Entgleisung des Moskwa-Express in Warschau
29. Juni 1976
Information Nr. 480/76 über einen Bahnbetriebsunfall des D 390 »Moskwa-Express« (Moskau – Berlin-Ostbahnhof) in der Nähe des Vorortbahnhofs Warszawa-Remberto, VR Polen am 28. Juni 1976
Am 28. Juni 1976, gegen 11.50 Uhr entgleisten vom internationalen Reisezug D 390 »Moskwa-Express«, der sich auf der Fahrt von Moskau nach Berlin-Ostbahnhof befand, unmittelbar vor dem Vorortbahnhof Warszawa-Remberto/VR Polen sechs Schlafwagen. Nach bisherigen Feststellungen haben die Reisenden – etwa 200 Bürger der UdSSR und zwei Bürgerinnen der DDR – infolge des Bahnbetriebsunfalls keine ernsthaften Verletzungen erlitten.
Über den Hergang des Bahnbetriebsunfalls wurde bisher Folgendes bekannt:
Der D 390 – bestehend aus elf Schlafwagen und einem Postwagen der sowjetischen Staatsbahn sowie einem Speisewagen der Mitropa (Deutsche Reichsbahn) – wurde von einer Diesellokomotive der Polnischen Staatsbahn PKP gezogen.
In der Nähe des Vorortbahnhofs Warszawa-Remberto nahm das im Speisewagen tätige Mitropa-Personal (2. Wagen nach Packwagen) starke Erschütterungen wahr, die nach etwa 50 m Laufweg wieder aufhörten. Etwa zu diesem Zeitpunkt kam der D 390 zum Halten. Nach Einschätzung der Mitropa-Angehörigen hatte der D 390 zum Zeitpunkt des Auftretens der Erschütterungen etwa eine Reisegeschwindigkeit von 40 bis 50 km/h.
Die Mitropa-Angehörigen stellten beim Verlassen des Zuges fest, dass die unmittelbar dem Speisewagen folgenden und an dritter bis achter Stelle des D 390 laufenden Schlafwagen der sowjetischen Staatsbahn entgleist waren und sich in einer starken Schräglage befanden. Die diesen folgenden fünf Schlafwagen waren nicht entgleist, sondern befanden sich weiter auf dem Gleiskörper. Wie sie weiter augenscheinlich feststellten, befand sich in Höhe der entgleisten sechs Schlafwagen ein ca. 50 bis 60 m langes Schienenstück in einem deformierten Zustand etwa 1,5 bis 2,0 m neben der ursprünglichen Gleislage des rechten Fahrschienenstranges.
Über die Ursachen der Herauslösung, der Deformierung und des Beiseiteschiebens dieses Schienenstückes liegen bisher keine Angaben vor.
Nach Auffassung von Fachexperten hat sich dieses Schienenstück offenkundig während der Zugfahrt herausgelöst, wofür auch der Umstand spricht, dass die Diesellokomotive, der an erster Stelle laufende Packwagen und der Mitropa-Speisewagen diese Stelle ohne Entgleisung noch passierten.
Die im Speisewagen festgestellten starken Erschütterungen weisen aber auf eine bereits vorhandene oder unmittelbar eingetretene Lockerung bzw. Verwerfung des Schienenstranges hin. Weichen oder Kreuzungen konnten im Bereich der Unfallstelle nicht festgestellt werden. (Von den polnischen Organen wurde der Deutschen Reichsbahn lediglich die Zugverspätung gemeldet; Angaben über die Ursachen erfolgten nicht.)
Unmittelbar nach der Entgleisung wurde der Unfallort durch polnische Miliz abgesperrt. Durch medizinisches Personal wurde Erste Hilfe geleistet.
Nach Angaben polnischer Eisenbahner sei auch der Minister für Verkehrswesen der VR Polen am Unfallort gewesen.
Die nicht entgleisten Wagen des D 390 wurden am 28. Juni 1976, 14.00 Uhr, zum Warszawa-Gdansker Bahnhof überführt und mit drei zugestellten PKP-Sitzwagen neu zusammengestellt. Gegen 18.00 Uhr setzte der D 390 seine Fahrt von Warschau aus fort und traf mit 8-stündiger Verspätung am 29. Juni 1976, 3.21 Uhr, in Berlin-Ostbahnhof ein (planmäßige Ankunftszeit: 19.44 Uhr).
Infolge des Bahnbetriebsunfalls des D 390 wurden von der Polnischen Staatsbahn PKP die Transitreisezüge D 240 Warschau – Paris und D 244 Warschau – Hoek v. Holland mit 183 Minuten bzw. 144 Minuten Verspätung der Deutschen Reichsbahn und über diese mit etwa der gleichen Verspätung an die Deutsche Bundesbahn/BRD übergeben.
Die Abfahrt des planmäßig verkehrenden D 391 Berlin – Moskau (0.02 Uhr) musste infolge der erforderlich gewordenen betrieblichen Behandlung des verspätet eingefahrenen Wagentrains des D 390 verschoben werden.
Nach Angaben des Mitropa-Personals hätten sie Feststellungen getroffen, wonach von polnischen Bürgern, die in Vorortzügen die Unfallstelle passierten, teilweise verleumderische Äußerungen gegenüber den Zuginsassen des D 390 erfolgt seien.
Der Leiter der polnischen Passkontrollkräfte, der den D 390 von Terespol (Grenze zur UdSSR) bis Warschau begleitete, habe sich nach dem Bahnbetriebsunfall zu den Mitropa-Angehörigen dahingehend geäußert, dass es bei diesem Vorkommnis sich um eine Reaktion der Arbeiterklasse handeln würde.