Reaktionen auf die Einzelhandelsverkaufspreise
[ohne Datum]
Information Nr. 130/71 über die Reaktion der Bevölkerung der DDR zu den Maßnahmen auf dem Gebiet der Einzelhandelsverkaufspreise
Die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen wird nach wie vor in allen Schichten der Bevölkerung diskutiert, wobei im Umfang der Diskussionen eine abfallende Tendenz festzustellen ist.
Die Maßnahmen werden in erster Linie als ein Ergebnis der kontinuierlichen Politik von Partei und Regierung auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens gewürdigt.
Es wird zum Ausdruck gebracht, diese Feststellungen seien durch die ständige Beachtung der politischen und ökonomischen Erfordernisse sowie durch die Zielstellung der ständigen kontinuierlichen Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung möglich geworden.
Die beschlossenen Maßnahmen der Preissenkung,1 Rentenerhöhung2 und der freiwilligen Zusatzversicherung3 werden von der Bevölkerung unter diesen Gesichtspunkten in breitem Umfang begrüßt.
Mehrfach wird die Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, noch höhere Arbeitsleistungen zu erzielen. Die eingetretenen Vergünstigungen würden jeden einzelnen verpflichten, die Planaufgaben für das Jahr 1971 allseitig und termingerecht zu erfüllen.
In zahlreichen Diskussionen wird hervorgehoben, angesichts der auf dem 14. Plenum4 charakterisierten angespannten Situation in unserer Wirtschaft5 seien die neuen Maßnahmen nicht erwartet worden, zumal ab 1.3.1971 bereits Gehaltserhöhungen für breite Berufsgruppen wirksam werden. Man müsse sich in diesem Zusammenhang darauf einrichten, dass zukünftig höhere Arbeitsleistungen gefordert werden, um das erforderliche Niveau solcher Maßnahmen zu halten.
Es wird Erstaunen darüber zum Ausdruck gebracht, dass trotz der aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Planerfüllung 1970 und beim Plananlauf 1971 zum gegenwärtigen Zeitpunkt derartige Maßnahmen durchgeführt werden können.
Häufig werden Zusammenhänge zu vorherigen Gerüchten über Preiserhöhungen, die in größerem Umfang aufgetreten waren, aufgezeigt. Betont wird, es habe sich wieder einmal gezeigt, dass man derartigen Gerüchten kein Gehör schenken solle.
Die Maßnahmen der Preiserhöhung bei Spirituosen werden vom überwiegenden Teil der Bevölkerung mit Verständnis aufgenommen und als gerechtfertigt angesehen.6
Häufig wurde sogar die Ansicht geäußert, dass auch noch eine höhere Steigerung bei den Alkoholpreisen gerechtfertigt gewesen wäre, wenn gleichzeitig Preiserhöhungen bei unbedingt notwendigen Waren vermieden werden bzw. dort weitere Senkungen durchgeführt werden können. Die Diskussionen über die Preiserhöhungen für Alkohol stehen nicht im Mittelpunkt der Argumentation.
Neben den allgemeinen positiven Reaktionen treten vereinzelt folgende abwartende und skeptische bzw. abwertende Argumentationen in Erscheinung:
- –
Die Maßnahmen könne man allgemein als positiv beurteilen. Aber die Motive seien in der Hauptsache politischer Art. Sie seien ökonomisch nicht vertretbar, würden nicht in das »Bild« passen, das vom 14. Plenum gezeichnet worden sei. Eigentliche Ursache seien die »Arbeitsunruhen« in Polen.7 Es sollte mit den Preissenkungen ähnlichen Erscheinungen in der DDR vorgebeugt werden.
- –
Die Preissenkungen betreffen nur solche Waren, die vorher durch »schleichende Preiserhöhung« sehr teuer geworden waren. Damit handele es sich nicht um eine Preissenkung, wie jetzt angegeben, sondern nur um eine »Preisregulierung«.
- –
Es werden Befürchtungen zum Ausdruck gebracht, dass die erfolgten Preissenkungen durch nachfolgende Preiserhöhungen, begründet mit Sortimentsänderungen oder Änderungen der Warenstruktur bzw. Qualitätsänderungen, beseitigt werden.
- –
Wiederholt gibt es Befürchtungen, dass die jetzt gesenkten Waren künftig nicht stabil im Warenangebot vorhanden sein werden.
- –
Mehrfach werden Vergleiche zu den in der BRD gültigen Einzelhandelspreisen angestellt. Dabei wird betont, die neuen Preise in der DDR seien trotzdem noch bedeutend höher als in der BRD, obwohl das Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer in der DDR etwa um ein Drittel kleiner sei als das in der BRD/Westberlin.
- –
Die preisgesenkten Waren seien lediglich Ladenhüter. Zum Beispiel seien Kühlschränke und Farbfernseher lediglich deshalb im Preis gesenkt worden, weil die Lagerbestände ständig ansteigen würden.
- –
Die Preiserhöhungen bei Spirituosen würden die Senkungen aufwiegen und der Staat verdiene dabei noch. Zum Beispiel wurde der Vergleich angestellt, dass die Rentenerhöhungen von 3,00 DM bei einem Teil der Rentner der Preiserhöhung von 3,00 DM für eine Flasche Weinbrand-Verschnitt entspreche.
- –
In anderen Diskussionen wird hervorgehoben, die Maßnahmen würden in der Hauptsache die besser verdienenden Bürger bevorteilen. Bürger mit hohem Einkommen würden z. B. nicht den billigen Alkohol kaufen, sondern die besseren Sorten, die im Preis nicht erhöht worden seien.
- –
Auch die freiwillige Zusatzrentenversicherung sei nichts für den »kleinen Mann«. Diejenigen, die schon einen hohen Verdienst hätten, bekämen jetzt auch noch Zuschüsse vom Betrieb für die Rentenversicherung. Das sei gegenüber dem Arbeiter mit einem Verdienst unter 600 DM ungerecht.
- –
Die teuren Kühlschränke und Farbfernsehgeräte, die im Preis gesenkt worden sind, könnten auch jetzt noch nicht von einem Arbeiter der unteren Lohngruppen oder von kinderreichen Familien erworben werden.
Vereinzelt, aber in allen Bezirken halten in geringerem Umfang weiterhin Gerüchte über angeblich noch zu erwartende Preiserhöhungen bei Butter, Fisch- und Fleischwaren, Kaffee und Zigaretten an.
Dabei wird in einigen Fällen geäußert, die Preiserhöhungen bei Spirituosen seien als »Test« zu werten. Es solle abgewartet werden, wie sich die Bevölkerung dazu verhalte. Danach würde entschieden, wie »bei weiteren Preiserhöhungen« vorgegangen werden könne.