Flucht des Kanu-Sportlers Wulf Reinicke
[ohne Datum]
Information 595a/71 über das ungesetzliche Verlassen der DDR durch das Mitglied der A-Nationalmannschaft der DDR im Kanu-Rennsport, Reinicke, Wulf, am 20. Juni 1971 in Meran/Italien
Nach vorliegenden Überprüfungsergebnissen hat Reinicke, Wulf,1 geboren [Tag, Monat] 1949, wohnhaft Gera, [Straße, Nr.], Leipzig, [Straße, Nr.], verheiratet, Werkzeugmacher im VEB Bodenbearbeitungsgeräte Leipzig, zzt. Teilnehmer an einem Sonderlehrgang zur Erlangung der Hochschulreife an der DHfK, Mitglied der FDJ (1967), des FDGB (1965) sowie des SC Wissenschaft der DHfK, Sektion Kanu-Slalom, nach der am 20.6.1971 in Meran/Italien stattgefundenen Abschlussveranstaltung anlässlich der Kanu-Weltmeisterschaften2 die DDR verraten.3
Zuvor hat Reinicke die Titel eines Weltmeisters in der Mannschaft (Kanadier) und des Vizeweltmeisters in der Klasse C I (Einer-Kanadier) errungen.
Nach bisher vorliegenden Hinweisen begab sich Reinicke nach der am Abend des 20.6.1971 stattgefundenen Preisverteilung nicht mehr in das Hotel »Rex«, in dem die DDR-Delegation Quartier bezogen hatte, zurück. Nach westlichen Verlautbarungen soll er sich bereits in Westdeutschland befinden.
Überprüfungen zur Person des Reinicke ergaben, dass seine gesamte Entwicklung bisher positiv verlaufen war. Aufgrund seiner insgesamt positiven Haltung und seiner guten sportlichen Leistungen wurde er deshalb 1969 in die Nationalmannschaft berufen.
Reinicke entstammt der Arbeiterklasse und wird von seinen bisherigen Arbeitsstellen, dem VEB Carl Zeiss Jena und dem VEB BBG Leipzig, hinsichtlich seiner Einstellung zur Arbeit als auch zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung positiv eingeschätzt.
Gleiche Feststellungen sind auch in der Sektion Kanu-Rennsport des SC DHfK getroffen worden. Reinicke hat bei seinen zehn Einsätzen im nichtsozialistischen Ausland ein einwandfreies Auftreten an den Tag gelegt und wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass er stolz sei, die DDR im Ausland repräsentieren zu können.
Auch die Erziehung im Elternhaus – die Mutter des Reinicke ist Mitglied der SED, Parteileitungsmitglied, Mitglied der Konfliktkommission im VEB Modedruck Gera – erfolgte ständig im Sinne unserer sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung.
Reinicke fühlte sich auch besonders zur Mutter hingezogen und besuchte sie ständig während seiner Aufenthalte in Gera.
Eine Mitgliedschaft in der Partei der Arbeiterklasse lehnte Reinicke mit der Begründung ab, noch nicht reif genug für diesen Schritt zu sein. Sein Vater, [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben], habe ihn christlich erzogen.
Die relativ späte Organisierung in der FDJ (1967) begründete er damit, dass in der Schule und in den Arbeitsstellen keine arbeitsfähigen FDJ-Leitungen bestanden hätten.
Die Überprüfungen im Zusammenhang mit dem Verrat des Reinicke ergaben weiter, [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]
Nach Angaben der Ehefrau des Reinicke hatte er ihr – entgegen sonstigen Gepflogenheiten – verboten, vor der Abreise zu den Weltmeisterschaften nach Meran die Reisetasche zu packen. Desgleichen habe er ihr auch nicht die exakte Adresse – entgegen seinem sonstigen Verhalten bei Auslandsstarts – angegeben.
Bereits Tage zuvor hätte er kaum noch mit ihr gesprochen und sich auch nicht verabschiedet. Sie habe dem jedoch keine besondere Beachtung beigemessen [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben].
Durch das MfS wurde veranlasst, dass eine gemeinsam beabsichtigte Auslandsreise in die VR Ungarn, die nach Rückkehr des Reinicke von den Weltmeisterschaften stattfinden sollte, nicht erfolgt.
Die Überprüfungen zur Aufklärung der Motive, Ursachen und begünstigenden Bedingungen werden fortgesetzt.