Bruch des Gülleauffangbeckens, Schweinezuchtkombinat Eberswalde
19. Juni 1976
Information Nr. 450/76 über die Aufklärungsergebnisse im Zusammenhang mit dem Dammbruch im Lagunensystem des Schweinezucht- und Mastkombinates Eberswalde, Bezirk Frankfurt/O. am 12. April 1976
Am 12. April 1976 kam es im Lagunensystem (Gülleauffangbecken) – Lagune 3 – des Schweinezucht-und-Mastkombinates (SZMK) Eberswalde (östlich von Lichterfelde) zu einem Dammbruch in einer Breite von 2 m und einer Tiefe von ca. 3,50 m ab Dammoberkante. Dadurch flossen ca. 35 000 m3 Gülle auf das angrenzende Verregnungsgebiet (Stoppelfläche) und sammelten sich in vier vorhandenen natürlichen Bodensenken. Durch den Dammbruch entstand ein Sachschaden von ca. 100 000 Mark.
Die durch das MfS im Zusammenwirken mit Experten der Landwirtschaft und der Wasserwirtschaft eingeleiteten Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen ergaben, dass der Dammbruch als Folge des Zusammenwirkens mehrerer Umstände entstehen konnte, wobei folgende Faktoren als vordergründig festgestellt wurden:
- 1.
Die Lagunen 2 und 3 waren mit Gülle überfüllt, d. h. zum Zeitpunkt des Dammbruches war nur eine Freiborde von ca. 20 cm von der Dammoberkante vorhanden, obwohl seitens der Wasserwirtschaftsdirektion Frankfurt/O. eine Freiborde von mindestens 50 cm verlangt worden war. Bei der Projektabnahme wurde von der Wasserwirtschaftsdirektion Frankfurt/O. auf diesen Umstand lediglich mündlich hingewiesen. Erst nach dem Dammbruch vom 12. April 1976 wurde diese Anweisung schriftlich fixiert.
- 2.
Die Lagunendämme waren schlecht gepflegt und deren Außenwände stark verunkrautet. Durch die Wurzeln des Unkrautes war der Erddamm oberflächengelockert. Durch in den Dämmen des Lagunensystems vorhandene Schadnager (Wühlmäuse, Maulwürfe, Ratten) waren Röhrensysteme entstanden, wodurch die Standsicherheit der Dämme negativ beeinflusst wurde. Obwohl durch die PGH Schädlingsbekämpfung Eberswalde vierteljährlich eine Bekämpfung der Schadnager vorgenommen und auch der Bewuchs der Dämme durch das SZMK regelmäßig gemäht wird, waren diese Maßnahmen unzureichend wirksam.
Im Zusammenhang mit den weiteren Untersuchungen zu den Ursachen des Dammbruches wurden folgende Feststellungen getroffen.
Bei dem Lagunensystem des SZMK Eberswalde handelt es sich um vier Lagunen, die als Vorratsbehälter und zur Trennung der Feststoffe der Gülle verwendet werden. Während die Lagunen 1 bis 3 durch aufgeschüttete Lehmkerndämme begrenzt werden, ist die Lagune 4 mit einer Plastfolie ausgelegt. Weitere Feststellungen ergaben, dass der Damm zwischen den Lagunen 2 und 3 auf einer Länge von ca. 3 m nicht fertiggestellt war, sodass faktisch die Lagunen 2 und 3 eine Einheit bildeten. Die Lagunendämme waren nicht für eine jahrelange, ständige Bewirtschaftung (Einwirkung von Feuchtigkeit) projektiert. Im Projekt war vorgesehen, die Lagunen jeweils ca. ein Jahr zu befüllen und dann austrocknen zu lassen. Da jedoch das Problem der Gülleaufbereitung bisher noch nicht grundsätzlich geklärt ist, wurde das Lagunensystem seit 1970 bereits ständig betrieben und maximal genutzt.
Fachexperten schätzen ein, dass mit weiteren derartigen Havarien zu rechnen ist, wenn nicht in kürzester Frist eine grundsätzliche Lösung des Problems der Gülleaufbereitung erfolgt. Zur vorläufigen Stabilisierung des Lagunensystems des SZMK wurden nach der Havarie vom 12. April 1976 folgende Maßnahmen festgelegt:
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Volle Nutzung der Lagune 1, die ursprünglich als Brauchwasserbecken vorgesehen war,
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kontinuierliche Verregnung und Erschließung neuer Verregnungsgebiete,
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Bau einer weiteren Lagune,
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beschleunigte Fertigstellung einer Fest/Flüssig-Trennungs-Anlage (Pilot-Anlage) bis ca. September 1976, die die Gülle mechanisch, chemisch und biologisch in Feststoffe und Brauchwasser trennt; das Brauchwasser soll verregnet und die Feststoffe auf den Feldern verstreut werden.
Bei einer gleichartigen Havarie am 20. Juni 1975 im VEB Kombinat Fleischwirtschaft Rostock, Betrieb V – Schweinemastanlage Rövershagen, brach ebenfalls der Damm eines vollgefüllten Güllebehälters. Etwa 5 000 m3 Gülle traten aus, und es entstand ein Sachschaden in Höhe von ca. 1,2 Mio. Mark.
Bei der Untersuchung der Ursachen wurden sowohl Mängel im Projekt wie auch in der Bauausführung sowie Schwächen und Mängel im Vertragsabschluss zwischen dem Generalauftragnehmer und den Nachauftragnehmern festgestellt, die insgesamt jedoch nur das mit beiden Havarien verknüpfte zentrale Problem – der unzureichend technologisch gelösten Gülleaufbereitung in industriellen Anlagen der Tierproduktion – in seinem gesamten Ausmaß für die Umweltbelastung verdeutlichen. (Mögliche Grundwasserverunreinigung, Geruchsbelästigung, Bodenbelastung usw.)
Wie die Untersuchungen weiter ergaben, wurde in beiden Betrieben die Produktion von Schweinen aufgenommen, obwohl das Problem der Gülleaufbereitung völlig ungeklärt und die betreffenden Anlagen noch nicht fertiggestellt waren. So wurde z. B. die Bewirtschaftung der Schweinemastanlage Rövershagen am 15. Mai 1972 begonnen. Der Güllequerkanal zum Auffangen und Sammeln der Gülle aus den Ställen wurde erst ein Jahr später, am 30. Juni 1973, und die Zwischenpumpstation zum Befüllen der Güllebehälter am 15. November 1973 funktionsfähig übergeben. Bis zu dieser Zeit wurde unter erschwerten Bedingungen die Gülle aus den Güllekanälen der Ställe direkt herausgepumpt und mobil ausgefahren. Die Güllebecken wurden am 5. Juli 1973 bauseitig übergeben. Mit dem Befüllen wurde jedoch erst am 12. April 1975 begonnen, da bis zu diesem Zeitpunkt die Technologie der Güllehomogenisierung noch nicht klar war.
Ähnliche Probleme gab es im SZMK Eberswalde, wo Ställe vorfristig übergeben wurden. Etwa ein Drittel der Stallplätze wurde zusätzlich, d. h. gegenüber dem ursprünglich geplanten Umfang, gebaut, um die Produktion von Schweinefleisch zu erhöhen, ohne dass auch in diesem Fall das Gülleproblem grundsätzlich gelöst war.
Das Lagunensystem (vier Güllebecken) und die Verregnungsflächen wurden überlastet. Der geplante Bau einer Rohrleitung in den Kreis Bad Freienwalde zur Erschließung neuer Verregnungsgebiete und zum besseren Ausgleich in bestimmten Vegetationsperioden wurde vom Rat des Bezirkes Frankfurt/O. wegen fehlender Baukapazität gestoppt. Mit der Fertigstellung dieser Rohrleitung, deren Bau bereits vor ca. eineinhalb Jahren begonnen wurde, wird etwa 1978/79 gerechnet.
Wie die Experten feststellten, kann in großen industriemäßig produzierenden Anlagen der Tierproduktion mit weiteren derartigen Havarien gerechnet werden, da von vielen leitenden Kadern der Mastkombinate in erster Linie die Produktion von Fleisch gesehen und den wichtigen Nebenanlagen wie der Güllelagerung und Aufbereitung zu wenig Beachtung geschenkt werde.