Einsatz von Staubschutzkappen aus Polystyrol
[ohne Datum]
Information Nr. 746/71 über mögliche Gefahren durch den Einsatz von Staubschutzkappen aus Polystyrol in der Elektrotechnik
Aufgrund mehrerer Brände, die seit 1967 an Tabelliermaschinen1 sowie anderen elektrischen Anlagen entstanden und deren Relais mit Staubschutzkappen aus Polystyrol versehen waren, wurden durch das MfS Untersuchungen geführt.
Nach einer vorliegenden Übersicht traten u. a. folgende schwerwiegende Schadensfälle an Büromaschinen in Einrichtungen der Industrie und anderer staatliche Organe auf:
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am 26.6.1967 im VEB MR Erfurt, Brand einer Tabelliermaschine, Soemtron 402, Schaden: 70 000 M;
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ebenfalls 1967 im VEB MR Leipzig, 20 Störungen infolge Durchbrennen von Relais;
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im Zeitraum 1968/69 im Stahl- und Walzwerk Riesa, vier Brände an elektrotechnischen Anlagen;
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am 31.1.1968 im VEB MR Dresden, Brand einer Tabelliermaschine 402, Schaden: 120 000 M;
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am 20.11.1968 im VE-Rechenbetrieb Gera, Brand einer Tabelliermaschine 402, Schaden: 55 000 M;
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am 4.2.1969 wurden im Rechenbetrieb Binnenhandel Berlin elf Relais verschmort vorgefunden;
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am 21.3.1969 verbrannten im Rechenbetrieb Gera vier Relais einer Tabelliermaschine 402;
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am 30.6.1969 ereignete sich im EKB Bitterfeld ein Relaisbrand in der Messwarte des Formidbetriebes (Schaden: 100 000 M);
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im März 1970 verbrannte eine Relaiseinheit im VEB Stickstoffwerk Piesteritz;
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bereits dreimal (11.8.1965, 12.7.1969 und 11.5.1970) ereigneten sich Brände von Relaiseinheiten im Industriekraftwerk des Petrochemischen Kombinates Schwedt;
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am 12.2.1971entstand ein Brand an einer Tabelliermaschine 402 in der Buchungsstelle des Konsum-Bezirksverbandes Erfurt (Schaden: 10 000 M);
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am 25.6.1971 ereignete sich im VEB Edelstahlwerk Freital ein Brand im Schaltschrank des Elektronenmehrkammerstrahlofens (Schaden: 2 000 M und Produktionsausfall: 150 000 M).
In diesem Zusammenhang sind Brände in Langstreckenwagen des VEB Waggonbau Ammendorf zu erwähnen, welche bereits in der SU im Einsatz sind; ebenso muss auf Brände in einer Regelungsanlage im VEB Elmo Wernigerode und in einer Regelungsanlage des GRW Teltow, installiert im MfAA, hingewiesen werden, bei denen ebenfalls Staubschutzkappen aus Polystyrol eingesetzt worden sind.
Bereits im Oktober 1968 wurden erste Untersuchungen zur Brennbarkeit der Polystyrolkappen durchgeführt und nachgewiesen, dass sie sich für bestimmte Relaistypen nicht eignen und eine große Gefahr für die Anlagen, in denen sie eingebaut sind, bedeuten. Die Kappen erwiesen sich als leicht brennbar, das Material tropft im brennenden Zustand auf darunterliegende Relais und setzt diese ebenfalls in Brand.
Im September 1970 wurden dann Ermittlungen in den Herstellerbetrieben für diese Relais, dem VEB Kombinat Zentronik, Büromaschinenwerk Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, und im Werk für Fernsehelektronik Berlin, Betriebsteil Relaisbau, geführt. Die Verantwortlichen in beiden Betrieben erklärten, dass die Brennbarkeit der Polystyrolkappen bekannt wäre. In der DDR gäbe es jedoch kein anderes schwer entflammbares Material, welches zur Herstellung der Staubschutzkappen verwendet werden könnte. Von den übergeordneten Organen der o. g. Betriebe wurden keine Forderungen gestellt, ein schwer entflammbares Material für derartige Relais in Tabelliermaschinen einzusetzen (VVB Elektroapparate und Ministerium für Elektrotechnik).
Vonseiten der Elektroindustrie wurden bereits mehrmals Anträge an die chemische Industrie zur Herstellung eines brauchbaren Polykarbonats gestellt und auch dazu Verhandlungen geführt, die jedoch bisher zu keinem praktischen Ergebnis führten.
Bei den weiteren Ermittlungen wurde bekannt, dass im VEB EAW Treptow seit 1968 Staubschutzkappen aus Makrolon 300 (schwer entflammbares Polykarbonat der Firma Bayer-Leverkusen/Westdeutschland) zum Einsatz kommen.
Dieses Kappenmaterial wird vorwiegend bei Relais verwendet, die in Schiffen und in Schienenfahrzeugen zum Einsatz kommen. Der Import von Makrolon 300 erfolgte bisher in einer Menge von ca. 63 t jährlich. Da das Material sehr teuer ist und in Freien Devisen2 bezahlt werden muss, konnten keine größeren Mengen eingeführt werden.
Nach den neusten Feststellungen wird Makrolon 300 im Jahre 1971 nicht mehr importiert.
Aus währungspolitischen Gründen wird das in seiner Art gleiche amerikanische Material Lexan über eine holländische Firma importiert. Da jedoch nur die gleichen Mengen importiert werden, bleibt weiterhin ein Engpass an Makrolon 300 bzw. Lexan für die Verarbeitung zu Staubschutzkappen für die Büromaschinenindustrie bestehen.
Die Elektroindustrie ist aufgrund der Situation zurzeit nicht in der Lage, die Relais in Tabelliermaschinen grundsätzlich mit einer schwer entflammbaren Kappe auszurüsten.
Zum Import des Makrolon (jetzt Lexan) liegt ein Negativtest vom 9.7.1969 des Kombinates Buna vor. Darin heißt es:
Die DSRK schreibt für die Ausrüstung im Schiffbau Polykarbonat aus Gründen der Kriechstromfestigkeit, Nichtbrennbarkeit, Festigkeit gegenüber Wasserdampf und Wasseraufnahme sowie hoher Temperaturbeständigkeit vor.
Die DDR hat sich mit der Entwicklung von Polykarbonat beschäftigt und es wurde beschlossen, diese Entwicklung aus Gründen der Rohstofflage abzubrechen und einzustellen. Die DDR hat sich im Perspektivzeitraum auch nicht mit der Entwicklung von Polykarbonat befasst. Ein Grund ist u. a. auch die in der DDR benötigte geringe Menge.
Es wird versucht, Polykarbonat aus anderen RGW-Ländern zu beziehen.
Zu einem Vertragsabschluss ist es jedoch noch nicht gekommen.
In mehreren Aussprachen mit Fachexperten der Elektroindustrie, der chemischen Industrie sowie des DAMW erklärten diese, dass in der DDR eine Forschung und Entwicklung hinsichtlich eines brauchbaren Polykarbonats bisher nicht erfolgte, weil die Menge, die in der DDR gebraucht wird, gegenüber dem Aufwand und den Kosten der Forschung zu gering wäre.
Bei den technischen Untersuchungen stellte sich heraus, dass das Makrolon 300 zwar eine weitaus höhere Entzündungstemperatur hat als Polystyrol, jedoch bei einer über fünf Sekunden andauernden Flammeneinwirkung ebenfalls selbstständig weiterbrennt und brennend abtropft.
Daraus leiten die Fachexperten ab, dass auch Makrolon 300 noch nicht das geeignete Material darstellt und bei Einsatz größerer Mengen zu erheblichen Schäden führen können.
Auf dem Weltmarkt gibt es aber nach Einschätzung der Fachexperten zzt. kein besseres, nicht brennbares bzw. schwer entflammbares durchsichtiges Plastmaterial.