Grenzübertritt bei Ecklingerrode am 12.4.1971
15. April 1971
Information Nr. 336/71 über einen ungesetzlichen Grenzübertritt im schweren Fall DDR – Westdeutschland am 12. April 1971 im Abschnitt Ecklingerode, Kreis Worbis
Am 12.4.1971, gegen 16.30 Uhr, erfolgte ca. 3 000 m nördlich der Ortschaft Ecklingerode, im Raum Frankenthal – Bundsenberg, Bereich der Grenzkompanie Ecklingerode, Grenzregiment Heiligenstadt, durch die Jugendlichen 1. [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1952 in Ecklingerode, wohnhaft gewesen in Ecklingerode, Kreis Worbis, [Straße], beschäftigt gewesen als Malerlehrling in der PGH Worbis; 2. [Name 2, Vorname 1], geboren [Tag, Monat] 1952 in Ecklingerode, wohnhaft gewesen in Ecklingerode, Kreis Worbis, [Straße], beschäftigt gewesen als Maurer in der PGH Bau, Firma Walter Breiten in Worbis, ein ungesetzlicher Grenzübertritt DDR – Westdeutschland.1
Die bisherigen Untersuchungen durch die zuständigen Organe des MfS und eine Kommission der NVA-Grenztruppen, Grenzkommando Süd, Erfurt, ergaben folgenden Sachstand:
Am 12.4.1971, gegen 16.30 Uhr, wurde durch die im Abschnitt der Grenzkompanie Silkerode eingesetzten Grenzposten eine Minendetonation wahrgenommen und umgehend Meldung an die Grenzkompanie erstattet.
Im Ergebnis der durch die Einsatzgruppe der Grenzkompanie Ecklingerode und die zuständigen Organe des MfS geführten Überprüfungen wurden gegen 17.45 Uhr im angeführten Grenzabschnitt Spuren eines Grenzdurchbruches DDR – Westdeutschland sowie im Minenfeld eine Detonationsstelle festgestellt. Am Tatort wurden Reste eines braunen Halbschuhes gefunden, an dem sich Pulverspuren einer Minendetonation befanden, woraus auf eine Verletzung der Täter zu schließen war. Die Schuhreste wurden vom Vater des [Name 2] identifiziert.
Die Rekonstruktion des Grenzdurchbruches ergab, dass die Annäherung der Grenzverletzer aus der im 5-km-Sperrgebiet2 gelegenen Ortschaft Ecklingerode erfolgte, die beide gegen 14.30 Uhr unter dem Vorwand, spazieren gehen zu wollen, verlassen hatten.
Die Minendetonation wurde offensichtlich sofort nach dem Überklettern der freundwärtigen Drahtsperre ausgelöst.
Den Grenzverletzern gelang es in der Folgezeit, den feindwärtigen Streckmetallzaun auseinanderzubiegen, zu unterkriechen und westdeutsches Territorium zu erreichen.
Durch die im Abschnitt Silkerode eingesetzten Grenzposten wurde gegen 17.30 Uhr beobachtet, dass ein Sankra3 des Bundesgrenzschutzes an den Tatort heranfuhr und beide Grenzverletzer abtransportierte.
Als Motiv des ungesetzlichen Grenzübertritts wurde bisher bekannt, dass [Name 1] und [Name 2] mit ihrer beruflichen Tätigkeit unzufrieden gewesen seien und sich verändern wollten, um mehr Geld zu verdienen.
Im Zusammenhang mit diesem ungesetzlichen Grenzübertritt wurde der Verdacht herausgearbeitet, dass die Täter durch den Cousin des [Name 2], [Name 2, Vorname 2], geboren [Tag, Monat] 1950 in Ecklingerode, wohnhaft gewesen in Ecklingerode, [Straße, Nr.], und den [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1948 in Ecklingerode, wohnhaft gewesen in Ecklingerode, [Straße, Nr.], die am 25.1.1971 im gleichen Grenzabschnitt die DDR ungesetzlich verlassen haben, beeinflusst wurden.
Alle vier Personen waren eng befreundet und spielten gemeinsam bei der Sportgemeinschaft Ecklingerode aktiv Fußball.
Zum Zeitpunkt des ungesetzlichen Grenzübertrittes befanden sich in diesem Abschnitt keine Grenzposten.
Das nächste Postenpaar war ca. 2 000 m rechts der Durchbruchstelle (Abschnitt der Grenzkompanie Silkerode, Grenzregiment Heiligenstadt) eingesetzt. Von diesem Grenzposten wurde nach Wahrnehmung der Minendetonation auch die Erstmeldung an die Grenzkompanie erstattet.
Das im linken Abschnitt der Grenzkompanie, Ecklingerode eingesetzte Postenpaar (ca. 2 500 m Entfernung) konnte die Detonation aufgrund der Geländeverhältnisse (Hügel) weder visuell noch akustisch wahrnehmen.
Die pioniertechnische Anlage im Bereich des Tatortes besteht aus einer Minensperre, die freundwärts durch eine Drahtsperre und feindwärts durch einen Streckmetallzaun begrenzt wird. Die Minensperre, die erst Ende März 1971 angelegt wurde, war lückenlos.
Im Ergebnis der Untersuchungen der ungesetzlichen Grenzübertritte DDR – Westdeutschland vom 29.3.1971,4 9.4.19715 und 12.4.1971 ist festzustellen, dass das Gelingen der Grenzdurchbrüche durch Mängel und Lücken in der militärischen Sicherung der Staatsgrenze begünstigt wurde. In Auswertung dieser Mängel und Lücken wäre es notwendig, Maßnahmen zu veranlassen, dass
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ein ständiges, ununterbrochenes und effektives Zusammenwirken der eingesetzten Kräfte mit den pioniertechnischen Sicherungsanlagen gewährleistet wird;
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die laufenden Maßnahmen der weiteren Komplettierung bzw. Rekonstruktion der pionier-technischen Sicherungsanlagen nicht zur Einschränkung der kräftemäßigen militärischen Sicherung der Staatsgrenze führen;
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durch eine verstärkte anleitende Kontrolltätigkeit alle Feststellungen von Routine, Schematismus und mangelnder Wachsamkeit in der militärischen Sicherung der Staatsgrenze sofort ausgewertet und überwunden werden.
Aus Verlautbarungen in der westdeutschen und Westberliner Presse geht hervor, dass den Grenzverletzern von zwei Personen aus Fuhrbach/WD Hilfe erteilt und zu diesem Zweck die Staatsgrenze der DDR um ca. 25 m überschritten wurde.6
Die Überprüfungen der NVA-Grenztruppen feindwärts der pioniertechnischen Sicherungsanlagen auf einer Strecke von 25 m bis zur Grenzlinie erbrachten dafür bisher keine Anhaltspunkte.
Der Vater des [Name 1] führte am 13.4.1971 mit Genehmigung des VPKA Worbis ein Telefongespräch mit dem Krankenhaus Duderstadt, wo er die Auskunft erhielt, dass sich sein Sohn mit Verletzungen am rechten Bein und der [Name 2 (Vorname 1)] mit Platzwunden an den Beinen im dortigen Krankenhaus befindet.
In den Morgenstunden des 14.4.1971 lief beim Rat des Kreises Meiningen zur Weiterleitung an den Kommandeur der (ehemaligen) 11. Grenzbrigade, Gen. Oberst Reimann,7 ein Telegramm aus Westdeutschland auf, in welchem der Kommandeur des BGS-Kommandos Süd, Brigadegeneral im BGS, Grüner,8 im Auftrag des Bundesministers des Innern, Genscher,9 unter Bezugnahme auf die jüngsten Grenzübertritte und angebliche Sachbeschädigungen auf westdeutschem Territorium gegen die Verlegung von Minen an der Staatsgrenze der DDR zu Westdeutschland Protest erhebt.
Die Untersuchungen der zuständigen Organe des MfS zur umfassenden Aufklärung der Ursachen, Umstände und Zusammenhänge des ungesetzlichen Grenzübertrittes werden fortgeführt.
Durch das Grenzkommando SÜD, Erfurt, wurden Maßnahmen der verstärkten Sicherung dieses Grenzabschnittes sowie der Beobachtung des gegnerischen Vorfeldes eingeleitet.
Diese Information wurde, mit Ausnahme der spezifischen Probleme der militärischen Sicherung der Staatsgrenze in diesem Grenzabschnitt, gleichfalls an die Genossen Honecker10 und Borning11 übergeben.12