interessant, in welchem Maße sich das MfS in den kritischen Monaten positionierte. Zunächst ist auffällig, dass die deutschlandpolitisch intensiven späten 1960er-Jahre – besonders nach dem Amtsantritt der sozialliberalen Koalition in der Bundesrepublik 1969 – mit einem sprunghaften Aufwuchs der für diese Fragen zuständigen HV-A-Berichterstattung einhergingen. Der Anteil der ohnehin stets weit überwiegenden außenpolitischen Berichte der ZAIG stieg von 76,5 Prozent im Jahr 1966 auf 88,2 Prozent im Jahr 1971 an und erreichte damit seinen absoluten Höchstwert.7 Inwiefern die Berichte der HV A Ulbrichts außenpolitische Initiativen stützten oder Probleme aufzeigten, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Projektes.
Aufschlussreicher sind die vorliegenden innenpolitischen Berichte. Es zeigt sich, dass Mielke den Parteichef über die offiziellen Verteiler nicht mehr persönlich über die Lage im Land informierte.8 Ulbricht, der noch bis zum 3. Mai 1971 als Parteichef amtierte, erhielt seit dem Herbst 1970 keine einzige nachweisbare innenpolitische ZAIG-Information mehr. Die letzte einschlägige »Parteiinformation« erreichte ihn am 18. September 1970.9 Diese Zurückhaltung ist umso erstaunlicher, als die Schwierigkeiten der DDR-Wirtschaft eine zentrale Rolle bei den Auseinandersetzungen um die Entmachtung Ulbrichts spielten.10 Die ZAIG jedenfalls hatte die Versorgungsschwierigkeiten und die angesichts der Aufstände in Polen daraus resultierende unmittelbare Gefahr für die Stabilität des SED-Regimes mit ihren Berichten durchaus im Auge. Mielke selbst sprach im März 1971 vor seinen Mitarbeitern mit Blick auf die Unruhen in Polen von »ernsten Lehren«, weil nach seiner Einschätzung der dortige »Parteiapparat« die Stimmung im Lande und die zugrunde liegenden volkswirtschaftlichen Probleme ignoriert hätte.11 Eine solche Analogie war eine kaum bemäntelte Kritik an der Wirtschaftspolitik Ulbrichts und letztlich auch dem Parteichef selbst.
Mit derartiger Kritik, die sich zwangsläufig aus dem Aufzeigen von Missständen ergab, machte sich MfS selbst angreifbar. Dies hatte Mielke 1957 in der Auseinandersetzung mit Ulbricht über den Zuschnitt der Stasi-Informationen am eigenen Leib erfahren müssen.12 Inwiefern der Minister seinen Parteichef nun aus Eigenschutz oder politischem Kalkül auf Distanz hielt oder aber Ulbricht sich schlicht nicht für innenpolitische Vorgänge interessierte und diesbezügliche Fragen den zuständigen ZK-Beauftragten überließ, lässt sich an dieser Stelle nicht abschließend klären. Im Zentrum der Aufmerksamkeit des SED-Chefs stand jedenfalls die Außen- und Deutschlandpolitik.13 Trotzdem bleibt festzuhalten, dass Mielke die ZAIG-Informationen über Probleme der DDR-Wirtschaft schwerpunktmäßig den Kritikern Ulbrichts, allen voran Honecker, vorlegte und damit nolens volens spätestens im Herbst 1970 Partei für den designierten SED-Vorsitzenden ergriff und von dieser Linie bis zum vollzogenen Machtwechsel nicht mehr abwich.
Wann Mielke über die bevorstehende Ablösung Ulbrichts im Bilde war, die spätestens während der Moskau-Reise hochrangiger Mitglieder der SED-Parteiführung Mitte April 1971 beschlossene Sache war, lässt sich nicht sagen.14 Die in unterschiedlichen Versionen kolportierte final erzwungene Abdankung Ulbrichts im Gästehaus der Regierung in Dölln am 2. Mai 1971 erfolgte jedenfalls bereits mit Hilfe der Staatssicherheit, deren Personenschutz die Aktion Honeckers flankierte.15 In der Stasi-Zentrale waren derweil alle Vorkehrungen getroffen, um den Machtwechsel auf der für den Folgetag kurzfristig anberaumten 16. Tagung des Zentralkomitees abzusichern.
Als am 3. Mai 1971 um 19.30 Uhr die Abendnachrichten der »Aktuellen Kamera« begannen, war das Topthema natürlich die Tagung des ZK der SED und der dort formal abgesegnete Rücktritt Walter Ulbrichts. Die meisten Mitarbeiter des MfS wie auch alle anderen DDR-Bürgerinnen und -Bürger dürften von dieser grundstürzenden Veränderung aus dem Fernsehen erfahren haben. Unmittelbar nachdem die Meldung verlesen worden war, gingen ab 19.33 Uhr mit der höchsten Dringlichkeitsstufe versehene Einsatzbefehle über die Fernschreiber des MfS.16 Der zeitliche Verzug sollte vielleicht den Eindruck erwecken, die Staatssicherheit habe im Vorhinein nichts von der Ranküne gewusst. Besonders glaubwürdig war das nicht. Der Einsatzbefehl zitiert einleitend nahezu wortwörtlich die Verlautbarung des DDR-Fernsehens, die also bereits vorgelegen haben musste. Die Entbindung Walter Ulbrichts und die »einstimmige« Wahl Honeckers zum neuen Parteichef hatte auf Weisung des Staatssicherheitschefs »unsere volle Zustimmung« zu finden. Um dies auch in den eigenen Reihen widerspruchslos durchzusetzen, sollte gegenüber den Mitarbeitern »Klarheit über die Beschlüsse« der Parteiführung geschaffen werden. Vor allem aber sei absehbar, dass der »Gegner« die Beschlüsse für seine »Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit« nutzen werde, weshalb ab sofort »erhöhte Wachsamkeit und eine ständige Arbeitsbereitschaft« angeordnet wurde. Ziel der Aktion war die Absicherung des Machtwechsels und vor allem die Unterbindung von Kritik an Honecker.17 Die ZAIG war ständig zu informieren, besondere Vorkommnisse an den Zentralen Operativstab und »besonders wichtige Informationen« direkt an Mielke durchzustellen.18
Noch am gleichen Abend wurden die Leiter der Diensteinheiten und der Parteisekretär in der Normannenstraße zusammengerufen. Vermutlich Mielke persönlich erläuterte seinen engsten Mitarbeitern die Ereignisse nochmals. Entsprechend der offiziellen Lesart handele es sich um einen allein durch das Alter Ulbrichts begründeten und deshalb »naturgemäßen« Vorgang, der letztlich die »Kollektivität« und »Kontinuität« der Partei unter Beweis stelle. Nunmehr komme es darauf an, das »volle Vertrauen« des neuen Parteichefs zu gewinnen, »der uns aus unserem jahrzehntelangen gemeinsamen Kampf bekannt« sei. Dass diese neue Zeit eine neue Etappe in der Arbeit der Staatssicherheit einläuten sollte, betonte Mielke ausdrücklich. Ging es doch nach seinen Worten um nichts weniger als darum, sich jetzt »noch enger um das ZK zusammenzuzuschließen und noch konsequenter um die Durchsetzung der Politik der Partei zu ringen«.19 Um dies auch nach außen hin zu dokumentieren, wurde von der Parteiorganisation im MfS eine vorbereitete Ergebenheitsadresse an Honecker persönlich übersandt.20
Bemerkenswert ist, dass der am Abend des 3. Mai erlassene Befehl keine zeitliche Befristung der Überwachungsaktion festlegte und damit auch die »ständigen« Berichtspflichten ohne Widerruf Geltung behielten. In den frühen Morgenstunden herrschte in den MfS-Dienststellen republikweit hektische Betriebsamkeit. Überall wurden entsprechend den Vorgaben aus Ostberlin Erkundigungen eingeholt und die Erkenntnisse neben den Zentralstellen auch mit den örtlichen Partei- und Staatsorganen geteilt.21 Der Berichtstakt war immens: Alle vier Stunden sollte ein Bericht abgegeben werden. Erst am 10. Mai 1971 wurde der Einsatzbefehl aufgehoben.22
Von der Informationsflut, welche die Zentrale in den Tagen nach dem 3. Mai erreicht haben muss, ließ sich im MfS-Archiv nur wenig ermitteln. Die ZAIG befasste sich nachweisbar mit der Auswertung der Westmedien, deren Berichterstattung täglich der Führungsebene der Staatssicherheit zur Kenntnis gegeben wurde.23 Hinweise, dass die MfS-Führung Honecker oder andere Mitglieder des Politbüros über die Ergebnisse der laufenden Aktion informierte, finden sich hingegen nicht. In der Sache dürfte dies auch unerheblich gewesen sein, da die MfS-Dienststellen mit dem örtlichen Parteiapparat in Verbindung standen und anfallende Neuigkeiten über diesen Umweg mittelbar zum Sektor Parteiinformation beim ZK gelangten. Denn auch der Parteiapparat befand sich in Alarmbereitschaft und versorgte die Führung in Ostberlin laufend mit Stimmungsberichten.24
Was die Parteiorganisationen über Reaktionen auf den Machtwechsel berichteten, lässt sich aufgrund fehlender Unterlagen nur in Ausschnitten beurteilen. Einen mittelbaren Rückschluss auf die Stimmung im Lande lassen die monatlichen Lageberichte der SED-Bezirksleitungen zu, die allein für die Augen des Parteichefs bestimmt waren. Redaktionell bearbeitete Auszüge aus diesen Berichten wurden an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros verteilt.25 Diese sensiblen Stimmungsberichte waren bezeichnenderweise die ersten Unterlagen, die Honecker wenige Tage nach seinem Machtantritt Mielke – offiziell noch nicht Mitglied des Politbüros – zukommen ließ. Ab dem 11. Mai 1971, also einen Tag nach Ende der Sonderaktion, gingen im Ministerbüro die ersten allein für Honecker bestimmten Lageberichte der SED-Bezirkschefs in der Normannenstraße ein.26
Von den Maiberichten sind in den Unterlagen des ZK-Apparates nur fünf der fünfzehn Bezirke einschließlich der gekürzten Zusammenfassungen für die Politbüromitglieder erhalten. Auffällig ist zweierlei: Erstens enthielten die Parteiberichte zwar sprachlich verklausulierte, aber deutlich kritische Meinungsäußerungen. Zweitens wurden eben diese Passagen in den von Honecker zur Verteilung im Politbüro freigegebenen Zusammenfassungen nochmals sprachlich entschärft. Am Ende konnte so der Eindruck entstehen, die Zustimmung in der Bevölkerung für den neuen Parteichef sei überwältigend. So ließ Honecker beispielsweise seine Politbürokollegen über die Lage im Bezirk Cottbus wissen, es gebe zwar »vereinzelt« Unverständnis über seine Ernennung vor dem Parteitag, doch sei »fast ausnahmslos« »volles Verständnis« für den Abgang Ulbrichts wie auch eine zustimmende Haltung zu Honecker als neuem starken Mann zu verzeichnen.27 Im Ausgangsbericht des Cottbusser Parteichefs Werner Walde las sich das ein wenig anders: »Fast ausnahmslos« habe die Diskussion um Ulbrichts Ablösung die öffentliche Diskussion nach dem 3. Mai beherrscht, auch wenn in den »bisher bekannten Meinungen« Zustimmung überwiege. Die angeblich »vereinzelte« Kritik war nach Walde tatsächlich breiter. So habe es »aus allen Teilen der Bevölkerung« keine »vereinzelten«, sondern »einzelne Fragen« gegeben, auf die, wie Walde seinem Parteichef nahelegte, »wir Antwort geben müssen«. Mehr noch habe in den kritischen ersten Tagen nach Bekanntwerden des Machtwechsels »unklaren und feindlichen Diskussionen« entgegengetreten werden müssen, die Walde gleichwohl als »Spekulationen und Verleumdungen« verstanden wissen wollte, die der Bevölkerung selbstredend von »feindlichen Propagandazentren« eingeflüstert worden seien.28 Der Neubrandenburger Parteichef Johannes Chemnitzer berichtete, es gebe neben aller Einmütigkeit und Geschlossenheit durchaus Fragen zum Zeitpunkt des Personalwechsels wie auch die statutenmäßige Rechtmäßigkeit der Absetzung angezweifelt würde.29 Vergleichsweise zurückhaltend äußerte sich der Suhler Parteichef Hans Albrecht: Er »gehe davon aus«, dass die Wahl Honeckers »überall gut aufgenommen« worden sei und betonte, wenigstens innerhalb der Partei habe nicht gegen »falsche Auffassungen oder Unklarheiten« vorgegangen werden müssen.30 Eben solche verschwieg Erich Mückenberger, seines Zeichens Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Frankfurt/Oder und designierter Vorsitzender der einflussreichen Zentralen Parteikontrollkommission, der ausschließlich »Einmütigkeit« über die personellen Veränderungen an Honecker meldete.31 Tatsächlich hatte es aber mindestens in seinen lokalen Parteiinformationen Spekulationen über Streitigkeiten innerhalb der Parteiführung gegeben.32 Ähnlich auch in Leipzig: Wie Honecker die Politbüromitglieder wissen ließ, gäbe es auch dort »volle Zustimmung« und »vollstes Vertrauen.«33 Was die Zusammenfassung an die Politbüromitglieder unterschlug, war eine im Originalbericht enthaltene Passage, der zufolge sich viele Parteimitglieder wohlwollend über den scheidenden Parteichef Walter Ulbricht geäußert hatten.34
Die Informationspolitik Honeckers gegenüber dem Politbüro und der Umstand, dass er die Lageberichte seiner Bezirkschefs an Mielke weiterleitete, können als Indizien gelten, dass sich der neue Parteichef über die tatsächliche Lage im Land unsicher war. Sehr wahrscheinlich in Reaktion darauf fertigte schließlich die ZAIG einen Stimmungsbericht über die Folgen der 16. ZK-Tagung.35 Dieser ging nicht direkt an Honecker, sondern wurde in zwei Ausfertigungen Mielke persönlich übersandt. Ein Exemplar war für die »Einsatzmappe« vorgesehen, was darauf schließen lässt, dass der Stasichef die Unterlage Honecker persönlich zur Kenntnis gegeben hatte.36
Das MfS jedenfalls betonte ähnlich wie die Parteiorganisationen, das Plenum sei auf großes Interesse gestoßen, was sich schon an der starken Nachfrage nach Tageszeitungen gezeigt habe. Natürlich sei der Rücktritt Ulbrichts das zentrale Thema, doch werde ganz in der offiziellen Lesart mit Blick auf dessen Gesundheitszustand »volles Verständnis« für diesen Schritt geäußert – wenngleich »wiederholt hervorgehoben« werde, dass dies erst auf dem Parteitag erwartet worden war. Hinsichtlich des neuen starken Mannes bescheinigte Mielke, dass »überwiegend Zustimmung« festzustellen sei, wenngleich eingeräumt wurde, dass »in allen Bezirken« auch »Vorbehalte« geäußert würden: Honecker habe nicht genügend Erfahrung, er sei unbeliebter als sein »volkstümlicher« Vorgänger und ein »Dogmatiker«, namentlich im Hinblick auf die Deutschlandpolitik. Befürchtungen, die von Honecker vertretene scharfe Abgrenzung zur Bundesrepublik würde beispielsweise denkbare Reiseerleichterungen torpedieren, seien anzutreffen. Schlimmer aber noch las sich, dass sowohl unter den Genossen als auch den Parteilosen die Geschlossenheit der SED bezweifelt würde. Mielke warnte, eine Schwächung der Führung könne letztlich ähnliche Unruhen wie in der Tschechoslowakei und Polen hervorrufen, was unter dem durchsetzungsstarken Ulbricht verhindert werden konnte. Besonders ein in Teilen der Bevölkerung vermuteter Gegensatz zwischen Regierungschef Willi Stoph und SED-Chef Honecker werde als potenzielles Problem wahrgenommen. Ulbricht habe die »Fraktionskämpfe« kleinhalten können. Das sei nun nicht mehr gewährleistet.37
Inwiefern Honecker tatsächlich einen inneren Machtkampf hatte fürchten müssen, ist an dieser Stelle nicht zu klären, doch im Lichte der bisher zur Verfügung stehenden Quellen eher unwahrscheinlich.38 Stoph hatte sich frühzeitig in das Lager der Ulbricht-Kritiker geschlagen und trat während der kontroversen Diskussionen auf dem 14. ZK-Plenum im Dezember 1970 als einer der Hauptkritiker des angeschlagenen Parteichefs auf.39 Vielleicht machte ihn aber eben diese prominente Rolle in den Augen vieler DDR-Bürger und westlicher Beobachter potenziell zu einem natürlichen Nachfolger.40 Hinzu kam, dass es Stoph und nicht Honecker gewesen war, der im zurückliegenden Jahr 1970 als Repräsentant der DDR bei den ersten deutsch-deutschen Begegnungen in Erfurt und Kassel aufgetreten war.
Ob Stoph einen Führungsanspruch artikulierte, ist nicht bekannt. Dennoch wurde er von der Honecker-Fraktion in den kritischen Tagen im April 1971 und mittelbar auch von Mielke in die Schranken verwiesen. Anlass war eine Pressekampagne in der Bundesrepublik. Am 24. April 1971 begann die Tageszeitung »Die Welt« mit der Veröffentlichung einer Artikelserie über die Machtverhältnisse im Ostberliner Parteiapparat.41 Die aufsehenerregenden Meldungen wurden von anderen Zeitungen, Fernsehsendern und Radiostationen aufgegriffen. Denn »Die Welt« präsentierte mit Werner Obst einen ehemaligen Mitarbeiter Stophs als vermeintlichen Kronzeugen. Allerdings konnte Obst, der zwischen 1964 und 1968 zuletzt als Abteilungsleiter im Büro des Ministerrates tätig gewesen und im Herbst 1969 während einer Dienstreise in Rumänien geflohen war, aus eigener Anschauung kaum Kenntnis von den Machtkämpfen der zurückliegenden Monate haben. Stoph wurde die Affäre dennoch zum Verhängnis. Umso mehr, als die Flucht von Obst auch von Seiten des MfS bis dahin unter der Decke gehalten und damit die übrigen Politbüromitglieder von den Enthüllungen überrascht worden waren.42 Stoph musste sich gegenüber der Parteiführung erklären. Am 30. April 1971 – vier Tage vor der Absetzung Ulbrichts – versandte er an die Mitglieder des Politbüros eine persönliche Stellungnahme. Er musste einräumen, dass Obst tatsächlich Geheimnisträger war, Zugang zu Verschlusssachen auch der Parteiführung gehabt hatte, an der Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen vor allem im Wissenschaftsbereich beteiligt gewesen war und Interna über Personen und Zusammenhänge in der Spitze des Staats- und Parteiapparates kannte. Schadensbegrenzend sei allein, dass sein ehemaliger Mitarbeiter ab 1968 zur Vorbereitung seiner Dissertation mit anderen Aufgaben betraut und schließlich zum Jahresende aus dem Ministerrat ausgeschieden war.43 Den Protokollen der ZK-Sitzungen und des Politbüros nach zu urteilen wurde Stophs Bericht nicht auf die Tagesordnung gesetzt und damit eine Aussprache über den brisanten Fall unterbunden. Gleichwohl kursierte der Bericht innerhalb der Parteiführung. Bezeichnend bleibt aber vor allem, dass sich der Regierungschef persönlich verantworten musste und nicht die eigentlich für diesen sensiblen Sicherheitsfall zuständige Staatssicherheit. Der mit dem Bericht indirekt erbrachte Nachweis der Unzuverlässigkeit Stophs war geeignet, den Regierungschef als Nachfolger Ulbrichts gezielt zu diskreditieren und auf seinen Platz hinter Honecker zu verweisen.44
Am Ende versicherte das MfS in seinem Stimmungsbericht jedoch, insgesamt seien erwähnte »negierende, abwertende und direkt feindliche Äußerungen« Ausnahmeerscheinungen, die zumeist von einschlägig bekannten regimekritischen Opponenten kämen. Alles in allem, so der Honecker nahegebrachte Tenor, drohe keine ernsthafte Gefahr.45
Die erste Etappe des Machtwechsels war damit reibungslos verlaufen. Nicht nur in der Bevölkerung wurde nun mit Spannung auf den Mitte Juni 1971 bevorstehenden VIII. Parteitag geschaut, der noch »eine Reihe von Funktionsentbindungen und Ablösungen bringen« werde.46 Das MfS beobachtete die Großveranstaltung wie üblich mit einer Überwachungsmaßnahme, die intern die Deckbezeichnung »Aktion Meilenstein« trug.47 Bezeichnenderweise hielt sich die Staatssicherheit mit der politischen Berichterstattung über die Reaktionen auf den ersten großen Auftritt Honeckers neuerlich zurück. Dabei wies ZAIG-Chef Werner Irmler einen Tag nach Beginn des Parteitages sämtliche Diensteinheiten noch einmal »eindringlich« an, Reaktionen in der Bevölkerung »gewissenhaft aufzuklären und einzuschätzen«, da »auf Grund der Situation […] äußerste Wachsamkeit« an den Tag gelegt werden müsse.48 Trotz der angeordneten intensiven Informationssammlung fertigte die ZAIG keinen Bericht. Dass dies unterblieb dürfte daran gelegen haben, dass das MfS mit dem Parteiapparat in Kontakt stand und sich deshalb eine Spitzenberichterstattung erübrigte. Umso mehr als sich trotz des allgemeinen Alarmismus herausstellte, dass der Parteitag ohne besondere Vorkommnisse verlief. Die ZAIG konstatierte in ihrem internen Abschlussbericht sogar einen Rückgang einschlägiger politischer Straftaten.49 Die Staatssicherheit beschränkte sich daher auf die organisatorische und logistische Absicherung, indem sie beispielweise die Berliner SED-Bezirksleitung und Willi Stoph auf Baumängel und die störanfällige Stromversorgung am Tagungsort aufmerksam machte.50 Hinzu kam eine verstärkte Berichterstattung der ZAIG über Sicherheitsvorfälle wie Verkehrsunfälle, deren Meldung unmittelbar in Zusammenhang mit der erhöhten Einsatzbereitschaft im Umfeld des Parteitages stand.51
Die im Stimmungsbericht vom Mai 1971 erwarteten personalpolitischen Rochaden auf dem Parteitag blieben hingegen aus. Honecker beließ selbst jene Politbüromitglieder in ihren Positionen, die sich nicht aktiv am Sturz Ulbrichts beteiligt hatten. Gleichzeitig rückten Honecker-Vertraute wie Werner Krolikowski, Hermann Axen oder Werner Lamberz als Vollmitglieder in das Politbüro auf. Unter den Kandidaten des Politbüros waren zwei neue Gesichter: zum einen Harry Tisch, bislang Parteichef in Rostock, und Staatssicherheitsminister Erich Mielke. Sein Foto fand sich am 20. Juni 1971 unter den Mitgliedern der neuen Parteiführung im Zentralorgan »Neues Deutschland« wieder.52 Auch wenn Mielke noch fünf Jahre auf die Vollmitgliedschaft im innersten Führungszirkel warten musste, so war der Staatssicherheitschef trotz seines Kandidatenstatus nun ständiger Gast bei den Zusammenkünften des Politbüros.53 Für die Bedeutung seines Ministeriums im Machtgefüge der DDR und die Berichterstattung an die Parteiführung konnte dies nicht ohne Folgen bleiben.
3. Ausgewählte Themenfelder der Berichte
Zunächst weisen die Themen der ZAIG-Berichte aus dem Jahr 1971 im Vergleich zu anderen Jahrgängen kaum Besonderheiten auf. Schwerpunktmäßig berichtete das MfS an die Partei- und Staatsführung über Sicherheitsfälle wie Fluchten und Grenzzwischenfälle und Protesthandlungen. Ein zweiter Schwerpunkt zeichnet sich auf dem Gebiet der Wirtschaft ab, wobei wiederum Havarien, Störungen und Fälle vermuteter Misswirtschaft und Korruption Anlass für die Unterrichtungen boten. Diese scheinbare Normalität erstaunt angesichts der innen- und außenpolitischen Herausforderungen, denen sich die SED ausgesetzt sah.
3.1 Wirtschaftsprobleme
Ein Schwerpunkt der Berichterstattung war die ökonomische Lage in der DDR, namentlich deren Störungen, die in den Augen des Ministers zu wirtschaftlichen Verwerfungen beitrugen und deshalb – auch präventiv – zu verhindern waren.54 Mielke musste sich vor seinen Führungskadern Anfang März 1971 gegen Stimmen aus den eigenen Reihen wehren, die eine solche umfassende und im Tagesgeschäft kleinteilige Überwachung des Wirtschaftslebens für unangemessen hielten. Ziel war letztlich auch weniger, jeden Brand zu melden, sondern vielmehr die verantwortlichen Kader des Verwaltungs- und Wirtschaftsapparates zu überwachen und zur Einhaltung der Vorschriften zu bewegen: »Wenn dieses Einwirken manchen Leitern nicht passt, ist das eine andere Sache, aber wer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, wird immer wieder darauf aufmerksam gemacht« – und hier zeigte sich der begrenzte Einfluss des MfS, wenn der Minister fortfuhr – »notfalls an der nächsthöheren Stelle«.55 Dieses Hineinregieren der Stasi in den Wirtschafts- und Staatsapparat war offensichtlich auch außerhalb des Ministeriums nicht unumstritten. Mielke jedenfalls betonte, man werde diese Arbeit fortsetzen, auch wenn darauf hingewirkt worden sei, dass »sich das MfS nicht mehr mit derartigen Dingen zu beschäftigen habe, weil das keine Angelegenheit des MfS sei«.56
Die Dringlichkeit die Wirtschaftsprobleme im Blick zu behalten, hatte vor dem Hintergrund der Ereignisse in Polen eine unmittelbar systemrelevante Dimension. Die Dezember-Unruhen des Vorjahres infolge einer massiven Versorgungskrise hatten den Rücktritt eines Teils der alten Parteiführung zur Folge, nachdem Versuche, die Demonstrationen gewaltsam niederzuschlagen, nicht zu einer Befriedung geführt hatten. Die SED-Führung beobachtete die Vorgänge genau und insbesondere der Flügel um Erich Honecker fühlte sich in der Auffassung bestärkt, dass nur ein Umsteuern in der Wirtschafts- und Sozialpolitik die Herrschaft sichern könne. Die Hoffnung, durch soziale und ökonomische Wohltaten die Loyalität der Bevölkerung erkaufen zu können, sollte sich mittelfristig als Auslöser für die finale Krise der DDR erweisen. Kurzfristig hingegen schien es durchaus folgerichtig, dass dieses Konzept erfolgversprechend sein könnte.
Mielke bestärkte solche Annahmen. Im März 1971 unterstrich der Minister im Kontext der Debatten um die Wirtschaftsaufklärung seines Apparates, dass es auch in der DDR zu polnischen Verhältnissen komme könne, sei »nicht völlig ausgeschlossen«. Die letzten Monate hätten gezeigt, dass »durch falsche oder unpopuläre Maßnahmen verschiedener staats- und wirtschaftsleitender Organe leicht bestimmte Rückwirkungen besonders auf labile Menschen hervorgerufen und solche Menschen ›in Bewegung‹ gesetzt werden können«.57 Angesichts der Versorgungsschwierigkeiten und den sich abzeichnenden Problemen bei deren Bewältigung müsse mit »beträchtlichen Auswirkungen auf die Werktätigen und breite Bevölkerungskreise« gerechnet werden.58 Besonders bedenklich schien Mielke, dass die schweigende Masse gefährlich werden könne, weil der »Ausgangspunkt ihrer Unzufriedenheit nicht oder nicht in erster Linie politisch orientiert« sei, diese aber umso leichter »gegen den Sozialismus in Bewegung geraten« könne.59 Es müsse also alles daran gesetzt werden, dass es »unter gar keinen Umständen zu ähnlichen Erscheinungen wie in Polen kommen« werde.60
3.2 Versorgungslage
Der Alarmismus des Ministers war nicht unberechtigt. Die Versorgungskrise, die Gefahr einer politischen Instabilität angesichts des Machtwechsels und die latente Unzufriedenheit in der Bevölkerung bildeten eine gefährliche Mischung. Mielke gab seinen Mitarbeitern deshalb den Auftrag, insbesondere die Stimmungen in der Bevölkerung zu den Versorgungsproblemen genau und möglichst flächendeckend zu erfassen. Gleiches galt für die ebenfalls prekäre Energieversorgung. Solche Hinweise sollten nicht nur das eigene Ministerium, sondern auch den Partei- und Staatsapparat in die Lage versetzen, frühzeitig und präventiv gegen Krisenherde vorzugehen.
Ein besonderer Schwerpunkt lässt sich aus den ZAIG-Berichten gleichwohl nicht erkennen. 1971 wurden nur ganze zwei Stimmungsanalysen gefertigt, die sich mit den skizzierten Problemkreisen beschäftigten.61 Auch wenn Mielke darauf pochte, dass nur das MfS in der Lage sei, die wahre Stimmungslage zu ergründen und den Parteiapparat »objektiv, schnell und noch qualifizierter« als bisher über diese Fragen zu unterrichten, so war der Rückfluss an die SED überaus spärlich.62 Nur ein Stimmungsbericht erreichte nachweislich Honecker und Werner Lamberz. Der Inhalt eines weiteren wurde vermutlich durch Mielke Honecker zur Kenntnis gegeben. Letztlich war sich auch Mielke bewusst, dass weder die Methoden der Informationserhebung noch die analytische Auswertung des Materials zu validen Schlüssen führen würden: Was an Stimmungsberichten in der Zentrale einging, sei mitunter »wahllos« und für eine Lagebeurteilung sowohl republikweit wie auch lokal nur schwer zu gebrauchen. Diese harsche Kritik des Ministers verwundert. Die ZAIG-Berichte legten stets einen Schwerpunkt auf die Stimmung im Lande. Trotzdem hielt es Mielke aber auch nach fast zwanzig Jahren für nötig, auf die »wachsende Bedeutung« solcher Unterrichtungen hinzuweisen.63
Immerhin warnte der am 7. Januar 1971 an Honecker und Lamberz abgesetzte erste Stimmungsbericht entsprechend der Bedrohungsperzeption Mielkes vor Gerüchten über bevorstehende Preissteigerungen sowie eine Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge, mit denen die gestiegenen Löhne wieder aufgefangen werden würden. Zwar sei solches Gemunkel noch die Ausnahme, aber eine »steigende Tendenz« unverkennbar und damit ein ernstzunehmendes innenpolitisches Problem zu erwarten.64 Dass es Unmut gab, war auch im Parteiapparat bekannt. Ihn erreichten unter anderem Protestbriefe, die zur »weiteren Bearbeitung« an das MfS übergeben wurden.65 Zu den im Januar 1971 eingeleiteten Gegenmaßnahmen, die ad hoc zur Abmilderung der Versorgungsengpässe gedacht waren und zugleich Vorboten der dann auf dem Parteitag propagierten Einheit von »Wirtschafts- und Sozialpolitik« waren, gehörten die zum 1. Februar 1971 eingeführte Absenkung der Einzelhandelsverkaufspreise, Rentenerhöhungen sowie die Einführung einer freiwilligen Zusatzversicherung, die das Politbüro am 21. Januar 1971 bestätigte. Diese Kehrtwende war maßgeblich von Honecker getragen, der wahrscheinlich auch bei Mielke eine Einschätzung anforderte, wie diese Maßnahmen aufgenommen würden. Aus dem Parteiapparat waren Honecker deutlich kritische Stimmen aus der Bevölkerung zur Kenntnis gelangt, wonach die Preissenkungen Augenwischerei und die Zusatzversicherung unvollkommen seien.66 Der wahrscheinlich Mitte Februar 1971 entstandene ZAIG-Bericht hingegen bescheinigte den Maßnahmen breite Zustimmung, ja in Teilen sogar Begeisterung und Verwunderung über den Zeitpunkt der inmitten einer unübersehbaren Wirtschaftskrise getroffenen Maßnahmen. Dass damit – zutreffend – Unruhen wie in Polen verhindert werden sollten, qualifizierte die Stasi als ein vereinzelt auftretendes »abwertendes« Argument.67
Die übrigen ZAIG-Berichte über die DDR-Wirtschaft beschäftigten sich mit konkreten Zwischenfällen, die nach Einschätzung des MfS aus verschiedenen Gründen systemgefährdend erschienen. Dabei war das MfS – wie schon Mielke eingeräumt hatte – weit davon entfernt, vollständig und regelmäßig über alle Vorfälle zu informieren. Das war auch gar nicht notwendig, weil die Parteiführung parallel aus anderen Bereichen über Zwischenfälle informiert wurde, sodass im Zweifelsfall eine Unterrichtung seitens des MfS obsolet wurde. So war beispielsweise die verheerende Explosion im Kraftwerk Schwarze Pumpe am 28. April 1971 zuerst vom Innenministerium an die Abteilung Sicherheitsfragen des ZK gemeldet und die weitere Untersuchung in Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit angekündigt worden.68 Die ZAIG fertigte wenige Tage später einen ausführlichen Untersuchungsbericht, der zur Verteilung im Politbüro und den einschlägigen Ministerien vorgesehen war. Er wurde jedoch im Büro Mielke zurückgezogen und verschwand in der Ablage.69 Ähnlich verhielt es sich bei einem tragischen Zwischenfall in Leuna mit mehr als 50 Schwerverletzten wenige Tage zuvor. Dort war zufällig Chemieminister Günter Wyschofsky vor Ort, der sofort die Abteilung Sicherheitsfragen ins Bild setzte.70 Das MfS beteiligte sich zwar an den anstehenden Ermittlungen der Schadensursache, fertigte aber keinen nachweisbaren Bericht für die Parteiführung.
Ein Kernbereich, den das MfS im Jahr 1971 immer wieder beschäftigte, war der Energiesektor. Sowohl die Versorgung der Bevölkerung als auch der Industrie mit Elektrizität war eine zentrale Voraussetzung sowohl für den Erfolg der Wirtschaftspolitik als auch der von Honecker angestrebten sozialen Ruhigstellung des Landes. Stromabschaltungen, wie sie zum Jahreswechsel 1970/71 infolge von Havarien, nicht ausreichenden Kraftwerkskapazitäten und Lieferengpässen von fossilen Brennstoffen für die Energieerzeugung vorgenommen werden mussten, waren ein ernsthaftes Problem. Erstmals seit 1963 erlebte die DDR zu Jahresbeginn wieder an zwei Tagen Flächenabschaltungen.71 Trotz Ad-hoc-Maßnahmen gelang es nur unter Mühen, die Energieversorgung zu stabilisieren. Am 7. Januar 1971 wurden die Redaktionen der DDR-Presse mit »Argumentationshinweisen« der Parteiführung versehen, um absehbarer Kritik an Stromausfällen entgegenzutreten und gleichzeitig die Bevölkerung zu Stromeinsparungen aufzurufen.72
3.3 Energieversorgung: Das Kraftwerk Thierbach
Zu den Großkraftwerksanlagen, welche die Energieversorgung in der DDR auf sicherere Füße stellen sollten, gehörte das Braunkohlekraftwerk Thierbach bei Leipzig. Im Jahr 1969 ging der erste von insgesamt vier 210-Megawatt-Blöcken ans Netz. Die vollständige Inbetriebnahme des mithilfe sowjetischer Techniker errichteten Kraftwerkes sollte schließlich im Mai 1971 erfolgen. Von Thierbach aus sollte nicht nur der Großraum Leipzig mit Strom versorgt werden. Auch die Industriegebiete Buna bei Schkopau und Piesteritz waren von den Leistungen des Kraftwerks abhängig.
Dabei war die Lage in Thierbach alles andere als stabil. Die Engpässe in der Energieversorgung waren wenigstens in Teilen auf Havarien und Ausfälle im neuen Großkraftwerk zurückzuführen. Die Probleme waren innerhalb des Partei- und Staatsapparates hinlänglich bekannt, wie auch die örtlich zuständige Leipziger Bezirksverwaltung und auch die ZAIG ständig über die Lage vor Ort informiert waren.73 Anfang 1971 spitzte sich die Lage so zu, dass der Ministerrat Mitte Februar mit der Verabschiedung eines Maßnahmenplanes zur Behebung der größten Mängel den laufenden Probebetrieb sowie die Inbetriebnahme des Kraftwerkes sicherzustellen versuchte.74 Dass Thierbach Anfang Mai 1971 offiziell vollständig ans Netz ging, täuschte über die anhaltend prekäre Lage hinweg.75 Die ZAIG hielt sich bis zu diesem Zeitpunkt mit eigenen Einschätzungen aus den Diskussionen innerhalb des Partei- und Regierungsapparates heraus. Erstmals berichtete sie am 14. Juni 1971 über eine spontane Arbeitsniederlegung von Berliner Monteuren auf der Baustelle des Kraftwerkes. Mit Blick auf den bevorstehenden Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 könnte der Bericht Ausdruck des allgemeinen Alarmismus der Staatssicherheit sein, mit dem sie auf jegliche Protesthandlungen in diesen Tagen reagierte. Der Verteilerkreis klammerte allerdings die für diese Fragen zuständige Sicherheitsabteilung und Honecker aus und umfasste stattdessen neben Regierungschef Willi Stoph und seinem Stellvertreter Horst Sindermann den Minister für Schwermaschinenbau Gerhard Zimmermann und den stellvertretenden Bezirksparteichef von Berlin Konrad Naumann. Es ist daher eher plausibel, dass der Vorfall die erste Wortmeldung der Staatssicherheit in dem seit Monaten währenden Diskussionsprozess um die katastrophale Lage in Thierbach war. Darauf deutet auch hin, dass es der Staatssicherheit weniger um die Protesthandlung an sich ging, da ausdrücklich Verständnis für die zugrundeliegenden miserablen Arbeitsbedingungen geäußert wurde, sondern die bereits hinlänglich bekannten Ursachen wie Leitungsprobleme und mangelnde Qualifikation des eingesetzten Personals hervorgehoben wurden.76
Anfang August 1971 kam es infolge erneuter Ausfälle in Thierbach und in anderen Braunkohlekraftwerken erneut zu flächendeckenden Stromausfällen. Da die eingeleiteten Maßnahmen nicht ausreichten, um genügend Strom einzuspeisen, musste kurzfristig Energie aus der Tschechoslowakei importiert werden. Der Minister für Kohle und Energie Klaus Siebold plädierte dafür, eine generalstabsmäßige Untersuchung der »Kraftwerksausfälle« im Rahmen einer Regierungskommission zu erörtern und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.77 Parallel wurde die sowjetischen Ingenieursdelegation, welche den Aufbau und die Inbetriebnahme des neuen Kraftwerkes begleitete, im ZK vorstellig. Die sowjetischen Genossen bestätigten, dass der Betrieb seit Übergabe des Werkes an die DDR äußerst störanfällig war. Ursächlich seien unqualifiziertes Personal aber ebenso die Ignoranz der deutschen Kollegen und eine inkompetente Werksleitung. Das fachlich vernichtende Urteil der hoch angebundenen sowjetischen Expertenkommission war geeignet, die Reputation der DDR zu beschädigen. Mindestens ebenso schwer aber wog, dass sich die sowjetischen Genossen diskriminiert fühlten. Das alles konnte nunmehr nicht auf der Arbeitsebene bleiben. ZK-Wirtschaftssekretär Günter Mittag informierte Erich Honecker am 17. August 1971 über die Entwicklung in Thierbach.78 Die ZK-Abteilung Grundstoffindustrie setzte daraufhin am 23. August 1971 eine Untersuchungskommission ein, die ausführlich die Schadensursachen für die Havarien und die Lage vor Ort erkunden sollte.79 Die vorgelegte Analyse förderte letztlich Bekanntes zu Tage: Neben schlechter Leitungstätigkeit und Personalproblemen wurde nun auch das politisch heikle Problem der Zusammenarbeit mit den sowjetischen Ingenieuren prominent herausgestellt und namentlich die Leitung des Kraftwerkes ins Kreuzfeuer gestellt.80 Honecker entschied, den Vorgang den Politbüromitgliedern zur Kenntnis zu geben und gab am 27. September 1971 den Bericht der ZK-Abteilung in den Umlauf.81
Jetzt brachte sich auch die ZAIG wieder ins Spiel. Am 23. September übersandte sie Mittag, Horst Sindermann und ZK-Mitglied Wolfgang Rauchfuß ihre Sicht der Dinge.82 Ausgehend von einer schweren Havarie am 8. August 1971 bescheinigte das MfS den eingesetzten Kommissionen, dass deren Einsatz und Maßnahmenkataloge nicht zu einer substanziellen Verbesserung der Lage beigetragen hätten. In Anbetracht des Umstandes, dass die Untersuchungen in starkem Maße von der ZK-Abteilung getragen worden waren, verwundert diese harsche Einschätzung. Umso mehr, als das MfS empfahl, zur Abstellung der Probleme Minister Siebold verantwortlich zu machen. Konkret brachte die Staatssicherheit die Ablösung leitender Kader wie des Werksleiters ins Gespräch, wenigstens aber sollten disziplinarische Maßnahmen ergriffen werden. Das jedoch hatte die ZK-Abteilung wenige Wochen zuvor bereits selbst ins Spiel gebracht und war im Falle des Kraftwerkleiters bereits vor Abgang des Berichtes erfolgt.83 Die weitere Zuständigkeit für die grundsätzliche Verbesserung der Lage in Thierbach blieb der Darstellung der ZK-Abteilung zufolge in Verantwortung des Parteiapparates, namentlich der Abteilung Grundstoffindustrie. Günter Mittag ließ sich von dieser Anfang November 1971 noch einmal über den Stand der Dinge informieren. Inzwischen hatte sich die ZK-Abteilung mit den sowjetischen Spezialisten über einen neuerlichen Maßnahmenplan verständigt, der trotz unübersehbarer Schwierigkeiten Früchte zu tragen begann.84
Die ZAIG-Berichte über die Lage im Kraftwerk Thierbach blieben damit ohne erkennbare Folgen. Einerseits waren die Ursachenanalysen bereits bekannt und lieferten damit allenfalls Bestätigendes. Bei der Behebung der Probleme ergriffen die beteiligten Partei- und Staatsorgane eigene Initiativen, die sich im vorliegenden Fall wenigstens zum Teil mit den Empfehlungen des MfS deckten. Die von Mielke angedeuteten Schwierigkeiten, sich gerade auf dem Gebiet der Volkswirtschaft gegenüber den anderen Akteuren durchzusetzen oder wenigstens Gehör zu verschaffen, finden damit Bestätigung. Ähnlich verhielt es sich auch mit einer zweiten, umfassenden Studie über das allgemeine Havariegeschehen in den großen Betrieben und Kombinaten der DDR, die Ende August 1971 in der ZAIG entstand und geeignet gewesen sein dürfte, die Notwendigkeit durchgreifender Maßnahmen auch jenseits von Thierbach zu unterstreichen. Inhaltlich vermied die Staatssicherheit eine Positionierung und beschränkte sich auf eine kleinteilige Aufzählung der Störfälle und des dadurch entstandenen Schadens. Einzig eine Verbesserung der gesetzlichen Vorschriften sei nach Einschätzung der Staatssicherheit angeraten. Der Bericht wurde jedoch zurückgehalten und verschwand in der Ablage.85 Offensichtlich zu spät kam das MfS auch mit einer Einschätzung über die Leistungsfähigkeit des Ferngasnetzes der DDR. Die Parteiführung hatte Ende Juni 1971 dem Abschluss eines seit 1968 ausgehandelten Lieferabkommens von sowjetischem Erdgas über die Tschechoslowakei zugestimmt, das Anfang Juli 1971 in Prag unterzeichnet wurde.86 Das MfS warnte nun die zuständigen Minister am 14. Juli 1971, dass die Versorgungssicherheit aufgrund technischer Mängel der Trassen nicht gewährleistet werden könne.87
3.4 Goldrausch
Ein anderer ZAIG-Bericht zeigt, dass das MfS trotz seines Überwachungsanspruches nicht alle Verfehlungen aufdecken konnte und wollte. Im Falle des Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerks (BMHV) war es der dortige Leiter der Abteilung Wirtschaftskontrolle, der Anfang November 1971 in einer an Erich Honecker persönlich gerichteten Denunziation Unterschlagungen und Planmanipulationen aufdeckte.88 Wahrscheinlich weil sich frühzeitig abzeichnete, dass der wirtschaftliche Schaden in die Millionen gehen könnte, wurde die Aufklärung des Vorfalls innerhalb des Parteiapparates belassen und ZK-Wirtschaftssekretär Günter Mittag federführend mit der Untersuchung beauftragt. Die Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Finanzrevision und des zuständigen Ministeriums legte Honecker bereits am 23. November 1971 einen Bericht vor. Die Anschuldigungen hätten sich nicht nur bewahrheitet, auch seien weitere schwere Verstöße festgestellt worden. Inzwischen waren auch personelle Konsequenzen gezogen worden: Gegen drei führende Mitarbeiter wurden Anklagen geprüft, weitere nachgeordnete Funktionäre hatten mit Disziplinarmaßnahmen zu rechnen.89 Honecker entschied, kurzfristig am nächsten Tag das ZK mit der Angelegenheit zu befassen.90 Was genau die Mitglieder des Zentralkomitees erfuhren, ist aus den dünnen Protokollnotizen nicht zu erfahren. Mittag wurde jedenfalls beauftragt, an Regierungschef Stoph einen Zwischenbericht zu senden.91 Was Stoph mitgeteilt wurde, hatte horrende Dimensionen. Die ermittelten Fehlbeträge für das laufende Jahr beliefen sich auf annähernd eine Million DDR-Mark. Insgesamt habe die Revision Rückstände in Höhe von 15,6 Millionen DDR-Mark ergeben. Das Ministerium wurde mit der Prüfung beauftragt, ob es sich hier nur um die Spitze des Eisberges handelte und es ähnliche Vorfälle in anderen Bereichen des VEB gegeben habe.92
Am Folgetag gelangte ein ZAIG-Bericht mit dem unverfänglichen Titel »Situation im Bereich Edelmetall des VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerk« auf den Schreibtisch von Stophs Stellvertreter Wolfgang Rauchfuß.93 Ein zweites Exemplar wurde Finanzminister Siegfried Böhm zugestellt.94 Die Vorgänge im BMHV bekamen mit dieser Unterrichtung eine ganz neue Qualität. Jenseits der bekannten und im Bericht erwähnten Untersuchungen des ZK meldete das MfS nun den Diebstahl von knapp 80 Kilogramm Platin und mehr als fünf Kilogramm Gold mit einem Marktwert von mehr als sechs Millionen DDR-Mark. Damit dürfte es sich sehr wahrscheinlich um einen der größten Edelmetalldiebstähle in der Geschichte der DDR gehandelt haben. Zu allem Überfluss sei das Diebesgut wenigstens in Teilen nach Westberlin und Westdeutschland gebracht und dort wahrscheinlich an Geheimdienste verkauft worden. Anscheinend passten diese Vorgänge ohne Weiteres in die aufgedeckten chaotischen Zustände des Betriebes. Tatsächlich aber verschwieg der Bericht mehr, als er zur Aufklärung beitrug. Der kapitale Edelmetallraub war der Staatssicherheit bereits seit mehreren Wochen bekannt. Der Berliner SED-Chef Konrad Naumann war bereits am 8. Oktober 1971 über die Festnahme zweier Mitarbeiter des Betriebes unterrichtet worden, was die ZAIG in ihrer Darstellung unterschlug.95 Ebenfalls unerwähnt blieb, dass sich auch der eigentliche Drahtzieher des Diebstahls in MfS-Untersuchungshaft befand. Für die Staatssicherheit drohten die Nachforschungen des ZK-Apparates zu einem ernsten Problem zu werden. Denn wie sich bereits in den ersten Vernehmungen herausstellte, war der verhaftete Dieb kein Unbekannter: Der offenbar mit mehreren westlichen Geheimdiensten verbandelte zwielichtige Mann hatte sowohl für die HV A als auch für einen Sonderbereich des Mielke-Stellvertreters Bruno Beater und sehr wahrscheinlich auch für einen sowjetischen Militärgeheimdienst als Waffenhändler gearbeitet. Die beiden vom MfS offiziell an die SED-Bezirksleitung gemeldeten Verhafteten waren in diesem Netz nur »kleine Fische«, die zeitweilig bei der Beschaffung und Ausschleusung des Platins behilflich gewesen waren. Zu allem Überfluss stellte sich im Verlaufe der Untersuchungen heraus, dass in Beaters Bereich der mehrere Jahre währende Platinklau bekannt gewesen und geduldet worden war, sodass an eine Aufklärung des Vorfalles oder gar eine Aburteilung nicht zu denken war. Der Drahtzieher wurde 1972 – offiziell im Zuge der Amnestie – aus der Untersuchungshaft entlassen. Die beiden »kleinen Fische« hingegen erhielten langjährige Haftstrafen.96 Nicht nur deshalb hatte sich der Edelmetallraub im BMHW und der Ostberliner Halbwelt herumgesprochen. Nach Aktenlage gelang es dem MfS darauf hinzuwirken, dass die ZK-Untersuchungen an diesen Teil der Geschichte nicht weiter rührten und dieser spektakuläre Diebeszug jenseits des scheinbar harmlosen ZAIG-Berichts keine größeren Kreise zog.
3.5 Fluchten und Fluchtversuche
Am Nachmittag des 13. August 1971 beging die SED mit einer Parade der Kampfgruppen auf der Karl-Marx-Allee den 10. Jahrestag des Mauerbaus, nachdem die Parteiführung noch am Morgen dem Sozialisten Karl Liebknecht auf dem Friedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde anlässlich seines 100. Geburtstages die Ehre erwiesen hatte.
Was die Staatssicherheit zu diesem Tag zu berichten hatte, konnte den Eindruck erwecken, die DDR-Bürger hätten sich nach einem Jahrzehnt mit der Mauer abgefunden. Wie Erich Honecker in einem ersten Bericht am 13. August nachlesen konnte, waren bis zum Mittag des Tages in der gesamten Republik nur sieben Funde von Flugblättern und Losungen zu verzeichnen.97 Mehr als 200 Flugblätter hatte die Staatssicherheit allerdings rings um den Alexanderplatz sichergestellt, wo sich neben der Staats- und Parteiführung auch die Bevölkerung zu den offiziellen Feierlichkeiten einfand. Mielke, der auf der Ehrentribüne an der Kundgebung teilnahm, übergab dem Parteichef den Bericht sehr wahrscheinlich am Rande der Veranstaltung persönlich.98 Den für Honecker sicherlich ärgerlichen Vorfall am Alexanderplatz konnte die Staatssicherheit ganz im Sinne der SED-Führung aufklären und vermeldete drei Tage später die Festnahme des Friedensaktivisten Christian Richter.99
Während sich die Partei- und Staatsführung auf die Feierlichkeiten vorbereitete, ereigneten sich auf einem Inlandsflug von Erfurt nach Ostberlin dramatische Szenen. Ein 20-jähriger Student hatte in der Maschine einen 16-jährigen Schüler als Geisel genommen und wollte den Piloten zur Landung auf dem Westberliner Flughafen Tempelhof zwingen. Er konnte durch das Eingreifen einer Stewardess überwältigt werden.100 Dem Geiselnehmer, der wegen seiner politischen Einstellung von der Exmatrikulation bedroht war, sei es, wie das MfS berichtete, darum gegangen, ein auch international beachtetes Zeichen gegen die Mauer zu setzen.101 Mit der Verhaftung zerschlug sich dieser Plan. Die versuchte Entführung blieb ein gut gehütetes Geheimnis, das erst nach der Friedlichen Revolution bekannt wurde.102
Ungeachtet der vom MfS gemeldeten vergleichsweise ruhigen Lage am 13. August hielt die Fluchtbewegung aus der DDR 1971 an. Infolge des immer weiter perfektionierten Grenzstreifens, insbesondere die für Leib und Leben folgenschwere Verminung der innerdeutschen Grenzanlagen, wurden die Mittel und Wege in den Westen zu gelangen, immer riskanter.103 Zwei Einwohner aus Guben versuchten Anfang November 1971 mit Hilfe eines fluguntauglich gemachten NVA-Hubschraubers zu fliehen. Auch wenn die beiden Männer es tatsächlich geschafft hatten, das Fluggerät zu starten, war der Hubschrauber technisch nicht in der Lage zu fliegen. Die Verhaftung rettete den beiden nach Einschätzung der ZAIG sehr wahrscheinlich das Leben.104
Jenseits solch ungewöhnlicher Aktionen registrierte das MfS Tausende Fluchtversuche, von denen die wenigsten erfolgreich verliefen.105 Allein in den zehn Tagen zwischen dem 10. und 20. Juni 1971 zählte die Staatssicherheit in Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Absicherung des VIII. Parteitages 87 Fluchten bzw. Fluchtversuche. An diese Art von Normalität hatte sich der Sicherheitsapparat gewöhnt. Trotz dieser zunächst groß erscheinenden Zahl maß ihr die Staatssicherheit keine besondere Bedeutung bei. Im Gegenteil vermochte das MfS einen signifikanten Anstieg nicht zu erkennen.106 Gemessen an der Zahl bildeten Berichte über Fluchten und Fluchtversuche nach den Wirtschaftsberichten die zweitgrößte Gruppe. Doch waren die 21 geschriebenen Informationen, von denen nur 16 zur externen Verteilung gelangten, schon rein quantitativ weit davon entfernt, der Parteiführung einen Eindruck von den Dimensionen oder der Dynamik der Fluchtbewegung zu vermitteln.
Nach welchen Kriterien die MfS-Führung über die Weitergabe von Informationen zu Fluchten bzw. Fluchtversuchen entschied, bleibt nebulös. Die Parteiführung jedenfalls verließ sich in diesen Fragen nicht auf die Geheimpolizei. Von den insgesamt 17 einschlägigen Erstinformationen, die 1971 Eingang in die Ablage der zuständigen ZK-Abteilung für Sicherheit fanden, gingen nur zwei gesichert auf die Staatssicherheit zurück. Elf Berichte erreichten die Parteiführung aus dem Verteidigungsministerium, das die Grenztruppen befehligte und deshalb erster Ansprechpartner bei Grenzzwischenfällen war. Je eine weitere Meldung lässt sich dem Parteiapparat sowie dem ebenfalls an der Grenze tätigen Zoll zuordnen.107
Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass hier verschiedene Institutionen mit ihren Berichten konkurrierten. Auch wenn es wenigstens 1971 keine festgelegten Meldeordnungen an die Parteiführung gab, zeigt sich, dass das MfS seine Berichterstattung im Hintergrund mit den anderen Ministerien koordinierte. So lässt sich nachweisen, dass die ZAIG ihren Bericht über den tragischen Amoklauf des Grenzsoldaten Gerhard Meyer am Weihnachtstag 1971108 vor Abgang mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Heinz Keßler abstimmte und erst nach dessen Freigabe die Unterrichtung im Vorzimmer Mielkes vorlegte.109 Nur die Hälfte der abgesetzten ZAIG-Berichte erreichten Politbüromitglieder. Die meisten Berichte erhielt Verteidigungsminister Heinz Hoffmann, der wahrscheinlich wie schon im Falle Gerhard Meyer auf diesem Wege über den Fortgang der Ermittlungsbemühungen der Staatssicherheit auf dem Laufenden gehalten wurde.
Diese Beteiligung des MfS an der Aufklärung der Zwischenfälle dürfte demnach ein wesentliches Motiv für die Berichterstattung gewesen sein. So wurde die ZK-Abteilung Sicherheit am 5. Juli 1971 erstmals durch das Verteidigungsministerium über die geglückte Fahnenflucht eines Grenztruppen-Leutnants am frühen Morgen des Vortages in Kenntnis gesetzt und ihr mitgeteilt, dass die Untersuchung durch eine Kommission des Chefs der Grenztruppen geführt werde.110 Die ZAIG legte am 6. Juli 1971 einen an die Abteilung Sicherheitsfragen gerichteten eigenen Bericht vor, der zwar (bei den Grenztruppen ermittelte) detaillierte Angaben zum Fluchthergang enthielt, aber hinsichtlich der Motive ebenso im Vagen blieb wie die bereits vorliegende Information des Verteidigungsministeriums. Immerhin scheint die Untersuchung in Zuständigkeit der Grenztruppen aufgehoben worden zu sein, da das MfS den ZK-Apparat wissen ließ, die Ermittlungen würden in eigener Zuständigkeit fortgeführt.111
Desertionen aus den eigenen Reihen werden in den ZAIG-Berichten des Jahres hingegen nicht erwähnt. Sie unterlagen offenbar einer noch größeren Geheimhaltung. So geht nur aus der Ablage der ZK-Abteilung Sicherheit hervor, dass sich am 15. Januar 1971 ein Angehöriger der HV A in den Westen abgesetzt hatte. Die aus der Normannenstraße unterrichtete ZK-Abteilung Sicherheit informierte Erich Honecker über den brisanten Fall. Obwohl der Deserteur erst seit einem knappen Jahr als Unterleutnant hauptamtlich zur HV A gehörte, war er seit 1964 für den Auslandsgeheimdienst als Kurier nach Westdeutschland eingesetzt. Nach späterer Einschätzung des MfS hatte der Deserteur wahrscheinlich schon seit längerem die Seiten gewechselt und sich vom Verfassungsschutz anwerben lassen. Darauf deutete hin, dass im Frühjahr 1971 mindestens vier IM der HV A in Niedersachsen festgenommen wurden.112 Der Honecker am 15. Januar 1971 angekündigte »ausführliche Bescheid« ließ sich in den Unterlagen der ZAIG nicht ermitteln und erreichte den SED-Sicherheitschef – wenn überhaupt – auf anderem Wege.113
Ein weiteres denkbares Motiv für die Vorlage von Berichten über Fluchtfälle könnte deren Schwere gewesen sein, wozu insbesondere die tödlich geendeten Versuche zählen. Von den zehn bekannten Todesfällen an der innerdeutschen Grenze des Jahres 1971114 finden sich allerdings nur drei in den Berichten der ZAIG wieder.115 Ähnlich in Berlin: Auch hier berichtete die Staatssicherheit mit den Informationen zu den Fällen Dieter Beilig und Werner Kühl nur über zwei der insgesamt fünf dokumentierten Grenztoten des Jahres.116 Insgesamt setzte die Staatssicherheit damit 1971 nur über gut ein Drittel der Todesopfer des Grenzregimes Berichte an die SED-Führung ab.
Ein gewisser Mehrwert für die Leser in der Parteiführung dürfte darin bestanden haben, dass das MfS insbesondere in jenen Fällen, die im Westen bekannt geworden waren und damit geeignet waren, dem SED-Regime politischen Schaden zuzufügen, versuchte, mit Hintergrundinformationen und Handlungsempfehlungen zu reüssieren. In dieser Hinsicht ist der Grenzübertritt der beiden Westberliner Werner Kühl und Bernd Langner interessant, die in den späten Abendstunden des 24. Juli 1971 die Grenzmauer zwischen Neukölln und Treptow überkletterten. Werner Kühl wurde dabei von Grenzsoldaten erschossen. Sein Begleiter Bernd Langner geriet in Haft. Der Vorfall war von Westberliner Seite aus beobachtet worden, allerdings war nichts Genaues über die Identität der vermeintlichen Flüchtlinge bekannt. Mehrere regionale und überregionale westliche Medien griffen den Vorfall als neuerlichen Beleg für das unmenschliche Grenzregime der DDR auf.117 Erst nach Erscheinen der ersten Pressemeldungen legte die Staatssicherheit am 26. Juli 1971 einen Bericht vor, der Paul Verner, Nachfolger Honeckers als Leiter der ZK-Abteilung Sicherheit, sowie dessen Bruder Waldemar Verner, seines Zeichens stellvertretender Minister und Chef der politischen Hauptverwaltung der NVA, zugestellt wurde. Anlass für den Bericht war weniger der »Grenzzwischenfall« an sich, als vielmehr die in den Westzeitungen tatsächlich zu Unrecht erhobene Behauptung, es seien drei DDR-Bürger bei einem Fluchtversuch zu Tode gekommen. Der Bericht der Staatssicherheit enthielt die Empfehlung, in einer Pressenotiz klarzustellen, dass es sich bei den beiden Personen um Bürger Westberlins – und damit nach Lesart der SED – um eine gezielte Provokation des Westens gehandelt hatte.118 Trotz der durch die DDR-Nachrichtenagentur ADN tatsächlich veröffentlichten Information wurde die von der SED verbreitete Version im Westen nicht geglaubt.119
Angesichts des bevorstehenden 10. Jahrestages des Mauerbaus und der durch den Vorfall beeinträchtigten laufenden deutsch-deutschen Verhandlungen entschied sich die SED-Führung schließlich am 3. August 1971 zu einer neuerlichen publizistischen Initiative. Dies war ganz im Sinne des MfS, das wenige Tage zuvor am 29. Juli 1971, mit einem zweiten Bericht über den Fall Werner Kühl die Parteiführung zu diesem Schritt drängen wollte. Bezeichnend ist, dass dieser Bericht nicht von der eigentlich zuständigen ZAIG gefertigt wurde, sondern auf den stellvertretenden Minister und Agitationsbeauftragten der Staatssicherheit Bruno Beater zurückgeht. Im Gegensatz zur nüchternen Aufmachung und den geschliffenen Formulierungen der ZAIG-Berichte kam dieser nun Honecker und Paul Verner zugestellte Bericht geradezu hemdsärmelig daher. Auf der ersten Seite prangten zwei Passfotos von Kühl und Langner und der Bericht selbst enthielt eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen und politischen Analysen, die so gar nicht den Gepflogenheiten der ZAIG entsprachen. Wohl deshalb vermerkte die Abteilung auf dem Ablageexemplar »nicht von ZAIG gefertigt«. Zu allem Überfluss ließ Beater die Leser wissen, er habe mit Propagandachef Albert Norden telefoniert, der das MfS ausdrücklich ermuntert haben soll, aus dem Vorfall eine »hübsche Sache« zu machen.120
Die Vorlage wurde von Honecker intensiv durchgearbeitet und mit Anmerkungen versehen. Auch wenn der Parteichef nur die wenigsten Vorschläge übernahm und die meisten der nach Honecker »zu plumpen« Ideen Beaters strich, so folgte er doch einer durchaus richtigen Argumentation: Da die vorliegenden Informationen des MfS über Kühl und Langner keine Anhaltspunkte für westliche Machenschaften erkennen ließen, äußerte Beater Bedenken, die seit Wochen tobende Presseschlacht weiter zu befeuern. Während die Leiche von Werner Kühl in aller Heimlichkeit eingeäschert wurde, legte der SED-Chef fest, dass Bernd Langner nach Westberlin abzuschieben sei, »sofern er dazu den Wunsch« habe. Am 30. August 1971 wurden er und eine Urne mit der Asche von Werner Kühl auf der Sandkrugbrücke an die Westberliner Polizei übergeben.121
Im Detail war das MfS mit seinen Vorschlägen einer Öffentlichkeitsarbeit ins Leere gelaufen, auch wenn sich sowohl die ZAIG als auch Beater bemühten, im Sinne der SED zu agieren. Dies könnte erklären, weshalb die Staatssicherheit in ähnlich gelagerten Fällen davon absah zu intervenieren. Die Befürchtung, die Westpresse könnte Grenzzwischenfälle gerade zum 10. Jahrestag des Mauerbaus für Negativschlagzeilen benutzen, zeichnete sich wenige Tage vor dem 13. August erneut ab. Das Verteidigungsministerium informierte am 11. August 1971 die ZK-Abteilung Sicherheit über die geglückte Fahnenflucht eines Leutnants der Grenztruppen im Raum Hildburghausen, dessen erfolgreiche Desertion von den Westmedien aufgegriffen wurde, womit ähnliches Störfeuer drohte. Die Staatssicherheit nahm in diesem Fall keine Unterrichtung der Staatsführung vor. Honecker hingegen maß dem Vorfall so viel Bedeutung bei, dass er die Meldung den Mitgliedern des Politbüros zur Kenntnis gab.122 Ähnlich aufmerksamkeitsträchtig und politisch potenziell heikel war die geglückte Flucht des Abgeordneten des Potsdamer Stadtparlaments Helmut Schimpfermann, der am Vorabend des 17. Juni 1971 und damit wenige Tage vor dem VIII. Parteitag der SED die Grenzanlagen bei Klein-Glienicke mit Frau und Kindern überwand. Zwar gehörte Schimpfermann nicht der SED, sondern der NDPD an und war nur Redakteur des Lokalblattes »Brandenburgische Neueste Nachrichten«. Doch verfügte er aufgrund seiner republikweiten Tätigkeit als Pressefotograf und seiner – wenn auch untergeordneten – politischen Funktion über genügend Insiderkenntnisse, die sich im Westen wenigstens mittelbar gegen den neuen Parteichef verwenden ließen. Entsprechend wurde Honecker sofort von der Abteilung Sicherheitsfragen über die Flucht unterrichtet.123 Vom MfS erhielt der neue Parteichef nach Aktenlage keine Unterrichtung. Dass eine zu befürchtende mediale Ausschlachtung des Falles durchaus im Raum stand, deutete Schimpfermann mehrere Jahrzehnte später an: Er habe sich seinerzeit gegen eine Veröffentlichung seiner Flucht im Westen verwahrt.124
Letztlich scheinen damit auch weder die Publizität noch die von den Vorfällen ausgehende potenzielle politische Gefahr für die SED handlungsleitende Gründe für das MfS gewesen zu sein, über Fluchten und Fluchtversuche an die Parteiführung zu berichten.
3.6 Vier-Mächte-Abkommen über Berlin
Die MfS-Berichterstattung über Grenzzwischenfälle hatte 1971 vor dem Hintergrund der laufenden Verhandlungen über ein Vier-Mächte-Abkommen über Berlin neben der deutschlandpolitischen auch eine internationale Dimension. Das am 3. September 1971 in Westberlin unterzeichnete Abkommen endete für die SED mit einer Niederlage: Ihre fast zwei Jahrzehnte andauernden Bemühungen um eine Neutralisierung Westberlins waren ebenso endgültig gescheitert, wie die angestrebte Einschränkung der westalliierten Sonderrechte an den Grenzen aber auch innerhalb der DDR. Ein besonderer Dorn im Auge des MfS waren die faktisch nicht zu verhindernden Militärspionagefahrten der westlichen Militärverbindungsmissionen, die auch 1971 an die SED-Führung und in kleinerem Umfang dem KGB bzw. der sowjetischen Botschaft gemeldet wurden.125 Das Sicherheitsproblem betraf vor allem Einrichtungen der sowjetischen Truppen, wenngleich sich die französische Militärmission auch ungeniert für MfS-Einrichtungen am Stadtrand von Berlin interessierte.126 In allen Fällen musste sich die Staatssicherheit auf die Dokumentation der westlichen Spionage beschränken. Ob und in welchem Maße wenigstens diplomatische Schritte unternommen wurden, lag in den Händen der sowjetischen Militärverwaltung. Die US-Verbindungsmission vermerkte in ihrem Jahresbericht 1971, dass die Situation vor dem Hintergrund der laufenden Außenministergespräche deutlich angespannt gewesen sei.127
Ebenfalls Zaungäste waren SED und MfS bei Störungen im alliierten Transitverkehr von und nach Westberlin. Das MfS dokumentierte solche Zwischenfälle dennoch akribisch, war doch eine Einigung zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten über die Zugangswege (und Kontrollmodalitäten) eine der zentralen Frage des Vier-Mächte-Abkommens. So beschreibt ein interner ZAIG-Bericht vom 15. Januar 1971 die sowjetische Blockade amerikanischer und britischer Fahrzeuge an den Checkpoints Alpha und Bravo – im Sprachgebrauch der Staatssicherheit an den Grenzübergänge Marienborn und Drewitz.128 Tatsächlich hatte das sowjetische Militär am 12. Januar 1971 für mehrere Stunden die Passage mehrerer Militärfahrzeuge verweigert, um – erfolglos – mit Durchsetzung neuer Kontrollprozeduren im Vorfeld eines anstehenden sowjetisch-alliierten Außenministertreffens Fakten zu schaffen.129 Aktiv wurde schließlich die SED, die am 19. Januar 1971 ein Treffen der FDP-Bundestagsfraktion in Westberlin zum Vorwand nahm, um nunmehr den zivilen Verkehr von und nach Berlin zu behindern.130 Dies erfolgte selbstredend nicht ohne Billigung (oder vielleicht sogar auf Anweisung) Moskaus.131 Entsprechend alarmiert unterrichtete die ZAIG dann am 29. Januar 1971 das KGB, Honecker, Stoph und den DDR-Unterhändler Wolfgang Kohl über veränderte Kontrollmaßnahmen der Westberliner Polizei am Checkpoint Charlie, die entgegen bisheriger Gepflogenheiten die Pässe von osteuropäischen und finnischen Diplomaten sowie der Insassen von drei sowjetischen Fahrzeuge sichteten.132 Mielke ließ den Vorgang mit einem »Eilt«-Vermerk an die SED-Führung durchstellen und empfahl, die sowjetische Führung zu unterrichten. Dies könnte mit Blick auf das bevorstehende Botschaftergespräch am 5. Februar 1971 erfolgt sein. Hinweise, dass die sowjetische Seite den Vorgang aufgriff oder dieser überhaupt von Seiten der SED herangetragen worden war, finden sich jedoch nicht.133
Vor allem aber war das Vier-Mächte-Abkommen die Voraussetzung für alle folgenden deutsch-deutschen Verträge. Mielke stand einer Annäherung der beiden deutschen Staaten – ähnlich wie Honecker – ablehnend gegenüber und wurde nicht müde, die damit einhergehenden Gefahren für die innere Stabilität der nach dem Mauerbau gerade erst konsolidierten Gesellschaft zu betonen. Die Bedrohungsperzeption fand die Staatssicherheit in den von der sozialliberalen Koalition angestoßenen Reformen des Bundesnachrichtendienstes bestätigt. Der westdeutsche Auslandsgeheimdienst befand sich in einer tiefen Krise. Ineffiziente Aufklärungsmethoden und wenig substantiierte, dafür aber ideologisch überformte Berichte namentlich über den sowjetischen Machtbereich sowie eine Reihe politischer Skandale über Personalkontinuitäten aus der Zeit des Nationalsozialismus sowie Vorwürfe innenpolitischer Spionage machten einen grundlegenden Neuaufbau des BND notwendig.134
Ein Schwerpunkt der Reformen war die nach dem Mauerbau und der Aufdeckung schwerwiegender Verratsfälle am Boden liegende DDR-Spionage, deren Erkenntnisse die neue Ostpolitik der Bundesregierung flankieren sollte.135 Die ZAIG beschäftigte sich 1971 in zwei ausführlichen Analysen mit der Lage des BND. Zum einen mit publizistischen Kampagnen, mit denen das MfS die in der Bundesrepublik durch die »Spiegel«-Serie »Pullach intern« ausgelöste mediale Skandalisierung des frühen Gehlen-Dienstes durch eigene Enthüllungen zu befeuern gedachte.136 Bedrohlich erschien dem MfS zutreffend, dass es unbeschadet aller Kritik der Bundesregierung um eine Forcierung der DDR-Spionage Pullachs ging. Zugleich bleibt zwischen den Analysen der ZAIG und den praktisch nicht mehr vorhandenen Aufklärungsmöglichkeiten des BND in Ostdeutschland eine deutliche Diskrepanz.137 Dass der MfS-Führung vorgeschlagen wurde, unter anderem durch publizistische Herausstellung verhafteter BND-Spione auf dessen anhaltende Gefährlichkeit hinzuweisen, diente einerseits der Abschreckung des Gegners wie auch der eigenen Bevölkerung. Es war zugleich aber auch Imagepflege in eigener Sache: Die Bekämpfung des äußeren Feindes im Inneren unterstrich die Bedeutung des MfS für die Herrschaftssicherung, zumal die bevorstehenden Kontakterleichterungen in der Bedrohungskommunikation der Staatssicherheit das Einfallstor für westliche Geheimdienste weiter öffnen würden.138 Letztlich blieb die ZAIG139 in den Denkmustern des frühen Kalten Krieges verhaftet. Denn während die Spionage mit V-Leuten trotz Reiseerleichterungen an Bedeutung verlor, erwähnte die ZAIG den entscheidenden und damit für die Sicherheit der DDR gefährlichsten Punkt – den massiven Ausbau der technischen Spionage – bezeichnenderweise nicht.
Über die Reaktionen auf den Abschluss des Vier-Mächte-Abkommens am 3. September 1971 oder das nachfolgende Transitabkommen setzte die ZAIG keinen Bericht an die Parteiführung ab. Dabei war die Staatssicherheit auch bei diesen Ereignissen intern angehalten, die Stimmung in der Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Die in Zusammenhang mit dem Vier-Mächte-Abkommen entstandenen Berichte der Leipziger MfS-Bezirksverwaltung lassen eine breite Enttäuschung und Verbitterung erkennen. Zentraler Punkt waren Reiseerleichterungen. »Vorteile« hätten hier »einzig und allein die Westberliner«, während für DDR-Bürger nichts zu erwarten sei.140 Das Vertragswerk biete deshalb nur dem »Feind«, nicht aber der eigenen Bevölkerung etwas.141 Ähnlich auch der Tenor aus anderen SED-Bezirksleitungen an die Führung in Ostberlin.142 Vielleicht waren es eben diese überwiegend kritischen Töne, die Mielke davon abhielten, Honecker mit ähnlichen Einschätzungen über die Lage im Land ins Bild zu setzen.
3.7 Kirchen
Kirchenpolitisch war 1971 im Spiegel der ZAIG-Berichte ein ruhiges Jahr. Die Trennung der evangelischen Kirche von der EKD war vollzogen und eine aus Sicht des Regimes einvernehmliche Zusammenarbeit mit den Protestanten im Lande schien gewährleistet, auch wenn das MfS prominente Kritiker wie Johannes Hamel weiterhin im Blick behielt.143 Entsprechend beschränkte sich die Kircheninformation auf die Unterrichtung der zuständigen ZK-Abteilung. Bewährungsprobe für den neuen Burgfrieden war die Synode des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR im Juli in Eisenach. Während die ZAIG der Zusammenkunft nur im Vorfeld einen Bericht widmete, stellte die Abteilung Kirchenfragen nach Ende der Synode befriedigt fest, dass oppositionellen Positionen in der Kirchenführung nicht verfingen und die evangelische Kirche dabei sei, sich zu einem Partner der sozialistischen Gesellschaft zu entwickeln. Zur Bestätigung ihrer Einschätzung zitierte die ZK-Abteilung den sonst verhassten RIAS. Dieser habe ganz im Sinne der SED berichtet, dass der »Kirchenbund der Oppositionsrolle den Abschied« gegeben hätte.144
Verdächtig erschienen dem MfS lediglich Aktivitäten einiger evangelischer Geistlicher, die sich um Kontakte zu deutschsprachigen protestantischen Gemeinden vorrangig in der Sowjetunion bemühten. Die ZAIG fertigte zwei ausführliche Analysen über diesen Kreis und die Auslandsarbeit des evangelischen Missionswerkes »Gustav-Adolf-Werk«. Sie erweckte den Eindruck, mit den beobachteten Zusammenkünften einer konspirativen Vereinigung auf die Spur gekommen zu sein.145 Entsprechend wurden die Empfänger darauf hingewiesen, die vorgelegten Informationen seien höchst sensibel und deshalb nicht weiter zu verwenden. Tatsächlich handelte es sich um einen lockeren und halboffiziellen Gesprächskreis einiger interessierter Theologen und Laien, der sich regelmäßig traf.146 Mit der unterstellten Gefährlichkeit war es damit nicht weit her. Ging der erste Bericht noch an die Abteilung Kirchenfragen, wurde ein wenige Wochen später zur Verteilung nunmehr auch an Honecker und Paul Verner vorbereiteter Bericht vor Abgang kassiert.
Auch die katholische Kirche schien sich im Sinne der SED zu verhalten. Das einzige gesellschaftliche Ereignis des Jahres neben der eher außenpolitisch wichtigen Zusammenkunft der Berliner Konferenz katholischer Christen,147 über das die ZAIG berichtete, war die Einweihung der Christus-Kirche in Rostock. Der an die zuständige ZK-Abteilung übersandte ZAIG-Bericht vermeldete nichts Bedenkliches: Der Unmut in der Bevölkerung gegen den Abriss des Vorgängerbaus war besänftigt und zur Befriedigung der SED von den Kirchenoberen selbst eingefangen worden. Ansonsten hätten selbst die Gespräche am Rande gezeigt, dass auch die katholischen Kirchenführer auf ein Einvernehmen aus seien.148 Aufschlussreich ist der ZAIG-Bericht in anderer Hinsicht. Da es sich bei der Kirchweihe in Rostock um ein offizielles Ereignis handelte, war die Abteilung Kirchenfragen selbst vor Ort und fertigte einen eigenen Bericht über die Veranstaltung. Auffällig ist, dass einige Passagen wortgleich in der ZK-Ausarbeitung und der ZAIG-Information enthalten sind. Wer von wem abschrieb, ist nicht zu klären. Einen Mehrwert hatte die geheim gestempelte und mit einem besonderen Schutzhinweis versehene Unterrichtung des MfS für den ZK-Apparat schwerlich. Umso mehr als der Bericht der Abteilung Kirchenfragen eine Information enthält, die durchaus sicherheitsrelevant gewesen wäre und eigentlich in die Zuständigkeit des MfS fiel. So sei mehreren Journalisten im Vorfeld die Einreise verweigert worden, was Befürchtungen nährte, im Westen könnte es negative Schlagzeilen geben. Diese Besorgnis sollte sich, soweit aus dem Parteibericht ersichtlich ist, als unbegründet erweisen. Der konservative »Rheinische Merkur« kritisierte zwar die aus seiner Sicht zu harmonische Einweihungszeremonie, nahm aber von einem Seitenhieb auf den Ausschluss unabhängiger Presse Abstand.149
3.8 Sowjetisches Militär
Zu den eher unerwarteten Themen des Jahrganges zählen acht Berichte, die das MfS 1971 über Vorfälle unter Beteiligung sowjetischer Besatzungssoldaten verfasste. Die rund eine halbe Million Militärs umfassende Besatzungsarmee war im Alltag der DDR präsent, insbesondere an jenen Orten, an denen sich Unterkünfte und Einrichtungen der Westkräfte der sowjetischen Truppen befanden.150 Konflikte waren dabei unausweichlich. Besonders der am 14. Januar 1971 fertiggestellte umfassende Sammelbericht über Verkehrsunfälle unter Beteiligung sowjetischer Militärs sticht dabei heraus.151 Das MfS listete akribisch die im Verlaufe des Jahres 1970 registrierten 155 Verfehlungen auf, die von einfachen Verstößen gegen die Straßenverkehrsverordnung bis hin zu schwersten Verkehrsunfällen mit insgesamten 14 Toten und Dutzenden Verletzten reichten. Was die Staatssicherheit mit diesem an das KGB in Karlshorst übergebenen Bericht bezweckte, bleibt im Unklaren. Denkbar ist, dass die sowjetische Geheimpolizei ob der zahlreichen Unfälle, die nicht selten durch Trunkenheit oder grobe Fahrlässigkeit verursacht wurden, selbst gegen solche Disziplinarverfehlungen vorgehen wollte.
Im Fokus der MfS-Berichterstattung standen allerdings Vorfälle, bei denen Angehörige des sowjetischen Militärs zu Schaden gekommen waren. Zum einen durch Verkehrsunfälle wie bei Magdeburg Ende Juni 1971, die erhebliche Personen- und Sachschäden nach sich zogen.152 Die Mehrzahl der gemeldeten Vorfälle bezog sich auf Ereignisse, bei denen sowjetische Soldaten bzw. Militäreinrichtungen das Ziel von Angriffen aus der Bevölkerung waren. Insgesamt zählte die Staatssicherheit bis Ende September elf solcher Vorfälle. Darunter eine nach Darstellung des MfS provozierte tödliche Schlägerei in Stendal, die von den deutschen Angreifern mit einer angeblichen Vergewaltigung gerechtfertigt wurde, obwohl die Soldaten nur nach dem Weg gefragt hatten.153 Auch das Verhalten des jungen NVA-Soldaten, der zwei sowjetische Soldaten beim Kirschenpflücken am Rande eines Munitionslagers bei Halberstadt überraschte und gezielt auf einen 19-jährigen Rekruten schoss, wirft Fragen auf.154 Hinzu kamen mehrere Fälle von Vandalismus und gezielter Zerstörung von Friedhöfen und Ehrenhainen für während des Zweiten Weltkrieges gefallene Rotarmisten. Die Feststellung des MfS, wonach auch hier fast alle Täter jung waren und unter Alkoholeinfluss gestanden hatten, legt den Verdacht nahe, dass es sich hier um jugendliche Devianz handelte.155 Was die Staatssicherheit aber im Kern registrierte, waren letztlich rassistisch und weniger politisch gegen die Sowjetunion gerichtete Übergriffe. Die offiziell tabuisierte historische Erfahrung der Nachkriegsverbrechen, die Angehörige der Roten Armee bei der Befreiung Deutschlands verübt hatten, dürften diesem gesellschaftlichen Klima den Boden bereitet haben.156 Hier kamen sehr wahrscheinlich tradierte antikommunistische und russophobe Verhaltensmuster zum Tragen, deren Wurzeln weit vor 1945 zurückreichten und Negativstereotype verfestigten. Für die Staatssicherheit zeichnete sich ein Problem ab: weil die Mehrheit der ermittelten und zumeist sehr jungen Täter weder einschlägig aktenkundig war, noch eigene biografische Erfahrungen mit der Kriegs- und Nachkriegszeiten haben konnten, hatte sie kaum eine Chance, solche Vorfälle zu verhindern.
4. Die ZAIG im Jahr 1971
Der Machtwechsel in der Parteiführung und der Aufstieg Mielkes in das Politbüro konnten nicht ohne Rückwirkung auf die Tätigkeit der ZAIG bleiben. Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe war ins Leben gerufen worden, um die Arbeit der Geheimpolizei nach innen anzuleiten und zugleich den Informationsfluss gegenüber den zentralen Instanzen von Partei und Staat abzuwickeln. Politisch gesehen war die ZAIG damit ein wichtiges Machtinstrument.
Die ZAIG befand sich seit 1968 in einem ständigen Wachstumsprozess, sowohl personell wie auch hinsichtlich der ihr übertragenen Kompetenzen. Abgeschlossen war dieser Aufwuchs in beiden Feldern noch nicht: 1971 war der vorgesehene Stellenplan immerhin zu knapp 80 Prozent besetzt, eine Grundsatzentscheidung über das abschließende Aufgabenprofil stand noch aus. Die 1971/72 konturierten Strukturen der ZAIG sollten hingegen bis zur Friedlichen Revolution Bestand haben.157
Es führt an dieser Stelle zu weit, auf die einzelnen nach innen gerichteten administrativen und inhaltlichen Neuerungen – unter denen unter anderem die Einführung der EDV eine zentrale Rolle spielte – einzugehen. Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf das Berichtswesen der ZAIG, das seit 1965 im Stellvertreterbereich 1 unter Heinz Seidel federführend bearbeitet wurde. Die ersten Anzeichen für Veränderungen in diesem zentralen Arbeitsbereich lassen sich auf Ende 1970 datieren. Der zeitliche Zusammenhang zur Wahl der Honecker-Gefolgsleute Hermann Axen und Werner Lamberz zu Mitgliedern bzw. Kandidaten des Politbüros am 11. Dezember 1970 ist auffällig. Ob Mielke zu diesem Zeitpunkt bereits Signale erhielt, dass sein Aufstieg in den innersten Parteizirkel bevorstand, lässt sich nicht sagen.
Auffällig aber ist, dass der Minister die ZAIG gerade jetzt anwies, erstmals systematisch zu ergründen, welche Wirkung die MfS-Berichte in den Schaltstellen von Partei und Regierung entfalteten.158 Irmler ließ im Dezember 1970 eine Aufstellung anfertigen, wie die Berichtsempfänger mit den vorgelegten Informationen umgingen. Neben organisatorischen Fragen die Über- und Rückgabe betreffend sollte der Umfang der jährlich übergebenen Informationen und deren Rücklauf, vor allem aber Hinweise auf die Bearbeitung wie Anmerkungen, Unterstreichungen oder wenigstens Sichtvermerke systematisch erhoben werden. Ebenfalls von Interesse war die Frage, ob die Informationen von den Adressaten weitergegeben worden waren.
Nach Aktenlage nahm die ZAIG eine solche Evaluation erstmalig vor. Das bestätigen auch die zahlreichen Fehlmeldungen in den Irmler vorgelegten Listen.159 Von den insgesamt 49 Berichtsempfängern, die das gesamte Politbüro und dessen Kandidaten sowie ausgewählte ZK-Sekretäre und Minister umfassen, war in 18 Fällen nicht bekannt, auf welchem Wege die Berichte zugestellt wurden. Noch weniger wusste die ZAIG, was mit den Berichten passierte. Eigentlich waren die Berichte nur zur persönlichen Information bestimmt und durften nicht weitergegeben werden. Ob dies auch eingehalten wurde, entzog sich letztlich der Kenntnis und Kontrolle der Staatssicherheit.160 Zugleich wusste das MfS in einigen Fällen trotz formaler Geheimschutzanordnung um die geübte Praxis, dass die Empfänger die Berichte weiterreichten. Im Falle der Parteichefs Honecker und Ulbricht konnte dagegen nichts einzuwenden sein. Doch auch von den Politbüromitgliedern Hermann Axen und Horst Sindermann sowie Außenminister Otto Winzer, Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und dem Chef der Plankommission Gerhard Schürer war bekannt, dass die an sie gerichteten Unterlagen weiter gestreut wurden, als der Verteiler festlegte. Hinzu trat ein zweites Problem: Trotz der vom MfS angemahnten Rückgabe der Berichte hielt sich die Mehrheit der Partei- und Staatsfunktionäre nur widerstrebend daran. Im Falle der Minister Wolfgang Rauchfuß und Otfried Steger sowie der ZK-Sekretäre Günter Mittag und Günther Kleiber war bis dato überhaupt kein Bericht zurückgegeben worden, obwohl sie bereits seit Jahren die geheimen MfS-Unterlagen erhielten. Wirtschaftssekretär Günter Mittag war Spitzenreiter: Nach Berechnungen der ZAIG hatte sein Büro bis Ende 1970 rund 900 Lageberichte gehortet, von denen kein einziges Exemplar zurück in die Zentrale gelangt war.
Die Staatssicherheit wusste um diese Regelverstöße und tolerierte sie stillschweigend. Eine Reglementierung gerade der übergeordneten SED-Funktionäre verbot sich für die Geheimpolizei. Das Machtgefälle zwischen SED und MfS führte Herrmann Axen dem Staatssicherheitsminister vor Augen. Axen verwahrte sich persönlich gegen Mielkes strikte Rückgabepolitik: Die Informationsberichte würde er solange behalten, wie er sie für seine Arbeit benötige.161 Der Vorgang war keine Ausnahme. Nahezu alle Empfänger verhielten sich so, auch wenn sich die Rückgabedisziplin ab Mitte 1970er-Jahre aus Sicht des MfS verbesserte. Als die Staatssicherheit unter dem Eindruck der Friedlichen Revolution Ende Oktober 1989 begann, sämtliche noch ausstehenden ZAIG-Berichte aus den ZK-Büros am Werderschen Markt zurückzufordern, lagen dort mitunter noch Vorgänge aus den frühen 1960er-Jahren.162 Dass das MfS nicht strikter auf die Einhaltung pochte, dürfte pragmatische Gründe gehabt haben. Sowohl der lange Verbleib und wie auch die Verteilung der MfS-Informationen in den Fachabteilungen bzw. Stellvertreterbereichen des ZK-Apparates und der Ministerien waren letztlich ein gutes Anzeichen, dass die ZAIG-Unterrichtungen bei den Empfängern auf Interesse stießen.
Andere handfeste Anhaltspunkte für die Relevanz der Berichte konnte die ZAIG kaum ermitteln. Ernüchternd dürfte die Feststellung gewesen sein, dass sich bei Durchsicht der zurückgegebenen Berichte nur in sieben Fällen weitergehende Bearbeitungsvermerke finden ließen. Zu diesen eifrigen Lesern gehörten Erich Honecker, Hermann Axen und Gerhard Weiss, die »fast jede« Informationen »durchgearbeitet« hätten. Immerhin »viele« Informationen seien durch die Hände von Propagandachef Alfred Norden, des stellvertretenden Außenministers Wolfgang Kiesewetter und des für gesamtdeutsche Arbeit zuständigen ZK-Funktionärs Erich Glückauf gegangen. Ähnliches ließ sich auch aus den Rückgabeexemplaren von Walter Ulbricht herauslesen. Dass wenigstens eine Lektüre erfolgte, belegten Sichtvermerke bei weiteren 17 Empfängern. Die übrigen Adressaten – und damit die weit überwiegende Mehrheit – reichte die Papiere jungfräulich in die Normannenstraße zurück, sodass die ZAIG im Dunkeln tappte, ob und wenn ja welche Relevanz die vorgelegten Berichte gehabt hatten. Alles in allem dürfte das Mielke unter dem 8. Januar 1971 vorgelegte Evaluationsergebnis wenig Anlass zur Freude geboten haben. Dem Stasi-Chef müsste bei genauer Lektüre aufgefallen sein, dass nur fünf Empfänger den Berichten seines Ministeriums erkennbar Aufmerksamkeit schenkten. Immerhin strich sich der Minister die säumigen Empfänger an; wahrscheinlich mit der Absicht, bei Gelegenheit die Rückgabe der Berichte anzumahnen.163
Der lückenhafte Kenntnisstand der ZAIG über den Umgang und den Verbleib der Berichte dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass die Verteilung der Informationen zum Teil außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs erfolgte. Trotz der zentralen und koordinierenden Funktion, die Mielke der Irmler-Abteilung zugedacht hatte, war diese keineswegs vollständig Herr über die Informationsflüsse. Die ZAIG belieferte Anfang der 1970er-Jahre in erster Linie die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, mithin also die oberste Parteiführung, selbst. Die Übergabe der Berichte in den ZK- und Regierungsapparat erfolgte über die einschlägigen Hauptabteilungen des Ministeriums. So war die für Volkswirtschaft zuständige HA XVIII Ansprechpartner für die Wirtschaftsressorts der Regierung und des ZK-Apparates. Die HA XX hielt unter anderem den Kontakt zur Abteilung Kirchenfragen beim ZK der SED, die Hauptabteilung I versorgte das Verteidigungsministerium mit Berichten. Ein weiteres wichtiges Verteilzentrum war die HV A, deren schwerpunktmäßig außenpolitische Informationen die Auswerteabteilung VII des Auslandsgeheimdienstes in die Ministerien und Fachabteilungen des ZK-Apparates weitergab.164 Dreh- und Angelpunkt blieb zwar die ZAIG, welche die aus den Fachabteilungen eingereichten Vorlagen redigierte, in die Formulare übertrug und den Verteiler mit dem Ministerbüro abstimmte, dann aber die fertigten Ausarbeitungen an die Hauptabteilungen zurückreichte. Auf den ZAIG-Berichten sind diese Kommunikationskanäle 1971 in den Verteilern und zum Teil auch den Postausgangsbüchern noch gut nachvollziehbar. Hinter den Empfängern finden sich entsprechende Weiterleitungsvermerke, die bis Ende des Jahrzehnts aus den Berichtsköpfen verschwinden, ohne dass sich damit das dahinterstehende System grundlegend änderte.
In welchem Maße diese institutionalisierten Kanäle neben dem Austausch der Berichte auch genutzt wurden, um Hintergrundgespräche zu führen oder gar Arbeitsaufträge entgegenzunehmen, lässt sich gegenwärtig nicht abschließend beurteilen. Deutlich aber ist, dass sich mehrere leitende Funktionäre der Hauptabteilungen spätestens in den 1970er-Jahren als Gesprächspartner in den Ministerien und ZK-Abteilungen etabliert hatten.165 Ein früher Hinweis auf die Intensität solcher Beziehungen liefert die Information Nr. 33/71. Sie wurde Außenminister Otto Winzer entgegen den sonstigen Gepflogenheiten über die Hauptabteilung XX zugestellt.166 In direkter persönlicher Ansprache – »meines Erachtens« – wurde Winzer eine Empfehlung gegeben, wie das skizzierte Problem zu lösen sei. Wer sich dahinter verbarg, ließ sich nicht ermitteln. Doch lässt sich die Formulierung so interpretieren, dass zwischen Winzer und seinem Gesprächspartner der HA XX ein Vertrauensverhältnis bestand, das solche Formulierungen zuließ.167
Die insgesamt wenig ermutigenden Signale aus den ersten Evaluationsbemühungen der ZAIG thematisierte Mielke Anfang März 1971 auch vor den Führungskadern seines Ministeriums. Die grundlegende Verbesserung der Informationsbeschaffung und -auswertung sowie das Berichtswesen nahmen in seinen Ausführungen breiten Raum ein. Mielke betonte, eine »Vervollkommnung des Informationssystems« sowohl nach innen als auch nach außen sei anzustreben.168 Unverblümt gab er zu verstehen, dass insbesondere die internen Informationsflüsse zu ausufernd, unkoordiniert und in der Sache nicht zielführend seien – ganz davon abgesehen, dass der analytische Gehalt der Berichterstattung stark verbesserungswürdig sei. Dies war Aufgabe der ZAIG, die beauftragt wurde, Verfahrensabläufe für eben diese Prozesse in allen Bereichen des Dienstes auszuarbeiten.
Zunächst setzte die ZAIG die begonnene Bestandsaufnahme fort. Nach dem Vorbild der Evaluierung des zentralen Berichtswesens erging Ende März ein ähnlich gelagerter Auftrag in die Bezirke. Auch dort wurde die Kommunikation mit den örtlichen Partei- und Staatsapparaten in den Blick genommen. Neben der Frage, in welchem Umfang die Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen überhaupt an den lokalen Partei- und Staatsapparat berichteten, wollte die ZAIG auch mehr über den Rücklauf und die Reaktionen erfahren. Die ZAIG wollte wissen, ob die MfS-Bezirksverwaltungen Maßnahmen vorgeschlagen hätten und was daraus geworden sei: Falls nur informiert würde, sei nach Einschätzung der Verwaltung etwas passiert und wenn ja, was? Auf welche Art von Berichten würden die Empfänger besonders ansprechen oder reagieren? Nicht zuletzt sollten Vorschläge unterbreitet werden, was im Bereich des Berichtswesens verbessert werden könne.169
Rückmeldungen ließen sich nur aus der Bezirksverwaltung Berlin ermitteln. Was deren Leiter und Mielke-Vertrauter Generalmajor Erich Wichert an die ZAIG berichtete, lässt deutliche Ernüchterung durchblicken: Zwar informiere man die SED-Bezirks- und Stadtbezirksleitungen und gebe diesen mitunter sogar Handlungsempfehlungen. Doch was dann passiere, lasse sich in der Regel nicht sagen. Immerhin konnte Wichert einige wenige Beispiele für Maßnahmen anführen, die er auf vorausgegangene Meldungen seines Hauses zurückführte. Dies ändere aber grundsätzlich nichts daran, dass es »so gut wie keine Resonanz auf die übergebenen Informationen« gebe. Entsprechend schien es »wünschenswert«, wenn es Rückmeldungen gebe, um bei der weiteren »Bereitstellung, Einschätzung und Erarbeitung von Informationen« zu wissen, »welchen Wert der Nutzer der Information […] beimisst und wie sich das in der Praxis zeigt«.170
Die Klagen der Berliner Bezirksverwaltung dürften in der Zentrale angesichts der zurückliegenden Evaluation auf der zentralen Ebene nicht überrascht haben, bot sich doch hier ein sehr ähnliches Bild. Dass Mielke die damit einhergehende Frustration seiner Mitarbeiter kannte, hatte er auf der Dienstkonferenz durchblicken lassen. Mit Blick auf die Anfang 1971 prekäre Energieversorgung beklagte der Minister, dass man zwar »rechtzeitig« über die Probleme berichtet und – so Mielke – die Partei auch Maßnahmen ergriffen habe. Dass es dennoch zu Problemen komme, liege daran, dass die Funktionäre des Staats- und Wirtschaftsapparates die beschlossenen Maßnahmen nicht umsetzten würden.171 Eine Kritik an dem intern ruchbaren Desinteresse der Parteiführung verbot sich in diesem Rahmen, sodass der Sündenbock selbstredend an anderer Stelle zu suchen war. An der Grundaussage ändert das nichts: Das Gros der Berichterstattung blieb wenigstens 1971 nach Aktenlage ohne greifbare Folgen.
Vor diesem Hintergrund ging die ZAIG in den ersten Junitagen daran, auf einer Arbeitstagung die Prozesse der Informationsgewinnung und -verarbeitung einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Erster Schritt war die am 10. Juni 1971 allen Einheiten übersandte Aufforderung, zunächst die Frage in den Blick zu nehmen, inwiefern die Informationsgewinnung in Einklang mit dem Informationsbedarf stünde und daraus abgeleitet, wie die Steuerung und Erfassung des Meldungsaufkommens sowie die Verarbeitung gestaltet werde. Mithin also ging es um nichts weniger als die Frage, inwieweit das MfS in der Lage war, zielgerichtet und wirkungsvoll zu arbeiten.172 In den beigefügten Richtlinien versuchte die ZAIG der Informationsbeschaffung eine klare Richtung zu geben. Nicht was gesammelt wird, sei wichtig, sondern was gebraucht werde. Diese eigentlich grundsätzliche Frage spielte bislang offensichtlich in der geheimpolizeilichen Praxis eine nachgeordnete Rolle. Nach dem Eindruck der Zentrale arbeitete der Apparat eher nach dem Motto, dass alles gesammelt werde, dessen man habhaft werden könne. Insofern wurden die Leiter beauftragt darzulegen, ob und was für die Ermittlung des Informationsbedarfs getan werde. In diesem Punkt machte sich die ZAIG offenbar nicht allzu viele Hoffnung: Falls eine solche Praxis bislang nicht bestanden habe, wie sei die Informationsbeschaffung dann eigentlich organisiert?173
Zielten diese Maßnahmen letztlich auf eine Steigerung der Effizienz namentlich der IM-Netze und eine Strukturierung der Informationsflüsse im MfS ab, blieb die Gretchenfrage von diesen Maßnahmen unberührt. Die von der ZAIG beschworene Bedarfsermittlung war letztlich von den Wünschen und Interessen der externen Empfänger abhängig. Angesichts der Zentralisierungsbestrebungen des Informationsflusses konnten solche Einschätzungen aber nur von jenen kommen, die mit den Abnehmern kommunizierten – allen voran Mielke und die engere MfS-Führung. Damit würde ein äußerst sensibles Verfahren geschaffen. Die Frage, was die obersten Führungsgremien interessierte, war letzten Endes eine Machtfrage, weil sie Einblicke in das Arkanum des SED-Staates offenbarte. Die ZAIG unternahm dennoch einen Vorstoß. In den Unterlagen ist der Entwurf für eine interne Ordnung über regelmäßige Rückinformationen des Ministers und seiner Stellvertreter überliefert. Dahinter stand die Erwartung, aus der Kommunikation der obersten Führung mit den Abnehmern in Partei und Staat die eigene Informationsbeschaffung zu verbessern.174 In Kraft gesetzt wurde diese Vorlage nicht. Eine solche Praxis zu institutionalisieren – auch unter den von der ZAIG vorgeschlagenen höchsten Geheimhaltungsbestimmungen – war letztlich zu viel.175 Unbeschadet gingen die Diskussionen um die Neuordnung der internen Berichtssysteme weiter, auch wenn sich das MfS damit einer Chance beraubte, eine zielgerichtete Politikberatung zu etablieren.
Die noch über das Jahresende anhaltende Bestandsaufnahme und Neukonzeption des Berichtswesens dürfte wenigstens in Teilen erklären, weshalb das MfS den Machtwechsel nicht zu einer Informationsoffensive nutzte. Im Gegenteil setzte die Staatssicherheit 1971 im Vergleich zu anderen Jahrgängen ausgesprochen wenige innenpolitische Berichte ab. Von den insgesamt 1 215 registrierten Berichtsnummern des Jahres widmeten sich nur 122 und damit rund elf Prozent inneren Vorgängen der DDR.176 Abzüglich jener zehn Berichte, die als »nicht rausgegangen« zurückgezogen wurden und weiteren acht Berichten, die von vorherein nur zur internen Unterrichtung gedacht waren und keinen externen Verteiler aufweisen, versorgte die Staatssicherheit den Partei- und Staatsapparat mit nur 104 einschlägigen Unterrichtungen.
5. Adressaten, Rezeption und Wirkung der Berichte
Da auch weiterhin eine nachvollziehbare externe Beauftragung unterblieb, stellte sich nicht nur für die ZAIG die Frage, zu welchen Themen überhaupt Berichte geschrieben werden sollten. Die stereotype Beteuerung, das MfS richte sich nach den Beschlüssen der Partei, mochte für die großen Linien der Politik zutreffend sein, im kleinteiligen und vor allem aktuellen Tagesgeschäft half sie kaum weiter.
Wie bereits die über die Fachabteilungen abgewickelte Verteilung der Berichte gezeigt hat, dürften unmittelbare Arbeitskontakte eine Rolle gespielt haben. Dies trifft vor allem für die Kirchenberichte zu, die nur in Ausnahmefällen an das Politbüro gingen und in der Regel als Arbeitsunterlage für die Abteilung Kirchenfragen beim ZK der SED geschrieben wurden. Entsprechend ist davon auszugehen, dass es angesichts des eingespielten Informationsflusses Absprachen zwischen Staatssicherheit und der Abteilung Kirchenfragen gab, was von Interesse war.177
Was im Politbüro und ZK außerdem interessierte, war für die Staatssicherheit deutlich schwieriger zu eruieren. Trotz der besonderen Stellung im Machtgefüge des SED-Staates war das MfS von den Diskussionen innerhalb der Parteiführung ausgeschlossen. Das enge Verhältnis zwischen Mielke und Honecker mochte dieses Manko wenigstens in Teilen kompensieren. Ob die aus späteren Jahren kolportierten Vieraugengespräche zwischen Mielke und Honecker im Anschluss an die Politbürositzungen bereits 1971 stattfanden, lässt sich nicht sagen. Gelegenheit dem Staatssicherheitsminister gesprächsweise Aufträge zu erteilen, dürfte Honecker aber genügend gefunden haben.
In der Korrespondenz Mielkes mit dem ZK und dem Politbüro finden sich Belege für eine andere Art der »Auftragssteuerung«. Überliefert sind zahlreiche An- und Nachfragen von Politbüro- und ZK-Mitgliedern zu vorgelegten Berichten oder Sachverhalten, die aber fast ausschließlich außen- und deutschlandpolitische Themen betreffen.178 Insofern zeigt sich hier erneut, dass die Inlandsberichterstattung des MfS an die Parteiführung auf vergleichsweise wenig Interesse stieß. Zudem fungierte für die Parteispitze neben Mielke auch sein Stellvertreter Bruno Beater als Ansprechpartner.179 In seiner Eigenschaft als Propagandabeauftragter der Staatssicherheit hielt er vor allem engen Kontakt zu Hermann Axen, Kurt Hager und Albert Norden und versorgte diese mit Informationen, die über die ZAIG kommuniziert wurden. 1971 lassen sich zwei Ausarbeitungen nachweisen, die auf Anweisung von Beater geschrieben wurden.180 In beiden Fällen ging es weniger um Hintergrundberichterstattung, als vielmehr um eine Abstimmung von Propagandamaßnahmen, mit denen auf bestimmte innenpolitische Ereignisse reagiert werden sollte. Ähnliches lässt sich auch über das KGB sagen, das ebenfalls zu den Empfängern der ZAIG-Berichte gehörte und durch direkte Nachfragen einen gewissen Einfluss auf die Auswahl der Themen nahm.181
Mit Mielkes Aufstieg zum Kandidaten des Politbüros boten sich nun Möglichkeiten, die SED-Spitze zielgerichteter zu informieren. Bis dahin hatte Mielke in seiner Eigenschaft als ZK-Mitglied zwar regelmäßig die Tagesordnungen anstehender Sitzungen erhalten und umgekehrt das auch anderen ZK-Mitgliedern zugänglich gemachte Hintergrundmaterial und Parteibeschlüsse erhalten. Die dabei halbjährlich übersandten gedruckten »Arbeitspläne«, d. h. die langfristigen Terminübersichten von ZK und Politbüro, boten einen gewissen Anhalt für die Vorbereitung von Themen in der ZAIG, die diese Materialien zur Auswertung überlassen bekam.182 Exklusives Wissen war dies nicht, zumal das ZK in der Spätphase der Ära Ulbricht als Ort der Entscheidungsfindung wie auch das Politbüro in den Hintergrund getreten waren. Mit dem Machtantritt Honeckers erhielt das Politbüro vorrübergehend seine frühere Bedeutung zurück, bevor es ab Mitte der 1970er-Jahre wieder an Bedeutung verlor.183
Mit seiner Wahl zum Kandidaten des Politbüros Mitte Juni 1971 hatte Mielke unmittelbaren Zugang zu den Diskussionen des engsten Parteizirkels. Der Minister gedachte, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Unmittelbar nach seiner Berufung wurde das in der Normannenstraße eingehende Politbüro-Material innerhalb der Staatssicherheit verteilt und ausgewertet. Bereits seit Jahresbeginn war sämtliches ZK- und später Politbüromaterial entgegen den bisherigen Gepflogenheiten im Vorzimmer des Ministers gesondert erfasst worden.184 Die ZAIG gehörte seitdem zu den regelmäßigen Empfängern. Spätestens Anfang 1972 ging sie dazu außerdem über, die Tagesordnungen anstehender Politbüro-Sitzungen gefiltert in die Fachabteilungen weiterzureichen. Von dort wurden dann Vorschläge für Material und Berichte erbeten, die den »Genossen Minister sachkundig« und besonders »vom Standpunkt der Sicherheit her« in die Lage versetzen sollten, seine Kollegen zu unterrichten.185 Dass sich nunmehr das MfS mit dieser Praxis über die Geheimhaltungsvorschriften des Parteiapparates hinwegsetzte, indem illegale Kopien gefertigt und archiviert wurden, steht auf einem anderen Blatt. Doch auch dieses 1971 verbesserte System hatte Grenzen. Änderungen der Tagesordnungen und insbesondere tagesaktuelle Problemstellungen ließen sich auf diese Weise nicht vorausplanen. Was auf den Zusammenkünften des Politbüros tatsächlich besprochen wurde, ging aus den abschließenden Tagesordnungen hervor, die in der Regel mit kaum mehr als 24 Stunden Vorlauf eintrafen. Unbeschadet konnte Mielke mit dieser Art von Vorbereitung und – wichtiger noch – in Kenntnis der Debatten innerhalb der Parteiführung theoretisch in einem Maße Einfluss nehmen, das ihm bislang nicht möglich gewesen war.186
Vorläufig hat es allerdings den Eindruck, dass Mielke wenigstens 1971 diese neuen Möglichkeiten noch nicht voll ausschöpfte. Das zeigt schon die erwähnte geringe Anzahl abgesetzter Berichte. Eine Korrelation der Berichtsinhalte mit den im Politbüro behandelten Themen bleibt zudem wie in anderen Jahrgängen die Ausnahme. Entscheidend dürfte sein, dass das Politbüro nur am Rande überhaupt innenpolitische Probleme erörterte. Die Aufmerksamkeit der Parteiführung war 1971 ganz auf die internationalen und vor allem deutschlandpolitischen Entwicklungen gerichtet. Dass Mielke aber an neuralgischen Punkten Einfluss nahm oder wenigstens die Entscheidungen Honeckers zu flankieren suchte, zeigen punktuell die Stimmungsberichte zur Versorgungslage, die im Zusammenhang mit den ersten neuen sozialpolitischen Maßnahmen standen. Eine Untersuchung, inwiefern die Politbürositzungen mit ZIG) war nun die zuständige Instanz für das gesamte Informationswesen der Staatssicherheit inklusive der HV-A-Unterrichtungen flankiert wurden, steht aus und könnte hier andere Ergebnisse zeitigen. Umgekehrt lässt sich eine breitere Übereinstimmung der ZAIG-Berichte mit den Themen der ZK-Sitzungen feststellen, insbesondere auf dem Energie- und Wirtschaftssektor. Insgesamt bleibt auch mit Blick auf den Jahrgang 1971 der Eindruck, dass Mielke die ZAIG-Berichte nicht als offensives Einflussinstrument verstand oder nutzen wollte, sondern selektiv und zumeist anlassbezogene Informationspolitik betrieb, die ganz auf den neuen Parteichef zugeschnitten war. Honecker erhielt mit 28 innenpolitischen Unterrichtungen weit mehr Berichte als jede andere SED-Politiker. Diese herausgehobene Position wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass von den 15 Mitgliedern des alten und 1971 neu gewählten Politbüros nur neun mit innenpolitischen ZAIG-Berichten bedacht wurden.187 Unter den ZK-Mitgliedern war der Anteil noch geringer: Von den 116 Angehörigen des Zentralkomitees erhielten nur knapp fünfzehn Prozent (17) innenpolitische Lageberichte. Vierzehn von ihnen bekleideten zugleich Funktionen als Minister oder stellvertretende Minister und wurden wahrscheinlich nur deshalb im Verteiler berücksichtigt. Auf der Arbeitsebene unterrichtete die ZAIG sechs Mitarbeiter des ZK-Apparates, allen voran die dortigen Abteilungen für Sicherheit und Kirchenfragen.188 Außerhalb des Parteiapparates gingen die ZAIG-Berichte an sieben Regierungsfunktionäre, die meisten von ihnen in der Funktion eines Ministers oder Staatssekretärs.189
6. Druckauswahl und Formalia
In dieser Buchausgabe liegt eine Auswahl der 211 edierten Dokumente des Jahres 1971 vor. Die Zusammenstellung umfasst sowohl standardmäßige Berichte als auch Exemplare mit besonderen formalen oder inhaltlichen Auffälligkeiten. In ihrer Gesamtheit sollen sie einen Eindruck von der innenpolitischen Dynamik des Jahres und der Vielfalt der wiedergegebenen Ereignisse vermitteln. Die Abschriften aller edierten Berichte des Jahres 1971 sind vollständig auf der Website https://1971.ddr-im-blick.de abrufbar. In Form einer Datenbank ist hier auch eine elektronische Volltextrecherche möglich.
Die Wiedergabe der Dokumente folgt grundsätzlich dem Original. Die Rechtschreibung ist den heutigen gültigen Regeln angeglichen. Während kleinere Tipp- und Rechtschreibfehler stillschweigend korrigiert werden, bleiben größere Orthografie- und Grammatikfehler aus Gründen der Quellenauthentizität unverändert. Ungewöhnliche Abkürzungen werden stillschweigend in übliche umgewandelt oder ausgeschrieben. Eventuelle Unterstreichungen, Randvermerke und Einkreisungen werden im Dokumentenkopf erwähnt, wenn sie gleichmäßig einen Großteil des Textes betreffen. Auf besondere Markierungen einzelner Wörter oder Sätze wird in einem Fußnotenkommentar aufmerksam gemacht.
Der Jahrgang 1971 weist in den Dokumentenköpfen einige Besonderheiten auf. Dazu gehören die bereits erwähnten Weiterleitungsvermerke in den Verteilern, die Hinweise auf die Kommunikationskanäle des MfS in den Staats- und ZK-Apparat geben. Zum anderen weisen viele Berichte zwei Datierungen auf, die in der Regel einige Tage voneinander abweichen. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um das Datum der Bestätigung der Verteilervorschläge, die nicht in der ZAIG, sondern dem Vorzimmer des Ministers erfolgten. In vielen Fällen sind die späteren Daten mit dem Tag des Postausgangs bei der ZAIG identisch. Die abweichenden Datierungen sind unter Vermerke erwähnt. Weist der Bericht nur ein Datum auf, wird dies wie üblich als Datum der Berichtsabfassung angenommen.
Gemäß § 32a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wurden die in den Texten erwähnten Personen der Zeitgeschichte sowie Amts- und Funktionsträger öffentlicher Institutionen vor der Veröffentlichung von Informationen zu ihrer Person benachrichtigt, wenn die Angaben nach einer Einordnung verlangen oder über ihre reine Funktionstätigkeit hinausgehen. Betroffene, die nicht zu diesen Personenkreisen gehören, wurden um eine Einwilligung für die Publikation von Daten zu ihrer Person gebeten. Um den Schutz der Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten, war es bei einigen wenigen Berichten notwendig, Passagen, Personennamen oder Adressenangaben zu anonymisieren. Die Aussagekraft der Quellen wird dadurch aber in keiner Weise beeinträchtigt, da es sich hierbei in der Regel um weniger relevante Angaben handelt. Die mitunter sehr aufschlussreichen Anmerkungen und Richtigstellungen von Personen, die sich auf Nachfrage zu den sie betreffenden Aussagen der Berichte äußerten, wurden den Dokumenten als Fußnotenkommentar hinzugefügt. In den Anlagen zu den Berichten erwähnte Personen werden nicht kommentiert.
7. Schlussbetrachtung
Die Veränderungen in der Innen- und Außenpolitik der DDR spiegeln sich in den ZAIG-Berichten des Jahres 1971 nur in Ausschnitten. Hinsichtlich der Themen und Schwerpunktsetzungen kommunizierte die Staatssicherheit grundsätzlich altbekannte Inhalte wie Wirtschaftsprobleme, Fluchten oder Protesthandlungen. Die zwischen 1953 und 1989 geringste Anzahl innenpolitischer Unterrichtungen mag auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, 1971 sei geradezu ereignisarm gewesen. Tatsächlich ergibt sich die politische Relevanz dieser wenigen Berichte durch ihre Einbettung in die Diskussionen des Partei- und Staatsapparates. In diesem Zusammenhang erwies es sich als ebenso aufschlussreich auf jene Themenfelder und Vorgänge zu schauen, die das MfS in seiner Berichterstattung ausklammerte, obwohl sie im Partei- und Staatsapparat eine wichtige Rolle spielten.
Jenseits der Herrschaftssicherung mit geheimpolizeilichen Mitteln blieb die nachrichtendienstliche Unterrichtung der Partei- und Staatsführung damit ein Gebiet, auf dem sich das MfS noch immer in der Findungsphase befand. Der Aufstieg Mielkes in den innersten Machtzirkel bot der ZAIG Anlass, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Die Ergebnisse zeigten zweierlei: Zum einen bestätigte die geringe nachvollziehbare Resonanz auf die geheimen Lageunterrichtungen, dass das MfS an der Verbesserung seiner »Informationstätigkeit« zu arbeiten hatte. Die von der ZAIG im Nachgang zu ihren Evaluationsbemühungen angestoßenen Neuerungen zeitigten wenigstens 1971 noch keine greifbaren Konsequenzen. Andererseits bestätigten sie aber auch, dass Mielkes personenfixierte Informationspolitik, die nicht erst 1971 stark auf Erich Honecker zugeschnitten war, machtpolitisch durchaus rational war. Der neue starke Mann an der Spitze der SED gehörte nicht nur zu den eifrigsten Lesern der ZAIG-Berichte. Mielke verstand es, durch gezielte Platzierung von Themen und Berichten Honecker jene Informationen an die Hand zu geben, die dieser erwartete oder politisch nützlich einsetzen konnte. Inwiefern der offensichtliche Ausschluss des abgesetzten Parteichefs Ulbricht von der innenpolitischen Lageunterrichtung in diesem Zusammenhang zu sehen ist, bleibt eine offene Frage.
Die ZAIG-Berichte waren damit 1971 schwerlich geeignet, für die Parteiführung Seismograph der Lage im Lande zu sein. Die Auswahl der Themen und die Beschränkung des Adressatenkreises machten sie im machtpolitisch heiklen Jahr des Machtwechsels in erster Linie zu einem eklektischen Informationsinstrument für den neuen starken Mann an der Parteispitze.
8. Anhang: Adressaten der Berichte 1971
Tabelle 1: Adressaten der Berichte 1971 außerhalb des MfSName | Information Nr. (auch Nr. K-Bericht) | Anzahl |
---|---|---|
Abrassimow, Pjotr A. (Jg. 1912) sowjetischer Botschafter in der DDR | 1 | |
Arndt, Otto (Jg. 1920) Minister für Verkehrswesen und Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn | 2 | |
Axen, Hermann (Jg. 1916) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Außenpolitik | 5 | |
Barth, Willi (Jg. 1899) Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK | 8 | |
Böhm, Siegfried (Jg. 1928) ZK-Mitglied, Minister der Finanzen | 1 | |
Borning, Walter (Jg. 1920) Leiter der Abteilung Sicherheit beim ZK | 10 | |
Dickel, Friedrich (Jg. 1913) ZK-Mitglied, Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei | 2 | |
Dietzel, Karl (Jg. 1928) stellvertretender Minister für Volksbildung, ab Juni 1971 Mitglied der Jugendkommission des Politbüros | 1 | |
Ewald, Georg (Jg. 1926) ZK-Mitglied, Vorsitzender des Landwirtschaftsrates (Minister) | 1 | |
Fadekin, Iwan A. (Jg. 1917) Leiter der KGB-Gruppe in der DDR | 2 | |
Florin, Peter (1921) ZK-Mitglied, Staatssekretär im Außenministerium und 1. stellvertretender Außenminister der DDR | 3 | |
Hager, Kurt (Jg. 1912) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wissenschaft, Bildung und Kultur | 11 | |
Hoffmann, Heinz (Jg. 1910) ZK-Mitglied, Minister für Nationale Verteidigung | 142, 152, 274, 319, 336, 768, 772, 827, 847, 1124, 1123, 1129, 1209, 1157 | 14 |
Honecker, Erich (Jg. 1912) SED-Politbüro, bis 2. Mai 1971 ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen, ab 3. Mai 1971 Erster Sekretär des ZK der SED (Parteivorsitzender), ab 24. Juni 1971 Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates | 17, 47, 48, 69, 83, 110, 122, 139, 142, 143, 176, 267, 336, 348, 440, 482, 509, 622, 705, 744a, 815, 816, 819, 820, 1063, 1078, 1238, 1092 | 28 |
Honecker, Margot (Jg. 1927) ZK-Mitglied, Ministerin für Volksbildung | 1 | |
Keßler, Heinz (Jg. 1920) ZK-Mitglied, Stellvertretender Minister für Nationale Verteidigung und Chef des Hauptstabes der NVA | 1 | |
KGB Berlin-Karlshorst (»AG«) | 32, 83a, 189, 273, 288, 321, 482, 591, 596, 622, 628, 639, 696, 705, 721, 768 | 16 |
Klare, Hermann (Jg. 1909) Präsident der Akademie der Wissenschaften (der DDR) | 1 | |
Kleiber, Günther (Jg. 1931) ZK-Mitglied, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates | 1 | |
Kohl, Michael (Jg. 1929) Staatssekretär für westdeutsche Fragen beim Außenministerium, seit 1970 Verhandlungsführer in den Verhandlungen zum Transitabkommen, zum Verkehrs- u. zum Grundlagenvertrag DDR – Bundesrepublik, ab 1971 Mitglied der Außenpolitischen Kommission beim Politbüro und der Westkommission beim Politbüro des ZK der SED | 2 | |
Lamberz, Werner (Jg. 1929) ZK-Mitglied, ab Juli 1971 auch Mitglied des Politbüros, Leiter der Abteilung Agitation beim ZK der SED | 10 | |
Markowski, Paul (Jg. 1929) Kandidat, ab Juli 1971 Mitglied des ZK der SED und Mitglied der Außenpolitischen Kommission des Politbüros | 1 | |
Mittag, Günter (Jg. 1926) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wirtschaft | 9 | |
Naumann, Konrad (Jg. 1928) ZK-Mitglied, ab Juli 1971 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin | 5 | |
Neumann, Alfred (Jg. 1909) SED-Politbüro, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates | 7 | |
Prey, Günter (Jg. 1930) ZK-Mitglied, Minister für Wissenschaft und Technik | 1 | |
Rauchfuß, Wolfgang (Jg. 1931) ZK-Mitglied, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates | 4 | |
Renckwitz, Fritz (Jg. 1921) Sektorenleiter MfS in der Abteilung für Sicherheitsfragen beim ZK der SED | 1 | |
Schürer, Gerhard (Jg. 1921) ZK-Mitglied, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission | 3 | |
Siebold, Klaus (Jg. 1930) Minister für Grundstoffindustrie | 2 | |
Sindermann, Horst (Jg. 1920) SED-Politbüro, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle, ab Juli 1971 stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates | 7 | |
Singhuber, Kurt (Jg. 1932) Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali | 2 | |
Sölle, Horst (Jg. 1924) ZK-Mitglied, Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel | 2 | |
Steger, Otfried (Jg. 1926) Kandidat, ab Juli 1971 Mitglied des ZK der SED, Minister für Elektrotechnik und Elektronik | 2 | |
Stoph, Willi (Jg. 1914) SED-Politbüro, Vorsitzender des Ministerrats | 66, 69, 73, 83, 176, 558, 562, 572, 578, 669, 673, 705, 721, 724, 1119 | 15 |
Verner, Paul (Jg. 1911) SED-Politbüro, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, ab Juli 1971 Leiter der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen und Leiter des Jugendkommission im Politbüro | 110, 122, 139, 189, 296, 575, 586, 621, 696, 705, 721, 744, 744a, 768, 772, 1118, 1238 | 17 |
Verner, Waldemar (Jg. 1914) ZK-Mitglied, Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung und Chef der Politischen Hauptverwaltung der NVA | 2 | |
Wansierski, Bruno (Jg. 1904) Stellvertretender Leiter der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen | 1 | |
Weiss, Hilmar (Jg. 1928) Leiter der Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel des ZK der SED | 2 | |
Winzer, Otto (Jg. 1902) ZK-Mitglied, Minister für Auswärtige Angelegenheiten | 12 | |
Wyschofsky, Günther (Jg. 1929) ZK-Mitglied, Minister für chemische Industrie | 2 | |
Zimmermann, Gerhard (Jg. 1927) Minister für Schwermaschinen- und Anlagenbau | 2 |
Name | Information Nr. (auch Nr. K-Bericht) | Anzahl |
---|---|---|
Abteilung Agitation | 1 | |
Abteilung X (Internationale Verbindungen) | 3 | |
Arbeitsgruppe des Ministers (AGM) | 1 | |
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin | 1 | |
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Cottbus | 1 | |
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Halle | 1 | |
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam | 2 | |
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Suhl | 1 | |
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin (Leiter) Wichert, Erich (Jg. 1909) | 5 | |
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Erfurt (Leiter) Weikert, Martin (Jg. 1914) | 1 | |
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt (Leiter) Gehlert, Siegfried (Jg. 1927) | 1 | |
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig (Leiter) Hummitzsch, Manfred (Jg. 1929) | 4 | |
Einsatzmappe | 1 | |
Fahndungsführungsgruppe (FFG) | 2 | |
Hauptabteilung HA VII (Ministerium des Inneren, Deutsche Volkspolizei) | 6 | |
Hauptabteilung I (NVA, Grenztruppen) | 34, 142, 152, 274, 319, 336, 768, 772, 827, 1209, 847, 899, 1123, 1124, 1129, 1157, 1231 | 17 |
Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan) | 314, 348, 440, 509, 519, 800, 816, 816a, 819, 842, 847, 899, 1124 | 13 |
Hauptabteilung VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel) | 7 | |
Hauptabteilung XIX (Verkehr, Post, Nachrichtenwesen) | 3 | |
Hauptabteilung XVIII (Leiter) Mittig, Rudi (Jg. 1925) | 4 | |
Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kirchen, Kultur, Untergrund) | 5 | |
Minister für Staatssicherheit Mielke, Erich (Jg. 1907) | K1/20, K1/25, 32, 66, 83a, 122, 130, 139, 210, 212, 213, (226), 288, 416, 705, 721, 744a, 815, 816, 820, 825, 903, 970, (980), 1126, 1145, 1231, 1243 | 28 |
Stellvertretender Minister für Staatssicherheit Beater, Bruno (Jg. 1914) | K1/20, K1/25, 17, 47, 48, 122, 596, 628, 696, 705, 721, 744a, 815, 816, 816a, 819, 820, 825, 1243 | 19 |
Stellvertretender Minister für Staatssicherheit Scholz, Alfred (Jg. 1921) | 7 | |
Stellvertretender Minister für Staatssicherheit Schröder, Fritz (Jg. 1915) | 17, 33, 47, 48, 66, 69, 73, 83, 83a, 122, 130, 136, 139, 142, 143, 164, 176, 189, 210, 212, 213, 226, 267, 273, 282, 296, 302, 321, 464, 509, 524, 558, 562, 572, 575, 578, 586, 591, 669, 673, 688, 705, 746, 800, 903, 905, 980, 1078, 1231, 1119, 1145, 1067, 1118 | 53 |
Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) | 1 | |
Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) Hackenberg, Dieter (Jg. 1931) | 3 | |
Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) Tannhäuser, Dieter (Jg. 1936) | 2 | |
Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) Schorm, Ursula (Jg. 1934) | 2 | |
Zentraler Operativstab (ZOS) | 3 |