Gerüchte über Beiträge zur Sozialversicherung
7. Januar 1971
Information Nr. 17/71 über Gerüchteverbreitung zur Veränderung der Beiträge der Sozialversicherung
Dem MfS wurde aus einer Reihe von Bezirken bekannt, dass gegenwärtig Gerüchte und Behauptungen von Bürgern der DDR festgestellt werden, wonach in Kürze mit einer Veränderung der Beitragsleistungen für die SVK zu rechnen sei.1 Obwohl diese Behauptungen bisher nur in geringem Umfang, aber in allen Bevölkerungsschichten, festgestellt werden, ist einzuschätzen, dass eine steigende Tendenz im Umfang dieser Gerüchteverbreitung besteht.
Häufig werden diese Diskussionen im Zusammenhang mit verstärkt auftretenden Gerüchten und Behauptungen über unmittelbar bevorstehende Preiserhöhungen für Lebensmittel, Textilien, Vergaserkraftstoff, Tarife für Elektroenergie und Stadtgas u. a. geführt.2
Der Inhalt dieser Diskussionen ist darauf gerichtet, dass die versicherungspflichtige Einkommensgrenze von 600 M für die SVK heraufgesetzt werden soll. Als neue obere versicherungspflichtige Einkommensgrenze werden von den interessierten Bürgern unterschiedliche Angaben verbreitet. Sie solle sich auf ein Einkommen von 800 bis 1 200 M und darüber beziehen. Diese Gerüchte werden u. a. so kommentiert, dass
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es wahrscheinlich darauf ankomme, die Werktätigen in ihren Geldeinnahmen »zu beschneiden«,
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mit diesen Maßnahmen Schwächen unserer Volkswirtschaft verdeckt werden sollen,
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durch diese Maßnahmen die mit dem 14. Plenum3 verfügten Lohnerhöhungen4 für die unteren Einkommensgruppen »wieder herausgeschlagen werden sollen«,
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die Kaufkraft der Bevölkerung verringert werden solle.
In einer Reihe solcher Diskussionen wird die Frage gestellt, warum die Einkommensgrenze für die 10%ige SVK-Abgabe auf 800 bis 1 200 M festgesetzt würde. Diese Einkommensgrenze gelte für die Mehrzahl der Bevölkerung, während die darüber liegende Einkommensgrenze nicht mit erfasst würde. Damit würden sich wieder Nachteile nur »für die Masse der Bevölkerung«, nicht aber für die »obere besser verdienende Schicht« ergeben, obwohl die sehr gut verdienenden Bürger mit einer Einkommensgrenze von mehr als 1 200 M am wenigsten von weiteren Abzügen merken würden.
In einem Falle wurde dem MfS bekannt, dass der Genosse Neugebauer,5 Mitglied des ZK und Abteilungsleiter für Schulen, Fach- und Hochschulen der Bezirksleitung der SED Berlin, am 14.12.1970 in einer Besprechung mit ca. 50 bis 60 Genossen (vorwiegend Stadtbezirksschulräten, Funktionären der Gewerkschaft Unterricht/Erziehung, Abteilungsleiter Volksbildung beim Magistrat u. a.) in Auswertung des 14. Plenums intern über Veränderungen der Beiträge und Leistungen der Sozialversicherung informiert haben soll.
Er habe die anwesenden Genossen dahingehend unterrichtet, dass u. a. die obere Grenze für das versicherungspflichtige Einkommen von zur Zeit 600 M auf 1 200 M erhöht werden soll, was für Lohn- und Gehaltsempfänger mit einem Einkommen von 600 bis 1 200 M eine Verringerung ihres Nettoeinkommens um 60 bis 120 M bedeute. Gen. Neugebauer habe dahingehend informiert, dass dieser Erhöhung der Beiträge auch erhöhte Leistungen der SV gegenüberstünden (Renten, höherer Lohnausgleich bei Krankheit über sechs Wochen); es müsse jedoch erwartet werden, dass diese Maßnahme eine große Anzahl negativer Diskussionen auslöse. Insbesondere seien bei Pädagogen und Krippenkräften Meinungen zu erwarten wie: »Erst erhöht man uns das Gehalt, dann zieht man es uns anderweitig wieder aus der Tasche.«
Am 18.12.1970 seien die Genossen, die an der Besprechung beim Gen. Neugebauer teilgenommen hatten, über ihre zuständige BPO – die von der Bezirksleitung verständigt wurde – dahingehend informiert worden, dass die Mitteilungen des Gen. Neugebauer nicht zur Weitergabe bestimmt seien, da nicht beabsichtigt wäre, diese Maßnahmen einzuführen. Die betreffenden Genossen seien mit dieser Mitteilung über ihre BPO zu strengem Stillschweigen verpflichtet worden.