Westpressemeldungen zum Fall Heisler
14. Januar 1971
Information Nr. 48/71 über Ergebnisse der Überprüfungen der Westpressemeldungen zum Fall Heisler
Bei der in den westlichen Hetzmeldungen genannten englischen Staatsbürgerin handelt es sich um Heisler, Gita, geborene Finkelstein, Künstlername Renee,1 geboren am [Tag, Monat] 1917 in Kopenhagen, Beruf: Bildhauerin, Staatsangehörigkeit: Großbritannien, wohnhaft gewesen bis 1964 in Perth, Australien, [Straße, Nr.].
Die Heisler reiste am 13.1.1964 über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße mit einem britischen Reisepass in die Hauptstadt der DDR ein und beantragte ständigen Aufenthalt für das Gebiet der DDR.
In ihrer Begleitung befanden sich die Kinder Heisler, Karin,2 geboren am [Tag, Monat] 1955 in Adelaide und [Name 1, Vorname 1], geboren am [Tag, Monat] 1957 in [Ort].
Aufgrund des Antrages der Heisler wurden die genannten Personen in das Aufnahmeheim für Ausländer nach Fürstenwalde eingewiesen. Im Ergebnis des Aufnahmeverfahrens wurde die Heisler mit beiden Kindern in der DDR aufgenommen.
Aus den Aufnahmeunterlagen ist zu entnehmen, dass die Heisler einer bürgerlichen Familie jüdischen Glaubens entstammt, die im zaristischen Russland lebte. Die Heisler lebte bis 1929 in Skandinavien und in Berlin, von wo sie 1937 nach Prag übersiedelte. Im April 1939 emigrierte sie mit ihrem Ehemann Heisler, [Vorname 2] nach London. Sie gehörte von 1943 bis Kriegsende der britischen Hilfsarmee als Kraftfahrer und Erziehungsinstrukteur an. In London absolvierte sie eine Kunstschule, die sie 1950 mit dem Diplom abschloss. Von 1952 bis Anfang 1964 lebte sie in Australien. Dort war sie überwiegend im Gaststättengewerbe sowie im Gesundheitswesen tätig. In Perth gründete sie eine private Experimentalschule, die jedoch aufgrund von Verschuldung wieder geschlossen wurde. Eigenen Angaben zufolge wurde die Heisler 1962 in Australien der Kindesentführung beschuldigt. Das Verfahren sei jedoch eingestellt worden, da die australischen Behörden angeblich negative Konsequenzen befürchtet hätten. Ihre im Januar 1964 erfolgte Übersiedlung in die DDR begründet sie damit, dass sie sich mit dem demokratischen Teil Deutschlands verbunden fühle und deshalb mit ihren Kindern hier leben wolle. Von ihrem Ehemann [Vorname 2] Heisler war sie bereits in Australien geschieden worden.
Nach Verlassen des Aufnahmeheimes lebte die Heisler von Januar 1964 bis Januar 1965 in Frankfurt (Oder), danach vier Jahre in Karl-Marx-Stadt3 und seit dem 28.2.1969 in Halle (Saale), [Straße, Nr.].
Ihr Sohn [Vorname 1 Name 1] verstarb anlässlich eines ČSSR-Aufenthaltes am [Datum] in Prag aus bisher noch ungeklärten Gründen. Im Juli 1964 – während ihres Aufenthaltes in Karl-Marx-Stadt – nahm sie den australischen Jungen Patrice Barry McKenzie, geboren am [Tag, Monat] 1962 in [Ort], in ihrem Haushalt als Pflegekind auf. Patrice B. McKenzie war von Bekannten der Heisler, einer Familie [Name 2] und einer Frau [Name 3] aus Australien unter falschem Namen in die DDR gebracht worden, um ihm – nach eigenen Angaben – eine geordnete, progressive Erziehung zu ermöglichen, die in Australien nicht gewährleistet sei.4
Die Heisler arbeitete während ihres DDR-Aufenthaltes kurzfristig im VEB Papierwaren Frankfurt (Oder), [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]. Danach betätigte sie sich als freischaffende Grafikerin und Bildhauerin. Aus Unterlagen der Deutschen Volkspolizei geht hervor, dass die Heisler einen schlechten Leumund in den Wohngebieten hatte, [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]
Am 5.7.1970 trat die Heisler, Gita gemeinsam mit ihrer Tochter Karin und dem Patrice B. McKenzie über die Grenzübergangsstelle Schönberg mit ihrem Pkw Typ VW eine Privatreise in die Ungarische Volksrepublik an. Zum gleichen Zeitpunkt unternahm die Untermieterin der Heisler, die Lehrerin für Russisch und Englisch, [Name 4, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1934, wohnhaft gewesen: Halle (Saale), [Straße, Nr.], als Angehörige der Robert-Franz-Singakademie5 Halle ebenfalls eine Reise in die Ungarische Volksrepublik.
Nach Angaben der Karin Heisler reiste sie mit ihrer Mutter Gita und dem Patrice B. McKenzie von Ungarn aus nach Wien. Dort trafen sie mit zwei in Westberlin lebenden Bekannten ihrer Mutter zusammen, bei denen der Patrice McKenzie verblieb. Der Grund für diese Handlungsweise ist gegenwärtig noch nicht ermittelt.
Von Wien aus kehrten die Heisler, Gita und ihre Tochter Karin nach Budapest zurück. Sie trafen sich dort vereinbarungsgemäß mit der [Name 4, Vorname]. Die Gita Heisler erklärte dort ihrer Tochter Karin, dass sie in Begleitung der [Name 4] wegen einer Kunstausstellung nach Bulgarien fahren müsse. Sie empfahl deshalb ihrer Tochter, nach Wien zu fahren und dort auf sie zu warten. Nach diesem Gespräch trennte sich Karin Heisler von ihrer Mutter und der [Name 4], um mit der Bahn von Budapest nach Wien zu fahren. An der Grenzübergangsstelle Hegyshalom wurde sie am 9.7.1970 von den ungarischen Grenzsicherungsorganen an der Ausreise gehindert, da ihr Fremdenpass lediglich einen Ausreisestempel der DDR-Grenzübergangsstelle Schönberg und keinen Einreisevermerk für die Ungarische Volksrepublik aufwies.
Sie wurde, weil sie in Halle (Saale) wohnhaft war, der DDR-Botschaft in Budapest überstellt, durch diese am 10.7.1970 in die DDR zurückgeführt und im Kinderheim »Freundschaft« Halle (Saale), Reilstraße 78, untergebracht.
Nach Feststellungen der ungarischen Sicherheitsorgane reiste die Heisler, Gita mit ihrem Pkw am 9.7.1970 von Ungarn nach Jugoslawien über die Grenzübergangsstelle Letenye6 aus. Für diese Ausreise benutzte sie ihren britischen Reisepass (Familienpass), in dem auch die Personalien ihrer Tochter Karin eingetragen waren. Da sich die [Name 4] in Budapest in ihrer Begleitung befand und beide gemeinsam angeblich eine Fahrt nach Bulgarien antreten wollten, die tatsächliche Ausreise der Gita Heisler jedoch nach Jugoslawien erfolgte, ist zu schlussfolgern, dass die [Name 4] unter Benutzung der Reisedokumente der Karin Heisler (Eintragung im britischen Familienpass und Visum) nach Jugoslawien geschleust wurde. Die konkreten Umstände des Schleusungsverlaufes konnten noch nicht geklärt werden.
Daraus ergibt sich, dass die damals 14-jährige Karin Heisler durch ihre Mutter im Zusammenhang mit der Schleusung der [Name 4] in der Ungarischen Volksrepublik ihrem Schicksal überlassen wurde.
In einem Brief an ihre Eltern teilte die [Name 4] mit, dass sie eine günstige Gelegenheit zum ungesetzlichen Verlassen der DDR genutzt habe und sich gegenwärtig in Burgdorf/Hannover aufhält. Dort befand sich entsprechend eines vorliegenden Hinweises zu diesem Zeitpunkt auch die Gita Heisler.
Am 15.7.1970 und 16.7.1970 telegrafierte die Gita Heisler an das VPKA Halle und forderte Nachricht über den Verbleib ihrer Tochter und die Genehmigung ihrer Ausreise nach Westberlin. Im Zusammenhang damit teilt sie mit, ihr sei die »Zwangsrückführung« ihrer Tochter in die DDR durch ungarische Behörden bestätigt worden.
Außerdem sei darüber die britische Botschaft in Wien und die australische Botschaft in Budapest informiert. Am 2.8.1970 bat die Gita Heisler telegrafisch das VPKA Halle, der Tochter ihre vorübergehende Anschrift in Westberlin mitzuteilen. Durch die Heimleiterin wurde am 8.8.1970 an die Karin Heisler die Adresse ihrer Mutter übergeben. [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]
Um der westlichen Pressekampagne entgegenzutreten ist vorgesehen, eine Meldung zu veröffentlichen, die eine Entlarvung der westlichen Publikationen als gezielte Hetzkampagne gegen die DDR zum Inhalt hat.7
Nach dieser Presseveröffentlichung ist beabsichtigt, soweit die Karin Heisler dies selbst wünscht, sie auf dem bisher üblichen Wege nach Westberlin ausreisen zu lassen.8