Grenzübertritt im Schwickershausen
14. April 1971
Information Nr. 319/71 über einen ungesetzlichen Grenzübertritt DDR – Westdeutschland am 9. April 1971 im Raum Schwickershausen, Kreis Meiningen
Am 9.4.1971, gegen 5.00 Uhr, erfolgte im Abschnitt der Grenzkompanie Behrungen, Kreis Meiningen, Grenzregiment Hildburghausen, durch den Seifert, Klaus,1 geboren 14.3.1953 in Bibra, wohnhaft gewesen in Bibra, Kreis Meiningen, zuletzt beschäftigt gewesen als Maurer in der PGH »Landsberg« Meiningen, ein ungesetzlicher Grenzübertritt DDR – Westdeutschland, bei dem der Täter nach Auslösung einer Minendetonation schwer verletzt westdeutsches Territorium erreichte.
Die bisherigen Untersuchungen der zuständigen Organe des MfS im Zusammenwirken mit einer Kommission der NVA-Grenztruppen des Grenzkommandos SÜD, Erfurt, ergaben folgenden Sachstand:
Am 9.4.1971, gegen 5.00 Uhr, wurde von den im Abschnitt der Grenzkompanie Behrungen eingesetzten Grenzposten eine Minendetonation wahrgenommen. Die sofort von den Grenzposten durchgeführte erste Überprüfung verlief jedoch ergebnislos. Gegen 5.30 Uhr erfolgte aufgrund eines Hinweises aus der Bevölkerung durch den ABV der Ortschaft Nordheim, Kreis Meiningen, im Raum Nordheim-Rentwertshausen die Festnahme des [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1951 in Bibra, wohnhaft in Bibra, Kreis Meiningen, [Straße, Nr.], beschäftigt als E-Fahrer im RAW Meiningen, wegen Versuch des ungesetzlichen Grenzübertrittes DDR – Westdeutschland.
In der Erstbefragung gab [Name 1] an, dass er am Abend des 8.4.1971 gemeinsam mit dem bereits genannten Seifert sowie dem Jugendlichen [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1952 in Meiningen, wohnhaft in Bibra, Kreis Meiningen, beschäftigt als Maurer in der PGH »Landsberg« Meiningen, den Entschluss gefasst hatte, die DDR durch einen ungesetzlichen Grenzübertritt nach Westdeutschland zu verlassen.
Wie bisher festgestellt wurde, trat [Name 2] selbst unmittelbar nach der Entschlussfassung von dem gemeinsamen Vorhaben zurück und verblieb an seinem Wohnort. Er erstattete keine Anzeige über die Vorbereitung des ungesetzlichen Grenzübertrittes durch [Name 1] und Seifert und wurde am 9.4.1971 durch die zuständigen Organe des MfS festgenommen.
Seifert und [Name 1] verließen am 8.4.1971, gegen 22.00 Uhr, die Ortschaft Bibra, die innerhalb des 5-km-Sperrgebietes2 an der Staatsgrenze zu Westdeutschland liegt.
Auf ihrem Weg zur Staatsgrenze durchquerten sie bis Schwickershausen ein Waldmassiv, durchkrochen einen Signalzaun, der sich nicht auslöste und bewegten sich anschließend ca. 500 m über ein frisch gesätes Feld bis an die pioniertechnischen Grenzsicherungsanlagen.
Hier trat [Name 1] vom gemeinsamen Vorhaben zurück und will – seinen bisherigen Aussagen zufolge – versucht haben, Seifert zu überreden, gleichfalls vom Vorhaben des ungesetzlichen Grenzübertrittes Abstand zu nehmen.
Während [Name 1] in das Hinterland zurücklief – wo er, wie angeführt, um 5.30 Uhr festgenommen werden konnte – bewegte sich Seifert weiter bis zur Staatsgrenze.
Aufgrund der ersten Aussagen des [Name 1] über den gemeinsamen Weg mit Seifert zur Staatsgrenze wurde gegen 10.00 Uhr im Ergebnis nochmaliger Überprüfungen der Tatort des Grenzdurchbruches gefunden und der ungesetzliche Grenzübertritt DDR – Westdeutschland des Seifert bestätigt.
Die Rekonstruktion des Grenzdurchbruches ergab, dass der Täter die pioniertechnischen Grenzsicherungsanlagen überkletterte und mit dem linken Fuß eine Minendetonation auslöste. Trotz dieser Verletzung muss es dem Grenzverletzer gelungen sein, den feindwärtigen Zaun der Grenzsicherungsanlagen zu überklettern und 50 bis 60 m freies Feld bis zur Grenzlinie zu überwinden, wo er auf einem auf westdeutschem Territorium gelegenen Feldweg zusammengebrochen sein muss. Am Tatort wurden ein zerrissener Halbschuh, größere Knochensplitter sowie mehrere Blutlachen und -spuren festgestellt.
Wie von den eingesetzten Grenzposten beobachtet werden konnte, fuhr gegen 6.50 Uhr aus Richtung Mühlenbeck/Westdeutschland eine mit Angehörigen der Bayrischen Grenzpolizei besetzte Volkswagen-Limousine an den Durchbruchort heran und hat vermutlich den Grenzverletzer geborgen. Die Stelle, an welcher der Grenzverletzer auf westdeutschem Gebiet gelegen hatte, konnte vom Territorium der DDR aus nicht eingesehen werden.
Zum Zeitpunkt des Grenzdurchbruches war dieser Grenzabschnitt durch einen in 300 m Entfernung auf einem B-Turm3 eingesetzten Einzelposten gesichert, der die Minendetonation aufgrund starken Nebels nicht wahrgenommen hatte. Die ungünstigen Witterungsverhältnisse erschwerten auch die Maßnahmen zur Überprüfung und Feststellung des Tatortes.
Die bisherigen Untersuchungen zum Motiv des ungesetzlichen Grenzübertrittes ergaben, dass [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben].
Der Seifert entstammt einer Kleinbauernfamilie. Die Eltern sind Mitglieder der LPG Typ III4 in Bibra. Nach Abschluss der POS mit dem Ziel der 8. Klasse begann er zunächst eine Lehre als Schlosser, die er jedoch nicht beendete und eine neue Lehrstelle als Maurer bei der PGH »Landsberg« in Meiningen aufnahm, wo er bis zuletzt als solcher tätig war.
S. zeigte durchschnittliche fachliche Leistungen. Charakterlich war er nicht gefestigt.
Seine Eltern, die ihm jeden Wunsch erfüllten, übten nur wenig erzieherischen Einfluss aus. Das zeigte sich auch darin, dass er fast täglich bis in die Nachtstunden hinein Gaststätten aufsuchte.
Obwohl S. Mitglied der FDJ war, trat er politisch nicht in Erscheinung und zeigte eine loyale Einstellung zur DDR.
Wie in den bisherigen Vernehmungen der inhaftierten [Name 1] und [Name 2] herausgearbeitet werden konnte, soll Seifert den [Name 1] und [Name 2] bereits am 4.4.1971 zur Vorbereitung des ungesetzlichen Grenzübertrittes angesprochen haben. In den folgenden Tagen fertigte Seifert in seinem Betriebe, dem RAW Meiningen, einen Anker aus 10 mm Rundeisen als Hilfsmittel für den Grenzdurchbruch an.
Mittels dieses Ankers sowie einem ca. 15 m langen Seil sollte das Minenfeld überwunden werden. Beide Gegenstände wurden unbenutzt am Tatort sichergestellt.
Wie durch die zur Sicherung der Durchbruchstelle und Beobachtung des westlichen Vorfeldes eingesetzten Grenzposten festgestellt werden konnte, hielten sich jeweils für kurze Zeit gegen 8.00 Uhr fünf Kübel,5 besetzt mit US-Angehörigen, zwei Volkswagen-Limousinen und ein Volkswagen-Bus mit Angehörigen der Bayrischen Grenzpolizei sowie gegen 10.20 Uhr ca. 20 Pkw mit Zivilpersonen in der Nähe des Tatortes auf.
Bisherigen Hinweisen zufolge befindet sich der Grenzverletzer im Krankenhaus Mellrichstadt, wo ihm der linke Fuß amputiert worden sein soll.
Die Untersuchungen der zuständigen Organe des MfS zur umfassenden Aufklärung aller Ursachen, Umstände und Zusammenhänge des ungesetzlichen Grenzübertrittes werden fortgeführt.
Gegen [Name 1] und [Name 2] wurden gemäß § 213 StGB6 Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet.