Missstände in den Tanklagern der Staatsreserve
10. September 1971
Information Nr. 800/71 über erkannte Mängel und Missstände hinsichtlich der Einhaltung von Grundprinzipien der Sicherheit und Ordnung in den Tanklagern der Staatlichen Verwaltung der Staatsreserve
Im Mai 1970 informierte das MfS im Zusammenhang mit einer Havarie im Tanklager der Staatsreserve Medewitz, [Kreis] Belzig, [Bezirk] Potsdam (Info.-Nr. 506/70) über schwerwiegende Mängel in der gesamten Lagerwirtschaft der Staatsreserve, insbesondere in der Lagerhaltung für flüssige Treibstoffe.
In der vorgenannten Information, die auf umfangreichen Überprüfungen der Staatlichen Verwaltung der Staatsreserve, des MdI, HA Feuerwehr, Zentralinspektion der TÜ der DDR und des MfS beruhte, wurde auf folgende Mängel und Missstände hingewiesen:
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Die Ordnungen der Lagerwirtschaft waren nicht nach einheitlichen Grundsätzen organisiert.
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Es lagen keine einheitlichen Regelungen über das Betreten bzw. Verlassen für Betriebsfremde und für Betriebsangehörige und keine exakte Nachweisführung der Personenbewegung in den Lagern vor.
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Es waren keine ausreichenden Sicherheitszonen in den Tanklagern geschaffen worden.
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In fast allen Lagern wurde fahrlässiger Umgang mit Projektierungsunterlagen und Lageplänen festgestellt.
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In der Führungs- und Leitungstätigkeit wurden die Grundfragen von Sicherheit und Ordnung ungenügend berücksichtigt.
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Die Dokumentenführung über die technischen Anlagen entsprach nicht der Ordnung über Wachsamkeit und Sicherheit.
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Es waren keine Katastrophenpläne vorhanden.
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Die gesetzlichen Bestimmungen zur Inbetriebnahme, Pflege, Wartung, Revision und zur laufenden Überprüfung wartungspflichtiger Anlagen wurden nicht eingehalten.
Seit dem Zeitpunkt der Informierung im Mai 1970 haben sich im Wesentlichen die geschilderten Zustände in den Tanklagern (Objekt I) der Staatlichen Verwaltung der Staatsreserve nicht verändert. Diese Feststellungen beruhen auf erneut durchgeführte Revisionen von Fachexperten, des MfS sowie auf Untersuchungen einiger Vorkommnisse in Objekten der Staatsreserve.
Aus diesem Grunde wird nochmals eingehend auf die wichtigsten Probleme hingewiesen:
Die äußere Absicherung der Lager ist immer noch ungenügend. Besonders die Umzäunungen befinden sich in einem sehr schlechten, zum Teil verfallenen Zustand. Die Absicherung der Tanklager wird zusätzlich durch starken Baum- und Strauchbewuchs erschwert.
Durch die ständige Unterbesetzung der Betriebsschutzkommandos der Volkspolizei bedingt, können die Sicherungsaufgaben nicht den dringendsten Anforderungen entsprechend erfüllt werden.
Technische Sicherungsanlagen sind nur im Tanklager Wesenberg eingesetzt. Obwohl die Verwendung derartiger Einrichtungen auch in den anderen Tanklagern möglich wäre, wurden bisher keine ausreichenden Maßnahmen zum Einsatz solcher technischen Sicherungsanlagen eingeleitet.
Die in der Ordnung über Wachsamkeit und Sicherheit der Staatlichen Verwaltung der Staatsreserve getroffenen Festlegungen zur Einrichtung und zum Betreten von Sicherheitszonen finden in fast allen Tanklagern keine oder nur formale Anwendung. Vielfach werden die Personenbewegungen in den Lagern nicht registriert.
Weiterhin wurde eine ungenügende Wartung und Pflege der technischen Einrichtungen der Tanks, wie z. B. der Mess- und Regeltechnik, festgestellt, wodurch die Funktionstüchtigkeit der Tankbehälter eingeschränkt oder überhaupt nicht gewährleistet ist. Der Brandschutz und die technische Sicherheit sind durch ernste bautechnische Mängel, das Betreiben von nicht explosionsgeschützten Anlagen (elektrischen Installationen) sowie das Fehlen vollständiger Dokumentationen, insbesondere der Explosionsgutachten, nicht gewährleistet. Diese Zustände werden noch dadurch verschärft, dass Ausrüstungen der verschiedensten Art, wie Löscheinrichtungen und Notstromaggregate, oftmals nicht einsatzbereit sind. Die von der Technischen Überwachung in diesem Zusammenhang erteilten Auflagen wurden nur schleppend bzw. überhaupt nicht realisiert. Der gesetzlich vorgeschriebenen Revisions- und Überwachungspflicht wird in einigen Lagern nur teilweise nachgekommen, in anderen wird sie überhaupt nicht beachtet.
Häufig treten Undichtigkeiten an bereits in Betrieb befindlichen bzw. auch an neu in Betrieb genommenen Tanks auf, sodass erhebliche Minderungen der Lagerkapazitäten eintraten. Aus diesem Grund war das Amt für Wasserwirtschaft gezwungen, zum Schutze des Grundwassers Forderungen zu erheben, um einer Verseuchung des Grundwassers durch Mineralöle usw. vorzubeugen.
Die Einlagerung und Wälzung der Treibstoffe erfolgt ebenfalls nicht entsprechend den Erfordernissen dieser Medien, sodass hohe volkswirtschaftliche Verluste – mengen- und qualitätsmäßig – eintraten. (Der Leiter der Staatlichen Verwaltung der Staatsreserve wurde von diesen Feststellungen laufend informiert.)
Zur Durchsetzung und Gewährleistung der staatlichen Ordnung wird deshalb vorgeschlagen:
Zu äußeren Absicherung müssten die baufälligen Umzäunungen und die Beleuchtung wieder instandgesetzt werden. Der sichtbehindernde Baum- [und] Strauchbewuchs sollte in einer Breite von je 2 m nach jeder Seite beseitigt und dieser Streifen ständig freigehalten werden.
Die wichtigsten Sicherheitszonen sollten mit akustischen, optischen bzw. elektronischen Sicherheitsanlagen ausgestattet werden.
Auf der Grundlage des Beschlusses des Ministerrates der DDR über den Schutz und die Sicherheit von Betrieben, Anlagen und Objekten vom 27. Mai 1970,1 sollten in Zusammenarbeit mit den Organen der Deutschen Volkspolizei auf örtlicher Ebene Anstrengungen unternommen werden, um den Einsatz vorhandener Kräfte des Betriebsschutzes effektiver zu organisieren und wirksamer auf besonders gefährdete Schwerpunkte zu konzentrieren sowie mit anderen Sicherungsmaßnahmen und -möglichkeiten zu verbinden.
Unter anderem sollten in diesem Zusammenhang auch die Pläne für den Posten- und Streifendienst in dem Tanklager überarbeitet werden.
Die Ausbildung der Angehörigen des Betriebsschutzes müsste unter Beachtung der spezifischen Besonderheiten der Objekte erfolgen, damit – u. a. auch hinsichtlich der Anwendung von Schusswaffen – ein zweckmäßiges Handeln gewährleistet wird.
Alle technischen Einrichtungen der Tanklager, die Tanks, die Mess- und Regeltechnik, die Pumpstationen und Notstromaggregate, die Ausrüstungen des vorbeugenden Brandschutzes – Lösch- und Alarmeinrichtungen – sollten grundsätzlich auf ihre Funktionstüchtigkeit und Einsatzbereitschaft überprüft werden. Danach müssten dann regelmäßige Kontrollzyklen festgelegt werden. Für diese Kontrollen sind entsprechende Pläne zu erarbeiten, in denen die Aufgaben der einzelnen Bereiche genau abgegrenzt sind, z. B. alle Auflagen der Wasserwirtschaft, der Technischen Überwachung usw.
Zur Gewährleistung eines wirksamen Brandschutzes und zur Erhöhung der technischen Sicherheit sollten die nicht explosionsgeschützten Anlagen, Aggregate und Installationsmaterialien ausgewechselt werden. Die technischen Dokumentationen wären zu vervollständigen und Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die von der technischen Überwachung zur Beseitigung von Mängeln erteilten Auflagen kurzfristig und ordnungsgemäß realisiert werden.
Von der Staatlichen Verwaltung der Staatsreserve müsste sichergestellt werden, dass für alle Tanklager eine einheitliche übersichtliche Ordnung zur Gewährleistung der technischen Sicherheit geschaffen werden. In dieser Ordnung sollten Pläne mit den Schwerpunkten
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überwachungspflichtige Anlagen durch die TÜ,
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Revisionsarbeiten,
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Pflege- und Wartungsarbeiten.
sowie Maßnahmen über alle ständig vorzunehmenden Arbeiten an Anlagen und Gebäuden enthalten sein, die die erforderlichen Termine beinhalten und hinsichtlich ihrer Durchführung regelmäßig kontrolliert werden.
Von der Staatlichen Verwaltung der Staatsreserve wäre weiterhin ein Programm für die ständige Ausbildung und Qualifizierung der Lagerarbeiter zu erarbeiten. Das Programm sollte insbesondere darauf hinzielen, die vorhandenen Arbeitskräfte so eindeutig mit der Bedienung der Lagertechnik vertraut zu machen, dass sie bei auftretenden Störungen gegebenenfalls auch selbstständig exakte Schalthandlungen zur Abwendung von Gefahrenzuständen ausführen können.
Im Interesse der Sicherheit der Tanklager sollte der Personalbestand so ausgebildet werden, dass er in der Lage ist, alle Revisionsarbeiten, Pflege- und Wartungsarbeiten vollständig sowie den größten Teil der Reparaturarbeiten selbstständig durchzuführen.
Die für die Sicherheit und Ordnung, den Brandschutz und die technische Sicherheit sowie für die Ein- und Auslagerung und andere Fragen erlassenen Weisungen oder Vorschriften sollten grundsätzlich überarbeitet und übersichtlich gestaltet werden.
Es wird deshalb vorgeschlagen, den bisherigen Inhalt aller Weisungen in zusammengedrängter Form zu gestalten. Dabei sollten zugleich die in den einzelnen Lagern spezifisch zu lösenden Aufgaben schwerpunktmäßig und übersichtlich herausgearbeitet werden. Die Durchführung der festgelegten Aufgaben müsste unbedingt kontrollfähig ausgewiesen werden.
So sollten u. a. für die Sicherheit und Ordnung bei der Warenbewegung und bei laufendem Betrieb folgende Arbeitsunterlagen neu erarbeitet bzw. ergänzt werden:
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Technologie des Warenumschlages,
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Betriebsanweisungen für die technischen Anlagen,
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zusätzliche Arbeitsschutzinstruktionen, u. a. für das Arbeiten auf der Kesselwagen-Verladung bzw. für Behälterreinigung usw.
Für alle technischen Anlagen wie Pumpenhäuser, Notstromaggregate und Dieselloks sollten Betriebsbücher eingeführt werden, aus denen in Form eines »Lebenslaufes« Pumpenstunden, Motorstunden, Reparaturen und vorgenommene Veränderungen aufgezeichnet werden.
Die in den geltenden Instruktionen für Treibstoffe und Mineralöle vorgesehenen Einlagerungszeiträume müssten überprüft und entsprechend den bei der bisherigen Einlagerung gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnissen für alle Tanklager verbindlich festgelegt werden.
Außerdem wären Qualitätskontrollen erforderlich, die von geeigneten Mitarbeitern in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden müssten, um Qualitätsminderungen vorzubeugen. Dabei sind die in den Lagerinstruktionen geforderten Qualitätsuntersuchungen nicht nur auf Teilanalysen zu beschränken. Für diese Qualitätskontrollen eignen sich die vorhandenen Labore, um in allen Lagern eine ordnungsgemäße Warenkontrolle zu gewährleisten.
Umgehende Maßnahmen zur Veränderung erfordert der besonders schlechte Zustand hinsichtlich der Ordnung und Sicherheit in den Tanklagern Adlershof und Dresden. Die dazu notwendige Außerbetriebnahme bzw. Rekonstruktion dieser Lager sollte bis zum 31.12.1971 kontinuierlich vorbereitet und so gestaltet werden, dass die der Staatsreserve übertragenen Aufgaben nicht gefährdet und volkswirtschaftliche Verluste vermieden werden.
Die in der Verwaltung der Staatsreserve vorhandene Abteilung Sicherheit und Inspektion müsste in ihrer Aufgabenstellung stärker auf die Aufgaben der Verfügung 136/66 des Ministerrates2 orientiert werden.
Im Ergebnis der Überprüfungen kann insgesamt eingeschätzt werden, dass die Ursachen für die dargelegten Missstände und Unzulänglichkeiten, in deren Folge sehr häufig ernste Gefahrenzustände auftraten und teilweise immer noch auftreten, hauptsächlich auf eine mangelhafte Leitungs- und Führungstätigkeit der Leitung der Staatsreserve zurückzuführen sind.
Die Untersuchungen des MfS ergaben kein strafrechtlich relevantes Verhalten der Verantwortlichen, sondern es ist einzuschätzen, dass mangelndes Verantwortungsbewusstsein, Gleichgültigkeit, Überheblichkeit und Nichtachtung der Gedanken und Vorschläge der Werktätigen in den Lagern Ursachen für die teilweise untragbaren Zustände sind.
Besonders der ehemalige Direktor des Objektes I (Verwaltung der Tanklager), Spranger,3 hat die ihm übertragenen Aufsichts- und Kontrollpflichten hinsichtlich der Durchsetzung der staatlichen Ordnung innerhalb der Tanklager grob verletzt. Aufgaben, für die er als Direktor die Verantwortung hatte, übertrug er den Betriebs- bzw. technischen Leitern der Lager, obwohl diese für die Erfüllung keine Voraussetzung besaßen.
Seine Arbeitszeit nutzte er in starkem Maße für die Erledigung der verschiedensten persönlichen Belange.
Von leitenden Mitarbeitern wie auch Arbeitern der Staatsreserve wurde während der Überprüfungen wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die Leitung der Staatsreserve bei den an sie herangetragenen Problemen oftmals unsachlich reagiert und demzufolge die zweifellos oft schwierigen Probleme, die mit der Einlagerung von Treibstoffen verbunden sind, unnötig kompliziert und damit vorhandene Möglichkeiten für die volkswirtschaftlich günstigste Lösung nicht ausgenutzt wurden.
Es wird weiterhin vorgeschlagen, die im Bericht dargelegten Empfehlungen in Abstimmung mit dem Staatssekretär, Gen. Dr. Möbis,4 in einem gesonderten Dokument dem Leiter der Staatsreserve zu übergeben. Weiterhin wäre es zweckmäßig, die Inspektion in der Staatlichen Verwaltung der Staatsreserve neu aufzubauen und entsprechend der Weisung des Ministerrats über den Aufbau eines Systems der Sicherheitsbeauftragten in der Industrie und im Bauwesen (Verfügung 136/77 vom 14.7.1966)5 mit den erforderlichen Aufgaben zu betrauen und Vollmachten auszustatten. Die vorliegenden Empfehlungen können auch als Grundlage für die erste Phase der Arbeitsplanung dieser Inspektion sein.