Aktivitäten kirchlicher Kreise zur Ausbürgerung Biermanns
[ohne Datum]
Information Nr. 811/76 über Aktivitäten kirchlicher Personenkreise im Zusammenhang mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft des Biermann
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen werden durch Angestellte der Kirche in einzelnen Bezirken und Kreisen der DDR im Zusammenhang mit den von den zuständigen Organen der DDR gegen Biermann getroffenen Maßnahmen Aktivitäten entwickelt, die zu einer weiteren Belastung des Verhältnisses Staat – Kirche führen können.
So wurde bekannt, dass in den Abendstunden des 18. November 1976 in den Räumen der evangelischen Kirche Jena eine Veranstaltung der »Jungen Gemeinde« stattfand, während der u. a. von 58 Teilnehmern eine gegen die DDR gerichtete »Protestresolution« gegen die Ausbürgerung Biermanns unterzeichnet wurde.
Diese Veranstaltung war von dem Jugenddiakon der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Jena, Thomas Auerbach, »aus aktuellem Anlass« zum Thema »Ausbürgerung Wolf Biermanns« organisiert worden. Der Jugenddiakon Auerbach, der diese Veranstaltung eröffnete, duldete, dass zum »Fall Biermann« in der Westpresse veröffentlichte Artikel mit antisozialistischem Inhalt verlesen wurden. Die Teilnehmer der Veranstaltung wurden im Zusammenhang damit aufgefordert, durch »massenwirksame Maßnahmen« die in diesen Artikeln enthaltenen »Ziele« zu verwirklichen.
Die in den Presseorganen der DDR enthaltenen Veröffentlichungen zu Biermann dagegen wurden als nicht den Tatsachen entsprechend bezeichnet.
Die Veranstaltung der »Jungen Gemeinde« wurde außerdem dazu benutzt, um Tonbänder mit gegen die DDR gerichtetem Inhalt von Auftritten Biermanns in der BRD abzuspielen.
Im Verlaufe der kirchlichen Veranstaltung wurde eine »Protesterklärung« zur Verlesung gebracht, in der es u. a. heißt:
»Wir erklären uns mit dem Protest der Berliner Schriftsteller vom 17. November 1976 gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann solidarisch«
und zur Unterschriftsleistung aufgefordert. Dabei wurde darauf hingewiesen, besonders solche Veranstaltungsteilnehmer sollten unterzeichnen, die in dieser Haltung eine »legale« Möglichkeit zur Dokumentierung ihres Willens zur Veränderung der Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR sehen würden.
Wie dem MfS weiter intern bekannt wurde, wurden durch den Jugenddiakon Auerbach und den Jugendpfarrer Schilling Aktivitäten zur Organisierung von Unterschriftensammlungen an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität entwickelt. Mit dem Ziel einer »Ausweitung der Protestaktion« wurde der Pfarrer der evangelischen Kirche, Michael Wagner, Meerane, in diese gesetzwidrigen Aktivitäten einbezogen. Wagner identifizierte sich voll mit den durchgeführten Aktionen und übernahm eine Unterschriftenliste zur weiteren Veranlassung. Er erklärte seine Bereitschaft, in seinem Amtsbereich gleiche Aktivitäten zu entwickeln.
Aus dem MfS weiter vorliegenden Hinweisen geht hervor, dass seitens der Gross,1 Renate, (Angestellte im Evangelischen Kreiskirchenrat Jena) Aktivitäten entwickelt wurden, um weitere Personen zum Vorgehen gegen die von der Regierung der DDR getroffenen Maßnahmen bezüglich Biermann zu veranlassen. Bei einer Zusammenkunft, an der der bereits genannte Pfarrer Walter Schilling aus Braunsdorf teilnahm, wurden Möglichkeiten der Fortführung der Aktivitäten und ihrer Verlagerung in andere Städte der DDR beraten. Dabei wurde mit Zustimmung des Schilling erwogen, einen als geeignet erscheinenden, in Jena besuchsweise aufhältlichen Einwohner von Westberlin zu beauftragen, die Unterschriftslisten bei einem Westberliner Rechtsanwalt zu hinterlegen bzw. direkt an den Sender RIAS weiterzuleiten.
Internen Hinweisen zufolge fand am 18. November 1976 im »Johanneum«, Berlin (Wohnheim für Theologiestudenten), anstelle der sonst üblichen Andacht mit religiösem Inhalt die Verlesung des im »Spiegel« veröffentlichten Briefes von Biermann an seine Mutter durch einen Studenten statt.2
Im Anschluss daran wurde der »Entwurf einer Stellungnahme zu den Ereignissen um Biermann« diskutiert. Dieser »Entwurf« enthielt im Wesentlichen folgende Schwerpunkte:
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Die Teilnehmer wollen mit einem persönlich unterzeichneten »Protest« an den Staatsrat ihr Befremden über die gegen Biermann eingeleiteten Maßnahmen zum Ausdruck bringen.
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Die gegen Biermann eingeleiteten Maßnahmen würden zu einer »großen persönlichen Unsicherheit« führen und eine neue Etappe der »Gewissensbedrängung« einleiten.
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Es wird ein Vergleich konstruiert zwischen Brüsewitz und Biermann. Nach Meinung der Teilnehmer haben sowohl Brüsewitz als auch Biermann ihre »freie Meinung« zum Ausdruck bringen wollen und seien daran gescheitert.
Es wird vorgeschlagen, dass der Staatssekretär für Kirchenfragen mit den zuständigen leitenden Kirchenpersönlichkeiten ein Gespräch führt, in dem ihnen überzeugend klargemacht wird, dass eine solche Handlungsweise, wie sie zum Beispiel in der »Solidarisierung mit Biermann« zum Ausdruck kommt, der Kirche selbst und ihrem Anliegen, in Wort und Schrift für den Frieden der Menschen einzutreten, schadet, ihre Anhänger verunsichert oder zu falschem Handeln verleitet und das Verhältnis Kirche – Staat belastet.
Diese Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.