Vorkommnis an der Richard-Sorge-Oberschule in Berlin-Johannisthal
7. April 1971
Information Nr. 302/71 über ein Vorkommnis an der 19. Oberschule »Dr. Richard Sorge« in Berlin-Johannisthal am 29. März 1971
Ergänzend zu unserer Information Nr. 282/71 vom 2.4.1971 – in der über die Tätlichkeiten seitens vier Schülern der Klasse 10b gegenüber dem gegen das Westfernsehen aufgetretenen Schüler [Name 1, Vorname] berichtet wurde – ergaben die Untersuchungen zum Sachverhalt weiter folgende Ergebnisse:
Obwohl von der Schulleitung, dem Lehrkörper und gesellschaftlichen Kräften versucht wurde, den Einfluss des Westfernsehens zurückzudrängen, ist besonders unter den Schülern der 9. und 10. Klassen dieser Schule der Empfang von Sendungen des Westfernsehens und -rundfunks stark verbreitet. Es muss eingeschätzt werden, dass etwa 90 % der Schüler in diesen Klassen unter dem Einfluss der politisch-ideologischen Diversion1 dieser Massenmedien stehen. In den Unterrichtspausen und nach Schulschluss führen diese Schüler häufig Diskussionen über den Inhalt dieser Sendungen.
Die der vorsätzlichen Tätlichkeiten gegen den Schüler [Name 1] – einem der leistungsstärksten Schüler der Klasse 10b – beschuldigten Schüler [Name 2], [Name 3], [Name 4] und [Name 5] sagten in den Vernehmungen zum Motiv ihrer Handlungen übereinstimmend aus, dass sie den Geschädigten wegen dessen fortschrittlicher politischer Einstellung sowie wegen des konsequenten Auftretens seines Vaters gegen den Empfang von Sendungen westlicher Fernseh- und Rundfunkstationen misshandelten. [Name 4], der am 29.3.1971 während der Freistunde der Klasse 10b den Schüler [Name 1] als erster durch Schläge ins Gesicht und auf den Oberarm sowie durch Ziehen an Nase und Ohren misshandelte, gibt darüber hinaus an, er habe sich durch diese Handlungsweise »die Zeit vertreiben« wollen. [Name 5] sagt außerdem aus, er habe mit seiner Haltung das Ziel verfolgt, [Name 1] vor der gesamten Klasse lächerlich zu machen.
Die Ermittlungen gegen die Beschuldigten werden durch die VP in Verbindung mit dem MfS in den nächsten Tagen abgeschlossen. Der Prozess gegen die vier Beschuldigten ist für den 15.4.1971 vorgesehen.
Im Ergebnis der Untersuchungen hält es das MfS für erforderlich, folgende Maßnahmen einzuleiten:
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Durch die Organe der Volksbildung sollte eine Untersuchung des politisch-ideologischen Zustandes besonders der Schüler der oberen Klassen der »Dr.-Richard-Sorge«-Oberschule Berlin-Johannisthal vorgenommen werden, wobei die konkreten Maßnahmen der Schulleitung, des Lehrkörpers, der FDJ und der Pionierorganisation, des Elternbeirates und der Klassenelternaktive zur Unterstützung der gesellschaftlich aktiven Schüler speziell bei der Zurückdrängung der Einflüsse der politisch-ideologischen Diversion im Vordergrund stehen sollten.
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Es wäre zweckmäßig, wenn die Kommission für Ordnung und Sicherheit des Rates des Stadtbezirks Treptow auf Veranlassung des Magistrats von Groß-Berlin die gegenseitige Information und Wechselwirkung bei der Erziehungsarbeit an der genannten Schule zwischen den territorial zuständigen staatlichen Organen, den gesellschaftlichen Kräften und der Schule überprüfen würde.
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Auf Veranlassung der zuständigen Organe der Volksbildung sollte an der »Dr.-Richard-Sorge«-Oberschule unter Einbeziehung der territorialen staatlichen und gesellschaftlichen Organe eine Beratung durchgeführt werden, an der die Schulleitung, die Leitung des Elternbeirates, der FDJ-Sekretär und der hauptamtliche Pionierleiter teilnehmen. Im Ergebnis dieser Beratung sollten kontrollfähige Maßnahmen der weiteren Gestaltung der politisch-ideologischen Erziehung und der kurzfristigen Überwindung des gegenwärtigen Zustandes festgelegt werden.
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Das Vorkommnis in der Klasse 10b sollte im Zusammenhang mit dem Ermittlungsergebnis, dem stattfindenden Prozess gegen die vier Beschuldigten und dem Ergebnis der vorgeschlagenen Überprüfungen in differenzierter Form mit den Klassenelternaktiven und in Elternversammlungen der Ober- und Mittelstufe ausgewertet werden.
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Das Vorkommnis – als Ausdruck der Wirksamkeit der politisch-ideologischen Diversion des Gegners und seiner spezifischen Einwirkung auf die Jugend – sowie die Überprüfungsergebnisse sollten außerdem zum Anlass genommen werden, die politisch-ideologische Arbeit unter den Lehrkräften und an den Schulen im Sinne des VII. Pädagogischen Kongresses2 insgesamt zu aktivieren und offensiver zu gestalten, wobei die Gefährlichkeit der politisch-ideologischen Diversion, ihre Auswirkungen und Konsequenzen herauszuarbeiten wären;
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das Zusammenwirken aller Erziehungsträger durch entsprechende Festlegungen wirksamer und kontrollfähiger zu gestalten;
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die Kontrollberatungen zu einem echten Mittel der analytischen und vorbeugenden Arbeit bei der sozialistischen Erziehung der Schuljugend zu machen, um sich andeutende politisch negative Tendenzen, Fehlentwicklungen, asoziale und rowdyhafte Verhaltensweisen in ihren Ansatzpunkten zu erkennen und durch zielgerichtete Maßnahmen zurückzudrängen und zu zerschlagen.