Auftritt Wolf Biermanns in der Nikolaikirche Prenzlau
[ohne Datum]
Information über das Auftreten des Wolf Biermann am 11. September 1976 in der Nikolaikirche in Prenzlau [Bericht O/28]
Wolf Biermann trat anlässlich des X. Uckermärkischen Kirchentages am 11. September 1976 innerhalb einer kirchlichen Jugendveranstaltung, die unter dem Titel »Werkstattabend – Jugendtreff« stattfand und an der ca. 300 Personen (meist Jugendliche) teilnahmen, auf.1
Während dieser »Jugendveranstaltung«, die in der Zeit von 19.00 Uhr bis 23.00 Uhr durchgeführt wurde und in deren Verlauf unter anderem eine Beatkapelle, Kirchenmusiker, verschiedene Rezitatoren mit religiösen Texten und Sänger auftraten, trug auch Biermann in zwei Auftritten einige seiner negativ-feindlichen »Lieder« vor und beteiligte sich an den dort in verschiedenen Gruppen geführten Diskussionen.
Während des gesamten Ablaufes des zwanglos zusammengestellten Programms des Jugendtreffs wurden gleichzeitig sogenannte Hobbyecken, Tauschmärkte, ein Bücherbasar und Imbissecken innerhalb der Kirche rege besucht. Dadurch wurde den jeweils Vortragenden keine ständige Aufmerksamkeit gewidmet.
Zu Beginn der Veranstaltung wurde Biermann durch den Kirchenmusiker Volker van der Heydt (Sohn des dort zuständigen Superintendenten) in Anwesenheit des Jugendpfarrers Schubach aus Potzlow (der ständig bestrebt ist, seinen Einfluss auf Jugendliche seiner Gemeinden zu vergrößern) als Herr Biermann aus Berlin vorgestellt. Dabei wurde erwähnt, er sei zu dieser Veranstaltung eingeladen worden, um einige Lieder und Songs zu Gehör zu bringen.
Im Verlauf der Veranstaltung erschien Biermann auf der in der Kirche aufgebauten Bühne und betonte, er sei aus Hamburg. Dies sei sein erster Auftritt in einer Kirche, obwohl er »Kommunist« sei; aber er könne die Einladungen der Kirche nicht ständig ablehnen und habe deshalb auch einmal zugesagt.
Biermann trug folgende »Lieder« vor:
»Kommandante Che Guevara«, »Flori-Have-Lied« (Für meine Genossen), »Großes Stoßgebet der alten Kommunistin Oma Meume aus Hamburg«, »Frühling auf dem Mont-Klamott«, »Ich möchte am liebsten weg sein« sowie verschiedene Passagen aus weiteren »Liedern«.2 Alle von Biermann vorgetragenen Texte richten sich gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung und die Verhältnisse in der DDR; zum Teil werden darin versteckt Angriffe gegen Partei und Regierung geführt.
Biermann fand mit seinen »Liedern« bei den Teilnehmern keine übereinstimmende Resonanz. Während das von ihm zuerst vorgetragene »Che Guevara-Lied« Aufmerksamkeit und Beifall fand, zeigte es sich während seines weiteren Vortrages, dass sich die Zuhörer zunehmend den übrigen Attraktionen, wie Bücherbasar usw., zuwandten und zum Teil sogar die Kirche verließen.3 Nach einer Reihe inzwischen bekannt gewordener Meinungen von Teilnehmern seien die Texte inhaltlich bzw. durch die Unruhe in der Kirche phonetisch sehr schlecht oder nicht verstanden worden.
In seinen Diskussionen mit Gruppen Jugendlicher in der Kirche habe Biermann unter anderem zum Ausdruck gebracht, die »Mauer« könnte an den Westen verkauft werden, wenn in der DDR nur überzeugte Sozialisten wohnen würden. Betont habe er, die Lösung der Probleme der Kirche könnte eventuell in einer »Roten Kirche« liegen; dazu seien zunächst die Kirchen von außen rot anzustreichen.4 Biermann sei von den Zuhörern nichts erwidert, und ihm seien keine Fragen gestellt worden.
Nach mehrfach geäußerten Meinungen seien die meisten Anwesenden der Auffassung gewesen, bei Biermann handelt es sich um den bis 1976 im Bereich Prenzlau tätig gewesenen Kaplan Biermann.5
Im Zusammenhang mit vorstehenden Darlegungen wird darauf hingewiesen, dass Biermann schon in der zurückliegenden Zeit versucht hatte, eine innerkirchliche Veranstaltung für sein Auftreten auszunutzen. Dies konnte durch gezielte Maßnahmen verhindert werden. Im Veranstaltungsplan des X. Uckermärkischen Kirchentages in Prenzlau ist zwar der genaue Ablauf ausgewiesen, jedoch geht nicht daraus hervor, dass Biermann in einer Veranstaltung auftreten sollte.
Der Jugendpfarrer des kirchlichen Bereiches Prenzlau, Schubach, der – nach Aussagen des zuständigen Superintendenten van der Heydt – persönlich für die Vorbereitung der Jugendveranstaltung verantwortlich gemacht worden war, hat Biermann zu dieser Veranstaltung eingeladen. Beide hatten die Vereinbarung zum Auftritt vertraulich behandelt. Es gibt Hinweise, dass Schubach Verbindung zu der Chanson-Sängerin Bettina Wegner, Berlin (bereits wiederholt negativ-feindlich in Erscheinung getreten, unter anderem im Zusammenhang mit den Veranstaltungen in Berlin »Kramladen« und »Eintopp«6), unterhält. Diese habe die Vereinbarung Schubach – Biermann vermittelt. Superintendent van der Heydt gibt an, von diesen Vereinbarungen angeblich nicht informiert gewesen zu sein.
Intern ist bekannt, dass Biermann nach seinem Auftritt in Prenzlau in seinem Bekanntenkreis großsprecherisch – im Stil seiner Veröffentlichung in »Der Spiegel« Nr. 39 vom 20. September 1976 – auftritt und sich in der Schilderung der Resonanz, die er dort gefunden habe, ständig steigert. Der Zuhörerkreis wird – nach seinen Schilderungen – fast täglich größer, und es müssten in Prenzlau mehr als 1 000 Personen »begeistert applaudiert« haben.7 Gleichzeitig machte sich Biermann in einigen seiner Gespräche über »die Kirchenleute« mit ihrem »Gehabe« lustig, betont aber, dies störe ihn eigentlich nicht. Die Hauptsache sei sein öffentlicher Auftritt, der ihm wieder neue Impulse gegeben habe.
Vom MfS werden weitere Ermittlungen zum Sachverhalt und zur Aufklärung der Personen, die den Auftritt Biermanns förderten, geführt.