Einbruch in die Waffenkammer der GST in Bismark
12. Februar 1976
Information Nr. 117/76 über den im Zusammenhang mit einem geplanten Grenzdurchbruch erfolgten Einbruch in die Waffenkammer der GST in Bismark, Bezirk Magdeburg am 31. Dezember 1975
Am 21. Januar 1976 wurden die Bürger der DDR [Person 1], geboren am: [Tag] 1954, wohnhaft: [Adresse], letzte Tätigkeit: Kraftfahrer beim Deutschen Roten Kreuz in [Ort] und [Person 2], geboren am: [Tag] 1955, wohnhaft: [Adresse], letzte Tätigkeit: Schlosser beim [Betrieb], beim Versuch, die Staatsgrenze der DDR im Bereich der Grenzübergangsstelle Schönberg/Karl-Marx-Stadt in Richtung ČSSR mit einem privaten Pkw gewaltsam zu durchbrechen, von den Sicherheitsorganen der DDR festgenommen.
Während des Kontroll- und Abfertigungsprozesses war festgestellt worden, dass sich hinter einer Rückenlehne des Pkw eine größere Anzahl Kleinkaliberpatronen befand. Die daraufhin eingeleitete Intensivkontrolle – der sich [Person 1] und [Person 2] durch eine gewaltsame Flucht in Richtung ČSSR entziehen wollten – ergab, dass sich im Pkw, unter der hinteren Sitzbank versteckt, zwei Kleinkaliber-Maschinenpistolen, Typ Kalaschnikow 69, und 1 360 Schuss dazugehöriger KK-Munition befanden sowie im Kofferraum ein selbstgefertigter Sprengkörper versteckt war.
Gegen [Person 1] und [Person 2] wurden daraufhin Ermittlungsverfahren gemäß
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§ 101 StGB – Terror
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§ 158 StGB – Diebstahl sozialistischen Eigentums
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§ 206 StGB – unbefugter Waffen- und Sprengmittelbesitz
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§ 213 StGB – ungesetzlicher Grenzübertritt
eingeleitet und auf gleichen Rechtsgrundlagen Haftbefehle erlassen.
Die durch das MfS bisher geführten Untersuchungen ergaben:
[Person 1] und [Person 2] fassten aus einer feindlich-negativen Grundeinstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR den Entschluss, gemeinsam die DDR ungesetzlich nach der BRD zu verlassen. Zuvor hatten sie Urlaubsreisen in die ČSSR dazu ausgenutzt, »günstige« Stellen für einen Grenzdurchbruch von der ČSSR aus in die BRD zu erkunden. In die Entschlussfassung zum ungesetzlichen Verlassen der DDR bezogen sie den Diebstahl von Waffen ein, wobei die Anwendung dieser Schusswaffen gegen Sicherungskräfte an der Staatsgrenze der DDR und der ČSSR fest eingeplant war.
In Realisierung ihres Vorhabens brachen die Täter in der Nacht vom 31. Dezember 1975 zum 1. Januar 1976, gegen 1.00 Uhr in der Annahme, dass in dieser Nacht aufgrund der Silvesterfeierlichkeiten der Einbruch unbemerkt bleiben würde, mittels Nachschlüssel und durch geschickte Entfernung des Siegels in die Waffenkammer der GST [Ort] ein. (Die Waffenkammer befindet sich in der Betriebsberufsschule (BBS) der Molkereigenossenschaft [Ort] und besitzt eine funktionstüchtige Sicherungsanlage.)
Die Täter entwendeten drei KK-MPi 69 und eine verschlossene Munitionskiste mit KK-Munition. (Zwei KK-MPi 69 und 1 360 Schuss KK-Munition wurden bei der Kontrolle an der Grenzübergangsstelle Schönberg sichergestellt, die dritte KK-MPi 69 und ca. 400 Schuss KK-Munition wurden später auf dem Grundstück der Eltern des [Person 2] aufgefunden.)
Wie die bisherigen Untersuchungen des MfS weiter ergaben, war der Einbruch in die Waffenkammer der GST bis zum Zeitpunkt der Festnahme von [Person 1] und [Person 2] von den verantwortlichen Funktionären der GST der Betriebsberufsschule von [Ort] noch nicht bemerkt worden, da die Waffenkammer nach außen hin keine Spuren von Gewaltanwendung aufwies und in der Zwischenzeit keine Kontrollen erfolgten. Eine erst aufgrund der Aussagen der beiden Täter durchgeführte Überprüfung ergab, dass die Waffen und Munition aus den Beständen der GST-Kreisorganisation [Ort] stammen.
Die Waffenkammer, die erst im April 1974 in der Betriebsberufsschule der Molkerei [Ort] eingerichtet wurde, entsprach im Wesentlichen den Sicherheitsbestimmungen. Sie wurde von den zuständigen Organen der DVP als sicher bezeichnet und abgenommen, obwohl die Alarmvorrichtung nicht wie gefordert als Ruhestromanlage, sondern als Arbeitsstromanlage installiert war.
Beide Täter hatten keinerlei Beziehungen zur GST. Mit den Örtlichkeiten der BBS der Molkerei [Ort], in der erst später die Waffenkammer eingerichtet wurde, war [Person 2] insofern vertraut, da er diese Schule von 1971 bis 1973 besuchte. (Bereits während seiner Lehrzeit hatte er – wie die Untersuchungen ergaben – das Schloss der Stahltür zu dem Raum, in dem sich heute die Waffenkammer der GST befindet, mithilfe eines anderen Sicherheitsschlüssels mühelos geöffnet.)
Die beim Direktor der Betriebsberufsschule in der Wohnung auflaufende Alarmanlage, die sich anfangs zwar einschaltete, aber durch Abwesenheit desselben praktisch nicht wirksam wurde, wurde gewaltsam unterbrochen. (Der Direktor der BBS befand sich im Urlaub, hatte davon jedoch den Kreisvorstand der GST nicht in Kenntnis gesetzt.)
Wie die Untersuchungen weiter ergaben, hat der GST-Kreisvorstand die geforderten quartalsweisen Überprüfungen durchgeführt, aber der ehrenamtliche Waffenverwalter verletzte die in der Waffenvorschrift der GST festgelegten Kontrollpflichten zur monatlichen Überprüfung der Waffenkammer dahingehend, indem er seine nachweisbar letzte Kontrolle am 7. Oktober 1975 durchführte. Wie weiter festgestellt wurde, erfolgte die Nachweisführung über den Bestand und Verbrauch von KK-Munition seitens der GST in [Ort] äußerst mangelhaft. Zum Beispiel ergab sich nach der letzten Bestandskontrolle vom 7. Oktober 1975 ein Fehlbestand von 1 641 Schuss KK-Munition, deren Verbleib bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht aufgeklärt ist.
Die im Zusammenhang mit dem Einbruch in die Waffenkammer in [Ort] insgesamt getroffenen Feststellungen zu Fragen der Sicherheit und Ordnung sollten zum Anlass genommen werden, kurzfristige Überprüfungen der Waffenkammern anderer GST-Kreisorganisationen durchzuführen und geeignete Maßnahmen einzuleiten, die die Einhaltung der entsprechenden Sicherheitsbestimmungen in Zukunft garantieren.