Beisetzung von Pfarrer Oskar Brüsewitz in Rippicha (Zeitz)
27. August 1976
Information Nr. 603/76 über den Ablauf der Beisetzung von Pfarrer Brüsewitz am 26. August 1976 in Rippicha, Kreis Zeitz
In Ergänzung unserer Informationen Nr. 579/76 vom 19. August 1976 und 583/76 vom 23. August 1976 über den Pfarrer Brüsewitz wurden über seine Beisetzung folgende bemerkenswerte Einzelheiten bekannt:
Die Trauerfeier begann gegen 13.40 Uhr in der Kirche in Rippicha in Anwesenheit der Familie des Brüsewitz (Ehefrau, zwei Töchter, zwei Brüder und deren Ehefrauen aus der BRD, eine ältere Tante des Brüsewitz aus der BRD) sowie von ca. 50 Pfarrern im Talar.
An der anschließenden Trauerfeier auf dem Friedhof Rippicha nahmen ca. 370 Personen teil, davon 72 Geistliche im Talar. (Ca. 50 Prozent der Teilnehmer waren ältere Personen.)
Mit 110 Pkw reisten u. a. Vertreter der Evangelischen Kirchen (z. B. der Landeskirche Mecklenburg), Pfarrer des Kirchenkreises, Verwandte und Bekannte der Familie an. Entsprechend den polizeilichen Kennzeichen waren Teilnehmer aus den Bezirken Halle, Magdeburg, Leipzig, Gera, Dresden, Erfurt, Karl-Marx-Stadt, Cottbus, Schwerin anwesend.
Die Trauerfeier verlief entsprechend des von der Leitung der Evangelischen Kirche, Kirchenprovinz Sachsen, vorgesehenen Ablaufprogramms, das – wie intern bekannt wurde – in dem Sinne zusammengestellt war, Provokationen auszuschließen.
Vor Beginn der Trauerrede des Propstes Bäumer (Konsistorium Magdeburg) wies dieser auf die Möglichkeit hin, nach Abschluss der Trauerfeier im Pfarrhaus das Beileid auszusprechen. Außerdem bat er um eine Spende zur Unterstützung hirngeschädigter Kinder und der Gemeinde.
Nach Verlesung eines Bibelspruches durch Pfarrer Heidel legte Propst Bäumer in seiner Grabrede dar, dass
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die Kirchenleitung von Magdeburg der Tat des Brüsewitz nicht zustimmen könne, weil sie nicht im Einklang zum Evangelium stehe,
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sich die Kirche nicht von Brüsewitz als Mensch und Bruder distanzieren würde,
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sich Brüsewitz »in dunkle Netze, in eigene einsame Gedanken verstrickt« habe und sich mit diesem Problem der Kirche gegenüber verschloss.
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Das Evangelium lehre jedoch, dass ein Pfarrer nicht sein Leben aufgeben könne, sondern sich bemühen müsse, mit dem Problem fertig zu werden.
Der übrige Teil der Rede war dem Lebenslauf des Brüsewitz und theologischem Zeremoniell gewidmet.
Der Wortlaut der Stellungnahme des Generalsekretärs des Weltkirchenrates, Potter, die am 26. August 1976 der Evangelischen Landeskirche der Kirchenprovinz Sachsen zugestellt worden war, wurde nicht verlesen. (Anlage 1 der Information)
Gegen 14.50 Uhr wurde die Trauerfeier ohne Störungen beendet.
Der bereits mehrfach in Erscheinung getretene Pfarrer Latk, der gemeinsam mit Pfarrer Beck der Trauerfeier beiwohnte, verhielt sich ruhig. (Beide Pfarrer hatten in der vergangenen Woche insbesondere den BRD-Korrespondenten Loewe und Tautz-Wiessner Interviews mit staatsverleumderischem Inhalt gegen die Politik der DDR gewährt.)
Die Familie des Brüsewitz verließ bereits vor Beendigung der Trauerfeier das Friedhofsgelände. Mit 15 Trauergästen suchte die Witwe des Brüsewitz das Pfarrhaus auf. Weitere Teilnehmer (u. a. Geistliche) folgten nach der Trauerfeier der Einladung (Gesamtzahl 40 Personen).
In Rippicha waren seit den Vormittagsstunden starke Aktivitäten von BRD-Korrespondenten festzustellen. Bereits am 25. August 1976 waren in Zeitz angereist:
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Henkys und Röder, Evangelischer Pressedienst Westberlin,
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Stefani, »Stern« Hamburg,
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Hoffmann, DPA – Wort,
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Neiden, DPA – Bild,
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Beth, ARD-Hörfunk.
Am 26. August 1976 reisten weiter an:
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Nöldechen, »Westfälische Rundschau«, mit weiteren drei Korrespondenten,
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Tautz-Wiessner, »ZDF«, mit einem 3-köpfigen Kamerateam,
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Loewe, »ARD«, mit einem 3-köpfigen Kamerateam,
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Davieson, »Reuter«, mit einer Mitarbeiterin.
Am Vormittag wurde durch Loewe ein Interview mit einer Tochter des Brüsewitz vor dem Wohnhaus und vor dem Friedhofsgelände geführt.
Durch die ZDF-Gruppe wurden im Stadtgebiet Zeitz, einschließlich der Michaeliskirche, Aufnahmen durchgeführt.
Von den ARD- und ZDF-Kameragruppen erfolgten Filmaufnahmen während der Trauerfeierlichkeiten von einem Standort außerhalb des Friedhofgeländes in Blickrichtung Friedhof.
Vom ZDF wurden Tonaufnahmen an der Grabstätte gefertigt, Loewe befand sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls auf dem Friedhof und machte Notizen.
Nach Abschluss der Trauerfeierlichkeiten wurden durch BRD-Korrespondenten weitere Interviews mit Geistlichen u. a. Gästen geführt sowie ein Eigenkommentar durch Loewe gesprochen.
Es kann eingeschätzt werden, dass vor, während und nach der Trauerfeier im Ort sowie im Kreis Zeitz der gewohnte Tagesablauf der Einwohner nicht beeinträchtigt wurde; es waren keinerlei Provokationen zu verzeichnen. Eine geplante vordergründige Kranzniederlegung durch einige Jugendliche, die bereits wegen rowdyhaften Verhaltens vorbestraft sind, wurde verhindert. (Im Ergebnis von Befragungen wurden sie verwarnt.)
Wie intern bekannt wurde, äußerten die Pfarrer Klaus Latk/Riestedt und Hans Ramelow/Hainrode bei Sangerhausen unmittelbar nach der Trauerfeier, sie seien sehr unzufrieden mit der Predigt von Propst Bäumer,1 der sich nicht eindeutig hinter die Tat des Brüsewitz gestellt habe. Beide hätten deshalb ernsthaft erwogen, während der Predigt zu pfeifen, unterließen es jedoch aus Pietätsgründen. Latk äußerte in einem anderen individuellen Gespräch Befürchtungen hinsichtlich seiner Suspendierung vom Dienst durch die Kirchenleitung, weil er sich gemeinsam mit Pfarrer Beck »entgegen den Interessen der Kirchenleitung« öffentlich zum Fall Brüsewitz geäußert habe.2
Pfarrer Michael/Suhl, der sich in Rippicha etwa fünf Minuten mit dem BRD-Korrespondenten Loewe unterhalten hatte, fand es in individuellen Gesprächen »skandalös, dass sehr viele Sicherungskräfte« zur Trauerfeier eingesetzt gewesen seien.3
Pfarrer Brinkel/Synodaler, Thüringische Landeskirche, äußerte sich in Pfarrerkreisen sehr ungehalten darüber, dass er auf der Fahrt von Gera nach Zeitz zweimal zwecks Personalienfeststellung kontrolliert worden sei und meinte, man müsse protestieren.
Erste interne Hinweise liegen zur Reaktion der Kirchenleitung der Landeskirche Greifswald zur Tat des Brüsewitz vor. In der turnusmäßigen Sitzung der Kirchenleitung am 20. August 1976 äußerte Landesbischof Gienke, die Tat von Pfarrer Brüsewitz sei »theologisch und von der Bibel her zu verurteilen«; als Christ müsse man einen Freitod, gleich welcher Form, ablehnen.
Diese Meinung wurde durch den Oberkonsistorialrat und Leiter des Konsistoriums der evangelischen Landeskirche Greifswald, Dr. Plath, unterstützt. Plath erklärte, es müsse alles geschehen, damit ähnliche Erscheinungen im Bereich der Landeskirche nicht passieren; es dürfe zu keinen Ausschreitungen gegen das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche kommen. Es gäbe zwar auch in ihrem Bereich Komplikationen auf dem Gebiet der Volksbildung, aber sie sollten in sachlicher Art und Weise mit den staatlichen Organen ausdiskutiert werden. Dr. Plath betonte weiter, die Tat des Pfarrers Brüsewitz sei als eine Kritik an der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen sowie an den staatlichen Organen der Bezirke Magdeburg und Halle zu werten. Es sei jetzt durchaus möglich, dass weitere Pastoren ermuntert werden, durch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, die von der Kirchenleitung nicht gebilligt werden, auf sich und ihre Probleme aufmerksam zu machen.
Der Präses der Landeskirche Greifswald, Lehrer Affeld, unterstützte die Meinung von Bischof Gienke und forderte die Mitglieder der Kirchenleitung auf, bestehende Einzelerscheinungen von Komplikationen im Bereich Volksbildung nicht als Problem zwischen Staat und Kirche hochzuspielen. In der Landeskirche seien alle Voraussetzungen vorhanden, solche Vorkommnisse in sachlichen Gesprächen zu klären.
Diese Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
1 Anlage
Anlage zur Information Nr. 603/76
Stellungnahme des Generalsekretärs des Weltkirchenrates Potter vom 26. August 1976
Mit tiefer Betroffenheit habe ich die Nachricht von der öffentlichen Selbstverbrennung von Pfr. Oskar Brüsewitz in Zeitz vernommen. Inzwischen erhielt ich auch das Wort der Kirchenleitung an die Gemeinden vom 21. August 1976 und bin dankbar für die in ihm enthaltene Erläuterung der Situation.4
Angesichts der mir zugegangenen Informationen begrüße ich das Wort an die Gemeinde und bin sicher, dass die in ihm gegebene Einschätzung die Umstände und Zusammenhänge dieses Vorkommnisses angemessen berücksichtigt.
Ich möchte Ihnen versichern, dass ich und meine Kollegen mit tiefer Anteilnahme an Ihre Kirchenleitung, die Pfarrer des Kirchenkreises Zeitz, wie auch an die Familienangehörigen denke und sie in unsere Fürbitte einschließe.
Ich weiß, dass die Kirchen in der DDR in Verhandlungen um die Klärung offener Fragen zwischen Staat und Kirche bemüht waren.
Ich gebe meiner Hoffnung Ausdruck, dass es ihnen gelingen wird, bestehende Sorgen hinsichtlich der Jungen Christen zu klären.
In Verbundenheit unseres gemeinsamen Zeugnisses und Dienstes verbleibe ich/ gez. Unterschrift