Entwicklung von Buchungsautomaten im VEB Zentronik
21. Juli 1971
Information Nr. 673/71 über einige Probleme der Entwicklung des Elektronischen Buchungsautomaten und anderer Erzeugnisse im VEB Kombinat Zentronik und deren nachteilige Folgen für die Sicherung langfristiger Absatzperspektiven im Sozialistischen Wirtschaftsgebiet
Über die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten am Elektronischen Buchungsautomaten (EB) im VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt,1 die dabei in der Vergangenheit entstandenen Hemmnisse und die im Rahmen eingeleiteter Untersuchungsmaßnahmen erkannten leitungsmäßigen Versäumnisse der Generaldirektion des VEB Kombinat Zentronik wurde dem MfS bekannt:
Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten am EB wurden im Juli 1970 nach siebenjähriger Dauer aufgrund einer Entscheidung des Ministers für Elektrotechnik/Elektronik abgebrochen.2 Diese Entscheidung beeinflusst für die Jahre 1971 bis 1975 den Export in die UdSSR wesentlich.
Der Abbruch der Entwicklungsarbeiten am EB war Anlass dafür, dass sowjetische Genossen, z. B. der Präsident des sowjetischen AHB Elektronorgtechnika,3 Gen. Kislenko,4 und der Leiter der Zentralverwaltung für Statistik in der UdSSR, Gen. Sasonow,5 im März 1971 gegenüber dem Generaldirektor des AHB Büromaschinenexport zum Ausdruck brachten, »dass die UdSSR mit der von uns (d. h. der DDR) entwickelten Strukturpolitik auf dem Gebiet der Büromaschinentechnik bereits seit Jahren nicht einverstanden ist«. Zu den Verhandlungen in Moskau wurde von sowjetischer Seite sehr eindeutig der Vorwurf gemacht, dass in der DDR offensichtlich Strukturentscheidungen gefällt werden, ohne den Hauptmarkt UdSSR und deren Interessen, von der Sicht der Anwenderindustrie her gesehen, zu berücksichtigen. Es wurde von der DDR verlangt, nicht komplette EDV-Systeme anzubieten, sondern hochentwickelte, hochleistungsfähige und einfach zu bedienende elektronische Buchungs- und Abrechnungsautomaten. Dabei wurde sehr stark mit entsprechenden Angeboten aus Japan argumentiert, die »mehr dem Bedarf der sowjetischen Industrie angepasst sind als die Geräte aus der DDR«.
Die Hinweise der sowjetischen Partner waren Anlass, die Entscheidung über die Einstellung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten am EB nochmals durch die Leitung des Ministeriums für Elektrotechnik/Elektronik überprüfen zu lassen und gleichzeitig die Möglichkeiten und notwendigen Voraussetzungen für die Aufnahme der Produktion des EB untersuchen zu lassen.
Im Ergebnis der eingeleiteten Untersuchungen wurde festgestellt, dass durch die Entscheidungen im kaufmännischen Bereich des Kombinats Zentronik seit Jahren
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die Partei- und Regierungsbeschlüsse zur Entwicklung der Forschungs- und Produktionskooperation mit der UdSSR inkonsequent behandelt werden,
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bewusst die Forderungen der UdSSR negiert werden, die Partner teilweise sogar desorientiert wurden,
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eine bevorzugte Zusammenarbeit mit Generalvertretern im NSW sowie Vertretern kapitalistischer Firmen und Konzerne gepflegt wurde,
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mangelhaft die Erkenntnisse des sowjetischen Marktes an den F/E-Bereich und den Bereich der Produktion des Kombinates Zentronik und das Buchungsmaschinenwerk durch die Absatz- und Bezugsorganisation Moskau des AHB Büromaschinenexport vermittelt wurden.
Diese Situation insgesamt wirkt sich besonders nachteilig im VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt aus.
Die Entwicklungsarbeiten am elektronischen Buchungsautomaten (EB) im VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt begannen 1963. Der Produktionsbeginn mit etwa 20 Anlagen war für 1969 vorgesehen und der Abschluss der F/E-Arbeiten sollte etwa 1971 erfolgen.
Der EB entsprach den Forderungen der UdSSR, sodass bei der Konzipierung des F/E-Komplexes der Bedarf und die technischen Forderungen der UdSSR als Ausgangspunkt für die Planung hätten genommen werden müssen. Jedoch wurden weder in den Jahren 1963/1964 noch in den nachfolgenden Jahren die Bezugswünsche und Forderungen des sowjetischen Partners berücksichtigt. Insbesondere der Kaufmännische Direktor, Bengsch,6 und der Leiter der Abteilung Absatz, Schauer7, im VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt, beide inzwischen zu langjährigen Freiheitsstrafen wegen Sabotage (§ 23 StEGS)8 verurteilt, haben die technische Konzeption des EB in Verbindung mit den westlichen Vertretern festgelegt und von den Bedingungen der westdeutschen Büroorganisation abgeleitet. Der westdeutsche Vertreter der Fa. Behrens,9 Oldenburg, bedankte sich dafür schriftlich bei Schauer: »Herzlichen Glückwunsch zum Schauerschen Bankautomaten. Es kann wirklich gesagt werden, es fehlt von den Forderungen des Februar-Kreises 63 auch nichts mehr. «
Die Fachleute der UdSSR forderten ständig, den EB vorzuführen, da großes Interesse an dieser Maschine bestand. Insbesondere bei den zahlreichen Dienstreisen in die UdSSR und bei Beratungen in der DDR wurde seitens der sowjetischen Fachleute immer wieder der EB verlangt.
Auch nach der Einstellung der F/E-Arbeiten am EB unterstrichen die sowjetischen Genossen, dass sie nach wie vor einen EB-ähnlichen Automaten von der DDR beziehen wollen.
»EB wird dringend gebraucht; wann kommt eine EB-ähnliche Variante?« (Gen. Sasonow/Leiter der Zentralverwaltung für Statistik der UdSSR im März 1971 in der DDR).
Erstmals wurde auf der LFM 196710 ein Muster des EB den sowjetischen Vertretern vorgeführt. Im Dezember 1968 erfolgte eine praktische Maschinenvorführung vor Interessenten der UdSSR.
Bereits im Dezember 1966 jedoch wurde ein Funktionsmuster des EB und der zwischenzeitlich neuentwickelte Kleinbuchungsautomat (KB) Generalvertretern aus kapitalistischen Ländern in Karl-Marx-Stadt11 vorgestellt und ihre Funktionsweise ausführlich erläutert.
Der Generaldirektor der ehemaligen VVB Datenverarbeitung und Büromaschinen12, Lungershausen,13 sowie der Kaufmännische Direktor der VVB, Sroka,14 hatten für diese Vorführung die Genehmigung erteilt. (Sroka, zzt. Kaufmännischer Direktor im VEB Kombinat Zentronik, versucht gegenwärtig diese Handlungsweise damit zu rechtfertigen, »dass in Abstimmung mit dem Generaldirektor nur die ›zuverlässigsten‹ Generalvertreter eingeladen wurden«.)
Für die Begründung der Einstellung der F/E-Arbeiten am EB im Jahr 1970 gab die Leitung des Kombinates Zentronik an das Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik Überleitungsschwierigkeiten und in einer zusätzlichen mündlichen Begründung einen zu niedrigen Bedarf der UdSSR an.
Im Februar 1970 wurde eine Dienstreise in die UdSSR durch das Kombinat Zentronik organisiert. In der Vorbesprechung der Mitglieder der Delegation lenkte der Delegationsleiter Seifert,15 Kombinat Zentronik/Absatz, im Auftrage des Generaldirektors des Kombinates Zentronik, Vogelsang,16 und des Kaufmännischen Direktors, Sroka, die Diskussion in die gewünschten Bahnen. Seifert erklärte laut Protokoll mehrmals, »dass die Einstellung des EB-Komplexes nach wie vor akut ist.« Weiter heißt es: »Dem Vertreter von Buma17 Karl-Marx-Stadt wurde vom Kollegen Seifert untersagt, die sowjetische Seite weiter über die Testparameter am EB zu informieren, obwohl in der Direktive steht, dass dem sowjetischen Partner ausführliche Auskünfte über EB/KB und KBL zu geben sind.«
Obwohl also bei den Verhandlungen im Februar 1970 mit den sowjetischen Partnern vonseiten der DDR-Fachleute der EB nicht erwähnt wurde, wiesen die sowjetischen Genossen bei den Verhandlungen wiederum auf die Bedeutung des EB hin:
»Die Leitung des Hauptrechenzentrums der sowjetischen Zentralverwaltung für Statistik schätzte ein, dass Maschinen mit mehreren Speichern für sie am geeignetsten wären. Das System 7 000 (EB/KBL) wird dafür am geeignetsten erwartet.«
In der Beratung zur Auswertung der Reise mit dem Generaldirektor Vogelsang und dem Kaufmännischen Direktor Sroka wurde aber demgegenüber festgelegt:
»Über EB wurde von sowjetischer Seite nichts Konkretes ausgesagt. Gen. Vogelsang sagte, dass es zweckmäßig ist, den EB einzustellen.«
Nach der LFM 1970 wurde durch den Generaldirektor eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Begründung für die Einstellung des EB verfasste. Diese Begründung entspricht jedoch nach den bisher bekannt gewordenen Tatsachen nicht den Realitäten.
Im Juni 1970 verliefen die Testläufe des EB (Entwicklungsstufe ÜK 8) erfolgreich. Zu diesem Zeitpunkt waren ca. 25 Mio. Mark Entwicklungskosten verausgabt worden.
Trotzdem wurde am 17.7.1970 die Einstellung der F/E-Arbeiten am EB bestätigt.
Der Bereich Technik im Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik hatte solche Widersprüche im Antrag des Kombinates Zentronik, wie Einschätzung des Bedarfs im In- und Ausland, Absprachen im RGW usw. ungenügend berücksichtigt, als er eine entsprechende Stellungnahme für den Minister, Gen. Steger,18 vorbereitete.
Auch die Begründung im Antrag, dass die F/E-Kader im VEB Buchungsmaschinenwerk voll auf die Entwicklung des Kleinbuchungsautomaten KB/KBL konzentriert werden müssen, ist nicht zutreffend, da die sowjetische Seite noch im März 1971 zum Ausdruck brachte, dass sie den KB/KBL nur unter Vorbehalt bestellen werden und dass der KBL sie nur im Zusammenhang mit dem EB interessiere.
Im November 1970 stellte der VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt eigenverantwortlich und ohne Wissen der Kombinatsleitung der Zentralverwaltung für Statistik der UdSSR einen EB als Testmaschine zur Verfügung. Der Test verlief erfolgreich. So wird in einem Gutachten durch sowjetische Experten festgestellt:
»Der EB besitzt spezifische Eigenschaften, die in hohem Grade den Aufgaben entsprechen, wie sie in der Mehrzahl der Rechenzentren der Zentralverwaltung für Statistik sowie in Buchungsstationen der Volkswirtschaft gelöst werden müssen.«
Die massive Kritik der sowjetischen Fachleute an der Strukturpolitik im Kombinat Zentronik war Anlass, durch eine Arbeitsgruppe des Ministeriums für Elektrotechnik/Elektronik die Möglichkeiten für die Aufnahme der Produktion des EB prüfen zu lassen.
Die Überprüfungen ergaben zunächst, dass
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die sowjetischen Partner erst Ende 1971 perspektivische Bezugszahlen verbindlich übergeben können,
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der Absatz in der DDR und
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der Bedarf der übrigen sozialistischen Länder nicht eindeutig bestimmbar ist,
sodass eine Entscheidung über die Aufnahme der Produktion zzt. nicht möglich wäre.
Die Experten der Büromaschinenindustrie, auch aus dem Kombinat Zentronik, weisen jedoch bei einer weiteren Verzögerung der Entscheidung über die Produktionsaufnahme des EB bis in das Jahr 1972 auf mögliche negative Auswirkungen hin. Unter anderem wird mit der Möglichkeit gerechnet, dass bei einer Verzögerung der Produktionsaufnahme des 31 oder eines gleichwertigen Erzeugnisses – z. B. ist eine Weiterentwicklung mit einer Kleindatenverarbeitungsanlage (KDVA) im Gespräch – Konkurrenzerzeugnisse aus dem NSW (Japan, WD) auf dem sowjetischen Markt eingeführt werden und dann nur noch sehr begrenzte Chancen vorhanden wären, auf diesem Hauptmarkt des VEB Kombinat Zentronik, Erzeugnisse der mittleren Mechanisierungsstufe auf dem Markt UdSSR abzusetzen. (Die Absatzmöglichkeiten im einstmals stabilen Markt im NSW sind fast vollständig verloren gegangen.)
Charakteristisch für die Orientierung auf das NSW ist die Entwicklung des Kleinrechners D4 a (C 8201 – C 8205) im VEB Rechenelektronik Zella-Mehlis/Meiningen des Kombinates Zentronik.
Im Januar 1965 wurde mit der Entwicklung des D 4a begonnen, wobei F/E-Ergebnisse des Instituts für Maschinelles Rechnen Dresden, Prof. Dr. Lehmann,19 übernommen wurden. Bereits in dieser Zeit hatte Prof. Dr. Lehmann in Prag und Hannover Vorträge gehalten und die Grundkonzeption für den Rechner bekannt gegeben.
Die Orientierung im VEB Kombinat Zentronik auf das NSW wird ebenfalls an der Marktvorbereitung für den D 4a deutlich.
Im Oktober 1967 wurde in Abstimmung zwischen dem Kaufmännischen Direktor des Kombinates, Sroka, und dem Kaufmännischen Direktor des VEB Rechenelektronik, Triebel,20 dem westdeutschen Vertreter der Fa. Bäckers,21 Düsseldorf, [Name 1], eine Testmaschine kostenlos überlassen.
Obwohl sich die NVA ebenfalls um die Übergabe einer Testmaschine bemühte, erhielt sie, und das auch erst im Dezember 1967, vom VEB Rechenelektronik nur Baugruppen, sodass in der NVA die Baugruppen komplettiert werden mussten.
Der an die westdeutsche Fa. Bäckers übergebene Testrechner wurde bis 1968 getestet, wobei auch Fachleute des IBM-Konzerns anwesend gewesen sein sollen.
Im Jahre 1969 brachten der IBM-Konzern und die Fa. Nixdorf Kleinrechner auf den Markt, mit ähnlichen technischen Parametern, jedoch verbesserter Elektronik.
1968 war vom VEB Rechenelektronik Zella-Mehlis vorgesehen, auch das neueste Funktionsmuster, den C 8205, an die westdeutsche Firma zu Testzwecken zu übergeben, was jedoch verhindert wurde.
Die Genannten Triebel und Sroka unterhalten auch gegenwärtig noch Kontakte zum Vertreter [Name 1], obwohl 1970 das AHU BME den Vertretervertrag mit [Name 1] gelöst hat.
Nach der Kündigung des Vertretervertrages wurde noch vereinbart, einen D 4a (Wert 4,5 TM) als Ausgleich für die ihm beim Einsatz des Testrechners C 8201 entstandenen »Kosten« zu übergeben. Triebel begründete diese Bemühungen damit, dass »wir doch seriöse Geschäftspartner« seien.
Im Kombinat Zentronik wurde insgesamt das Ableiten wissenschaftlich-technischer Aufgaben aus den Forderungen der UdSSR unterschätzt.
Beispielsweise wurden in der DDR mit dem R 1000 und der UdSSR mit ASPI parallel zwei ähnliche Systeme der Bürotechnik entwickelt. In einer gemeinsamen Beratung der Experten der UdSSR und der DDR im Oktober 1970 musste festgestellt werden, dass das Regierungsabkommen vom Jahre 1965 über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen der DDR und der UdSSR22 nicht realisiert wurde. Das Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik und das Kombinat Zentronik führten die entsprechenden Beratungen mit der UdSSR nicht bzw. nur in ungenügendem Maße durch. Für die Systeme R 1000 und ASPI kann keine vollkommene Vereinheitlichung mehr erreicht werden; das betrifft die unterschiedlichen Standardanschlüsse, die Betriebsspannungen usw.
Auch diese Erzeugnisentwicklung wurde ohne die Forderungen des Hauptkunden UdSSR betrieben. Seitens der UdSSR wurde z. B. immer wieder darauf hingewiesen, dass bis zum Jahre 1975 hauptsächlich mit Lochkarten als Datenträger gearbeitet wird und dass deshalb die von der DDR bezogenen Maschinen mit Lochkartenein- und -ausgabegeräten ausgerüstet sein müssen.
Bis zum Zeitpunkt einer Dienstreise leitender Kader des Kombinates im April 1971 in die UdSSR hatte sich das Kombinat unter dem Vorwand, den wissenschaftlich-technischen Höchststand anzustreben, nur auf andere Datenträger orientiert und somit den Bedarf der UdSSR übergangen. Erst danach wurde eine angeblich völlig neue Schlussfolgerung gezogen:
»Ausarbeitung einer Konzeption für die Entwicklung von Lochkartenein- und -ausgabegeräten für das gegenwärtige Erzeugnissystem des Kombinates, speziell zur Lieferung in die SU.«
Ähnlich wie auch bei der Entwicklung des EB wurden der UdSSR jahrelang bestimmte Neuentwicklungen angekündigt, die dann eingestellt wurden (z. B. Einstellung des Gerätes 520 und Ersatz durch ein neues Schreibwerk, Einstellung der Entwicklung des elektronischen Tischrechners usw.).
Der Leiter der Abteilung IZ des Kombinates Zentronik traf im Jahre 1970 in einer Problemanalyse folgende Feststellungen über den Stand der internationalen sozialistischen Zusammenarbeit: »Die sozialistische internationale Integration spielt bisher in der Leitungstätigkeit praktisch keine Rolle; die Fragen der internationalen Zusammenarbeit fanden noch keinen Niederschlag in den Beratungen der Kaufmännischen Direktoren. Die Abteilung IZ des Stammbetriebes wurde bisher noch nicht einmal zu solchen Beratungen hinzugezogen.«
In der ehemaligen VVB Datenverarbeitung und Büromaschinen23 und auch im VEB Kombinat Zentronik wurden zahlreiche Konzeptionen für die perspektivische Erzeugnisprofilierung ausgearbeitet. Vor allem in den Jahren 1967/68 wurde das Einheitliche System der Datenerfassung und -aufbereitung (R 1000) als Teilsystem im ESEG konzipiert, das etwa in den Jahren 1970 bis 1973 wirksam werden sollte.
Danach sollten die Betriebe des Kombinates auf folgende Erzeugnisse spezialisiert werden:
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VEB Büromaschinenwerk Sömmerda – Abrechnungsautomaten
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VEB Optima Erfurt – Schreib- und Organisationsautomaten
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VEB Rechenelektronik Zella-Mehlis – alphanumerischer Datenerfassungsplatz
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VEB Buchungsmaschinenwerk – Buchungsautomaten
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VEB Secura Berlin – Saldiermaschinen
Diese Konzeption wurde nicht konsequent realisiert. Durch die Überbetonung der sogenannten »traditionellen Entwicklungslinien« in den einzelnen Werken und fehlende Koordinierung durch die Kombinatsleitung sind eine Reihe von Doppelentwicklungen vorgenommen worden. Solche Doppelentwicklungen bzw. Parallelentwicklungen bestehen darin,
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dass sich die Abrechnungsautomaten 381–385 (Sömmerda), der EB (Karl-Marx-Stadt) und der C 8205 (Zella-Mehlis) anwendungstechnisch weitgehend gleichen. Die Reihe 381–385 und der EB gleichen sich zu etwa 80 % und der C 8205 mit Blockdrucker kann den EB vollständig ersetzen.
(Da die Ascota-Erzeugnisse des VEB Buchungsmaschinenwerkes Karl-Marx-Stadt in der UdSSR erfolgreich auf dem Markt eingeführt sind, u. a. besonders die Klasse 170, eine entsprechende Anzahl von Service-Technikern ausgebildet sind und der EB als Beginn einer perspektivischen Entwicklungsreihe der mittleren Mechanisierung seitens der sowjetischen Experten betrachtet wird, sind die sowjetischen Partner unbedingt am Bezug des EB interessiert. Die Kombination C 8205 mit Blockdrucker stellt eine wesentlich kompliziertere Technik dar, u. a. Einsatz von Trommelspeicher, und hat demzufolge größere Kosten zu verzeichnen.)
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dass trotz des Vorhandenseins eines Schreibwerkes im VEB Büromaschinenwerk Sömmerda im VEB Optima Erfurt die Ein- und Ausgabeschreibmaschine SE 5 entwickelt wurde,
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dass der VEB Büromaschinenwerk Sömmerda einen Datenerfassungsplatz RANDEP (rechnender alphanumerischer Datenerfassungsplatz) fertigte, obwohl nach der Konzeption zum System R 1000 ein solches Gerät im VEB Rechenelektronik Zella-Mehlis (System HADES) entwickelt wird (z. Zt. Stufe K 2). In der Kombinatsleitung besteht keine Klarheit, ob und inwieweit sich beide Geräte gleichen.
Die Ursachen für diese Entwicklung liegen vor allem darin begründet, dass die Kombinatsleitung bisher zu schwach war, die einheitliche technische Konzeption (z. B. für R 1000) durchzusetzen und F/E-Kader auf die Schwerpunkte zu konzentrieren.
In den Betrieben wurde das F/E-Potenzial ausgebaut und man bemühte sich mit allen Kräften, ein »eigenes Finalerzeugnis« zu produzieren. So versuchten die Fachleute aus Zella-Mehlis z. B. der Kombinatsleitung und auch den sowjetischen Experten nachzuweisen, dass ihr Kleinrechner C 8205 dem EB überlegen ist.
Dieser Konkurrenzkampf setzt sich auf dem Außenmarkt fort. Einige Funktionäre aus dem VEB Rechenelektronik Zella-Mehlis überreichten sowjetischen Mitarbeitern, die über die Exportauftragserteilung entscheiden, zahlreiche Geschenke, um sie für den C 8205 »zu interessieren«.
Leitende Kader des Kombinates versuchen noch für die vorhandenen Doppelentwicklungen eine wissenschaftliche Begründung ihrer »Forschungsstrategie« zu finden. Im Arbeitsentwurf eines Gutachtens leitender Kader zur Absatzstrategie im März 1971 heißt es z. B.:
»Es entspricht dem internationalen Stand, mehrere Entwicklungen notfalls bis dicht vor die Produktionsreife zu treiben, um dann die Entscheidung für die rentabelste und produktionsstabilste Lösung treffen zu können!«
Einfluss des Außenhandelsunternehmens Büromaschinenexport (BME) auf die Erzeugnis- und Absatzpolitik des Kombinates Zentronik
Das AHU BME vertritt die Erzeugnisse des VEB Kombinates Zentronik auf den Außenmärkten der DDR und hat daraus resultierend auch die Aufgabe, konkrete Markt- und Bedarfsanalysen zu erarbeiten. Der vorrangigen Bedeutung des sowjetischen Marktes für die DDR wurde jedoch durch BME nicht Rechnung getragen.
Das AHU BME unterhält in den sozialistischen Ländern eigene Absatz- und Bezugsorganisationen (ABO) und damit jene Voraussetzungen, um eine den Interessen der DDR und der RGW-Partner entsprechende Absatzpolitik zu organisieren. Besonders in der ABO Moskau konzentrieren sich eine Reihe von Personen, z. B. Leiter der Exportgruppe [Name 2] und Ehefrau, Stützpunktleiter [Name 3], die Mechaniker [Name 4] und [Name 5] mit Ehefrauen, die
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vorwiegend aus Motiven des persönlichen materiellen Vorteils handeln ([Name 2] tauschte seine Wohnung mit ca. 1 200 Mark Jahresmiete gegen ein Hotel-Appartement zu ca. 30 000 Mark Jahresmiete),
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sich vom übrigen Stützpunktkollektiv abkapseln, auch vom Parteisekretär,
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kriminelle Handlungen von Stützpunktkadern decken,
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die Konkurrenz der Kombinatsbetriebe fördern,
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eine ungenügende Marktarbeit zulassen (keine Einsatzvorbereitung für Maschinen KB/KBL, die in Moskau stehen),
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durch Kombinatsbetriebe (Rechenelektronik Meiningen/Zella-Mehlis) korrumpiert werden und selbst sowjetische Kunden zu korrumpieren versuchen,
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sich laufend moralische Verfehlungen zuschulden kommen lassen ([Name 2], [Name 4]), die auch einem großen Personenkreis bekannt sind.
Das MfS möchte im Zusammenhang mit den Problemen des EB und den ungelösten Fragen der weiteren Zusammenarbeit mit der Sowjetunion auf einige personelle Verflechtungen zwischen dem VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt und führenden westdeutschen Unternehmen aufmerksam machen.
Der VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt gehörte vor 1945 zur Unternehmensgruppe Astra.24 In diesem Betrieb wurde eine Reihe von Nachwuchskräften entwickelt, die in der Zeit seit 1945 bis etwa 1970 leitende Positionen in Forschung und Entwicklung im Buchungsmaschinenwerk erreichten.
Zu dieser Personengruppe zählen u. a. Technischer Direktor Reißig,25 Chefkonstrukteur Franz,26 stellv. Chefkonstrukteur Köhler,27 Hauptabteilungsleiter Gerbeth28 und Schauer, die bis 1968/1969 aktive Verbindungen zu ehemaligen leitenden Mitarbeiter der Astra-Direktion unterhielten.
In größeren Zeitabständen wurden auf der Basis kommerzieller Beziehungen mit dem ehemaligen Technischen Direktor der Astra-Werke, Seyfried,29 und dem ehemaligen Gruppenkonstrukteur und späteren Chefkonstrukteur von Wanderer-Exakta,30 Köln, Bringer,31 in Westdeutschland Treffen durchgeführt.
Bei solchen Treffen wurde von westdeutscher Seite die »Befriedigung« zum Ausdruck gebracht, dass es in Karl-Marx-Stadt noch »Männer gibt, auf die man sich verlassen kann«.
Der o. g. Personenkreis unterhält weiterhin Verbindungen zum Unternehmen Exakta Köln – jetzt Wanderer-Nixdorf –, dessen leitender Personenkreis weitgehend identisch ist mit den ehemaligen Direktionsmitgliedern der Astra-Werke, Chemnitz.
(Diese Personen setzten sich 1945 nach Westdeutschland ab.)
Die ersten Erzeugnisse der Fa. Exakta Köln, die Buchungsautomaten »Mulitronik« und »Lukratronik«, erschienen zum Zeitpunkt der Produktionsaufnahme der Klasse 170 im Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt (Themenleiter [Name 6]). Mit der Klasse 170 einschließlich der elektronischen Anschlussgeräte bestimmte das Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt bis etwa 1963/1964 das Spitzenniveau auf dem mitteleuropäischen Markt.
Durch das massive Einwirken einer westdeutschen Gruppe von Generalvertretern, insbesondere durch das ständige Erheben neuer Forderungen nach Zusatzentwicklungen und Veränderungen an der Klasse 170 und seiner Anschlussgeräte, wurde erreicht, dass die F/E-Kapazitäten im Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt zersplittert wurden.
Durch das Fehlen des EB begann bereits seit 1968 das Vertriebsnetz des VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt im NSW zu schrumpfen, das bis zu diesem Zeitpunkt eine große Stabilität im Absatz von DDR-Erzeugnissen besaß.
Gleichfalls war der EB-Komplex für den Zeitraum 1967/1968 bis etwa 1975 das einzige Erzeugnis auf dem Gebiet der mittleren Mechanisierung in den Ländern des RGW. (Für diese Zwecke bestanden bereits Vorabstimmungen mit den Partnerländern.) Durch die Einstellung der F/E-Arbeiten und die fehlende Bereitschaft zur Produktionsaufnahme des EB entsteht innerhalb der Länder des RGW, besonders aber für die UdSSR, eine vorerst nicht zu schließende Marktlücke.
Dass international der Bedarf an Kleinrechnern vorhanden ist und in Zukunft ein derartiger Bedarf als real eingeschätzt wird, wird durch folgende Tatsachen unterstrichen:
Im Zeitraum 1960 bis 1970 vollzog sich in der westdeutschen Büromaschinenindustrie durch den Zusammenschluss der Firmen Wanderer-Exakta (ehemals Astra) und Nixdorf ein wesentlicher Konzentrationsprozess mit bedeutenden Umsatzsteigerungen.
Von dieser Firmengruppe wird bis 1975 eine Umsatzsteigerung bis zu etwa einer Mrd. Mark erwartet. Zur Vorbereitung dieser Entwicklung wurden in den letzten Jahren eine Reihe von Zweigbetrieben errichtet und mehrere Tochtergesellschaften in Europa und Übersee (Australien) geschaffen.
1970 konnten dadurch ca. 10 000 Computer der Serie 920 (entspricht etwa dem EB-Komplex) verkauft werden.
Zur Komplettierung des Produktionsprogramms der Fa. Wanderer-Nixdorf, insbesondere zum Zusammenschluss mit entsprechenden Primärdatenerfassungsplätzen, sind Bestrebungen zur Herstellung von Kooperationsbeziehungen mit der westdeutschen Firma Olympia bekannt geworden. (Bis 1945 hatte die Fa. Olympia ihren Stammbetrieb in Erfurt, dem heutigen VEB Optima Erfurt.)32
Der Jahresumsatz beider Firmengruppen wurde für 1970 bereits auf annähernd eine Mrd. Mark geschätzt.
Auch die technischen Lösungen der Fa. Kinzle mit den Klassen 5 500 und 5 600 mit Lochkarteneingabe- und -ausgabeeinheiten weisen auf die Notwendigkeiten hin, den EB-Komplex in der DDR nicht in seiner Bedeutung für die Marktberatung in den sozialistischen Ländern zu unterschätzen. Durch den ständig größer werdenden Rückstand in der Entwicklung der Büromaschinenindustrie der DDR bedingt, auch hinsichtlich der Realisierung übernommener Verpflichtungen, machen sich seit Ende der 1960er-Jahre Tendenzen in einigen sozialistischen Ländern bemerkbar, vor allem durch Lizenznahme aus dem NSW, eine eigene Büromaschinenfertigung zu organisieren.
In den dem MfS vorliegenden Hinweisen von Fachexperten werden zur Überwindung der Situation und zur Lösung der in der Information dargelegten Probleme folgende Notwendigkeiten gesehen: Die zuständigen zentralen staatlichen Organe sollten beauftragt werden, eine exakte und perspektivisch ausgerichtete wissenschaftlich-technische Konzeption für die Erzeugnisentwicklung im Kombinat Zentronik auszuarbeiten.
Diese Konzeption müsste Bestandteil der Gesamtkonzeption des ESEG werden, als wichtigsten Ausgangspunkt den Bedarf der UdSSR nehmen und im Perspektivzeitraum bis 1975 die Entwicklung von Erzeugnissen mit wissenschaftlich-technischem Höchststand gewährleisten. Durch eine konsequente Konzentration der vorhandenen F/E-Kapazitäten und den Aufbau von Musterkapazitäten im Kombinat Zentronik müsste die schnelle Überleitung der F/E-Ergebnisse in die Produktion erreicht werden. Doppelentwicklungen sollten durch diese Konzeption für die Zukunft ausgeschlossen werden.
Die Absatzpolitik des Kombinates Zentronik sollte auf die vorrangige Befriedigung des Bedarfs der UdSSR und der anderen RGW-Staaten konzentriert werden. Durch eine zielgerichtete Marktbearbeitung müsste gewährleistet werden, dass schnell auf die Bedarfsforderungen der sozialistischen Länder reagiert werden kann. Dazu sind erforderliche Maßnahmen zwischen dem technischen und dem kaufmännischen Bereich des Kombinates Zentronik durchzuführen.
Die Einhaltung der RGW-Verpflichtungen, insbesondere gegenüber der UdSSR, sollten im Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik unter ständige Kontrolle genommen werden. Die Spezialisierungsvereinbarungen, insbesondere mit der UdSSR, müssten fester Bestandteil des Planes der Erzeugnisentwicklung im Kombinat Zentronik werden.
Durch den Minister für Elektrotechnik/Elektronik sollten gegen
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den Generaldirektor des VEB Kombinat Zentronik, Vogelsang,
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den Kaufmännischen Direktor des Kombinates, Sroka, und
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den Kaufmännischen Direktor des VEB Rechenelektronik Zella-Mehlis/Meiningen, Triebel,
disziplinarische Maßnahmen wegen Verletzung der staatlichen Disziplin und Ordnung eingeleitet werden.
Außerdem sollte geprüft werden, ob auch gegen die verantwortlichen Funktionäre im Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik, die für die Anleitung und Kontrolle des Kombinates Zentronik in der technischen Politik verantwortlich sind, Disziplinarmaßnahmen einzuleiten wären.
Im Verantwortungsbereich der Außenwirtschaft sollte
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die 1970 begonnene Orientierung des AHU BME auf die Schaffung eigener ABO im NSW konsequent weiter verfolgt werden, um den negativen Einfluss der westdeutschen Generalvertreter auf das Kombinat Zentronik endgültig zu beseitigen.
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die Arbeitsweise der ABO Moskau überprüft werden, mit dem Ziel, die Marktwirksamkeit wesentlich zu erhöhen. Gegen den Stützpunktleiter [Name 3] und den Leiter der Exportgruppe [Name 2] sollten ebenfalls Disziplinarmaßnahmen erwogen werden.