Erschießung des italienischen Lkw-Fahrers Corghi, GÜST Hirschberg
5. August 1976
Information Nr. 556/76 über eine unter Anwendung der Schusswaffe am 5. August 1976 erfolgte Festnahme eines Grenzverletzers an der Staatsgrenze zur BRD
Am 5. August 1976, 3.45 Uhr, wurde im Bereich der Grenzübergangsstelle Hirschberg, Kreis Schleiz, Bezirk Gera, auf dem Territorium der DDR – ca. 650 m von der Staatsgrenze zur BRD entfernt – nach Anwendung der Schusswaffe durch einen Sicherungsposten der Grenztruppen der DDR der italienische Staatsbürger Corghi, Benito, geboren am 26.5.1938 in Rubiera, wohnhaft: Rubiera, [Adresse], Kraftfahrer bei der italienischen Firma für Autotransporte Coop-Ara in Reggio, Via Guicciardi 16, verletzt festgenommen.1 Gegen 4.45 Uhr ist dieser italienische Bürger trotz sofort eingeleiteter medizinischer Hilfe seiner Verletzung erlegen (je eine Schusswunde am rechten Schulterblatt und in der linken Schulter in Halsnähe – nach dem ersten vorläufigen gerichtsmedizinischen Gutachten kann es sich um einen Durchschuss handeln). Die bisherigen Untersuchungen ergaben:
Am 5. August 1976, gegen 3.40 Uhr näherte sich die betreffende Person auf der Autobahn zu Fuß, aus der BRD kommend, der Grenzübergangsstelle Hirschberg. Von dem etwa 700 m von der Staatsgrenze entfernt eingesetzten Sicherungsposten wurde, da die GÜST nur für den Fahrzeugverkehr zugelassen ist, der für diesen Bereich verantwortliche diensthabende Offizier des Kommandanten verständigt, der seinerseits Maßnahmen zur Festnahme der zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Person einleitete. Dabei wurde zunächst die Ampelanlage, die auf der vor der Grenzübergangsstelle Hirschberg befindlichen Autobahnbrücke installiert ist, auf Rot geschaltet, um bei der Durchführung der Festnahme jeglichen Fahrzeugverkehr zu unterbinden.
Nachdem sich der Grenzverletzer bis auf etwa 20 m in ungewöhnlicher Weise, teilweise in gebückter Haltung, den Grenzsicherungsanlagen der Grenzübergangsstelle genähert hatte, wurde er von dem Sicherungsposten – dessen Sicht war durch starke Nebelbildung beeinträchtigt – mehrfach zum Stehenbleiben und zum Erheben der Hände aufgefordert. Der Grenzverletzer erhob jedoch nur eine Hand. In der anderen Hand hielt er einen zunächst nicht identifizierbaren Gegenstand, bei dem es sich nach späteren Feststellungen um eine Tasche mit Reisepass, Kfz-Papieren, DDR-Interkontrollwaren-Begleitschein und anderen Begleitpapieren, Original-Abforderungsscheinen für Fleischtransporte des VEB Deutrans, »Währungsfaktura«, Internationaler Versicherungskarte usw. gehandelt hat.
Da er einer nochmaligen Aufforderung zum Stehenbleiben nicht nachkam und sich durch Flucht in Richtung BRD einer Kontrolle zu entziehen versuchte, gab der Sicherungsposten zwei Warnschüsse und danach drei gezielte Schüsse ab. Daraufhin brach der Grenzverletzer auf dem Grünstreifen der Autobahn auf DDR-Gebiet verletzt zusammen.
Die Festnahme und Bergung des Verletzten und noch im Handlungsraum (Gebäude der Sicherungskompanie) verstorbenen italienischen Staatsbürgers konnte von anderen Reisenden nicht beobachtet werden. Nach der Bergung wurde die Rotschaltung der Ampelanlage auf der Grenzbrücke aufgehoben.
Die eingeleiteten Überprüfungen ergaben weiter, dass der italienische Staatsbürger Corghi am 3. August 1976 mit dem italienischen Lkw, amtliches Kennzeichen RE 244935, von der BRD aus in die DDR eingereist war. Nachdem er – wie aus den Begleitpapieren ersichtlich ist – im VEB Fleischkombinat/Schlachthof Berlin 15 934 kg frisch gekühltes Schweinefleisch für die italienische Firma Mopelli in Cremona geladen hatte, reiste er am 5. August 1976, 2.58 Uhr, über die Grenzübergangsstelle Hirschberg wieder nach der BRD aus. Corghi reiste in der zurückliegenden Zeit bereits zweimal im Wechselverkehr und zweimal im Transit nach Drittstaaten (ČSSR und VR Polen) mit dem gleichen Lkw zur Durchführung von Fleischtransporten in bzw. durch die DDR.
In diesem Zusammenhang verdient weitere Beachtung, dass der Empfänger der Fleischladung, die vorstehend genannte Firma Mopelli, in engen geschäftlichen Beziehungen mit der BRD-Firma Moxel, Buchloe/Oberbayern, steht. Zur Firma Moxel, die von einem staatenlosen Bürger jüdischer Herkunft geleitet wird, besteht seitens des AHB Nahrung/Export und Import in 102 Berlin, Schicklerstraße, enger Kontakt. Die Firma Moxel (ein Vertriebs- und Produktionsbetrieb) ist faktisch der Auftraggeber bzw. Vermittler für Fleischlieferungen aus der DDR an die genannte italienische Firma.
Seitens des AHB Nahrung/Export und Import wurden Schritte eingeleitet, mit dem Ziel, die BRD-Firma Moxel zur Abholung des auf BRD-Seite (Grenzkontrollstelle Rudolphstein) parkenden Lkw zu veranlassen, was zwischenzeitlich auch erfolgt ist. Die Papiere, die für die Abfertigung des Lkw an der BRD-Grenzkontrollstelle erforderlich sind, wurden dem Fahrer eines Lkw der gleichen Firma mitgegeben. Inoffiziell wurde in der Zwischenzeit Folgendes bekannt:
Corghi hat beim Vorzeigen seiner Papiere am BRD-Grenzkontrollpunkt nach dem für den Transport erforderlichen veterinärmedizinischen Zeugnis gesucht. Dabei erklärte er: »Das Zeugnis muss ich drüben liegengelassen haben.« Auf BRD-Seite wurde er anschließend in Richtung DDR-Gebiet zu Fuß gehend gesehen.
Die Untersuchungen werden fortgeführt.