Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1971 (3. Bericht)
22. März 1971
Information Nr. 213/71 über den Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1971 (3. Bericht)
1. Zu den Ergebnissen der Erfüllung der Exportverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion
Nach dem gegenwärtigen Stand zeichnet es sich ab, dass per 31.3.1971 die Verpflichtung erfüllt wird, 25 % des Jahresvolumens an Konsumgütern in die Sowjetunion zu exportieren. Am 20.3.1971 betrug die Realisierung 70,8 % des Planes bei einem durchschnittlichen Tageszugang, der die Erfüllung des Planes gewährleistet. Die Realisierung des Volumens wurde möglich durch Vorablieferungen zulasten des II. Quartals.
Der Gesamtexport für das I. Quartal erreichte am 29.3.1971 den Stand von 1 202,1 Mio. Mark bzw. 68,2 % der Quartalsaufgabe. Die durchschnittlichen täglichen Lieferungen reichen gegenwärtig noch nicht aus, um die Planerfüllung für das I. Quartal zu sichern.
Es kann jetzt quantitativ spezifiziert werden, welche Ursachen zu Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Quartalsaufgabe führen:
Probleme, die mit dem sowjetischen Partner zu klären sind:
Dazu gehören fehlende Versandinstruktionen, die vom sowjetischen Partner beizustellen sind, ungeklärte Abnahmebereitschaft für vorfristige Lieferungen aus Verträgen des II. und III. Quartals, notwendige Klärung kommerzieller Fragen zu kurzfristig bereitgestellten Exportwaren oder umdisponierten Waren, Nichtanwesenheit von sowjetischen Verhandlungspartnern – 15,5 Mio. M.
Probleme der Realisierung durch die Industrie:
Dazu gehören Nichtbeherrschen von Kooperationsverpflichtungen, besonders Nichteinhaltung von Lieferverpflichtungen der Chemie, der Elektrotechnik/Elektronik und der Gießereien, Ausfälle von Produktionskapazitäten, nichtsortiments- und qualitätsgerechte Bereitstellung von Erzeugnissen – 103,9 Mio. M.
Zur Erfüllung der Exportverpflichtungen und zur Verbesserung der Zahlungsbilanzsituation wurden an die sowjetischen Außenhandelsorgane zusätzliche Angebote über von der Industrie bereitgestellte Waren übergeben. Diese Angebote erreichen einen Umfang von 499,5 Mio. M.
Dabei handelt es sich teilweise um Angebote, die über den Vertrag hinaus Lieferungen vorsehen. Über diese Angebote wurde noch keine Entscheidung gefällt.
Nach vorliegenden Berichten bestehen für den Export keine Transportschwierigkeiten, da die Reichsbahn erklärt hat, dass sie voll in der Lage ist, den Transportbedarf abzudecken.
Im Zusammenhang mit dem Kampf um die Planerfüllung im Export nach der Sowjetunion zeigte es sich, dass wichtige Wirtschaftsprozesse, insbesondere durch die Staatliche Plankommission, nicht beherrscht werden. So waren das Handelsabkommen mit der Sowjetunion und der Staatsplan in zahlreichen Fällen nicht gegeneinander bilanziert. Das hat zur Folge, dass Abkommenspositionen wegen Nichtvorhandensein von Ware nicht materiell gesichert sind. Es ist offensichtlich auch notwendig, bei Strukturentscheidungen in größerem Maße die Auswirkungen auf die Außenwirtschaft zu berücksichtigen. Als wesentlicher Mangel hat sich weiter herausgestellt, dass das gegenwärtige Berichtssystem im Ministerium für Außenwirtschaft und in der Industrie nicht ausreicht, um als Instrument der operativen Steuerung zu dienen.
2. Zum Auftreten der Vertreter der BRD
Die im 2. Bericht1 geschilderte Linie des Auftretens westdeutscher offizieller Vertreter bestätigt sich sowohl durch die Gespräche, die zwischen dem Gen. Behrendt2 und Staatssekretär Rohwedder3 und Ministerialdirigent Kleindienst4 geführt wurden, wie auch durch interne Äußerungen Kleindiensts und anderer Mitarbeiter der Treuhandstelle für den Interzonenhandel (TSI)5 und anderer Zweige des westdeutschen Staatsapparates. Sowohl Kleindienst wie auch Rohwedder haben in den Besprechungen mit Gen. Behrendt den Seeberger/Arff-Prozess6 hochzuspielen versucht. Sie waren beide nicht bereit, Regelungen zum Ausbau des Handels zu treffen, soweit diese im Interesse der DDR liegen. Rohwedder stellte in seinem Gespräch Folgendes in den Vordergrund:
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die Erfüllung der Vereinbarungen der DDR mit der BRD über die Lieferung von Mineralölerzeugnissen (Diesel- und Vergaserkraftstoff) durch die DDR;
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Übermittlung von Klagen der westdeutschen metallurgischen Industrie über angeblich fehlende Bereitschaft der DDR zum Abschluss von Verträgen auf der Messe;
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Äußerungen über Schwierigkeiten hinsichtlich der Erweiterung der Lieferungen der DDR auf dem Agrarsektor, die es vonseiten des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gebe.
Rohwedder zeigte sich vom Klima der Messe beeindruckt, ließ aber keinerlei Bereitschaft erkennen, die für die DDR wichtigste Frage, die Angleichung des Swings7 an den Umsatz (das würde eine Swingerhöhung um ca. 40 bis 45 Mio. VE bedeuten) zu lösen.
In ähnlicher Weise trat Rohwedder auch bei einer kurzen Begrüßung durch Gen. Sölle8 auf.
Für die Linie der BRD sind folgende interne Äußerungen der in Leipzig anwesenden Vertreter der BRD charakteristisch:
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Die Westseite strebt nach diesen internen Äußerungen danach, die Verpflichtungen der DDR abzubauen. Deshalb werde nichts unternommen, was »zu einer weiteren Verschuldung« der DDR führen könne. Deshalb werde die TSI darauf hinwirken, die Zahlungsziele herabsetzen zu lassen.
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Kleindienst erklärte gegenüber Händlern der BRD, bei denen die DDR überfällige Verpflichtungen hat, dass diese einen schroffen Brief schreiben sollten, in dem die TSI um Hilfe gebeten werde. Damit habe er Unterlagen, die er in den Verhandlungen mit Behrendt unterbreiten könne, wenn Behrendt neue Wünsche der DDR äußere.
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Entgegen der offiziellen Version, dass die Erhöhung der Agrarimporte aus der DDR auf den Widerstand der EWG stößt, erklärte der Stellvertreter des Leiters der TSI Dr. Sieben9 intern, dass es noch keine ernstzunehmenden Proteste seitens der EWG gegeben hat.
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Es habe im Zusammenhang mit den Reaktionen der DDR auf die Demonstrationen der Bundespräsenz Überlegungen zur Behinderung des DDR-Transits durch Westdeutschland gegeben.10 Kleindienst und Rohwedder schrieben sich in internen Äußerungen das Verdienst zu, eine solche Entwicklung verhindert zu haben.
Die führenden westdeutschen Industriekonzerne haben ebenso wie die Waren- und Versandhauskonzerne repräsentative Einkaufsdelegationen nach Leipzig entsandt, die zügig disponieren. Es kam zu zahlreichen konkreten Geschäftsverhandlungen und teilweise bereits zu Abschlüssen. Nicht in allen Fällen waren die Außenhandelsbetriebe der DDR auf die Führung konkreter Geschäftsverhandlungen vorbereitet. Der Beauftragte des Bundesministeriums der Wirtschaft für den Außenhandel mit der DDR Kleindienst hält zu diesen Einkaufsdelegationen regen Kontakt.
In der Zeit vom 14. bis 16.3.1971 weilte der Vorsitzende des Vorstandes der Gute-Hoffnungs-Hütte,11 v. Menges,12 erstmals seit drei Jahren in Leipzig.
Er erklärte, dass seine Firma die Leipziger Messe als Möglichkeit ansehe, die Leistungsfähigkeit des Maschinenbaus der DDR zu prüfen, um entsprechende Einkaufsdispositionen zu treffen.
Auffällig ist jedoch, dass für das Wochenende angemeldete Spitzenvertreter westdeutscher Konzerne kurzfristig absagten. Das betrifft den Vorstandsvorsitzenden der Salzgitter AG, Birnbaum,13 und den Aufsichtsratsvorsitzenden der Friedrich Krupp AG Essen, Beitz.14
3. Zum Auftreten von Vertretern aus Entwicklungsländern und kapitalistischen Industrieländern
Nach den bisherigen Einschätzungen ist auch damit zu rechnen, dass die ökonomischen Zielstellungen gegenüber dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet erfüllt werden. Das Niveau der Besucher und der potenziellen Kunden ist etwa ebenso wie bei vorhergehenden Messen.
Dabei sind folgende hauptsächliche Tendenzen festzustellen:
Die in Leipzig anwesenden Vertreter kapitalistischer Industrieländer weichen politischen Gesprächen im Allgemeinen aus und lehnen es ab, sich für die politischen Interessen der DDR (Ausbau der Beziehungen zu dem jeweiligen Land) einzusetzen. Sie erklären lediglich ihre Bereitschaft, sich für den Ausbau der Handelsbeziehungen einzusetzen. Dazu einige Beispiele:
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Der Generaldirektor der staatlichen italienischen Gesellschaft ENI15 erklärte, das Prinzip ihrer Arbeit sei die Orientierung auf die ökonomischen Beziehungen.
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Schwedische Konzernvertreter teilten mit, dass die schwedische Regierung sich weigert, dem Abschluss eines Rahmenvertrages mit der DDR auf staatlicher Ebene zuzustimmen und darauf drängt, die bisherige Ebene über die SUKAB16 beizubehalten.
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Der Generaldirektor im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium Collin17 äußerte, dass der Umfang der gegenseitigen Geschäftsbeziehungen zwischen der DDR und Frankreich nicht der Leistungsfähigkeit der Industrie beider Länder entspreche. Deshalb müssten Anstrengungen zu seiner weiteren Erhöhung unternommen werden. Der formale Charakter der Beziehungen spiele dagegen eine untergeordnete Rolle.
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Mit Aufmerksamkeit wurde das gegenüber den Vorjahren erheblich stärkere Auftreten japanischer Konzerne registriert. Die Messe wurde von neun wichtigen Delegationen aus Japan besucht. Bis zum 19.3.[1971] waren 219 Japaner gegenüber 146 zum gleichen Vorjahrestermin in Leipzig anwesend. Dabei wurde erstmalig ein verstärktes Auftreten japanischer Chemiekonzerne registriert. Es zeigt sich, dass die kürzlich erfolgte Gründung des Wirtschaftsausschusses DDR – Japan positive Auswirkungen hat. Die Anwesenheit japanischer Exporteure auf der diesjährigen Frühjahrsmesse hat zu Nervosität bei Westdeutschen Exporteuren geführt.
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Die arabischen Länder, die in Leipzig zum Teil mit repräsentativen Delegationen vertreten sind, hoben die Leistungsfähigkeit der Exportindustrie der DDR hervor und sind bereit ihre Importe aus der DDR maximal zu erhöhen. Auf der anderen Seite gibt es Erscheinungen, dass von ihnen abgelehnt wird, Importe der DDR bei solchen Waren zu sichern, die sie gegen freie Devisen in anderen Ländern absetzen können. Insbesondere Syrien weigert sich, solche Waren wie Erdöl, Eiweißfuttermittel und in bestimmtem Umfange Baumwollgarne zu liefern. Dadurch entstehen erhebliche nicht abgedeckte Verpflichtungen Syriens gegenüber der DDR.
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Besonders auffällig auf der Messe ist das konzentrierte Auftreten lateinamerikanischer Delegationen und sonstiger Messebesucher aus Lateinamerika. Einflussreiche brasilianische Geschäftsleute erklärten dazu, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und Chile der Beginn einer echten politischen Umwälzung in Südamerika sei.18 Außer der chilenischen Delegation sind in Leipzig anwesend: Der Minister für Industrie und Handel der Republik Uruguay Dr. Sanguinetti,19 der Sekretär der Präsidialkanzlei Ecuadors Acosta,20 der Beauftragte des brasilianischen Außenministeriums Valadao,21 der Präsident der Handelskammer Mexikos Blázquez.22 Die Gelegenheit wurde benutzt, um mit den offiziellen Vertretern der lateinamerikanischen Staaten über den Ausbau der politischen Beziehungen und über die Erhöhung des Status von DDR-Vertretungen bzw. ihre Neueinrichtung zu beraten.23
Die chilenische Regierung hat die Anwesenheit ihrer Delegation dazu benutzt, umfangreiche ökonomische Wünsche vorzubringen. Diese Wünsche bezogen sich auf die Entwicklung der Kohlechemie, technische Unterstützung in enteigneten Industriekomplexen, vor allem in der elektronischen Industrie sowie in der Kupfergewinnung und -verarbeitung, die Verarbeitung des Salpeters vor allem für Explosivstoffe für die chilenische Armee.
In Leipzig ist eine Delegation des Außenhandelsunternehmens Machinery der VR China24 unter Leitung ihres stellvertretenden Generaldirektors anwesend. Mit der Delegation wurden Gespräche über die weitere Gestaltung der Außenhandelsbeziehungen mit China geführt, wobei sich China erstmalig bereit erklärt hat, den Abschluss von langfristigen Vereinbarungen für solche Erzeugnisse zu prüfen, die ein großes Volumen im Handelsaustausch einnehmen und für die längere Fertigungszeiten benötigt werden. Damit besteht die Möglichkeit in der Perspektive wichtige Rohstoffbezüge für die Chemie und die Buntmetallurgie zu sichern. Die chinesischen Vertreter leiteten das Gespräch mit einem kurzen Hinweis darauf ein, dass ihre Erfolge im Wesentlichen auf den Weisungen Mao Zedong25 beruhen und dass China den Kampf der DDR gegen den westdeutschen Imperialismus und Revanchismus sowie »die Bestrebungen zur Einverleibung von Westberlin in die DDR« unterstütze.
4. Zur Anzahl der Messebesucher aus dem Ausland
Bis zum 20.3.1971 reisten nach polizeilicher Meldung folgende Personen zur LFM 1971 ein:
[Staaten] | LFM 1971 | Vergleich Vorjahr |
---|---|---|
sozialistische Staaten | 26 579 | + 2 948 |
BRD | 36 203 | + 6 965 |
WB | 3 290 | - 32 |
Entwicklungsländer | 369 | - 5 |
kapitalistische Industrieländer | 8 379 | + 45 |
Gesamt | 74 820 | + 9 921 |
5. Nach Fertigstellung der Information wurden über ein internes Gespräch des Staatssekretärs im Bundesministerium für Wirtschaft, Rohwedder, mit westdeutschen Journalisten am 21.3.1971 in Leipzig folgende Fakten bekannt:26
Rohwedder bewertete die mit Sölle und Behrendt geführten Gespräche als positiv und erklärte, dass die Zeit leider zu kurz gewesen sei, um die Probleme des Handels BRD – DDR tiefgründiger zu behandeln. Die Gespräche hätten ihn sehr beeindruckt.
Er schätzt ein, dass die DDR eine rege Handelstätigkeit entfalte, die sich positiv auf den Handel BRD – DDR auswirke. Die Geschäfte mit der DDR bezeichnete er als gut. Durch den Perspektivplan der DDR (1971–1975) würden dieser positiven Entwicklung jedoch Grenzen gesetzt, da der Volkswirtschaftsplan abgesteckte Ziele beinhalte.
Es müsse damit gerechnet werden, dass der bevorstehende Parteitag der SED27 und andere politische Höhepunkte neue Entscheidungen brächten, da mit Sicherheit Programme für die kommenden Jahre beschlossen werden.
Rohwedder erklärte, dass die DDR 1971 auf kommerziellem Wege versuchen werde, ihre Schulden abzubauen. Das werde in erster Linie zu Steigerungsraten im »IDH«28 aufseiten der DDR führen.
Zusammenfassend stellte Rohwedder fest, dass es in der DDR vorwärtsgehe. Alle in Leipzig geführten Verhandlungen und Gespräche zeugten davon, dass beide Seiten daran interessiert seien, einen Handel zum gegenseitigen Vorteil zu entwickeln. Die DDR habe auf dem Gebiet des Außenhandels einen unerhörten Aufschwung genommen. Diese Tatsache müsse künftig unbedingt beachtet werden.