Aktivitäten kirchlicher Kreise zur Ausbürgerung Biermanns
29. November 1976
Information Nr. 829/76 über Aktivitäten kirchlicher Personenkreise im Zusammenhang mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft des Biermann
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen wurden in einigen kirchlichen Veranstaltungen sowie durch Angestellte und Amtsträger der Kirche in einzelnen Bezirken und Kreisen der DDR im Zusammenhang mit den von den zuständigen Organen der DDR gegen Biermann getroffenen Maßnahmen Aktivitäten entwickelt, die zu einer weiteren Belastung des Verhältnisses Staat – Kirche führen können.
Solche Aktivitäten sind insbesondere bekannt aus den Bezirken Gera, Karl-Marx-Stadt, Halle und Rostock.
Besonders folgende Aktivitäten verdienen hervorgehoben zu werden.
Im Bezirk Gera wurde in den Abendstunden des 18. November 1976 in den Räumen der evangelischen Kirche Jena eine Veranstaltung der »Jungen Gemeinde« durchgeführt, während der u. a. von 58 Teilnehmern eine gegen die DDR gerichtete »Protestresolution« gegen die Ausbürgerung Biermanns unterzeichnet wurde.
Diese Veranstaltung war von dem Jugenddiakon der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Jena, Thomas Auerbach, »aus aktuellem Anlass« zum Thema »Ausbürgerung Wolf Biermanns« organisiert worden. Er missbrauchte seine Stellung als Jugenddiakon, um die zur Veranstaltung anwesenden Personen gegen staatliche Maßnahmen der DDR im Zusammenhang mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft des Biermann aufzuwiegeln und die Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR zu diskriminieren. Als Leiter dieser Veranstaltung duldete er, dass in der Westpresse veröffentlichte Artikel mit antisozialistischem Inhalt verlesen und die Teilnehmer aufgerufen wurden, durch »massenwirksame Maßnahmen« die in diesen Artikeln enthaltenen »Ziele« zu verwirklichen. Weiterhin ließ er zu, dass in dieser Veranstaltung Tonbänder mit Aufnahmen Biermanns, die gegen die DDR gerichtete diskriminierende Äußerungen beinhalteten, abgespielt wurden.
Unter den Teilnehmern dieser Veranstaltung befand sich auch die Gross, Renate1, Angestellte im Evangelischen Kirchenrat Jena.
Aus dem MfS weiter vorliegenden Hinweisen geht hervor, dass seitens der Gross, Renate, Aktivitäten entwickelt wurden, um weitere Personen zum Vorgehen gegen die von der Regierung der DDR getroffenen Maßnahmen bezüglich Biermann zu veranlassen. Bei einer Zusammenkunft, an der Pfarrer Walter Schilling aus Braunsdorf teilnahm, wurden Möglichkeiten der Fortführung der Aktivitäten und ihrer Verlagerung in andere Städte der DDR beraten. Dabei wurde mit Zustimmung des Schilling erwogen, einen als geeignet erscheinenden, in Jena besuchsweise aufenthältlichen Einwohner von Westberlin zu beauftragen, die Unterschriftenlisten bei einem Westberliner Rechtsanwalt zu hinterlegen bzw. direkt an den Sender RIAS weiterzuleiten.
Durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Gera wurde Landesbischof Braecklein, Eisenach, über den Sachverhalt informiert. Bischof Braecklein distanzierte sich von der Handlungsweise des Auerbach und brachte zum Ausdruck, dass gegen ihn bereits verschiedene Disziplinarverfahren durchgeführt werden mussten.
Im Ergebnis eines weiteren Gespräches des stellvertretenden Ratsvorsitzenden des Bezirkes Gera mit Oberkirchenrat Krannich (Krannich vertritt Bischof Braecklein, der sich zurzeit in Österreich befindet) wurde erreicht, dass kirchliche Gremien wie der Hauptkonvent Jena, der Leitungskreis der thüringischen Kirchenkonferenz und der Superintendentenkonvent übereinstimmend die Handlungsweise des Auerbach ablehnten und sich gegen den Missbrauch der »Jungen Gemeinde«, gegen die Organisiertheit solcher politischer Aktionen aussprachen.
Wie dem MfS weiter bekannt wurde, waren durch den Jugenddiakon Auerbach und den Jugendpfarrer Schilling, Braunsdorf, auch Aktivitäten zur Organisierung von Unterschriftensammlungen an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena entwickelt worden.
Mit dem Ziel einer »Ausweitung der Protestaktion« war der Pfarrer der evangelischen Kirche, Michael Wagner, Meerane, Bezirk Karl-Marx-Stadt, in diese gesetzwidrigen Aktivitäten einbezogen worden. Wagner identifizierte sich voll mit den durchgeführten Aktionen und übernahm eine Unterschriftenliste zur weiteren Veranlassung. Er erklärte seine Bereitschaft, in seinem Amtsbereich gleiche Aktivitäten zu entwickeln.
Durch den zuständigen Superintendenten Kröhnert wurde in Anwesenheit von Mitarbeitern der zuständigen staatlichen Organe mit Pfarrer Wagner eine Aussprache geführt. Trotz nachdrücklicher Forderung von Superintendent K. gegenüber Wagner, keine unbedachten Schritte zu tun, erklärte dieser, seinen Standpunkt der Solidarisierung mit Biermann weiter zu vertreten.
Wagner wurde entsprechend verwarnt und auf mögliche Folgen weiterer Handlungen hingewiesen. Dieser Standpunkt wurde von Superintendent K. nachhaltig unterstützt. Durch Superintendent Kröhnert wurde anschließend Bischof Hempel, Dresden, vom Sachverhalt informiert. In diesem Gespräch – an dem auch der zuständige Gebietsdezernent teilnahm – wurde Pfarrer Wagner als Sonderling charakterisiert, der in der Vergangenheit wegen dienstlicher Belange bereits zur Ordnung gerufen werden musste. Seine Handlungsweise im Zusammenhang mit Biermann wurde von Bischof Hempel abgelehnt. Hempel brachte zum Ausdruck, dass die Pfarrer nicht die Berechtigung hätten, sich in ideologische Auseinandersetzungen einzuschalten und andere Bürger zu negativen Aktivitäten zu veranlassen. Nach den vorhandenen Kirchengesetzen könne jedoch kein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, da Pfarrer Wagner nicht gegen Lehre und Verkündigung verstoßen habe. Es sei aber ein zwingendes seelsorgerisches Gespräch notwendig. Superintendent Kröhnert wurde aufgefordert, ein solches Gespräch zu führen mit dem Ziel, dass Pfarrer Wagner sein kirchenschädigendes, verwerfliches Tun einsieht. Über dieses Gespräch will Bischof Hempel unterrichtet werden.2
Im Anschluss an dieses Gespräch brachte Bischof Hempel dem Gebietsdezernenten gegenüber zum Ausdruck, dass eine Stellungnahme von kirchlichen Amtsträgern zum Fall Biermann durch die Kirchenleitung abgelehnt wird.
Weiter wurde bekannt, dass sich sechs Pfarrer aus dem Bezirk Halle (es handelt sich um
- –
[Name], wohnhaft: [Ort]/Saalkreis,
- –
Grohmann, Frithjof, wohnhaft: Unterrißdorf/Lüttchendorf/Eisleben,
- –
Rössig, Otto, wohnhaft: Wettin/Saalkreis,
- –
Schröder, Richard, wohnhaft: Wiederstedt/Hettstedt,
- –
Thon, Manfred, wohnhaft: Volkmaritz/Eisleben,
- –
Weise, Hans-Otto, wohnhaft: Siersleben/Eisleben)
am 22. November 1976 mit einem Brief an den Vorsitzenden des Staatsrates wandten, in dem sie ihre »Bestürzung« über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft Biermanns zum Ausdruck bringen.3
Von den jeweiligen Stellvertretern für Inneres der Räte der Kreise erfolgten Aussprachen mit den zuständigen Superintendenten mit dem Ziel, auf die Pfarrer Einfluss zu nehmen, ihr Schreiben zurückzuziehen. Da Pfarrer Thon Mitglied der CDU ist, wird mit ihm durch den Kreisvorstand der CDU gesprochen, um ihn dafür zu gewinnen, seinen Einfluss auf die anderen Unterzeichner des Schreibens in dieser Richtung geltend zu machen. Thon hat sich inzwischen distanziert.4
Am 24. November 1976 fand im Konsistorium in Greifswald (Bezirk Rostock) der Superintendentenkonvent der Landeskirche statt. Superintendent Nixdorf, Barth, fragte vor allen Teilnehmern an, ob in absehbarer Zeit damit zu rechnen sei, dass die Leitung der Landeskirche Greifswald etwas »gegen die staatlichen Maßnahmen zu Biermann unternehmen« wird. Konsistorialrat Dr. Plath erklärte, dass eine Diskussion zu Biermann seitens der Kirchenleitung nicht geplant sei. Biermann sei Atheist und habe mit der Kirche nichts zu tun. Dagegen wandte sich Propst Haberecht und brachte zum Ausdruck: »Wenn heute dem DDR-Bürger Biermann die staatsbürgerlichen Rechte aberkannt werden, weil er ein unbequemer Kritiker dieses Systems ist, wie wird sich dieser Staat morgen verhalten, wenn es aus dem Raum der Kirche gegen den Staat Kritik gibt?« Superintendent Nixdorf stellte die weitere Frage, wie sich die Kirchenleitung dann verhalten werde, wenn gegen kirchliche Amtsträger staatliche Maßnahmen durchgeführt würden; ob sie sich dann schützend vor ihre Mitarbeiter stellen werde.
Landesbischof Gienke und Oberkonsistorialrat Dr. Plath erklärten unmissverständlich, dass die Kirchenleitung keinerlei Maßnahmen im Zusammenhang mit Biermann zu unternehmen gedenkt und nicht bereit ist, Pfarrer zu »Aktivitäten« zu Biermann zu ermuntern.
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen lehnen die leitenden kirchlichen Gremien in der DDR eine Solidarisierung mit Biermann oder eine Einmischung in diese Angelegenheit ab.
Bischof Schönherr erklärte vor Amtsträgern wiederholt, dass kirchliche Mitarbeiter »außerkirchlichen Kräften zur Durchsetzung [von] deren Interessen keinerlei Unterstützung zu geben haben und kirchenfremde Aktivitäten kirchlicher Mitarbeiter nicht geduldet werden können«. Schönherr hat die Absicht, von diesem Standpunkt auf der Sitzung des Rates der »Evangelischen Kirche der Union« am 1. Dezember 1976 in Berlin die teilnehmenden Bischöfe zu informieren und erwartet deren Zustimmung.
Internen Gesprächen Kardinal Bengschs ist zu entnehmen, dass weder Bengsch noch die anderen katholischen Bischöfe in der DDR – auch nicht die »Berliner Bischofskonferenz«5 – zu Biermann offiziell Stellung beziehen werden. Bengsch äußerte in diesem Zusammenhang, dass jeder seine eigenen Probleme habe.
Für den 6./7. Dezember 1976 wurde durch Kardinal Bengsch die planmäßige Sitzung der »Berliner Bischofskonferenz« einberufen. Auf der Tagesordnung stehen ausschließlich innerkirchliche theologische Fragen.
Die in der Information aufgeführten Aktivitäten kirchlicher Personenkreise im Zusammenhang mit Biermann sind nach bisherigen Feststellungen auf eigene Initiative der Betreffenden ohne vorherige Kenntnis der zuständigen übergeordneten kirchenleitenden Gremien erfolgt.
Es wird vorgeschlagen, dass entsprechend der Notwendigkeit und bei weiteren Aktivitäten kirchlicher Kreise zur Solidarisierung mit Biermann durch zuständige staatliche Organe in geeigneter Form Einfluss auf die verantwortlichen kirchenleitenden Persönlichkeiten genommen wird, um zu erreichen, dass diese gegenüber den ihnen unterstellten Amtsträgern und Mitarbeitern durchsetzen, diese Aktivitäten zu unterlassen oder sich von ihnen zu distanzieren, da sie gegen Lehre und Verkündigung verstoßen, wenn sie sich in ideologische Auseinandersetzungen und staatliche Maßnahmen einschalten.
In diesen Gesprächen soll zum Ausdruck gebracht werden, dass derartige Aktivitäten der Kirche selbst und ihrem Anliegen, in Wort und Schrift für den Frieden der Menschen einzutreten, schaden, ihre Anhänger verunsichern oder zu falschem Handeln verleiten und das Verhältnis Staat – Kirche belasten.
Die Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.