Auftreten eines Ausreise-Antragstellers im Staatsratsgebäude
30. November 1976
Information Nr. 832/76 über das unsachliche Auftreten eines Bürgers der DDR im Gebäude des Staatsrates der DDR am 22. November 1976
Am 22. November 1976, gegen 16.35 Uhr erschien der [Name], geboren am [Tag] 1944, wohnhaft: [Ort], Kr. Wanzleben, Bezirk Magdeburg, [Adresse], tätig als Bohrer im VEB [Betrieb], verheiratet, vier Kinder im Alter von vier, sieben, neun und zwölf Jahren, von 1969 bis 1971 Mitglied der SED, 1969 und 1972 wegen Staatsverleumdung (§ 220 StGB) und Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 212) strafrechtlich zur Verantwortung gezogen, im Gebäude des Staatsrates und trug gegenüber Mitarbeitern der Eingabestelle vor, dass er im April dieses Jahres einen Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR und Übersiedlung nach der BRD für sich und seine Familie gestellt habe, den er ausschließlich mit unzumutbaren Wohnraumverhältnissen begründete.
Am 16. November 1976 wurde ihm vom Rat des Kreises Wanzleben, Abteilung Innere Angelegenheiten, die Ablehnung des Antrages lediglich formell mitgeteilt, ohne auf die Gründe für den Antrag auf Übersiedlung einzugehen. Daraufhin richtete er am gleichen Tag eine Eingabe an den Staatsrat der DDR, in der er über die erfolgte Aussprache beim Rat des Kreises informierte und in diesem Zusammenhang auf persönliche Probleme hinwies mit dem Bemerken, am 22. November 1976 persönlich im Staatsratsgebäude vorsprechen zu wollen.
Auf die seitens der Mitarbeiter der Eingabestelle des Staatsrates gegebenen sachlichen Erläuterungen, insbesondere, dass der Rat des Kreises Wanzleben beauftragt wurde, seine Angelegenheit bis zur Klärung seiner persönlichen Probleme zu bearbeiten, reagierte [der Antragsteller] unsachlich. Er brachte u. a. zum Ausdruck, dass er die Ausreise aus der DDR fordere, er sich mit dem Auftreten von Biermann identifiziere und bis zur Klärung seiner Angelegenheit das Staatsratsgebäude nicht verlassen werde.
Die daraufhin durch Mitarbeiter des MfS erfolgte Befragung ergab, dass dieses unsachliche Verhalten auf einen starken Erregungszustand infolge persönlicher Verbitterung durch monatelang nicht gelöste Wohnraumprobleme und auf den Gesundheitszustand des [Antragstellers] zurückzuführen ist. [nähere Angaben]
Weitere Überprüfungen des MfS ergaben, dass [der Antragsteller] mehrfach Eingaben an den Rat der Stadt [Name] richtete, in denen er auf unzumutbare Wohnverhältnisse hinwies. Obwohl der vorhandene Wohnraum für diese kinderreiche Familie ausreichend ist (Einfamilienhaus mit fünf Zimmern, Küche, Nebengelass), befindet sich die Wohnung jedoch in einem schlechten baulichen Zustand. (Im Wohnhaus befindet sich lediglich ein Ofen, der noch dazu defekt ist, die Fenster sind nicht verschließbar sowie weitere Mängel.)
Durch den Rat der Stadt Seehausen wurden die durch [den Antragsteller] erfolgten Eingaben zur Beseitigung dieser Mängel unzureichend bearbeitet und bereits am 18. Januar 1976 festgelegte Sofortmaßnahmen bisher noch nicht realisiert.
Im Ergebnis einer am 24. November 1976 beim Vorsitzenden des Rates des Kreises Wanzleben durchgeführten Beratung wurden Maßnahmen zur sofortigen Beseitigung der vorhandenen Mängel eingeleitet. [Der Antragsteller] erklärte sein Einverständnis hierzu und zog seinen Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft und Übersiedlung nach der BRD in schriftlicher Form endgültig zurück.
Im Ergebnis der Überprüfungen ist einzuschätzen, dass [der Antragsteller] den Antrag auf Übersiedlung und Entlassung aus der Staatsbürgerschaft ausschließlich mit dem Ziel stellte, seinen Forderungen nach Beseitigung der vorhandenen Mängel Nachdruck zu verleihen.
In den durch das MfS mit [dem Antragsteller] geführten Aussprachen zeigte er sich einsichtig und entschuldigte sich für seine Äußerungen und Verhaltensweisen.
Unter Beachtung aller Umstände sind gegen [den Antragsteller] keine strafrechtlichen Sanktionen eingeleitet worden.