Eindringen von Personen nach Ostberlin am Lenné-Dreieck
10. September 1976
Information Nr. 628/76 über das widerrechtliche Eindringen eines Einwohners von Westberlin und zwei US-Bürgern in das Staatsgebiet der DDR am 9. September 1976 in Berlin-Mitte
Am 9. September 1976, 13.00 Uhr, erfolgte durch Angehörige der Grenztruppen der DDR in Berlin-Mitte, im unmittelbar an der Ebert-Voß-Straße gelegenen Grenzabschnitt Lenné-Dreieck, die Festnahme des unter Alkoholeinfluss (0,2 Promille) stehenden Einwohners von Westberlin [Name], geboren am [Tag] 1926 in [Ort], wohnhaft: Berlin (West) 36, [Adresse], Beruf: Kaufmann, seit 1971 Invalidenrentner.
Die Festnahme erfolgte ohne Anwendung der Schusswaffe, nachdem [der Festgenommene] ca. 20 m in das den Grenzsicherungsanlagen vorgelagerte Territorium der DDR widerrechtlich eingedrungen war.
Bereits vor dem widerrechtlichen Eindringen des [Festgenommenen] wurden um 12.50 Uhr auf Westberliner Gebiet an der Lennéstraße zehn Angehörige des Westberliner Zolls, zwei Angehörige der Westberliner Polizei sowie zwei Zivilpersonen festgestellt, die das widerrechtliche Eindringen dieser Person in das Staatsgebiet der DDR und – mittels Ferngläser – den Ablauf der Festnahme beobachteten. Die Zivilpersonen führten darüber hinaus einen Fotoapparat mit Teleobjektiv sowie eine Heckenschere mit.
Zum Zweck der besseren Einsichtnahme war durch die Zivilpersonen zuvor eine Öffnung in ein auf Westberliner Gebiet befindliches Gebüsch geschnitten worden. Von den Angehörigen des Westberliner Zolls und der Polizei wurden keinerlei Aktivitäten unternommen, um das eindeutig erkennbare widerrechtliche Eindringen des [Festgenommenen] in das Staatsgebiet der DDR zu verhindern.
[Angaben zur Person des Festgenommenen] Zur Abkürzung des Weges hat er, wie bereits des Öfteren an dieser Stelle, das den Grenzsicherungsanlagen vorgelagerte Territorium der DDR durchquert.
[Der Festgenommene] bestreitet bisher, dass zwischen dem Aufenthalt der vorgenannten Personen auf Westberliner Gebiet und seinem widerrechtlichen Eindringen ein Zusammenhang besteht bzw. dass er im Auftrage dieser Personen handelte.
Nach Angaben des [Festgenommenen] sei er an einem Vortage von einem Angehörigen der Westberliner Polizei darauf aufmerksam gemacht worden, er solle einen anderen Weg benutzen, da dieser Weg durch die DDR führe.
Inwieweit die Kenntnis darüber, dass [der Festgenommene] häufig diesen Weg über das Territorium der DDR benutzt, mit dafür ausschlaggebend war, dass zu diesem Zeitpunkt die genannte Anzahl Angehöriger des Westberliner Zolls und der Polizei sowie weitere Zivilpersonen anwesend waren, kann gegenwärtig nicht konkret eingeschätzt werden.
In dem Grenzabschnitt Lenné-Dreieck werden seit dem 6. September 1976 Bauarbeiten zur Befestigung der Staatsgrenze entsprechend deren tatsächlichem Verlauf durchgeführt.
Da in der Untersuchung dem [Festgenommenen] keine provokatorische Absicht und kein eindeutiger Zusammenhang zu den zu diesem Zeitpunkt dort aufenthältlichen Angehörigen des Westberliner Zolls bzw. der Polizei und den Zivilpersonen nachgewiesen werden konnten, wird vorgeschlagen, ihn am 10. September 1976 über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße nach Westberlin zurückzuführen.
Am 9. September 1976, gegen 14.30 Uhr drangen im gleichen Grenzabschnitt (Lenné-Dreieck/Potsdamer Platz) von Westberlin aus zwei weitere Personen ca. 20 m widerrechtlich in das Staatsgebiet der DDR ein und wurden durch Angehörige der Grenztruppen der DDR ohne Anwendung der Schusswaffe festgenommen. Das Überschreiten der Staatsgrenze der DDR und die Festnahme dieser Personen wurde von zwei Angehörigen der in Westberlin stationierten britischen Besatzungstruppen von einem auf Westberliner Seite befindlichen Podest aus beobachtet.
Bei den Festgenommenen handelt es sich um den Staatsbürger der USA [Name], geboren am [Tag] 1946, [Adresse], sowie eine weibliche Person etwa gleichen Alters, die keine Personalpapiere mit sich führte und angab, ebenfalls US-Bürgerin zu sein. Beide Personen konnten nicht deutsch sprechen.
Im Ergebnis der durchgeführten Überprüfungen ist einzuschätzen, dass zwischen der Festnahme des [Name] und der zwei US-Bürger kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Der US-Bürger [Name] und die sich in seiner Begleitung befindliche weibliche Person wurden durch den Kommandeur des Grenzregimentes 35 belehrt und gegen 15.00 Uhr im gleichen Grenzabschnitt auf Westberliner Gebiet zurückgewiesen. Die Zurückweisung wurde durch zwei zu dieser Zeit auf dem Podest am Potsdamer Platz aufhältliche männliche Zivilpersonen beobachtet.
Im Zusammenhang mit diesen Festnahmen ist festzustellen, dass in der Zeit vom 1. Januar 1975 bis heute in 88 Fällen Personen von Westberlin aus widerrechtlich in das Staatsgebiet der DDR eindrangen und festgenommen wurden.
Die von den zuständigen Organen der DDR geführten Untersuchungen ergaben, dass sich unter diesen Grenzverletzern sehr häufig Personen befinden, die – wie gutachterlich bewiesen wurde – als Geisteskranke einzuschätzen sind bzw. denen ein solcher Zustand aus den beim ungesetzlichen Grenzübertritt mitgeführten Dokumenten bescheinigt wurde.
Allein im Zeitraum seit dem 1. Januar 1976 befanden sich unter den von Westberlin aus widerrechtlich in das Staatsgebiet der DDR eingedrungenen und festgenommenen Personen elf psychisch kranke Personen, durch deren widerrechtliches Eindringen in die DDR sowie die damit verbundenen unberechenbaren Handlungs- und Verhaltensweisen erhebliche Gefahrensituationen für die Sicherheit und Ordnung an der Staatsgrenze sowie für Leben und Gesundheit von Personen entstanden.
Durch den Beauftragten der Regierung der DDR, Gen[ossen] Dr. Mitdank, war der Vertreter des Senats von Westberlin, Kunze, bereits am 1. September 1976 auf der Grundlage entsprechender Beweismittel auf die ständig steigende Tendenz derartiger Vorfälle aufmerksam gemacht und aufgefordert worden, dass der Senat von Westberlin unverzüglich die erforderlichen Schritte unternimmt, um an der Staatsgrenze zur DDR Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, Anschläge auf die Staatsgrenze der DDR rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern und damit insbesondere auch Handlungen psychisch kranker Personen sowie einen Missbrauch derartiger Personen für Handlungen gegen die Staatsgrenze auszuschließen.
Seitens der DDR war nachdrücklich erklärt worden, dass der Senat von Westberlin die volle Verantwortung für alle Folgen zu tragen hat, die durch Handlungen derartiger Personen bei Anschlägen auf die Staatsgrenze der DDR entstehen können.
Es wird vorgeschlagen, die Grenzverletzung des [Festgenommenen] erneut zum Anlass zu nehmen, die Westberliner Seite aufzufordern, konkrete Maßnahmen zur Unterbindung des widerrechtlichen Eindringens in das Staatsgebiet der DDR von Westberliner Territorium aus einzuleiten und durchzusetzen.