Reaktion sudanesischer Studenten auf den Putsch
23. Juli 1971
Information Nr. 721/71 über die Reaktion sudanesischer Staatsbürger in der DDR auf die Ereignisse in der Demokratischen Republik Sudan
Kurz nach Bekanntwerden des Sturzes1 von an-Numairi2 wurde diese Aktion von allen sudanesischen Studenten der Karl-Marx-Universität in Leipzig als fortschrittlich begrüßt und die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass sich das neue Regime konsolidieren werde. Als Kriterien für ihre endgültige Zustimmung zum Regime wurden genannt: Die Wiederzulassung der Kommunistischen Partei,3 die Verbesserung der Beziehungen zu den sozialistischen Ländern und die Verbesserung der ökonomischen Lage im Sudan.
In diesem Zusammenhang wurde eine Reihe von Problemen diskutiert. Das neue Regime besitze viele Anhänger, die Armee stehe fest hinter ihnen.
Allerdings gehe eine gewisse Gefahr von einigen hohen Offizieren aus, die an-Numairi priviligiert hatte. Aus diesem Grunde wurde damit gerechnet, dass zu den ersten Maßnahmen eine Reorganisation in der Armee gehören werde. Für die Bourgeoisie in der VAR sei die Entwicklung im Sudan unangenehm und gefährlich. Aufgrund eigener innenpolitischer Schwierigkeiten würde jedoch für die VAR keine Möglichkeit bestehen, gegen das Regime vorzugehen.4
Die VAR werde gezwungen sein, möglichst gute Beziehungen zum Sudan zu unterhalten.
Die Tatsache, dass der Irak als erster Staat das neue Regime anerkannte, wird damit erklärt, dass sich der Irak von einem guten Verhältnis zum Sudan eine Beendigung seiner Isolierung im arabischen Raum verspräche, zumal der Irak ebenfalls nach einer Führungsrolle dränge, auf die er jedoch keinen Anspruch habe.5
Für Libyen sei der Machtwechsel ein schwerer Schlag. Libyen habe für Kredite an an-Numairi als Gegenleistung verlangt, gegen die Kommunisten vorzugehen.
Sudanesische Studenten äußerten die Auffassung, dass der Sturz an-Numairis günstige Möglichkeiten biete, die Spannungen zwischen der Sudanesischen Kommunistischen Partei, der KPdSU und der SED abzubauen. Nach Meinung der sudanesischen Studenten habe sich herausgestellt, dass die KPdSU und die SED die Situation der Partei falsch eingeschätzt hätten. Das beziehe sich auf die Stellung der SKP zu den kleinbürgerlich-nationalistischen Kreisen um an-Numairi und ihren Einfluss im Land. Die Ereignisse würden bestätigen, dass der Einfluss der Kommunisten im Sudan größer sei, als von den Parteien der sozialistischen Länder eingeschätzt wurde. Es habe sich als richtig erwiesen, dass der Generalsekretär der SKP, Mahdschub,6 die Zusammenarbeit mit an-Numairi abgelehnt habe.
Die ökonomischen Schwierigkeiten des Sudan würden nicht so schnell überwunden werden können. Auf diesem Gebiet wäre die Unterstützung der sozialistischen Staaten unbedingt notwendig.
Am 21.7.1971 wurde bekannt, dass die Union der Afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR7 auf Antrag der sudanesischen Hochschulgruppe in Leipzig vorhatte, in einem Telegramm die neue sudanesische Regierung zur Machtübernahme zu beglückwünschen und sich mit ihr solidarisch zu erklären. Für den 22.7.[1971] war geplant, 400 Flugblätter mit dem gleichen Inhalt zu vervielfältigen.
Auch die sudanesischen Studenten, die sich zur Zeit noch am Herder-Institut8 in Leipzig befinden (der größte Teil der sudanesischen Studenten hält sich in internationalen Studentenlagern in der DDR auf bzw. nimmt am Studentensommer9 1971 teil), brachten ihre Zustimmung zum Machtwechsel zum Ausdruck. Einer fortschrittlichen gesellschaftlichen Entwicklung in der DRS würde nichts mehr im Wege stehen.
Es wurde bekannt, dass die Landsmannschaft der sudanesischen Studenten beschlossen hatte, am 21.7.1971 in Halle ein Meeting durchzuführen, zu dem ein Vertreter der Deutsch-Arabischen Gesellschaft10 der Karl-Marx-Universität Leipzig eingeladen werden sollte.
Am 23.7.1971 soll in Halle im Klubhaus der Gewerkschaften um 19.00 Uhr eine Veranstaltung des kommunistischen Studentenbundes des Irak11 zum Jahrestag der Gründung der Republik Irak stattfinden, die dazu genutzt werden sollte, die Solidarität mit dem neuen sudanesischen Regime zu erklären.
In Leipzig soll am 24.7.[1971] in der HO-Gaststätte »Sportforum« aus gleichem Anlass eine Veranstaltung der »Nationalunion irakischer Studenten«12 stattfinden, auf der Reaktionen zu den Ereignissen im Sudan erwartet werden.
Von den sudanesischen Studenten an der Technischen Universität Dresden wurde der Sturz an-Numairi als positiv für die Entwicklung in der DRS gewertet, da an-Numairi eine Reihe von Fehlern gemacht habe. Der Aspirant [Vorname Name 1] soll von Mitgliedern einer sudanesischen Delegation, die kürzlich in Dresden weilte, fünf Materialien erhalten haben, die dazu dienen sollen, die Politik an-Numairis zu rechtfertigen. Er gilt als Anhänger an-Numairis.
Von den sudanesischen Staatsbürgern, die sich im Bezirk Erfurt aufhalten, wurden die ersten Maßnahmen des neuen Regimes ebenfalls begrüßt. Besondere Zustimmung gab es, dass mehrere Mitglieder der SKP zu Mitgliedern im neuen Revolutionsrat13 benannt wurden.
Die Nachricht von der Zerschlagung des neuen Regimes hat unter den sudanesischen Studenten der Leipziger Universität tiefe Bestürzung und Enttäuschung ausgelöst. Sie seien sich darüber im Klaren, dass es in ihrem Land jetzt ein furchtbares Blutbad geben werde. In Diskussionen werde Antwort auf die Frage gesucht, was die SKP falsch gemacht habe. Dabei wurde in ersten Gesprächen eine Ursache für das Scheitern der Aktion gegen an-Numairi im Ausbleiben der Unterstützung von außen gesehen.
Von sudanesischen Studenten in Leipzig wurde die Erwartung ausgesprochen, dass an-Numairi an die Regierung der DDR den Antrag stellen wird, den in Berlin weilenden Bruder des Generalsekretärs der SKP und Mitglied des Revolutionsrates unter Babiker an-Nur Osman,14 [Vorname Name 2], auszuliefern.
Der sudanesische Botschafter in der DDR – der in den letzten Monaten gegenüber den Kommunisten seines Landes zurückhaltend aufgetreten sei – habe sich in den letzten Tagen von der Begeisterung seiner Landsleute über den Sturz an-Numairi mitreißen lassen. Er sei sicher, dass darüber nach Khartum15 berichtet wird, sodass er – falls er in sein Land zurückkehre – um sein Leben fürchten müsse.
Diese Information darf im Interesse der Sicherheit der Quellen nicht publizistisch ausgewertet werden.