Erste Reaktionen auf die Ausbürgerung Wolf Biermanns
17. November 1976
Information Nr. 796/76 über erste Reaktionen von Biermann und dessen Verbindungen in der DDR nach Veröffentlichung der ADN-Meldung über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR für Biermann
Ersten internen Hinweisen zufolge entwickelten Biermann-Freunde in der DDR bereits unmittelbar nach Verbreitung der ADN-Meldung Aktivitäten zur Organisierung gegenseitiger Absprachen und Zusammenkünfte.1
Christine Biermann nahm unmittelbar nach Veröffentlichung der ADN-Meldung Verbindung mit Biermanns Rechtsanwalt Dr. Berger auf und teilte ihm mit, in der gegenwärtigen Situation sei die Klage auf Ehescheidung hinfällig geworden.
Im Verlaufe der Nachmittags- und Abendstunden des 16. November 1976 wurde die Ehefrau des Biermann von mehreren Personen aufgesucht.
Eva-Maria Hagen und ihr Liebhaber Matti Geschonneck (Student) hielten sich bereits seit Nachmittag bei der Biermann auf, unterstützten sie bei allen Gesprächen und blieben auch nachts in der Wohnung.
Unter den Personen, die außerdem bei der Biermann auftauchten und ihre »Empörung« über die Maßnahmen der DDR zum Ausdruck brachten, befanden sich die langjährigen Biermann-Verbindungen
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[Name] – freiberufliche Grafikerin,
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[Name] – freischaffende Grafikerin,
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[Name] und Ehefrau – Biermanns Kfz-Schlosser,
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[Name] – Kfz-Schlosser.
Robert Havemann stand nach Bekanntwerden der Entscheidung der DDR-Organe in ständiger Verbindung mit Christine Biermann. Er forderte sie zu überlegtem Verhalten auf; sie solle nichts tun, was von den staatlichen Organen »falsch ausgelegt« werden könnte.
Gegenüber Vertretern mehrerer westlicher Massenmedien brachte er seine Empörung gegen die Entscheidung der DDR-Organe zum Ausdruck: Biermann habe sich in der BRD korrekt verhalten und die DDR als den besseren deutschen Staat bezeichnet; außerdem sei er Kommunist. Es sei notwendig, dass sich die kommunistischen Parteien Westeuropas für Biermann einsetzen. Für die Weltöffentlichkeit gebe es genügend Beweismaterial, um die Ungerechtigkeit der Entscheidung zu belegen. Seitens der DDR sei es unerhört, eine derartige Maßnahme vorzunehmen, ohne den Betroffenen anzuhören und diesem die Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Es sei Biermanns verbrieftes Recht, als DDR-Bürger seine Regierung zu kritisieren.
Derartige Äußerungen tätigte Havemann gegenüber
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Lothar Loewe – ARD,
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Peter Pragal – Süddeutsche Zeitung,
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Wagner – »Axel-Springer-Inlanddienst«,
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Schulz – DPA
und einem namentlich nicht bekannten Journalisten des SFB in Form von Telefon-Interviews und telefonischen Erklärungen. Gleichlautend äußerte er sich zu dem BRD-Grafiker Klaus Staeck, der gegenwärtig in der DDR seine Arbeiten ausstellt.
Auch mit Reiner Kunze verständigte sich Havemann über die getroffene Entscheidung. Er sagte einen bei diesem geplanten Besuch ab, da er »situationsbedingt andere Aufgaben zu lösen« habe. Dafür schlug er vor, zusammen mit Jurek Becker und Jürgen Fuchs (ohne berufliche Tätigkeit, wohnt bei Havemann in Grünheide, Freund Biermanns und Verbreiter seiner »Werke«) im regelmäßigen Kontakt zu bleiben.
Weiter wurde intern bekannt, dass sich Havemann in den späten Abendstunden mit Heym in Verbindung setzte. Er äußerte Unverständnis, dass Heym gegenüber dem BRD-Fernsehen einer Stellungnahme ausgewichen sei. Das sei bedauerlich, da von Heym »alle« Aktivitäten erwarten würden. Heym verwahrte sich gegen Havemanns Vorhaltungen. Er werde Aktivitäten entwickeln, aber »nicht auf der Ebene Havemanns und nicht von diesem vorgeschrieben«. (Heyms Ehefrau hatte bereits am späten Nachmittag bei Christine Biermann um Verständnis dafür gebeten, dass ihr Ehemann auf Anfragen aus der BRD nicht sofort reagiere, da er sich zunächst noch informieren wolle.)
Stephan Hermlin hat für den 17. November 1976, 11.00 Uhr, Stefan Heym und Günter Kunert zu sich eingeladen, um mit ihnen einen gemeinsamen Standpunkt zu erarbeiten, »bevor sie an die Öffentlichkeit treten«.
Ein weiteres Treffen soll am 17. November 1976, nachmittags, bei Christine Biermann stattfinden, an dem Havemann, Heym und Jurek Becker (der seine Lesereise in Jena unterbricht) teilnehmen wollen. Es ist vorgesehen, von dort aus mit Biermann telefonisch in Kontakt zu kommen.
Wie weiter intern bekannt wurde, setzte sich der Schriftsteller Günter [wahrscheinlich: Rolf] Schneider mit Stefan Heym in Verbindung und bat um ein Gespräch über Biermann. Heym schlug vor, ein derartiges Gespräch zur Klärung der Standpunkte erst in zwei Tagen zu führen, wenn zusätzliche Informationen vorliegen.
Der bei Havemann in Grünheide lebende Jürgen Fuchs hat gegenüber der BRD-Nachrichtenagentur DPA im »Namen seiner Freunde« die Entscheidung der DDR-Behörden verurteilt und die Hoffnung ausgedrückt, dass sie rückgängig gemacht werde. Auf Anfrage des Senders »Freies Berlin« brachte er seine Empörung mit der getroffenen Entscheidung zum Ausdruck. Biermann sei Kommunist und habe immer betont, dass er die DDR als den besseren deutschen Staat ansieht. Er hoffe, dass die Empörung in »Ost und West« Auswirkungen auf die Haltung der DDR haben werde.
Biermann setzte sich am 16. November 1976, gegen 19.00 Uhr telefonisch mit seiner Ehefrau Christine in der Hauptstadt der DDR in Verbindung. Christine Biermann teilte mit, dass sie ein Tätigwerden einer Kommission der Abteilung Finanzen beim Magistrat von Groß-Berlin, die eine Bestandsaufnahme von Biermanns Eigentum in der Wohnung vornehmen wollte, ohne Rücksprache mit Rechtsanwalt Dr. Berger, Götz, abgelehnt habe.
Biermann bestärkte seine Ehefrau in ihrer Haltung und forderte sie auf, einer Bestandsaufnahme nicht zuzustimmen und sich nur einer Zwangsmaßnahme in Form eines Hausdurchsuchungsbefehls zu beugen, dem man sich nicht widersetzen könne. Biermann betonte weiter, es sei für sie »eine sehr bittere Phase des politischen Kampfes« eingetreten. Seine Ehefrau solle heftige und unüberlegte Reaktionen vermeiden, um keinen Anlass zu Zwangsmaßnahmen zu geben. Er selbst werde die Situation gemeinsam mit Heinrich Böll und Günter Wallraff überdenken.
Heinrich Böll forderte anschließend auch Eva-Maria Hagen auf, so zu verfahren, wie von Biermann empfohlen wurde.
In einem späteren Gespräch gegen 22.00 Uhr (die erwähnte Kommission des Magistrats weilte gegen 21.15 Uhr erneut in der Wohnung der Biermann) bestärkte Biermann seine Ehefrau wiederum in der Ablehnung einer Eigentumsbestandsaufnahme und in der Ablehnung gegenüber der genannten Kommission, die Verantwortung für das in der Wohnung befindliche Eigentum durch Unterschrift zu übernehmen. Er teilte mit, er halte sich vorläufig bei Heinrich Böll auf. Gegenüber staatlichen Stellen der DDR solle seine Ehefrau mitteilen, er habe die Absicht, in die DDR zurückzukommen.
Christine Biermann erklärte wiederholt in Anwesenheit der Kommission des Magistrats – bestärkt von den in ihrer Wohnung aufhältlichen Biermann-Freunden –, sie sei mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR für ihren Ehemann auf gar keinen Fall einverstanden, zumal sich ihr Ehemann ebenfalls telefonisch dagegen verwahrt habe. Sie verlangte, es sollte konkret erklärt werden, mit welchen Liedern, Gedichten oder Worten Biermann gegen Gesetze der DDR verstoßen habe.
Während Christine Biermann ihre Argumente sachlich vortrug, versuchte die anwesende Hagen sich ständig aggressiv in das Gespräch einzumischen und Christine Biermann dahingehend zu beeinflussen, einer Bestandsaufnahme des Mobiliars und Vermögens des Biermann auf gar keinen Fall zuzustimmen. Unter anderem äußerte die Hagen: »… der Wolf wird wiederkommen; dann werden sie ihn von vorn erschießen diese Schw…« Sie betonte, alle Anwesenden würden Frau Biermann dahingehend beeinflussen, das vorgelegte Schriftstück nicht zu unterzeichnen.
Als am 16. November 1976, gegen 21.50 Uhr, der Rechtsanwalt Dr. Berger in der Wohnung erschien, wurde er von der Hagen sofort in die Vorgänge eingeweiht. Berger betonte, nachdem ihm der Sachverhalt der Vermögenssicherung vorgetragen wurde, dass man auf gar keinen Fall von der Frau Biermann die Übernahme der Haftung verlangen könne. Die Entlassung Biermanns aus der Staatsbürgerschaft sei absolut noch nicht rechtskräftig, da eine Rundfunkerklärung nicht als gültiger Rechtsakt anerkannt werden könne. Sein Wohnsitz sei nach wie vor Berlin, Chausseestraße 131. Aus diesem Grunde sei der Einsatz eines Abwesenheitspflegers nicht möglich.
Über die eventuell notwendig werdende Vermögensteilung würden sich dann die Ehepartner selbst einigen. Berger hob in seiner Argumentation mehrfach hervor, die DDR sei ein Rechtsstaat und die Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR für Biermann könnte möglicherweise durch die Volkskammer oder andere staatliche Organe noch rückgängig gemacht werden.
Berger empfahl der Biermann, ihr Ehemann solle sich an den Rechtsanwalt Vogel wenden, wenn er die Entscheidung der DDR-Organe anfechten wolle.
Wie weiter bekannt wurde, erschien am Vormittag des 17. November 1976 der in der DDR akkreditierte Korrespondent der ARD, Loewe, Lothar, bei der Ehefrau des Biermann. Kurz nach seinem Weggang sprach der Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Gaus, bei der Biermann vor, unterhielt sich mit ihr, nahm von ihr ihren Mann betreffende Bitten entgegen und versprach Unterstützung. Am Nachmittag hat Loewe vom Haus Chausseestraße 131 (Biermann-Wohnung) Aufnahmen gefertigt.
Am 16. November 1976, 21.55 Uhr, wurden im Bereich Hufeland-/Immanuel-Kirch-Straße 4 mit Filzstift geschriebene Handzettel, abgelegt in Hausfluren, aufgefunden. Inhalt: »Helft Biermann. Holt Biermann zurück« und die Aufforderung, sich am 21. November 1976, 10.00 Uhr, auf dem Alexanderplatz zu einer Protestaktion zusammenzufinden.
Am 17. November 1976, gegen 5.30 Uhr wurde auf dem S-Bahnhof Marx-Engels-Platz eine mittels weißer Ölfarbe angebrachte Hetzlosung: »Helft Biermann« (Größe ca. 20 × 50 cm) und an sieben weiteren Stellen Hetzschmierereien festgestellt und nach kriminaltechnischer Sicherung entfernt. An der Aufklärung dieser Fälle wird gearbeitet.
Wegen Quellengefährdung ist die Information nur zur persönlichen Kenntnisnahme geeignet.
[Fassung für das KfS Karlshorst: Der erste Teil ist identisch mit der Information für die DDR-Führung. Die letzten Abschnitte der DDR-Fassung wurden, beginnend mit »Als am 16. November 1976 gegen 21.50 Uhr Rechtsanwalt Dr. Berger« bis zum Ende des Dokuments durch folgende Abschnitte ersetzt:]
Der am späten Abend des 16. November 1976 in der Wohnung der Biermann erschienene Rechtsanwalt Dr. Berger gab der Biermann Ratschläge für ihr Verhalten und beeinflusste sie in dem Sinne, das vorgelegte Schriftstück nicht zu unterzeichnen.
Wie weiter intern bekannt wurde, informierte von der Wohnung der Biermann aus die Eva-Maria Hagen am 16. November 1976 telefonisch die seit November 1970 mit Biermann in Verbindung stehende [Name]/ 1905 in Riga geboren/ wohnhaft: Moskau, [Adresse]/ Rentnerin über die von den zuständigen Organen der DDR getroffenen Maßnahmen, verbunden mit der Aufforderung, sich von dort aus für Wolf Biermann »einzusetzen«. ([Die sowjetische Bürgerin] wurde in Moskau im Mai 1971 aufgesucht; sie besuchte Biermann in Berlin im September 1973 und im August 1975. Nach vorliegenden Hinweisen solidarisiert sie sich mit den Auffassungen und Handlungen von Sacharow, Solschenizyn und Biermann. Ihre Aufenthalte in der DDR nutzte sie zur Herstellung und zum Ausbau von Kontakten mit feindlich-negativ auftretenden bzw. politisch schwankenden Kulturschaffenden/Intellektuellen der DDR.)
Am Vormittag des 17. November 1976 erschien der in der DDR akkreditierte Korrespondent der ARD, Loewe, Lothar, bei der Ehefrau des Biermann. Kurz nach seinem Weggang sprach der Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Gaus, bei der Biermann vor, unterhielt sich mit ihr, nahm von ihr ihren Mann betreffende Bitten entgegen und versprach Unterstützung. Am Nachmittag fertigten Kamerateams (ARD und ZDF) vom Haus Chausseestraße 131 (Biermann-Wohnung) Aufnahmen und die Korrespondenten Loewe und Tautz-Wiessner sprachen Kommentare.
Am 16. November 1976, 21.55 Uhr, wurden im Bereich Hufeland-/Immanuel-Kirch-Straße 4 mit Filzstift geschriebene Handzettel, abgelegt in Hausfluren, aufgefunden. Inhalt: »Helft Biermann. Holt Biermann zurück« und die Aufforderung, sich am 21. November 1976, 10.00 Uhr, auf dem Alexanderplatz zu einer Protestaktion zusammenzufinden.
Am 17. November 1976, wurde auf dem S-Bahnhof Marx-Engels-Platz eine mittels weißer Ölfarbe angebrachte Hetzlosung: »Helft Biermann« (Größe ca. 20 × 50 cm) und an sieben weiteren Stellen Hetzschmierereien festgestellt. In den Bezirken der DDR kam es nur in Einzelfällen zu Hetzschmierereien, die in keinem Fall öffentlichkeitswirksam wurden. An der Aufklärung dieser Fälle wird gearbeitet.
Wegen Quellengefährdung ist die Information nur zur persönlichen Kenntnisnahme geeignet.