Tod der Grenzsoldaten Klaus Bäckler und Heinz Delvoigt
24. November 1971
Information Nr. 1129/71 über einen Schusswaffengebrauch zwischen Angehörigen der NVA-Grenztruppen mit Todesfolge
Am 7.11.1971, gegen 16.45 Uhr, wurden die NVA-Angehörigen der 7. Grenz-Kompanie Groß-Thurow, 6. Grenzregiment Schönberg, [Kreis] Gadebusch, [Bezirk] Schwerin, Gefreiter Bäckler, Klaus,1 geboren 11.6.1951, wohnhaft Ravensberg, [Kreis] Bad Doberan, Maschinenschlosser, parteilos, Mitglied der FDJ, ledig, NVA seit 3.11.1970, und Soldat Delvoigt, Heinz,2 geboren 14.6.1947, wohnhaft Berlin-Friedrichshain, [Straße, Nr.], Maschinenschriftsetzer, parteilos, Mitglied der FDJ, verheiratet, ein Kind, NVA seit 3.5.1971, in ihrem Postenbereich, 300 m von der Staatsgrenze zur BRD entfernt, an der Straße Gadebusch in Richtung Staatsgrenze (Ratzeburg/BRD) von einer Alarmgruppe der 7. Grenzkompanie mit Schussverletzungen tot aufgefunden.3
Die durch das MfS durchgeführten Untersuchungen ergaben Folgendes:
Der Bäckler (Postenführer) und Delvoigt (Posten) waren am 7.11.1971 für die Zeit von 10.00 bis 18.00 Uhr im vorgenannten Abschnitt als gedeckte Beobachtungsposten eingesetzt.
Gegen 16.30 Uhr nahmen die Nachbarposten – Gefreiter [Name 1] und Soldat [Name 2] – einen Schuss und Sekunden später mehrere Schüsse im Postenbereich von Bäckler und Delvoigt wahr und meldeten dies über das Grenzmeldenetz an den Führungspunkt der Grenzkompanie. Von dort aus erfolgte der sofortige Einsatz der Alarmgruppe.
Die Alarmgruppe sicherte den Ereignisort bis zum Eintreffen der Untersuchungskommission ab.
Durch die Untersuchungskommission wurde festgestellt, dass die Leichen der NVA-Angehörigen sich im angewiesenen Postenbereich befanden. Während Bäckler drei Meter vom gedeckten Beobachtungspunkt entfernt in Rückenlage auf der asphaltierten Straße lag, befand sich Delvoigt in 7,50 Meter Entfernung von Bäckler, ebenfalls auf dem Rücken liegend, am Rand der Straße.
Die Dienstwaffe des Bäckler, Maschinenpistole Typ »Kalaschnikow«, war auf Einzelfeuer gestellt, entsichert und lag mit dem Kolben zum Körper, der Trageriemen war um die Schulter gelegt. Von der zur Waffe gehörenden Munition fehlten zehn Patronen. Der Handschutz der Waffe war durch Schusseinwirkung zerstört.
Die Dienstwaffe des Delvoigt, Maschinenpistole Typ »Kalaschnikow«, lag 1,45 Meter von der Leiche entfernt. Sie war entsichert und auf Einzelfeuer gestellt. Von der zur Waffe gehörenden Munition fehlten fünf Patronen.
Bei der gerichtlichen Obduktion ist bei beiden NVA-Angehörigen als Todesursache Herzzerreißung infolge je eines Brustdurchschusses festgestellt worden.
Außerdem wurden an beiden Leichen noch weitere Verletzungen festgestellt.
(Bäckler: Hämatome am Kopf | Delvoigt: Durchschüsse am Unterarm, Oberschenkel, Knie, Wange, Gesäß, Hals-Schulterbereich)
Aus den durchgeführten Untersuchungen am Ereignisort, den gutachterlichen Befunden an den Leichen und den Waffen, der Fundsituation der Patronenhülsen und ihrer Zuordnung zu den Waffen sowie den Zeugenaussagen der Nachbarposten ist zweifelsfrei zu erkennen, dass sich die NVA-Angehörigen Bäckler und Delvoigt gegenseitig beschossen haben und dabei tödliche Verletzungen erlitten.
Die Schussverletzungen an den Leichen – Einschuss, Schusskanal und Ausschuss – bestätigen den Befund, dass sich beide Posten aufrecht gegenüberstanden, als sie sich verletzten.
Es sind bei den Untersuchungen keinerlei Anhaltspunkte, die einen Angriff von gegnerischer Seite oder aus dem Grenzhinterland begründen, festgestellt worden.
Die Grenzsicherungsanlagen, insbesondere der 3,50 m hohe Streckmetallzaun, wiesen keine Beschädigungen auf.
Aus den Untersuchungen zu den Persönlichkeitsbildern des Bäckler und Delvoigt ist ersichtlich, dass Bäckler einen guten Grenzdienst versah, eine positive Einstellung zu unserer Staats- und Gesellschaftsordnung besaß und im Kollektiv geachtet wurde.
Es gab keinerlei Anzeichen oder Hinweise auf einen Fahnenfluchtverdacht.
Delvoigt hatte familiäre Schwierigkeiten. Während seiner Zugehörigkeit zur Armee hatte die Ehefrau Scheidungsklage eingereicht, worüber sie ihn am 4.11.1971 anlässlich eines Kurzaufenthaltes in Berlin – [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben] unterrichtete.
Diesbezügliche Aussagen der Ehefrau sowie Genossen seiner Einheit ergaben, dass Delvoigt darüber sehr bedrückt war und äußerte, dass das Leben für ihn keinen Sinn mehr habe.
Diese Konfliktsituation – [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben] hat offenbar den Delvoigt zu solchen Handlungen veranlasst, die den Bäckler zum Eingreifen mit der Waffe zwang.
Es ist dabei nicht ausgeschlossen, dass Delvoigt Vorbereitungen zur Selbsttötung bzw. zur Fahnenflucht traf. Diese Version wird erhärtet durch die Tatsache, dass Delvoigt bereits 1966 einen Selbsttötungsversuch mit Leuchtgas unternommen hatte [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben].
Es ist vorgesehen, die Untersuchungsergebnisse in geeigneter Form mit den verantwortlichen Kommandeuren der NVA-Grenztruppen auszuwerten mit dem Ziel, entsprechende Schlussfolgerungen zu treffen und Maßnahmen zur weiteren Festigung der Militärkollektive einzuleiten.