Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1971 (1. Bericht)
16. März 1971
Information Nr. 210/71 über den Verlauf der LFM 1971 (1. Bericht)
1. Zur Einschätzung der Teilnahme an der LFM 1971
Nach den vorliegenden Endzahlen nehmen an der LFM 19711 rd. 9 500 Aussteller aus 67 Ländern (LFM 19702 – 65 Länder) teil. Außer der DDR beteiligten sich 12 sozialistische Länder (LFM 1970 – 11), 27 Entwicklungsländer (LFM 1970 – 25) und 25 kapitalistische Industrieländer einschließlich der BRD und Westberlin (LFM 1970 – 26).
Besondere Aufmerksamkeit erregte die Verdoppelung der Ausstellungsfläche Japans, die von westdeutschen Journalisten als Beginn einer zielstrebigen Exportoffensive gegenüber der DDR gewertet wird.
Im Übrigen ist ein Vergleich der Ausstellungsbeteiligung mit dem Vorjahr im Einzelnen schwierig, da durch die Verlagerung von weiteren drei Branchen ein Rückgang der Ausstellerzahl bestimmter Länder eingetreten ist, der sich auf der Herbstmesse ausgleichen wird.
Eine Einschätzung der technischen Qualität und der Markorientierung der Aussteller kann zur Zeit noch nicht gegeben werden. Einige Angaben liegen zur Ausstellung der UdSSR vor. Sie ist mit 23 Außenhandelsorganisationen vertreten, die mehr als 5 000 Exponate zeigen. 82 % davon werden erstmalig auf Auslandsmessen bzw. Ausstellungen gezeigt. Eine besondere Rolle im insgesamt auf technisch hohem Niveau stehenden Sortiment spielen Erzeugnisse, die für die Meisterung der Erfordernisse der technischen Revolution von besonderer Bedeutung sind, wie Geräte und Ausrüstungen für die Atomenergie, elektronische Geräte, Modelle kompletter Industrieanlagen (darunter Kernkraftwerke, Schiffe, Flugzeuge usw.) und andere. Besonders hervortretende Erzeugnisse sind ein Automat zur Montage integrierter Schaltungen, eine Anlage zur Herstellung von Mikroschaltungen im Vakuum, elektronische Rechner und eine Plasmagewinnungsanlage.
Insgesamt ist die sowjetische Ausstellung besser als in den vorigen Jahren aufgebaut und gegliedert. Hauptthema der Ausstellung ist die Darstellung der Errungenschaften der UdSSR im letzten Fünfjahrplan und der Perspektiven 1971 bis 1975.
Aus der BRD und der selbstständigen politischen Einheit Westberlin haben alle angemeldeten Aussteller ihre Messestände belegt. Im Vergleich zur LFM 1970 gibt es keinen Abfall der Qualität namhafter Messebesucher.
Infolge einer gezielten Einladungspolitik gegenüber der BRD sind von den wichtigsten Konzernen und Großunternehmen der Metallurgie, des Maschinen- und Anlagenbaus, der Elektrotechnik sowie der Waren- und Versandhäuser Vorstandsmitglieder und leitende Direktoren bereits zu Messebeginn eingetroffen bzw. haben ihre Anreise für die nächsten Tage zugesagt.
Von den namhaften westdeutschen Industriekonzernen (Bereich der Metallurgie, des Schwermaschinen- und Anlagenbaus, der Elektrotechnik und der Chemie) werden 221 Einkäufer zur LFM 1971 erwartet. Damit konnte die gleiche Zahl der Einkaufsverantwortlichen wie 1970 erreicht werden.
Positiv hat sich die Tätigkeit des Büros des Ministeriums für Außenwirtschaft der DDR in Düsseldorf ausgewirkt. Verbunden mit der Zentralisierung von Organen der äußeren Absatz- und Bezugsorganisation der DDR in Düsseldorf erfolgte eine größere Einflussnahme auf die Konzerne.
Von den westdeutschen Warenhaus- und Versandhauskonzernen sowie den Einkaufsverbänden und anderen Großbetriebsformen besuchen ca. 130 Einkäufer die LFM 1971 (LFM 1970 – 105). Mit 20 Einkäufern stellt die Kaufhalle GmbH,3 Köln, die zahlenmäßig stärkste Delegation (LFM 1970 – 5).
Das Einkaufsinteresse der am stärksten vertretenen Konzerne zielt etwa gleichmäßig auf den Textil- und Hartwaren-Sektor.
Entsprechend der Konzeption gegenüber der BRD und Westberlin wurde die Einladungspolitik vom Büro des Ministeriums für Außenwirtschaft der DDR, Frankfurt/Main, mit Erfolg durchgesetzt.
Nach dem Stand vom 13.3.1971 wurden 26 100 Messeausweise für Aussteller und Besucher aus der BRD verkauft (LFM 19694 – 21 000). An Westberliner Besucher und Aussteller wurden bis zu diesem Zeitpunkt 3 300 Messeausweise verkauft (LFM 1969 – 3 200).
Bis zum 14.3.1971 gab es folgende polizeiliche Anmeldungen:
[Staaten] | LFM 1971 | Vergleich Vorjahr |
---|---|---|
sozialistische Staaten | 7 431 | - 164 |
BRD | 15 186 | + 3 070 |
WB | 1 213 | - 27 |
Entwicklungsländer | 143 | + 41 |
kap. Industrieländer | 3 559 | - 3 |
Gesamt | 27 532 | + 2 917 |
Am 13.3.1971 reiste die Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Annemarie Renger,5 in Leipzig an.
Wie aus westdeutschen Kreisen verlautet, kommt der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Doktor Rohwedder6 Ende der Woche nach Leipzig.
2. Maßnahmen zur Forcierung des Exports in die Sowjetunion
In den ersten Tagen der Messe ist die Realisierung der Maßnahmen zur Erfüllung der Exportverpflichtungen der DDR gegenüber der Sowjetunion absoluter Schwerpunkt der Tätigkeit der Außenwirtschaftsorgane der DDR.
Entsprechend einer Weisung des Ministers für Außenwirtschaft sind im Zusammenhang mit der Vorbereitung des XXIV. Parteitages der KPDSU7 folgende Aufgaben gegenüber der Sowjetunion zu erfüllen:
- –
Vollständige Realisierung der staatlichen Auflage im Export und der entsprechenden Verträge für das I. Quartal 1971;
- –
Realisierung von 25 % der 1971 an die UdSSR zu liefernden Konsumgüter;
- –
Abbau der Exportlieferrückstände aus dem Jahre 1970 bis zum 31.3.1971.
Zur Lösung dieser Aufgaben haben die Außenhandelsbetriebe während der Messe täglich zu berichten. Nach dem Stand vom 14.3.1971 schätzt das MAW ein, dass diese Zielstellung erfüllt wird.
Die vertragliche Bindung mit Liefertermin I. Quartal beträgt insgesamt 1 720 Mio. Mark von denen bisher 1 050,6 Mio. Mark realisiert wurden. Es wird eingeschätzt, dass per 31.3.1971 insgesamt für 1 800,9 Mio. Mark realisiert wird. (102 % der Quartalsauflage 1971)
Bis 14.3.1971 wurden 59 % der Quartalsauflage für den Konsumgüterexport (319,5 Mio. Mark) realisiert. Es wird eingeschätzt, dass in den restlichen 16 Tagen die Verpflichtung noch erfüllt werden kann.
Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Planerfüllung im Export gegenüber der Sowjetunion zeigten sich eine Reihe von Problemen, die auf tiefgehende Unklarheiten in den Organen der Außenwirtschaft und der Industrie schließen lassen. Man kann einschätzen, dass die Aufgabenstellung zur strikten Planerfüllung im Export nach der Sowjetunion den für die Außenwirtschaft zuständigen Apparat überraschte. Eine der Hauptursachen besteht darin, dass die Exportplanerfüllung gegenüber der Sowjetunion in der Prioritätenliste des Apparates an hinterer Stelle rangierte, da die Sowjetunion immer Verständnis gezeigt habe, wenn zugesagte Lieferungen der DDR nicht sortiments- und termingerecht bewältigt werden konnten.
Man habe keine solchen Reaktionen erwarten müssen, wie sei beim Ausbleiben von Lieferungen in das nichtsozialistische Wirtschaftssystem zu erwarten gewesen seien.
Die ökonomischen Regelungen im System der Außenwirtschaft betonen ebenfalls den Vorrang des Exports in das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet. Von IM wurde zum Ausdruck gebracht, dass bei der Plankontrolle Verstöße gegen die Exportverpflichtungen gegenüber dem NSW weit größere Konsequenzen hätten als gegenüber der Sowjetunion.
Diese Ursachen sind auch bis heute noch nicht überwunden, da trotz der im Allgemeinen positiven Einschätzung der Kampf um die Aufholung von Exportrückständen noch nicht energisch genug geführt wird. Es wird teilweise auf den Export sogenannter Ausweicherzeugnisse orientiert ohne dabei den Bedarf der Sowjetunion in genügender Weise zu berücksichtigen. Nach wie vor zeigen sich Schwächen in der Marktarbeit gegenüber der Sowjetunion und ungenügendes Eingehen auf die Wünsche des Kunden.
Verschiedentlich wird als Grund für die Exportrückstände angegeben, dass Importbeschränkungen aus dem NSW, insbesondere aus der BRD, die Fertigstellung von Objekten verhindert habe. Es gibt Bestrebungen, unter Umgehung staatlicher Weisungen mit der Begründung der Sicherung der Exporte in die UdSSR Importabsichten aus dem NSW durchzusetzen.
Die Exportrückstände auf dem Anlagen- und Maschinenbau sind zumindest teilweise durch die unzureichende Belieferung der Finalproduzenten mit Erzeugnissen des Bereiches Elektrotechnik/Elektronik entstanden.
Ein besonderer Planschuldner ist das EAW Treptow.
Bestimmte Rückstände im Konsumgüterprogramm sind auch durch subjektive Entscheidungen sowjetischer Handelsfunktionäre entstanden, die Exportwaren der DDR (insbesondere Konfektionen, Trikotagen und Schuhe) unter falscher Einschätzung des sowjetischen Bedarfs und der Geschmacksrichtungen ablehnten. Durch Einschaltung der in Leipzig anwesenden sowjetischen Regierungsdelegation unter Leitung des Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates Gen. Dymschiz8 konnte die sowjetische Seite zur Aufnahme neuer Verhandlungen zur Abnahme dieser Waren veranlasst werden.
3. Zum bisherigen Auftreten westlicher Messebesucher
Die bereits in den letzten Wochen festgestellten Störversuche offizieller Stellen der BRD gegen den Handel mit der DDR halten an. Kurz vor der Messe intervenierte der Stellvertreter des Leiters der Treuhandstelle für den Interzonenhandel, Buch,9 wegen der Abwicklung eines Getreidegeschäftes der BRD mit der ČSSR, da dieses Getreide in der DDR verblieben sei. Buch verlangte vom Gen. Behrendt10 eine Erklärung, dass die DDR zur Zeit von der ČSSR keinen Roggen bezieht. Die Intervention von Buch wurde zurückgewiesen. Ähnliche Interventionen wegen Umgehung der EWG-Bestimmungen gab es in letzter Zeit mehrmals. Darüber hinaus gibt es weitere Störmaßnahmen verschiedener Art, die offensichtlich das Ziel verfolgen, die Forderungen der DDR nach Angleichung einiger Bestimmungen im Handel zwischen der BRD und der DDR (z. B. Anpassung des Swings11) zu unterlaufen.
Von den in Leipzig anwesenden Journalisten wurde auch der Prozess gegen Seeberger12 benutzt, um die Atmosphäre zu beeinträchtigen. Ein großer Teil der Journalisten nahm Bezug auf diesen Prozess und versuchte zu erkunden, ob sich Firmen dadurch von der Messe abhalten ließen.
Es ist bekannt geworden, dass die Firma Seeberger vor der Messe einen Brief an Ausstellerfirmen aus der BRD versandt hat, mit dem sich die Firma zu rechtfertigen versucht. (Maßnahmen zur Beschaffung dieses Schreibens sind eingeleitet).
In der Berichterstattung der Journalisten spielt auch die Frage der sich aus den früheren Geschäften noch ergebenden Verbindlichkeiten eine Rolle. Es besteht der Eindruck, dass eine zentral gesteuerte Kampagne durchgeführt wird, um die DDR in den Ruf schlechter Zahlungsmoral zu bringen.
Im Übrigen wird in den aus Leipzig abgesetzten Berichten westdeutscher Journalisten von einen betont ruhigem Charakter der Messe gesprochen, die keine großen Perspektiven für den Absatz westdeutscher Unternehmen eröffne.